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Gesten gestalten – Spielräume zwischen Sichtbarkeit und Hörbarkeit

Nicole Besse

Tagungs­bericht zum gle­ich­nami­gen Sym­po­sium an der Hochschule für Musik
und The­ater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ (14.–16.Januar 2016)

Als „Kör­p­er-Sprache“ sind Gesten Bestandteil men­schlich­er Kom­mu­nika­tion, sie kön­nen emo­tionalen Gehalt ver­stärken und ver­bale Äußerun­gen erset­zen, im All­t­ag sind sie nett oder auch frech, sie sym­bol­isieren Fre­und­schaft, deuten Rich­tun­gen an oder demon­stri­eren Macht. Gesten sind Sin­nträger und zugle­ich ver­ankert im Kör­p­er — sie beze­ich­nen ein Dazwis­chen, das auch dem Gren­zphänomen des Musikalis­chen eigen ist: Unter der Über­schrift Gesten gestal­ten – Spiel­räume zwis­chen Hör­barkeit und Sicht­barkeit disku­tierten vom 14.–16. Jan­u­ar 2016 in der Leipziger Hochschule für Musik und The­ater „Felix Mendelssohn-Bartholdy“ Vertreter aus ver­schieden­sten Bere­ichen der Sprach- und Neu­rowis­senschaften, aus Philoso­phie, The­ater und Musik. Das Sym­po­sium wurde fächerüber­greifend organ­siert von den Pro­fes­soren Con­stanze Rora und Mar­ti­na Sichardt (Musikpäd­a­gogik, Musik­wis­senschaft) zusam­men mit Ipke Starke (Musik­the­o­rie) und Petra Stu­ber (Dra­maturgie). Ergänzt durch das Hochschulkonz­ert „LICHT­sKLAN­GRÄUME“, das Gele­gen­heit bot, Gehörtes im Kon­text der zeit­genös­sis­chen Musik zu reflek­tieren, ent­stand für die zahlre­ichen Zuhör­er ein neues Bewusst­sein für die Vielschichtigkeit des Phänomens.
Forschun­gen zur musikalis­chen Gestik find­en zunehmend Beach­tung seit den Unter­suchun­gen von Hat­ten (2004), Godoy und Leman (2010) und, im deutschsprachi­gen Raum, von Gruhn (2014). Das Tagung­spro­gramm in Leipzig erschien sehr bre­it gefächert, ger­ade die Vielfalt aber erwies sich als notwendig, um sich der Bedeu­tung von „Gesten“ im Bere­ich von Musik und The­ater zu näh­ern. Als Aus­gangspunkt diente die All­t­ags­gestik, die im Bere­ich sprach­lich­er Ver­ständi­gung Verbindun­gen her­stellt zwis­chen indi­vidu­eller und sozial gerichteter Inten­tion. Im Bere­ich der instru­men­tal­en Aus­führung lag die Gewich­tung auf Unter­suchun­gen zum Kör­per­be­wusst­sein, die auch Fra­gen der unmit­tel­bar physis­chen Real­i­sa­tion von Klän­gen am Instru­ment betr­e­f­fen und Über­legun­gen zu ihrer Ver­mit­tlung.
Die Forschungsrich­tun­gen ver­band eine Suche nach Rela­tio­nen von Kör­per­be­we­gung und Aus­sage: Den eröff­nen­den Beiträ­gen zur Geste zwis­chen Kör­p­er, Sprache und Musik, die ver­schiedene Dimen­sio­nen der Gesten­forschung aufzeigten, fol­gte ein Abschnitt zu Gesten des Her­vor­brin­gens, die im Instru­men­tal­spiel ein­er­seits der Hand­habung eines Instru­ments geschuldet sind, ander­er­seits, ähn­lich wie in Schaus­piel und Musik­the­ater, kom­mu­nika­tive, an das Pub­likum gerichtete Para­me­ter in sich tra­gen. Par­al­le­len zum The­ater wur­den auch in der Sek­tion Geste und Hal­tung deut­lich, darüber hin­aus geri­eten Facetten der Beobachter­hal­tung in den Fokus, die, je nach Insze­nierung, von der stillen Teil­habe bis zur aktiv­en Teil­nahme reichen. Unter dem Titel Gesten des Zeigens wurde die his­torische Betra­ch­tung von Gestik in mit­te­lal­ter­lich­er Musik gefasst bis zur Darstel­lung barock­er Tanz­fig­uren, deren kör­per­liche Expres­siv­ität vor allem an gesellschaftliche Muster gebun­den ist. Auf­schlussre­ich erschien als Gegen­pol dazu die Gestik in mod­ernem Aus­druck­stanz, in welchem die dem Kör­p­er eige­nen, indi­vidu­ellen Energien ins Zen­trum rück­en. In afrikanis­chen Kul­turen wiederum, so zeigte ein Beitrag der Musiketh­nolo­gie, wer­den gestis­che Zeichen als Mit­tel einge­set­zt, um mith­il­fe des Kör­pers musikalis­chen Sinn darzustellen. Der Hor­i­zont weit­ete sich nochmals im Hin­blick auf elek­tro­n­is­che Musik: Wie definiert sich der Anteil des Gestis­chen in ein­er Musik, die nicht mehr an den Aus­druck des men­schlichen Kör­pers gebun­den ist, die sich per Laut­sprech­er qua­si in den Raum set­zen lässt? Am Ende der Tagung stand die musikpäd­a­gogis­che Frage, ob und wie sich Gesten lehren lassen. Gesten sind, so wurde schließlich deut­lich, immer ver­bun­den mit ein­er Erwartung­shal­tung an das Gegenüber und wollen ver­standen wer­den – auch darin sind sie dem Musikalis­chen ver­wandt, das Res­o­nanz im Hör­er find­en muss.
Um das Begriffs­feld „Geste“ in ver­baler Kom­mu­nika­tion abzusteck­en, erläuterte die Sprach­wis­senschaft­lerin Jana Bressem in der ersten Sek­tion Gesten zwis­chen Kör­p­er, Sprache und Musik eine umfassende „Gram­matik der Gesten“. Darin wird unter­schieden zwis­chen rekur­renten und sin­gulären Bewe­gun­gen, zwis­chen bewusster Ver­wen­dung im sprach­lichen Gebrauch (z.B. Zeigegesten) und Relik­ten, die in der spon­ta­nen, meist aus­sagestützen­den Zuhil­fe­nahme beispiel­sweise der Hände zum Tra­gen kom­men. Die Unter­suchun­gen zur „Geste als musikalis­che Gestalt“ der Kom­pon­is­ten Claus-Stef­fen Mahnkopf und Mario Cosi­mo Schmidt dage­gen ziel­ten, dargestellt an der Musik Bri­an Fer­ney­houghs, auf die Ver­wen­dung von vor­wiegend bild­haft zu deu­ten­den Impulsen, die ihren Charak­ter in Form von unter­schiedlich starken Energiefeldern ent­fal­ten. Ein­blick in neu­rowis­senschaftliche Bere­iche des Musizierens gaben die Unter­suchun­gen der Junior­pro­fes­sorin Jin Hyun Kim zum „Musikalische[n] Embod­i­ment in Auf­führungs­gesten“. Kim analysierte die Prax­is von Musik­ern bzw. Tänz­ern, deren Kör­per­hal­tung, Selb­stempfind­en und Aus­druck­sweise sich ändert, je nach­dem, ob sie Bewe­gun­gen zur Musik aus­führen oder durch Bewe­gung Musik erzeu­gen. Auch wur­den über­raschende Verän­derun­gen erkennbar, je nach­dem ob Inter­pre­ten Pri­ma Vista spiel­ten oder sich län­gere Zeit mit einem Stück beschäftigt hat­ten. Unter dem Titel „Artiku­la­tion, Gestiku­la­tion und Mod­u­la­tion“ erweit­erte der Philosoph Chris­t­ian Grüny seine all­ge­meine „The­o­rie des Gestis­chen“, die er in seinem Buch „Kun­st des Über­gangs“ ent­fal­tet hat (Vel­brück 2014). Er geht davon aus, dass Musik ihrem Wesen nach gestisch ist: Musikalis­ch­er Sinn ist, wie die sprach­liche Geste, auf Bedeu­tungszuschrei­bung angewiesen. Akustis­che Äußerun­gen erschließen sich nur in dem Maße, wie sie vom Pro­duzen­ten als etwas gemeint und vom Rezip­i­en­ten entsprechend aufge­fasst wer­den – eben­so wie in der Sprache lässt sich hier­bei die kog­ni­tive Wahrnehmung von ein­er affek­tiv­en nicht tren­nen. Zen­tral für die musikalis­che Gestik ist ger­ade ihre oszil­lierende Dynamik zwis­chen lei­t­en­dem Gedanken und physis­ch­er Real­isierung, zwis­chen bewusstem und unbe­wusstem Ein­satz der Mit­tel.

Nicole M. Besse hat als diplomierte Instru­men­talpäd­a­gogin (Violine/Viola) und Orch­ester­musik­erin zuerst an Musikschulen gear­beit­et und danach, als Stu­di­en­rätin (Deutsch/Musik) am Gym­na­si­um, Konzepte aus dem Instru­men­talun­ter­richt in und mit Schulk­lassen weit­er­en­twick­elt. Derzeit lebt sie im Rhein­land und arbeit­et an ein­er Pro­mo­tion.

  • 28. Mai 201826. Juni 2018
Das Reich der Vögel
Jan Soeffner: „Partizipation. Metapher, Mimesis, Musik – und die Kunst, Texte bewohnbar zu machen“ (Paderborn, Wilhelm Fink 2014)
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