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Auf dem Kissen — Plastizität im Kontext von Berühren, Begreifen und Formen

Sara Hornäk

[Beitrag als PDF]

Sitzsäcke und Passstücke

Abb. 1: Ali­na Mai­nusch, Gips­güsse

In ihren plas­tis­chen Arbeit­en gießt die Stu­dentin Ali­na Mai­nusch flüs­si­gen Gips in unter­schiedlich dicke und sta­bile Plas­tik­säcke und set­zt, kni­et oder legt sich anschließend – in Erin­nerung an die Sitzsäcke ihrer Kind­heit – in diese hinein. Dabei hin­ter­lässt sie ver­schiedene Abdrücke ihres Kör­pers. Die Fotos des Her­stel­lung­sprozess­es zeigen, wie sie Teile ihres Kör­pers in den war­men Gips drückt, während dieser hart wird. Die Mulden des zunächst flüs­si­gen, dann erstar­ren­den Mate­ri­als entsprechen der Neg­a­tiv­form ihres Kopfes sowie auch ihrer linken Hand und des recht­en Armes. Es entste­ht eine per­fek­te Pass­form, die sie bei einem Schulbe­such von Schüler*innen ein­er drit­ten Grund­schulk­lasse als Teil ihrer kün­st­lerischen Arbeit vor­führt. Die Stu­dentin schmiegt sich an ihr Gip­sob­jekt, die Kinder beobacht­en fasziniert die schein­bare Funk­tion­al­ität des Werkes und beschreiben das Objekt als eine Art ‚Entspan­nungsplas­tik’. Die Objek­te erin­nern an die Absur­dität der Passstücke von Franz West, dessen Arbeit­en die Stu­dentin nicht kan­nte. In ihnen gener­iert das Spiel mit Funk­tion­al­ität und Dys­funk­tion­al­ität, mit Sinn und Sinnlosigkeit zum eigentlichen The­ma der per­for­ma­tiv zu erfahren­den Skulp­turen. Die zunächst pas­siv zu rezip­ieren­den Werke wer­den durch den Kün­stler oder die Betra­ch­t­en­den vere­in­nahmt und damit zu Werkzeu­gen. Das Mate­r­i­al Gips wird durch die Stu­dentin in sein­er Plas­tiz­ität erforscht, in den Möglichkeit­en der For­mung, der Abfor­mung, des Anschmiegens. Anpas­sungs­fähigkeit set­zt eine Ver­form­barkeit des Mate­ri­als voraus. Im Anpassen an die Form des Kör­pers, im Anfassen und Berühren wird eine Plas­tiz­ität von Mate­r­i­al und Form erfahrbar, über die ich im Fol­gen­den nach­denken möchte, um dabei den Blick auf die Schnittstelle zwis­chen Objekt und Kör­p­er, Werk und Rezipient*in zu richt­en. Betra­cht­en alleine erscheint hier unzure­ichend, da über den visuellen Sinn hin­aus vor allem Tätigkeit­en des Berührens und Begreifens im Vorder­grund ste­hen. Der Tastsinn rückt somit in den Fokus des Inter­ess­es, da Ver­form­barkeit zwar auch visuell, vor allem aber hap­tisch wahrgenom­men wird.

In diesem Beitrag werde ich den Begriff der Plas­tiz­ität aus kunst­wissenschaftlich­er Per­spek­tive unter­suchen, im Anschluss ver­schiedene Pro­jek­te zu diesem The­menkom­plex vorstellen, in denen sich Studierende kün­st­lerisch und kunst­wissenschaftlich mit dem Phänomen der Plas­tiz­ität beschäftigt haben und davon aus­ge­hend erörtern, in welchem Gemenge die fünf Sinne in ihrer Wahrnehmung die Verbindung zwis­chen den Kör­pern der Betra­ch­t­en­den, den Kör­pern der Gestal­tenden und den gestal­teten Objek­te her­stellen. Philosophis­che, kunst­wissenschaftliche und kun­st­päd­a­gogis­che Über­legun­gen ver­schränken sich dabei.

Plas­tiz­ität – kunst­wissenschaftliche Per­spek­tiv­en – Eigen­schaften eines Mate­ri­als

Abb. 4: Robert Rauschen­berg, Mud Muse, 1968–1971 

In seinem Werk Mud Muse, das zwis­chen 1968 und 1971 ent­standen ist, füllt Robert Rauschen­berg eine Glaswanne mit 4000 Litern syn­thetis­chen Schlamms. Eine Mas­chine mit Luft­druck­ven­tilen lässt diese cremige Masse aus Betonit vor den Augen der Betra­ch­t­en­den blub­bern. Ein amor­pher Stoff wird insze­niert. Diet­mar Rübel steigt mit diesem Beispiel in seine 2012 veröf­fentlichte Studie zur „Plas­tiz­ität“ ein und eröffnet damit ver­schiedene kun­sthis­torische Per­spek­tivierun­gen zu „Ein­er Kun­st­geschichte des Verän­der­lichen“. Das Beispiel von Rauschen­berg dient ihm dazu, die Form­losigkeit in der Kun­st als The­ma der späten sechziger Jahre des 20. Jahrhun­derts in der Kun­st her­auszuar­beit­en, insofern als hier die For­mge­bung nicht ges­teuert, son­dern als flu­ide Masse sich selb­st über­lassen wird.[1]

Abb. 5: When Atti­tudes Become Form, 1969, Kun­sthalle Bern

Kunst­werke wur­den zuvor immer mit Form assozi­iert. Skulp­turale Werke herzustellen hieß, ihnen eine Form zu geben. Im 20. Jahrhun­dert entste­hen nun jedoch plöt­zlich “form­lose“ Werke und dazuge­hörige The­o­rien des Form­losen. So führt Har­ald Szee­mann 1969 in der Bern­er Ausstel­lung „When Atti­tudes Become Form“ Werke zusam­men, in denen die Auflö­sung ihrer For­men für einen sich radikal verän­dern­den Kun­st­be­griff ste­ht, Gat­tun­gen und Kat­e­gorien hin­ter­fragt wer­den und stattdessen Erweiterungsweisen durch Instal­la­tio­nen, Envi­ron­ments oder Hap­pen­ing erprobt wer­den. Sie wirken in den architek­tonis­chen Raum, den Land­schaft­sraum oder den Raum der Betra­ch­t­en­den hinein.

Dabei ver­drän­gen Mate­r­i­al, Prozess und Exper­i­ment die Form­suche und rück­en in den Vorder­grund. Dass sich Rübel dieser his­torischen Wende nun über einen Begriff aus der Skulp­tur­the­o­rie wid­met, der eine Eigen­schaft wie die der Plas­tiz­ität beschreibt, ist zen­tral. Er verdeut­licht damit, wie sich der Fokus auf die Prozes­su­al­ität kün­st­lerisch­er Vorgänge ver­schiebt, die aus der Form­barkeit der neuar­ti­gen weichen und ephemeren Mate­ri­alien resul­tiert. Die neuen Werke und mit ihnen die beglei­t­ende Kun­st­geschichtss­chrei­bung richt­en ihren Blick nicht länger auf das Sta­bile, Dauer­hafte und Unverän­der­liche der als wertvoll betra­chteten Stoffe in der Geschichte der Skulp­tur, son­dern auf eine „Plas­tiz­ität, die zu Meta­mor­pho­sen fähig ist“[2].

Aus mate­ri­alikono­grafis­ch­er Per­spek­tive zeigt Rübel am Werk von Rauschen­berg ein­lei­t­end, dass das Mate­r­i­al hier selb­st als ein zu Form gewor­den­er Prozess aus­gestellt wird und die Plas­tiz­ität als die formbes­tim­mende Eigen­schaft von Mate­r­i­al zu betra­cht­en ist. Anhand dieser flüs­si­gen Plas­tik stellt er die Frage, „Was tun? Ohne Form?“ und antwortet:

„Das per­for­ma­tive Wer­den der­ar­tiger Massen­phänomene ist vielmehr sig­nifikant für eine ‚form­lose‘ Wen­dung der mod­er­nen Kun­st, bei der das Liq­uide, das Amor­phe, das Ephemere tradierte ästhetis­che Kat­e­gorien abschließt und zugle­ich über­schre­it­et. Die Verän­der­lichkeit ist Merk­mal und Gegen­stand dieser kün­st­lerischen Arbeit­en, mehr noch, sie ist der Akteur dieser Kun­st des Wer­dens.“[3]

Es han­delt sich also um eine Plas­tiz­ität, die nicht dargestellt wird, son­dern die

„vielmehr in die Mate­ri­al­ität, ja – wie dies tra­di­tionell genan­nt wurde – in das Wesen der Kunst­werke einge­drun­gen [ist], um essen­tielle Struk­turen und daran gekop­pelte Kat­e­gorien aufzuwe­ichen.“[4]

Plas­tiz­ität lässt sich fol­glich in dreier­lei Hin­sicht betra­cht­en. Sie bezieht sich auf die Verän­derung des Mate­ri­als, auf die dynamis­che Eigen­pro­duk­tiv­ität der Sub­stanz selb­st oder auf das Plas­tis­che, Weiche und Form­bare als The­ma der Darstel­lung.

Soft Art

Abb. 6: John Cham­ber­lain, unti­tled, 1966

In der soge­nan­nten Soft Art der späten 1960er und 1970er Jahre brin­gen Kün­stler wie Claes Old­en­bourg oder John Cham­ber­lain die Ver­form­barkeit des Mate­ri­als in der Zusam­men­schnürung von Schaum­stoff­stück­en sehr unmit­tel­bar zum Aus­druck. Syn­thetis­che tex­tile Mate­ri­alien bere­ich­ern das Mate­ri­al­reper­toire und brin­gen zugle­ich eine neue For­men­sprache her­vor, die mit der Ver­form­barkeit spielt. Das Weiche, Flex­i­ble und Anpas­sungs­fähige lässt sich weniger sehen als fühlen. Insofern ist hier der tak­tile Sinn beson­ders ange­sprochen: Das Gese­hene möchte zugle­ich ertastet wer­den oder – anders aus­ge­drückt – das weiche Objekt erfordert ein ‚tas­ten­des Sehen’.

Dynamis­che Eigen­pro­duk­tiv­ität der Sub­stanzen

Abb.7: Lyn­da Benglis, Mete­or, 1969, Guss 1975, Blei und Stahl

Schaum­stoff entspricht einem geschäumten Mate­r­i­al. Durch das Schäu­men des Mate­ri­als ist das Moment der Form­losigkeit in der Her­stel­lung schon impliziert. Es lässt sich nicht steuern, in welche Rich­tung und wie weit sich das Mate­r­i­al aus­bre­it­et.[5] Ein dem Mate­r­i­al innewohnen­der Prozess des Sichaus­bre­it­ens und Überquel­lens bildet auch das The­ma ein­er Rei­he von Arbeit­en von Lyn­da Benglis, die als Ergeb­nisse ihrer Mate­r­i­al- und Schmelz­ex­per­i­mente mit geschäumtem Kun­st­stoff und Met­allen wie Blei an erkaltete Lavas­tröme erin­nern. Prozess und Bewe­gung des Mate­ri­als gelan­gen unmit­tel­bar zum Aus­druck.

Wir haben es hier mit Sub­stanzen zu tun, die sich sel­ber durch eine dynamis­che Eigen­pro­duk­tiv­ität ausze­ich­nen. Benglis unter­sucht die Wan­del­barkeit von plas­tis­chen Massen durch die ihnen inhärenten Attribute, ihre Energie, ihre Ober­flächen, ihre Aggre­gatzustände. Erforscht wird der Fluss von Kräften der belebt wirk­enden Materie, die nach außen und unten strebt, sich ergießt und auf dem Boden aus­bre­it­et.

Plas­tis­ches, Weich­es und Form­bares als The­ma der Darstel­lung

Während bei der Betra­ch­tung der Arbeit­en von Lyn­da Benglis ein kör­per­lich­es Empfind­en aus­gelöst wird, macht Louise Bour­geois die kör­per­be­zo­ge­nen Aspek­te des Plas­tis­chen unmit­tel­bar zu ihrem bild­hauerischen The­ma. Ihre frühen Arbeit­en aus gehauen­em Stein ver­weisen sowohl auf Kör­perteile als auch auf sich ver­flüs­si­gende Land­schaften. Das Inter­esse an Abgüssen ste­ht mit diesem Wan­del im Mate­ri­alver­ständ­nis in enger Verbindung.

In ihrem Latexkostüm bildet Louise Bour­geois mit dem flex­i­blen Latex­ma­te­r­i­al hal­bkre­is­för­mige Beulen, die an Brüste erin­nern, nach. Hier wird das Plas­tis­che als weich­es Form­bares nicht nur mit dem Mate­r­i­al verknüpft, son­dern ist The­ma der Darstel­lung. Plas­tiz­ität ist ein für die Geschichte der Skulp­tur zen­traler Aspekt und ein bedeut­sames The­ma nicht erst in Werken der let­zten Jahrzehnte. In dem his­torischen Beispiel eines kun­stvoll aus Mar­mor gehaue­nen Fal­tenwurfs aus dem 15. Jahrhun­dert ist gut zu erken­nen, wie das Spiel mit Höhen und Tiefen, mit Vol­u­men und Masse das Grab­mal des Stifter­paares in der Kathe­drale von Bur­gos bes­timmt. Die Fal­ten umschließen die Kör­p­er des Paares sowie dessen Hund. Sein Kör­p­er schmiegt sich in den Stoff und wird von ihm umformt.

Abb. 10: Detail aus dem Grab­mal des Con­destable Pedro Fer­nán­dez de Velas­co, 1482, Kathe­drale von Bur­gos

Das Phänomen der Falte bein­hal­tet schon und vor allem im Barock die Fasz­i­na­tion der sich krüm­menden Ober­flächen und erzeugt die Möglichkeit, dass sich die Ober­fläche in ihrer Plas­tiz­ität ent­fal­tet. Das Inter­esse am Weichen, Ein­drück­baren und Anschmieg-samen scheint als The­ma der Skulp­tur bis heute in ver­schie-denen For­men immer wieder auf.

Aus der Prax­is – Übun­gen zur Plas­tiz­ität

Plas­tiz­ität umfasst Ver­for­mung, Beweglichkeit und Verän­der­lichkeit. Das Mate­r­i­al selb­st kann in Bewe­gung ger­at­en, ein Bewe­gungsablauf zum Aus­druck gebracht wer­den oder eine Trans­for­ma­tion von einem Zus­tand in einen anderen erkun­det oder dargestellt wer­den. Damit liegt der Fokus auch auf der Frage nach dem Prozess, der Zeitlichkeit und dem Ereig­nis in der Skulp­tur. Um sich dem The­ma der Plas­tiz­ität in einem Sem­i­nar der Bild­hauerei zu näh­ern, geht es zunächst darum, sich über eine Bes­tim­mung der Eigen­schaften von weichen Mate­ri­alien zu ver­ständi­gen. Ein Schw­er­punkt liegt dazu auf dem Mate­r­i­al Ton mit seinen beson­deren plas­tis­chen Formeigen­schaften. Mit ver­schiede­nen Arbeit­saufträ­gen wer­den die Studieren­den aufge­fordert, die Formeigen­schaften des Tons zu erkun­den und ihre Erfahrun­gen zu beschreiben, um so den Begriff der Plas­tiz­ität aufzuw­er­fen und die ver­schiede­nen Bedeu­tungsebe­nen für sich zu erschließen.

Nehmen Sie ein Stück Ton in die Hand, mod­el­lieren Sie es, zer­reißen es, set­zen es wieder zusam­men, drück­en es, quetschen es …

Abb. 11: Ergeb­nisse der Übun­gen von Studieren­den

In den kurzen Übun­gen drück­en die Studieren­den aneinan­derge­set­zte Stücke ein, schicht­en die Stücke, mod­el­lieren eine ver­fließende Form, zer­reißen den Ton, for­men schwungvolle Wül­ste oder stellen den Auflö­sung­sprozess eines Quaders nach.

In einem zweit­en Schritt ver­suchen sie, die Eigen­schaften der Plas­tiz­ität durch den Umgang mit Mate­r­i­al her­auszuar­beit­en.

Was heißt für Sie Plas­tiz­ität? Welche Tätigkeit­en, Ver­fahren und Eigen­schaften fall­en Ihnen im Kon­text des Begriffs PLASTIZITÄT ein?

Her­aus kommt ein Fließprozess, ein Wick­eln und Umschlin­gen mit dem Mate­r­i­al. Neben dem Verdün­nen, dem Rollen und Her­stellen von Kugeln wer­den dabei auch tech­nis­che Ver­fahren wie die Arbeit mit der Plat­ten­presse angewen­det, um die gepressten Ton­plat­ten anschließend zu schnei­den und zu ver­for­men. Prozesse des Fließens, Versinkens, Ver­biegens, Bewe­gens, Umschlin­gens, Abrun­dens wer­den exper­i­mentell in For­men und Antifor­men über­führt.

Abb. 12: Übun­gen von Studieren­den

Darüber hin­aus wird der Umgang mit dem Mate­r­i­al Ton zur Her­ausar­beitung der Plas­tiz­ität durch die Auf­forderung zu begrif­flichen Annäherun­gen genauer bes­timmt, indem die Studieren­den auf Prozesse und Eigen­schaften ver­weisen und weit­ere Assozi­a­tio­nen sam­meln:

Auflö­sung der Form, weiche For­men, Wan­del, Trans­for­ma­tion, Meta­mor­phose, Plas­tiz­ität und Mate­r­i­al, Plas­tiz­ität und Ober­fläche, bewegliche Bestandteile, Prozess, aus der Fläche her­aus ins Drei­di­men­sion­ale, Flex­i­bil­ität, Gle­ichgewicht, Ungle­ichgewicht, konkav, kon­vex, Quetschen, Quellen, Auflö­sung, Rupfen, Ver­lebendi­gung der Fläche, durch Form Dynamik aus­drück­en, Verän­der­barkeit durch den Betra­chter, Modul­sys­teme, Mobiles, fliegende Wesen, Zer­störung, Zwis­chen­räume her­stellen, mit Schat­ten arbeit­en, Keimen, Organ­is­ches, Lebendi­ges, Amor­phes.

Plas­tiz­ität zeich­nen

Dass das The­ma der Darstel­lung von Plas­tiz­ität nicht nur in der Skulp­tur eine Rolle spielt, son­dern auch in den flächi­gen Kün­sten mit der Illu­sion von Plas­tiz­ität gear­beit­et wird, zeigt eine Zeich­nung von Albrecht Dür­er. Erneut sehen wir ein Beispiel von Kissen, die sich für die Auseinan­der­set­zung mit dem Phänomen des Plas­tis­chen beson­ders gut zu eignen scheinen.

Abb. 1, Abb. 10, Abb. 13: Albrecht Dür­er, Sechs Kissen, 1493, Lem­berg, ehem. Lubomirs­ki Muse­um

Im Jahre 1493 arbeit­et der Kün­stler an seinen Sechs Kissen eine Plas­tiz­ität her­aus, bei der das The­ma der Anpas­sung an Kör­per­for­men, wie in den bei­den zuvor genan­nten Beispie­len, erneut zu beobacht­en ist. Fal­tenwürfe rück­en in den Vorder­grund und verselb­st­ständi­gen sich. Das Inter­esse am Weichen und daran, wie sich For­men ein­drück­en lassen, fließt in die Zeich­nun­gen ein. Durch Schraf­furen erzeugt Dür­er Schat­ten­par­tien, die in ihren konkaven und kon­vex­en For­men die Fal­ten der plas­tis­chen Gebilde entste­hen lassen.

Um den Unter­schied zwis­chen visuellem und tak­tilem Erfahren zu ver­ste­hen, erhal­ten die Studieren­den, bevor sie die Zeich­nun­gen von Dür­er sehen, die Auf­gabe, mit zeich­ner­ischen Mit­teln Plas­tiz­ität zu erzeu­gen, d.h. ein visuelles, zwei­di­men­sion­ales Bild des eigentlich nur hap­tisch Erfahrbaren herzustellen. In ein­er kurzen Übung zeich­nen sie unge­gen­ständliche, amor­phe oder geometrische Kör­p­er, deren Plas­tiz­ität durch ver­schiedene grafis­che Mit­tel entste­hen soll.

Entwick­eln Sie zeich­ner­isch unge­gen­ständliche, amor­phe oder geometrische Kör­p­er, die plas­tisch wirken. Set­zen Sie dazu ver­schiedene grafis­che Mit­tel ein, um die Plas­tiz­ität her­vorzuheben.

Stellen Sie sich vor, auf welche Weise die von Ihnen geze­ich­nete plas­tis­che Form zu ertas­ten ist, d.h. konzen­tri­eren Sie sich auf Ver­tiefun­gen und Höhen, konkave und kon­vexe For­men. Arbeit­en Sie mit Lin­ien, Punk­ten, Flächen.

Mit den ver­wen­de­ten Lin­ien wer­den Volu­mi­na umkreist (Abb. 14a), Spi­ralen umhüllen einen Luftraum (Abb. 14b), aus schraf­fierten Dreiecks- und Rechteck­flächen entste­hen geometrische For­men (Abb. 14c). Zer­laufende For­men wer­den mit malerischen Mit­teln umge­set­zt (Abb. 14d).

Die Zeich­nun­gen haben die Studieren­den für das The­ma von Bildhauer*innenzeichnungen sen­si­bil­isiert. Die Ähn­lichkeit­en zu den Zeich­nun­gen von Richard Dea­con, die sich durch die spez­i­fis­che Auf­gaben­stel­lung ergeben haben, sind auch für die Studieren­den über­raschend. Hier wird ein bild­ner­isches Prob­lem im eige­nen Tun erfahren. An den Arbeit­en von Dea­con kön­nen sie im Anschluss nachvol­lziehen, in welchem Ver­hält­nis Zeich­nung und Skulp­tur in seinem Werk ste­hen und wie Dea­con seine Plas­tiken vor­bere­it­et, sie begleit­et oder aber deren For­mge­füge und Kon­struk­tion­sprinzip­i­en par­al­lel und im Nach­hinein wieder auf­greift.

Plas­tiz­ität wird auch bei Dea­con durch Verdich­tun­gen der Lin­ien, durch Überkreuzun­gen, durch eigene Schraf­fur­erfind­un­gen erzeugt. Durch die Krüm­mungen der Lin­ien gestal­tet er in seinen Zeich­nun­gen die plas­tis­che Form. Darüber hin­aus aber ste­hen die geze­ich­neten Lin­ien nicht nur mit den keramis­chen Plas­tiken, son­dern auch mit den lin­earen Kon­struk­tio­nen viel­er sein­er Werke in Zusam­men­hang, die durch die spez­i­fis­chen Kon­struk­tion­sweisen der gebo­ge­nen Holzstäbe, die wie im abge­bilde­ten Werk miteinan­der verni­etet sind, wie Zeich­nun­gen im Raum wirken.

Abb. 18: Zeich­nun­gen und Plas­tiken von Alexan­dra-Joy Jaeck­el, 2018

Die in der Kun­st­päd­a­gogik immer wieder auf­scheinende Prob­lematik, in welchem Ver­hält­nis die Auseinan­der­set­zung mit kün­st­lerischen Posi­tio­nen zur eige­nen kün­st­lerischen Gestal­tung­sprax­is ste­ht, reflek­tiert die Stu­dentin Alexan­dra-Joy Jaeck­el selb­stkri­tisch. Mit großer Inten­sität hat sie eine Werk­gruppe erschaf­fen und sich dabei an einem sehr präzisen Umgang mit dem Mate­r­i­al, hier der Keramik, ori­en­tiert. In den Zeich­nun­gen ver­wen­det sie neben den freien Skizzen einen Spirografen, um schema­tis­che Zeich­nun­gen zu erstellen und die Möglichkeit­en von geometrischen Anord­nun­gen zu erkun­den. In den Ton­plas­tiken ver­wen­det sie eine Presse, mit der lange, gle­ich­mäßig geformte Stränge hergestellt wer­den kön­nen. Durch die mat­te, sehr dick aufge­tra­gene gelbe Glasur entste­ht eine Plas­tik im Span­nungs­feld von Unge­gen­ständlichkeit und Gegen­stands­bezug mit samtiger Ober­fläche, die den Charak­ter des Fließen­den unter­stre­icht.

Die Studieren­den haben sich der kün­st­lerischen Frage der Plas­tiz­ität auf sehr ver­schiedene Weisen genähert. Die Auf­gaben­stel­lung bein­hal­tete den Impuls, aus dem Mate­r­i­al des Tons her­aus dessen beson­dere plas­tis­che Qual­itäten zum kün­st­lerischen The­ma zu machen:

Entwick­eln Sie aus­ge­hend vom The­ma der Plas­tiz­ität ein keramis­ches Objekt. Über­legen Sie, wie sich die Plas­tiz­ität visuell und tak­til erfassen lässt. Beziehen Sie die von Ihnen zusam­menge­tra­ge­nen Aspek­te ein: Form und Form­losigkeit, Auflö­sung der Form, Weiche For­men, Wan­del, Trans­for­ma­tion, Meta­mor­phose, weiche oder ephemere Mate­ri­alien, Verän­der­lichkeit des Mate­ri­als, Plas­tiz­ität und Ober­fläche, bewegliche Bestandteile, Prozess und Zeit. Entwick­eln Sie Ihr Objekt zeich­nend oder direkt aus der Arbeit mit dem Mate­r­i­al her­aus.

Abb. 19: Yvonne Klein, gebran­nte Keramik zwei­far­big, 2018

Yvonne Klein hat sich unter der Fragestel­lung „Lässt sich Ton knick­en?“ den gen­uin plas­tis­chen Eigen­schaften des Tons gewid­met, mit der Plat­ten­presse weißen und grauen Ton aufeinan­derge­presst und sich mit diesen zwei­far­big und dünn aus­geroll­ten Rechteck­en der Her­aus­forderung gestellt, Papier­schiffe aus Ton zu fal­ten und der Weich­heit des Mate­ri­als die Präzi­sion von geknick­ten Kan­ten ent­ge­gen­zuset­zen.

Abb. 20: Gabriele Pol­ster, gebran­nte Keramik, 2018

In die Höhe wuch­ern die aufeinan­derge­set­zten Rohrstücke von Gabriele Pol­ster. Auch hier ist der Ton nicht mit der Hand, son­dern mit der Plat­ten­presse geformt, um die entste­hen­den Flächen danach zuzuschnei­den und zu verbinden.

Bei den mod­el­lierten Objek­ten von Anne Barkhausen kommt die Plas­tiz­ität dadurch zus­tande, dass etwas von innen nach außen zu drück­en scheint. Die daraus resul­tieren­den Ober­flächenspan­nun­gen wer­den durch die Glasuren auf unter­schiedliche Art und Weise pointiert, durch die ver­laufend­en und par­tiell aufge­tra­ge­nen rosa­far­be­nen und trans­par­ent aufge­tra­ge­nen Glasuren rechts, durch die gle­ich­mäßig aufge­tra­gene mat­te Glasur in gebroch­en­em Weiß rechts oben, die sich unauf­fäl­lig mit dem Mate­r­i­al des gebran­nten Tons verbindet und zunächst gar nicht als Glasur erkennbar ist, und durch die sehr dick aufge­tra­gene rosa­far­bene Glasur unten rechts.

Abb. 21: Anne Barkhausen, gebran­nte Keramik glasiert, 2018

Der plas­tis­che Raum wird „greif­bar an der Ober­fläche des jew­eili­gen Werks – Ort der Kom­mu­nika­tion mit der Umge­bung und Mem­bran für den Aus­tausch nach außen.“ Ursu­la Strö­bele for­muliert in dem von ihr mitkonzip­ierten Forschung­spro­jekt zur The­o­rie der Skulp­tur unter dem Stich­wort „Plas­tiz­ität“ weit­er: „Im (optis­chen) Ertas­ten der Ober­fläche des Skulp­turenkör­pers erfährt der Rezip­i­ent seine eigene physis­che Präsenz zugle­ich als Sub­jekt und Objekt; die Perzep­tion des Gegenübers avanciert zur Exis­ten­z­er­fahrung.“[6]

Plas­tiz­ität und Kör­p­er

Ein plas­tis­ches Objekt wird durch die Betra­ch­t­en­den immer visuell und tak­til zugle­ich wahrgenom­men. Die ästhetis­che Erfahrung des optis­chen Ertas­tens entspricht einem Be-greifen, bei dem die Kör­p­er der Betra­ch­t­en­den auf den Kör­p­er der Skulp­tur tre­f­fen. Dies erin­nert an Johann Got­tfried Herdes Vorstel­lung des Hap­tis­chen, die dem Tastsinn eine zen­trale Bedeu­tung zuerken­nt. Mit dem Tastsinn aber kommt eine füh­lende, den Kör­p­er stärk­er ein­beziehende Kom­po­nente ins Spiel. Herder ver­wen­det 1778 erst­mals den Begriff „Plas­tik“ und begrün­det in seinem Text eine „hap­tis­che Ästhetik“, die den Eigen­wert des Mate­ri­als betont, die Skulp­tur in Zeit und Raum verortet und über den Sehsinn hin­aus die Bedeu­tung des Tastsinnes her­vorhebt.[7] Er stellt in sein­er Schrift die These auf, dass das Hap­tis­che der zuver­läs­sig­ste Sinn des Men­schen sei, der sich nicht täuschen lasse. Die kör­per­liche Darstel­lung der Plas­tik sei ertast­bar. Unser tas­ten­der Nahsinn kann damit den Spuren von Künstler*innen fol­gen, die greif­bar sind.

Mate­r­i­al und Berührung

Abb. 22: Anni­ka Stuck­mann, Film­stills der Mas­ter­ar­beit „Mate­r­i­al und Berührung“, 2018

Damit gerät die Kör­per­erfahrung in den Blick. Die Idee des Greif­baren, Hap­tis­chen und Verän­der­lichen als Merk­malender Plas­tiz­ität bringt Anni­ka Stuck­mann in ihrer Mas­ter­ar­beit mit dem Titel „Mate­r­i­al und Berührung. Eine skulp­turale und filmis­che Auseinan­der­set­zung mit der Geste“ sehr deut­lich zum Aus­druck. Sie zieht und drückt den Bauschaum, der in sein­er beständi­gen Aus­dehnung aber selb­st schon eine beson­dere Form der Bewe­gung impliziert, so dass nicht klar ist, ob die Bewe­gung aus dem Mate­r­i­al her­aus kommt oder von außen hinzuge­fügt wird.

„Ich bewege mich und es bewegt sich. Ich sehe, ich denke, ich bewege mich wieder. Das Mate­r­i­al bewegt sich. Ich sehe, ich denke, ich bewege mich wieder. Das Mate­r­i­al bewegt sich. Und so geht das weit­er – mit Auge und Hand“[8], schreibt Tony Cragg in einem Text mit dem Titel Mit den Augen berühren, mit den Hän­den sehen. Bild­hauerische Prozesse. Anni­ka Stuck­mann zieht dieses Zitat zu ihren eige­nen kün­st­lerischen Werken her­an und fragt darüber nach dem Zusam­men­hang von Mate­r­i­al und Berührung in der skulp­turalen und filmis­chen Geste. Die Geste als Hand­lungs­form ste­ht für die enge Wech­sel­wirkung von Objekt und Sub­jekt, von Kör­p­er und Mate­r­i­al. Sie umfasst das Han­deln mit Mate­r­i­al und die Berührung zugle­ich.

Im kör­per­lichen Ein­wirken, das wie in ihren keramis­chen Objek­ten ein leicht­es Berühren oder ein mas­sives Ver­for­men bein­hal­ten kann, wird Mate­r­i­al verän­dert, gedrückt, gewor­fen oder geris­sen, um die Gren­zen auszu­loten und seinen Eigensinn zu ergrün­den. Die Aktion der for­menden Hände und ihren Duk­tus akzen­tu­iert Anni­ka Stuck­mann durch den Bren­nvor­gang. sowie den Glanz der Glasur.

Abb. 23: Anni­ka Stuck­mann, glasierte Keramik, 2018

Wie der Ein­satz der ganzen Kör­perkraft ausse­hen kann, zeigen auch eine Rei­he von Werken von Janine Antoni, mit denen sich die Stu­dentin im Kon­text ihrer Arbeit zu Mate­r­i­al und Geste auseinan­der­set­zt. In Gnaw, 1992, bear­beit­et sie einen 300kg Block Schoko­lade mit ihren Zäh­nen. Die Inten­sität des Kör­pere­in­satzes des Abna­gens ist nur zu erah­nen, da die Per­for­mance der Her­stel­lung in der Ver­gan­gen­heit liegt und unsicht­bar bleibt.

Abb. 24: Janine Antoni, Gnaw, 1992, Schoko­lade

Sehen, Tas­ten, Riechen und Schmeck­en gehen hier ein Gemenge der Sinne[9] ein, insofern als sich die Vorstel­lung des Schmeck­ens mit der realen, in der Ver­gan­gen­heit liegen­den Aktion des Beißens, mit dem Sehen der Spuren und dem Riechen des Mate­ri­als untrennbar verbinden. Durch die Fokussierung des Hap­tis­chen wird dem Men­schen eine räum­liche und kör­per­liche Erfahrung ermöglicht, die ihm im zwei­di­men­sion­alen Bild nicht möglich ist, da der Sehsinn eher einem Dis­tanzsinn gle­ichkommt.

Wie sich eine Geste im Mate­r­i­al ein­prä­gen kann, das als Gedächt­nis fungiert, zeigen auch die bei­den Gipsabgüsse von Pauli­na Amelie Holtz. Die Stu­dentin hat den Oberkör­p­er ihres Flanell­hem­den tra­gen­den Fre­un­des mehrfach abgegossen. Die Spuren dieser Berührung mit dem Gips fließen durch die spez­i­fis­che Mate­ri­al­ität des Flanells auf beson­dere Art und Weise ins Werk ein. Bei diesem Vor­gang wurde nicht nur die Form abge­drückt, son­dern auch die Farbe sowie das Stoff­muster bzw. Stoff­ma­te­r­i­al mit über­nom­men, denn der Flor des weichen aufger­aut­en Stoffes, die winzi­gen Fäden bleiben im Gips kleben und fär­ben die flauschig erscheinende Ober­fläche der Innen­seite des Gip­sneg­a­tivs, das hier durch den Stoff als pos­i­tive Form wirkt.

Georges Didi-Huber­man fragt in seinem Buch „Ähn­lichkeit und Berührung. Archäolo­gie, Anachro­nis­mus und Moder­nität des Abdrucks“ nach dem Ver­hält­nis von Berührung und Berührtem sowie vom Abdruck und Abge­drück­tem. Der Abdruck stelle eine Form gewor­dene Berührung dar und sei „dialek­tis­ches Bild“ und ein „Aufrühren all dessen […]: etwas, das uns eben­so die Berührung anzeigt (der Fuß, der sich in den Sand ein­drückt) wie den Ver­lust (die Abwe­sen­heit des Fußes in seinem Abdruck).“[10]

Ein weit­eres stu­den­tis­ches Pro­jekt zum Abguss entspringt der kör­per­lichen Aktion der Berührung. Mit großem Aufwand und der Hil­fe mehrerer Studieren­der lässt sich ein Stu­dent mit Kle­be­band um einen Eimer und andere Gegen­stände herum fix­ieren, damit der Zwis­chen­raum zwis­chen seinem Kör­p­er und einem inneren Kern mit Gips aus­gegossen wer­den kann. Inwieweit die entste­hen­den Gip­sob­jek­te oder die Per­for­mance der Umar­mung selb­st als das endgültige Werk einzuschätzen sind, bleibt offen.

Abb. 26, Gabriel Jakob, Kör­perzwis­chen­räume, 2017

Aus kun­st­päd­a­gogis­ch­er Per­spek­tive ste­hen in den gezeigten Arbeit­en der Studieren­den Erken­nt­nisse im Vorder­grund, die im Umgang mit dem Mate­r­i­al gewon­nen wer­den, im Berühren, Begreifen und For­men. Mit dem Kör­p­er wird gel­ernt und gear­beit­et, indem Kör­peraspek­te zum The­ma skulp­turaler Arbeit­en wer­den oder indem der eigene Kör­p­er For­men erzeugt. Die Plas­tiz­ität des kün­st­lerischen Mate­ri­als wird dabei in ihrer Vari­abil­ität, Verän­der­barkeit und Gestalt­barkeit auf unter­schiedliche Art und Weise zum kün­st­lerischen The­ma gemacht und die mate­ri­al­spez­i­fis­chen Eigen­schaften und Prozesse auf ihre Aus­druck­squal­itäten hin erprobt.

 

Lit­er­atur

Cragg, Tony: Mit den Augen berühren, mit den Hän­den sehen. Bild­hauerische Prozesse. In: Bil­stein, Johannes / Reuter, Gui­do (Hg.): Auge und Hand. Ober­hausen 2011.

Didi-Huber­man, George: Ähn­lichkeit und Berührung. Archäolo­gie, Anachro­nis­mus und Moder­nität des Abdrucks. Köln 1999.

Herder, Johann Got­tfried: Plas­tik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pyg­malions bilden­dem Traume. In: Brum­mack, Jür­gen / Bol­lach­er, Mar­tin u.a. (Hg.): Johann Got­tfried Herder. Werke [Bd. 4]. Frank­furt a.M. 1994.

Hey­nen, Julian (Hg.): Richard Dea­con. Draw­ings and Prints 1968–2016. Göt­tin­gen 2016.

König, Kasper / Codog­na­to, Mario / Pakesch, Peter: Franz West. Autothe­ater. Köln 2010.

Wal­lis, Clar­rie / Glead­owe, Tere­sa / Cur­tis, Pene­lope: Richard Dea­con [Ausst.Kat. Tate Pub­lish­ing (Hg.)]. Lon­don 2014.

Mey­er-Thoss, Chris­tiane: Louise Bour­geois. Kon­struk­tio­nen für den freien Fall. Zürich 1992.

Rübel, Diet­mar: Plas­tiz­ität. Eine Kun­st­geschichte des Verän­der­lichen. München 2012.

Ser­res, Michel: Die fünf Sinne. Eine Philoso­phie der Gemenge und Gemis­che. Frank­furt a.M. 1998.

Strö­bele, Ursu­la: Plas­tiz­ität. o.A., http://theoriederskulptur.de/plastizitaet/ (abgerufen am 15.9.2019).

Bild­verze­ich­nis

Abb. 1: Stu­den­tis­ches Pro­jekt von Ali­na Mai­nusch. Foto: Sara Hornäk.

Abb. 2: Besuch ein­er Grund­schulk­lasse in den Werk­stät­ten des Fach Kun­st der Uni­ver­sität Siegen. Foto: S. Hornäk.

Abb. 3: Franz West, Passstücke, ca. 1983. In: König / Codog­na­to / Pakesch: Franz West. Autothe­ater, S. 21.

Abb. 4: Robert Rauschen­berg, Mud Muse, 1968–1971, Ben­tonit, Wass­er, geräuschak­tives Druck­luft­sys­tem und Steuere­in­heit, 122x274x366cm, Mod­er­na Museet, Stock­holm. In: Rübel: Plas­tiz­ität, S. 8.

Abb. 5: When Atti­tudes Become Form, Kun­sthalle Bern, 1969.

Abb. 6: John Cham­ber­lain, Unti­tled, 1966,

http://web.guggenheim.org/exhibitions/chamberlain/#untitled-1966–12 (abgerufen am 10.09. 2019).

Abb. 7: Lyn­da Benglis, Mete­or, 1969, Guss 1975, Blei und Stahl, https://www.tate.org.uk/art/artworks/benglis-quartered-meteor-t13353 (abgerufen am 10.09. 2019).

Abb. 8: Louise Bour­geois, Soft Land­scape II 1967, Alabaster. In: Mey­er-Thoss: Louise Bour­geois, S. 191.

Abb. 9: Louise Bour­geois in einem Kostüm aus Latex, 1975. In: Mey­er-Thoss: Louise Bour­geois, S. 14.

Abb. 10: Detail aus dem Grab­mal des Con­destable Pedro Fer­nán­dez de Velas­co, 1482, Kathe­drale von Bur­gos. Foto: S. Hornäk.

Abb. 11: Ergeb­nisse der Übun­gen von Studieren­den. Fotos: S. Hornäk.

Abb. 12: Übun­gen von Studieren­den. Fotos: S. Hornäk.

Abb. 13: Albrecht Dür­er, Sechs Kissen (Rück­seite von Selb­st­bild­nis), 1493, Lem­berg, ehem. Lubomirs­ki-Muse­um In: Tiet­ze: Dür­er als Zeich­n­er und Aquarel­list, Abb. 6.

Abb. 14 a,b,c,d: Zeich­nun­gen Anne Barkhausen, Yvonne Klein, Alexan­dra-Joy Jaeck­el, Gabriele Pol­ster, 2018. Fotos: S. Hornäk.

Abb. 15: Richard Dea­con, B67-B86, Unti­tled Draw­ings, 1995–1996. In: Hey­nen (Hg.): Richard Dea­con, S. 126f.,131.

Abb. 16: Richard Dea­con, After, 1988, gebo­genes Holz. In: Wal­lis / Glead­owe / Cur­tis: Richard Dea­con [Ausst.Kat.], S. 56.

Abb. 17: Richard Dea­con, Rib­bon Bow, 2004, Unglasierte Keramik, 12x117x83 cm. In: Wal­lis / Glead­owe / Cur­tis: Richard Dea­con [Ausst. Kat.], S. 95.

Abb. 18: Zeich­nun­gen und Plas­tiken von Alexan­dra-Joy Jaeck­el, 2018: Fotos: S. Hornäk.

Abb. 19: Yvonne Klein, gebran­nte Keramik zwei­far­big, 2018. Fotos: S. Hornäk.

Abb. 20: Gabriele Pol­ster, gebran­nte Keramik, 2018. Foto: S. Hornäk.

Abb. 21: Anne Barkhausen, gebran­nte Keramik glasiert, 2018 Foto: S. Hornäk.

Abb. 22: Anni­ka Stuck­mann, Film­stills der Mas­ter­ar­beit „Mate­r­i­al und Berührung“, 2018 Fotos: Anni­ka Stuck­mann.

Abb. 23: Anni­ka Stuck­mann, glasierte Keramik, 2018. Foto: Anni­ka Stuck­mann.

Abb. 24: Janine Antoni, Gnaw, 1992, Schoko­lade. In: Bechtler: Janine Antoni, S. 26.

Abb. 25: Pauli­na Amelie Holtz, Abgüsse von Flanell­hem­den. Fotos: S. Hornäk, P. A. Holtz.


[1] Vgl. Rübel: Plas­tiz­ität, S. 7 ff.

[2] Ebd., S. 8.

[3] Ebd., S. 7.

[4] Ebd., S. 13.

[5] Vgl. Rübel, der für die plöt­zlich auftre­tende Vor­liebe für ein sich immer weit­er aus­bre­i­t­en­des und quel­len­des Mate­r­i­al eine Rei­he von Film­beispie­len anführt, wie Woody Allens Sleep­er (1973), in dem die Absur­dität sich selb­ständig machen­der Mate­r­i­al-For­ma­tio­nen dargestellt wird, die an den alten Zauber­lehrling-Topos eines außer Kon­trolle ger­a­ten­den Pro­duk­tion­sprozess­es erin­nert. (S. 161ff.)

[6] Strö­bele, http://theoriederskulptur.de/plastizitaet/ (15.9.2019).

[7] „Seht jenen Lieb­haber, der tiefge­senkt um die Bild­säule wan­ket. Was tut er nicht, um sein Gesicht zum Gefühl zu machen, zu schauen als ob er im Dunkeln taste?“ Herder: Plas­tik. In: Brum­mack / Bol­lach­er u.a. (Hg.): Johann Got­tfried Herder (Bd. 4), S. 254.

[8] Cragg: Mit den Augen berühren, mit den Hän­den sehen. In: Bil­stein / Reuter (Hg.): Auge und Hand, S. 9–18, S. 17.

[9] Vgl. Ser­res: Die fünf Sinne, 1998. Michel Ser­res wirft am Beispiel eines impres­sion­is­tis­chen Bildes die Frage auf, wie ein Auge, das auf Dis­tanz bleibt, mit dem Tastsinn in Zusam­men­hang ste­ht und wie Berührung auch im Bild assozi­iert wer­den kann. Er macht hier deut­lich, dass das Tak­tile nicht auf die drei­di­men­sion­alen Kün­ste und ihre Plas­tiz­ität beschränkt ist, son­dern dur­chaus auch auf der Fläche von Bedeu­tung sein kann (S. 37 ff.).

[10] Didi-Huber­man: Ähn­lichkeit und Berührung, S. 10.

  • 1. April 20203. August 2020
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