Zum Zaeb-Blog
An unsere Kolleginnen und Kollegen, Autorinnen und Autoren sowie alle an der online- Zeitschrift Ästhetische Bildung (zaeb.net) Interessierte jeden Geschlechts,
wir haben uns im Sommer 2016 dazu entschieden, die zaeb.net mit neuen Formen der wissenschaftlichen Kommunikation und Textproduktion zu bereichern. Die bisherige Sammlung aktueller wissenschaftlicher Aufsätze zu einem vorgegebenen thematischen Schwerpunkt, die wir – nun bereits im achten Jahr – ein- bis zweimal jährlich in der zaeb.net veröffentlichen, bleibt bestehen wie bisher, wir ergänzen sie jedoch durch zwei weitere Schwerpunkte, die in einem Blog zusammengefasst werden:
I Neuigkeiten, Hinweise, Entwürfe
Wir freuen uns auf (möglichst frühzeitige) Hinweise ebenso wie auf nachträgliche Berichte von Ereignissen aller Art, z.B. Vernissagen, Theater- und Filmveranstaltungen, experimentelle Musik, Ausstellungen usw. Dabei wollen wir den Zeitungen keine Konkurrenz machen – es geht nicht um die überall rezensierten Konzerte, Opern, Theateraufführungen usw., sondern um kleinere, meist verborgene künstlerische Aktivitäten, nicht zuletzt um solche von Kindern und Jugendlichen. Fragen und Reflexionen sind ebenso erwünscht wie Skizzen zu künstlerischen Unterrichtsprojekten. Statt um abgeschlossene Forschungsergebnisse geht es bei diesem Schwerpunkt um Entwürfe zu eigenen und fremden Versuchen und um Eindrücke aus der aktuellen Szene ästhetischer Bildung.
Dass wir uns die Entscheidung, die Mitteilungen und Berichte zu veröffentlichen, vorbehalten, wird jede/r verstehen.
II Kleine Texte – vom Aperçu über die Miszelle bis zum Zitat
Wissenschaftliches Denken und Schreiben – zumal wenn es Fragen ästhetischer Gegenstände, Theorie und Vermittlung betrifft – besteht nicht nur aus der Arbeit an Texten (oder an kompletten Büchern), die Autoren/Autorinnen mit zahlreichen Zitaten und Nachweisen ausstatten, um den akademischen Anforderungen zu genügen, wie auch um neue Perspektiven zu entwickeln. Angeregt und begleitet wird die wissenschaftliche Arbeit nicht zuletzt von aufblitzenden Ideen, überraschenden Einsichten, plötzlichem Erkennen von Zusammenhängen. Solch unerwarteten Erkenntnissen gehen oft langes und manchmal auch langweiliges Recherchieren, Lesen und Wiederlesen voraus. Ein Blitz des Verstehens erleuchtet dann einen bisher unbeachteten oder dunklen Arbeitsbereich und bahnt den Weg zur erfrischenden Lösung festgefahrener Gedanken und Schreibblockaden. Diese überraschenden Erkenntnisse können in die aktuellen Texte eingehen, auch ohne dass sie darin später noch sichtbar werden. Andere bleiben isoliert ohne wahrnehmbare Wirkung auf die aktuelle Schreibarbeit: Sie passen dann doch nicht, auch wenn sie anregen, werden aufs nächste Mal verschoben und schließlich vergessen – und tauchen, wenn sie fruchtbar genug sind, in anderen Zusammenhängen wieder auf.
Für das Festhalten solcher spontanen und produktiven Einfälle hält die Literaturwissenschaft einige offene Formen bereit. Meist schon in der antiken Rhetorik bekannt, erleben kleine Formen von der frühen Neuzeit an eine fruchtbare Renaissance neuer Formulierungen und Bedeutungsverschiebungen. Das Aperçu, als dessen Premiere im deutschen Sprachraum Schillers Brief über Aristoteles an Goethe vom 5. Mai 1797[1] gilt, wird zwar von Goethe als komplexer Schlüsselbegriff insbesondere seiner naturwissenschaftlichen Obsessionen verwendet, ist aber dem allgemeinen Gebrauch nach schlicht eine „geistreiche, prägnant formulierte Bemerkung“[2]. Das Aperçu ist nicht nur jünger als der Aphorismus mit seiner bis in die vorsokratische griechische Philosophie zurück zu verfolgenden Geschichte, sondern auch weniger anspruchsvoll. Ein Aperçu, im französischen Wortsinn ein rascher, kurzgefasster Überblick, muss weder eine Pointe haben noch spitzfindig sein. Es ist offen für individuelle Stoffe und Gestaltungen. Vom Aphorismus erwarten wir dagegen „prägnant knappe, geistreiche oder spitzfindige Formulierung eines Gedankens, eines Urteils, einer Lebensweisheit“[3]. Doch auch dabei ist Raum für individuelle Prägung. Das zeigt die Vielfalt der in sich und als solche fragmentarischen und zugleich vollkommenen Aphorismen, die der berühmte Mathematiker, Naturwissenschaftler und Philosoph Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) in seine „Sudelbücher“ schrieb.[4] Sieht man von den Tagebuchnotizen, Arbeitsentwürfen und kleinen Abhandlungen ab, bleibt eine schier unabsehbare Fülle von kürzesten und kurzen Sätzen, die mit ihrer Präzision, hinreißenden Komik, Bosheit und scharfsichtigen, noch die verborgenste Empfindung bloßlegenden Sprachkunst beeindrucken. Solche Texte, deren Autoren wir nicht das Wasser reichen können, bieten sich als Zitate an – eine weitere kleine und alles andre als unnötige Form für unsere neue Rubrik. (Darüber hinaus ist die Anlage von privaten „Sudelbüchern“ für die wissenschaftliche Arbeit geradezu unerlässlich.)
Zu den kleinen Formen wissenschaftlichen Schreibens gehören neben den Zitaten die Miszellen und die Rezensionen. Miszellen (von lat. miscellus: gemischt) sind „meist kleinere Aufsätze verschiedensten Inhalts, bes. für kurze Beiträge […] in wissenschaftlichen Zeitschriften.“[5] Ein ideales Format also für das Festhalten von Gedanken, die gerade nicht in den aktuellen Text passen, aber nicht nur irgendwann genau an der richtigen Stelle sein können, sondern auch von anderen gelesen werden sollten. Während die Miszelle heute bescheiden in Jahrbüchern ein verborgenes Dasein fristet, kennt jeder die Rezension. Sie bahnt einen Weg durch die Masse der Neuerscheinungen und ist zur Information und für kritisches Denken und Urteilen, kurz: für jedes wissenschaftliche Arbeiten unverzichtbar. Zurzeit überlassen wir diese aufklärerische Arbeit viel zu häufig den Fakes von Amazon und Verwandten. Auch wenn Rezensionen, wie manche andere der hier genannten Genres, einige Mühe machen und Zeit kosten, trifft auf sie doch im Vergleich zum Aufsatz oder zur wissenschaftlichen Untersuchung das zu, was Goethe „das gutmütige altfranzösische Reimwort“ nannte: „En peu d’heure/ Dieu labeure.“[6]
1 Cf. Schiller an Wolfgang von Goethe, Jena, den 5. Mai 1797. In: Conrad Höfer (Hrsg. o.J.= Horenausgabe): Schillers sämtliche Werke. München und Leipzig: 1910. Dreizehnter Bd. S.334.
2 Brockhaus Enzyklopädie 19. Aufl. 1986 ff, S. 671.
3 Metzler Literaturlexikon. Stichwörter zur Weltliteratur. Hrsg. Günther und Irmgard Schweikle. Stuttgart: Metzler 1984, S.20.
4 Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe. Erster und zweiter Band Sudelbücher I und II, Materialhefte, Tagebücher. Hrsg. Wolfgang Promies. © Muünchen: Hanser/ Lizenzausgabe Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 1994.
5 Metzler Literaturlexikon. (s.o. Anm. 2) S. 288 f.
6 Johann Wolfgang Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. 4.Teil, 16. Buch. Zürich: Artemis Gedenkausgabe. 2. Aufl. 1961–1966; Nachdruck München: dtv 1977. S.745.