Vorwort zur Ausgabe »körper bewusst«
körper bewusst – Reflexionen zu Körperlichkeit und ästhetischer Erfahrung in der Lehrer*innenbildung der künstlerischen Fächer
Einführung
Im März 2019 fand im Fach Kunst- und Musikpädagogik an der Universität Bielefeld die zweite interdisziplinäre Tagung zu hochschuldidaktischen Fragen in der Kunst- und Musiklehrer*innenausbildung statt. Initiiert und ausgerichtet von Prof. Dr. Christina Griebel (Karlsruhe), Petra Kathke (Bielefeld) und Constanze Rora (Leipzig) schloss sie an einen fünf Jahre zuvor begonnenen Dialog an. Während 2014 an der HMT Leipzig das Potenzial künstlerischer Lehre thematisiert wurde, stand 2019 die Frage im Mittelpunkt, welche Bedeutung dem Körper in der künstlerischen und musikalischen Hochschullehre zukommt, insbesondere dann, wenn sie auf die Ausübung eines Lehramts vorbereitet.
Das Thema hat ein gutes Jahr nach der Tagung auf unvorhersehbare Weise an Aktualität gewonnen. Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zwingen dazu, auch künstlerische und musikalische Lehre auf eine Weise umzugestalten, die das direkte körperliche Miteinander ausschließt. Ein Virus und seine weltweite Ausbreitung lassen uns gerade erfahren, ja, in einer Art erzwungenem Selbstexperiment überprüfen, was es konkret bedeutet, ohne physischen Körperkontakt zu lehren. Die Situation wirft für jeden Einzelnen die Frage auf, was in der künstlerischen und musikalischen Hochschullehre ohne unmittelbares Beieinandersein geht und was nicht. Wie modelliert die Tatsache, dass gemeinsames Lernen in einem physisch miteinander geteilten Raum für eine noch nicht absehbare Zeitspanne unmöglich wird und sich der kommunikative Austausch einschließlich der subtilen körperlichen Bezugnahmen aufeinander nun auf den Rahmen einer Videokonferenz beschränkt, unsere Lehre und das Lernen miteinander? Wie weit werden Bedingungen und Möglichkeiten der genutzten Hardware die Art der Vermittlung und damit auch die Inhalte verschieben, anders akzentuieren? Und letztlich: Welche Auswirkungen wird der damit einhergehende Ausbau digitaler, nicht-interaktiver Lernformen auf die Universitäten und Hochschulen haben? Dies sind nur einige Fragen, die die im März 2019 verhandelten Themen im neuen Licht erscheinen lassen.
Insofern erfährt das Thema der Tagung, das angesichts der wachsenden Aufmerksamkeit für den Bereich der Körperlichkeit in den Künsten nahelag, bisher jedoch selten aus hochschuldidaktischer Perspektive fokussiert wurde, eine Überschreibung durch aktuelle Ereignisse. Da jedoch körperliche Präsenz und die Unmittelbarkeit handelnder Interaktionen auch in Zeiten voranschreitender Digitalisierung und dem vorhersehbaren Ausbau von Distance-Learning-Formaten unverzichtbare Voraussetzungen künstlerischer und musikalischer Lehr-/ Lernprozesse sind, werden uns die sich daraus ergebenden methodische Fragen weiterhin beschäftigen. Zudem gelten Körper-Welt-Bezüge im Rahmen Ästhetischer Bildung als Kern von Selbstbewusstheit und ästhetischer Sensibilisierung. Folglich sind Erfahrungen, die mit dem Körper gemacht werden, auch in beiden Schulfächern, Kunst und Musik, unverzichtbar. Tun und Können, aber auch Spüren und Empfinden stehen hier gleichwertig neben Wissen und Verstehen.
In der künstlerischen und musikalischen Hochschullehre ist, so die vorausgedachte Setzung, der eigene Körper sowohl Material künstlerischer Ausdrucksweisen wie auch Medium kunst- und musikpädagogischer Interventionen. Begriffe wie Einfühlung, Ausdruck, Haltung, Disziplin, Enthemmung, Verkörperung, Gestik, Zeigen, Selbst- und Fremdbezug deuten an, wie unterschiedlich die Interaktionen aller am Lernprozess Beteiligten in beiden Fällen grundiert sein können. Damit ist nicht nur die besondere Art der Handhabung von Dingen, seien es Instrumente, Werkzeuge und Materialien, gemeint, sondern auch die jeweilige Situiertheit von Körpern im Raum sowie deren (Re)Aktionen im bezugnehmenden Miteinander. Zugleich interessiert, ob und wie aktuelle Tendenzen in den Künsten, die auf die gesellschaftliche Bedeutung des Zusammenspiels von Körper, Raum und Zeit reagieren, sowie Aspekte gegenwärtiger Diskurse zu Fragen von Leiblichkeit, Körperlichkeit und Medialität in die Lehre einfließen und thematisch werden.
Zu dem in wenigen Worten skizzierten Themenfeld trafen auf der Tagung Beiträge von Vertreter*innen beider Künste in sechs Vortragsblöcken aufeinander. Ergänzt wurden sie durch performative und tanzpädagogische Positionen. Drei Workshop-Angebote zum Ausklang des ersten Tages ermöglichten körperbezogene Praxiserfahrungen, während musikalisch-performative Beiträge und eine Ausstellung künstlerischer Arbeiten zum Thema die theoretische Auseinandersetzung bereicherte. Letztlich bot sich den Teilnehmer*innen die Gelegenheit, Erfahrungen, Theorien und Ansätze aus der eigenen Lehrpraxis auszutauschen, diesbezügliche Forschungsinitiativen gegenseitig wahrzunehmen, fachspezifisch zu konturieren oder perspektivisch aufeinander zu beziehen. (Vgl. Carolin Ehring: „körper bewusst.“ Bericht über eine interdisziplinäre Tagung im Fach Kunst- und Musikpädagogik an der Universität Bielefeld. In: BDK-Mitteilungen 3/2019, S. 40–41.)
Die aus den Tagungsbeiträgen hervorgegangenen Texte in dieser Ausgabe der ZÄB bilden exemplarisch ab, wie und an welcher Stelle Körpererfahrungen in der Lehramtsausbildung Gegenstand der Aufmerksamkeit werden können. Sie verweisen zugleich darauf, welche körperabhängigen Formen agierender und reagierender Bezugnahme zwischen Lehrenden und Lernenden als implizite und selten reflektierte Signale Prozesse künstlerischen und musikalischen Lehren und Lernen maßgeblich mitbestimmen.
So verdeutlicht Matthias Vogel (Gießen), der den Eröffnungsvortrag hielt, in seinem Beitrag die Rolle der Körper bei ästhetischen Verstehensprozessen. Er arbeitet heraus, inwiefern Körperbewegungen das Medium bilden, in dem wir den Sinn eines ästhetischen Gegenstands erfassen. Auf welch unterschiedliche Weise der Körper darüber hinaus auch Medium künstlerischer Lehre und Forschung ist bzw. durch didaktische Fokussierungen zu einem solchen wird, thematisieren die sich anschließenden Beiträge von Marie-Luise Lange (Dresden), Christina Griebel (Karlsruhe), Notburga Karl (Bamberg) und Petra Kathke (Bielefeld). Sara Hornäk (Düsseldorf) geht in diesem Kontext auf Wechselwirkungen zwischen Körperlichkeit und Materialität im skulpturalen Handeln ihrer Studierenden ein. Während Lutz Schäfer (Heidelberg) Beziehungen zwischen Bewegung als anthropologischer Konstanze und Bewegung im künstlerischen Handeln fokussiert und insbesondere den Wechsel zwischen Nähe und Distanz in Kunst und Pädagogik untersucht, geht Uta Czyrnick-Leber (Bielefeld) der Frage nach, wie geschlechtsspezifische Sozialisation die Einstellungen von Sportstudierenden zum Tanz prägt. Um körperbezogene Reflexionen im Hinblick auf musikdidaktische Praxis und Theoriebildung geht es in den Beiträgen von Constanze Rora (Leipzig), Wolfgang Lessing (Freiburg), Christoph Khittl (Wien) und Dorothea Weise (Berlin), die dieses Verhältnis an je eigenen thematischen Schwerpunkten ausloten.
Abschließend vermitteln Text und Fotos einer Performance von Wolfgang Sautermeister (Mannheim) einen Nachhall des eindringlichen Erlebnisses vom Zusammenwirken zwischen Bild, Sprache, Körper und Raum.
Die Ausgabe wird ergänzt durch einen themenunabhängigen Beitrag von Juliane Gerland (Bielefeld), der Fragen der Inklusion mit der Individualität musikalischen Zeiterlebens in Verbindung bringt sowie einen Beitrag von Andreas Höftmann (Weingarten), in dem die Idee von Musikunterricht als ‚Fest der Sinne‘ aus dem Blickwinkel von Platons nomoi diskutiert wird.
Die Herausgeberinnen