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Fragen an ein Wort, von einem Wort aus fragen

Thomas Schlereth

[Beitrag als PDF] 

 

Hand­kon­takt – ich bin mir nicht sich­er, wann und in welchem Zusam­men­hang ich dieses Wort zum let­zten Mal hörte. Vielle­icht gehört es zu jenen Vok­a­beln, die eher geschrieben als gesprochen wer­den. Sollte dem so sein, trifft es sich vielle­icht nicht ganz unpassend, seinem Auf­tauchen und Dasein im Fol­gen­den schriftlich nachzuge­hen.

Eine Silbe – Hand, zwei Sil­ben – Kon­takt. Zusam­mengenom­men durch die wun­der­same Möglichkeit, aus zwei sep­a­rat­en Worten ein neues gemein­sames zu bilden. Das ver­mag auch die so entste­hende Kon­so­nan­ten­folge „ndk“ nicht zu ver­hin­dern, die nun mit­ten im Wort­ge­füge sitzt. Auf was auch immer das Wort aus ist, knackt es gehörig im Mund oder vor dem inneren Ohr.

Es kom­men zwei Worte zusam­men, die sich eigentlich gut miteinan­der ver­ste­hen müssten. Denn ist es den Hän­den nicht wesentlich, entwed­er direkt mit­tels Berührung oder indi­rekt mit­tels Fin­gerzeig Verbindun­gen herzustellen und sich dabei mit allem möglichen in Kon­takt zu begeben? Etwas erstaunlich deshalb, dass die Verknüp­fung von Hand und Kon­takt keinen gebräuch­licheren Begriff ergibt. An ver­gle­ich­baren Wortverbindun­gen fehlt es zudem nicht. Da wären auf der einen Seite etwa der Hand­schlag und das Han­dau­fle­gen, der Hand­lauf und das Hand­spiel, auf der anderen Seite der Erst- und Zweitkon­takt, der Blick- und der Hautkon­takt. Alle­samt sind sie hin­re­ichende, wenn nicht notwendi­ge Begleit­er­schei­n­un­gen von dem, was Hand­kon­takt beze­ich­net. Trotz­dem ist jen­er Ter­mi­nus weitaus weniger geläu­fig. Ist der Hand­kon­takt zu unspez­i­fisch? Wann ste­ht die Hand ein­mal sich­er mit nichts in Verbindung? Vielle­icht ste­hen Hand und Kon­takt impliz­it so eng zueinan­der, dass es der Exp­lika­tion kaum mehr bedarf. Der Eigen­name für die Gegeben­heit ihres Zusam­men­hangs würde dann aus gutem Grunde kaum ver­misst. Sich­er fehlt es diesem Schluss an Plau­si­bil­ität nicht. Doch stellt sich die Frage, ob er dem Auftritt des Wortes, wie es nun daste­ht, wirk­lich gerecht wird.

Ein erster Ein­wand: Der unge­wohnte Klang, der mit dem Hand­kon­takt ein­herge­ht, sagt vielle­icht mehr über die Sprechen­den aus als über das Gesproch­ene. So wie das Reich der Zahlen größer ist, als die Möglichkeit zahlen­be­gabter Wesen, sie voll­ständig abzuzählen, kön­nte es sich auch mit dem Reich der Worte ver­hal­ten. Und wie bei den Zahlen muss auch das unge­wohnte Wort nicht zwin­gend jen­seits der Rän­der des Notwendi­gen liegen, son­dern kann auch gle­ich hier nebe­nan seinen unbe­se­henen Ort haben. Warum sollte es nicht von Bedeu­tung sein oder sein kön­nen, wenn es Worte gibt, die sich in Fällen ihrer Triftigkeit dadurch ausze­ich­nen, nicht mehr aus­ge­sprochen wer­den zu müssen? Mit was haben die Hände ger­ade Kon­takt?

Dann: Es gibt gewiss auch solche Fälle, in denen die Rede und das Bild vom Hand­kon­takt ein hohes Maß an Spez­i­fik gewin­nen. Ich erin­nere mich zurück an das erste große, bewusste und aus­re­ichend reife Ver­liebt­sein. Wie viel war in diesem Zusam­men­hang das Sich-Berühren der Fin­ger­spitzen? Mag sein, dass auch damals nie­mand das Wort vom Hand­kon­takt suchte oder ver­mis­ste. Aber der Zauber dieser Gefüh­le hallt von Neuem nach, wenn das Wort nun heute, hier und jet­zt auf­taucht und erklingt.

Ein drit­ter Ein­wand, rück­seit­ig mit dem Vorherge­hen­den ver­bun­den: Seine blasse All­ge­mein­heit ver­liert das Wort des Hand­kon­tak­ts nicht zulet­zt auch in Sit­u­a­tio­nen der äußeren oder inneren Ein­schränkung, in denen schon eine kleine Berührung viel wäre. Das Wort kann dann nicht nur unter Vorze­ichen der Nega­tion den Man­gel beze­ich­nen, son­dern auch – und vielle­icht hat es sich die ganze übrige Zeit dafür zurück­ge­hal­ten – Trost spenden und Hoff­nung geben. Das Wenige, Ein­fache, son­st Selb­stver­ständliche wird eigens ansprech­bar. Neben dem Verzicht, sei er gewollt oder unge­wollt, erscheint einen neuer Ansatzpunkt, zumin­d­est ein Zeichen für verbleibende oder kom­mende Möglichkeit­en. Bei­de, Verzicht und Möglichkeitssinn, ver­mit­teln ein Mehr an Bewusst­sein.

Im Zuge dieser Ein­wände begin­nt sich die Fragerich­tung umzukehren. Weniger das unge­wohnte Wort ist es, das befragt wird. Eher wen­det sich das Fra­gen dor­thin, was unter dem Vorze­ichen des Hand­kon­tak­ts eigens sicht­bar wer­den kann. Ich möchte drei Szenen näher in den Blick nehmen, wie sie mir vor dem inneren Auge erscheinen. Die erste zeigt das Schema ein­er Hand auf der stein­er­nen Wand ein­er Höh­le. Sie stammt aus vorgeschichtlichen Zeit­en und entsprechend dunkel ist ihr Zusam­men­hang. Die zweite Szene befind­et sich an der Decke der Six­tinis­chen Kapelle, die Michelan­ge­lo in den Jahren 1508-12 aus­malte. Zwei aus­gestreck­te Hände berühren sich dort ger­ade noch nicht. Die eine gehört dem alttes­ta­men­tarischen Schöpfer­gott, die andere dem ersten Men­schen, gemäß der­sel­ben Quelle auch ein Mann, Adam. In der let­zten Szene sind die Hände nicht genau sicht­bar. Aus ver­schiede­nen Grün­den: Zuerst, weil sich die Frage stellt, ob ein einzelnes Bild zu fassen ver­mag, was die men­schliche Hand und ihre Kon­tak­te zur Welt in der Gegen­wart aus­macht. Dann die Frage nach den Hil­f­s­mit­teln und Nach­fol­gern der Hand im Reich der Maschi­nen und Geräte. Zulet­zt ein Bild, das diese Fra­gen offen­lässt, ihnen aber einen Raum anbi­etet, um nicht fall­en gelassen zu wer­den. Es kön­nte sein, dass eine Hand darin den Kopf am Kinn hält. Es geht um eine Malerei, die sich im ober­sten Stock der Alten Nation­al­ga­lerie auf der Berlin­er Muse­um­sin­sel befind­et. Cas­par David Friedrich hat sie zwis­chen 1808 und 1810 ins Werk geset­zt. Ein einzel­ner Men­sch ste­ht vor der offe­nen Weite von Meer und Him­mel. Sämtliche Schiffe, die in früheren Phasen des Bildes in mit­tlerer Ent­fer­nung platziert waren, sind ver­schwun­den. Dafür ziehen einige Vögel ihre Bah­nen im Wind. Klein und für sich und vielle­icht nach­den­klich ste­ht der Men­sch am Rand und doch klar im Zusam­men­hang des Geschehens.

Szene I: Die Hand auf der Höh­len­wand ist nicht allein. Eine Gruppe ver­schieden­er Handze­ichen verteilt sich über den stein­er­nen Grund. Das Prinzip scheint immer das­selbe: Die Hand dient als Sch­ablone für einen Far­bauf­trag, der sich dun­stig ring­sum auf den Unter­grund legt und radi­al aus­läuft. Sichtlich wur­den die Pig­mente nicht direkt aufge­bracht, wie es bei einem Pin­sel oder mit den Fin­gern geschieht. Stattdessen flog der Farb­stoff feinkörnig durch die Luft, wohl geblasen durch eine schmale Röhre, einen Knochen oder Halm. Ver­lässt die Hand ihren Ort auf dem Stein, schreibt sie sich als auratis­che Leer­stelle in den rötlichen Ock­er ein. Vielle­icht liegt es am Auf­tauchen dieser Erschei­n­ung, dass sich das Ver­fahren vielfach an der Wand wieder­holt.

Auf diesem Weg entste­ht – intendiert oder nicht, im Spiel oder als Rit­u­al – ein bildlich­es Gefüge. Jede Stelle mit freige­lassen­er Hand­fläche und Fin­gern ergibt das unmit­tel­bar ein­leuch­t­ende Abbild ein­er Hand. Die Art und Weise, wie dieses Abbild mit­tels umliegen­dem Farb­nebel sicht­bar wird, funk­tion­iert gle­ichzeit­ig als Spur. Als physis­ch­er Beleg dafür, dass es einen Augen­blick gab, in dem eine men­schliche Hand an dieser Stelle Halt machte und in unmit­tel­baren Kon­takt trat mit der stein­er­nen Wand. Dabei unter­schei­den sich die Handze­ichen in ihrer Größe. Ein einzel­ner Homo pic­tor kön­nte ver­schiedene Hände als Sch­ablo­nen ver­wen­det haben oder, das wäre genau­so gut möglich, es waren ver­schiedene Gestal­ter am Werk. In bei­den Fällen entste­ht ein Bild von Gemein­schaft, eine über­ge­ord­nete Vorstel­lung nicht nur vom Nebeneinan­der ver­schieden­er Hände, son­dern vom Miteinan­der von Men­schen. Die offene Hand erscheint darin als Frage nach einem guten Ver­hält­nis, dem Ver­hält­nis zwis­chen aus­re­ichend Raum für sich und der Zuge­hörigkeit zu den anderen.

Gehen wir einen weit­eren Schritt zurück: Das Bild auf der Wand lässt sicht­bar wer­den, dass der Men­sch die Hände frei hat. Er benötigt sie nicht mehr direkt für das Prozedere der Fort­be­we­gung. Auch wenn sich leichter gehen lässt, wenn bei­de Hände unbeschw­ert im Rhyth­mus der Füße schwin­gen kön­nen – der aufrechte Gang macht es möglich, auf dem Weg von hier nach dort etwas anderes tun zu kön­nen. Diese Ent­las­tung stößt eine Aus­d­if­feren­zierung der bei­den kör­pereige­nen Werkzeuge an. Wie viele Knochen zählt allein das Handge­lenk? Und dann die Gegen­stel­lung des Dau­mens. Aus der Frei­heit von wer­den immer mehr Frei­heit­en zu – nicht nur zugun­sten der Hände selb­st. Das Werk der Hände ent­lastet ger­ade auch den Mund. Bei der Suche, der Ver­ar­beitung und Auf­nahme von Nahrung bekommt er von greif­fähi­gen Hän­den gehörige Hil­fe. Ver­feinerung in der Folge auch hier. Die Hände set­zen die Sprache frei, zitiert der Paläon­tologe André Leroi-Gourhan den frühchristlichen Gelehrten Gre­gor von Nys­sa. Erst ein Mund mit weniger groben Auf­gaben wird zu vielgestaltiger Laut­bil­dung fähig. Keine kleine Begleit­er­schei­n­ung der zunehmenden Hand­kon­tak­te.

Physisch waren sie wahrschein­lich schon wenige Augen­blicke nach dem Auf­sprühen der Farbe nicht mehr am sel­ben Ort, die Hände auf der Höh­len­wand. Sie macht­en das Feld frei für das Sehen und Besprechen dessen, was man getan hat und wie die Dinge von­stat­ten gin­gen. Ob es jew­eils Einzelne waren, wie Rousseau sie sich vorstellte, oder bere­its eine Gruppe, die das Getane in Augen­schein nahm – die Hände wer­den nicht ohne Worte geblieben sein. Wo eine Hand war, dahin reichen auch Blicke und Worte. Und wo eine Hand nicht mehr hinkommt, machen Augen und Sprache nicht halt. Vielle­icht war es bere­its damals schon so, dass die Hände beim Über­schre­it­en dieser Gren­ze anfin­gen, sich des eige­nen Kör­pers anzunehmen. Zwis­chen den Gesten, die als Zeichen über die fass­bare Reich­weite hin­aus­deuten, lässt es sich zumin­d­est heute und auf vie­len Bildern jün­ger­er Ver­gan­gen­heit beobacht­en: Die Hände bleiben auch dann nicht untätig, wenn sie als Tast-, Greif- oder Zeige­or­gane im Außenein­satz ger­ade nicht benötigt wer­den. Stattdessen suchen sie weit­er Berührung und ver­sich­ern sich des Kör­pers, zu dem sie gehören. Dieser fühlt sich offenkundig wohler dabei, mit seinen Hän­den in Kon­takt zu sein.

Blick­en wir auf Szene II: Leben-Spenden durch Berührung. Obwohl für den Mann schon zuvor rein äußer­lich alles da zu sein scheint. Ein gut genährter, muskulös­er Kör­p­er, unbek­lei­det und ohne den Ein­druck, dass ihm dadurch etwas fehlen würde. Doch eine Hand und der Blick des jun­gen Mannes lösen sich aus der Idyl­lik. So hat sich die Linke von Adam aufgemacht und sichtlich mit Mühe erhoben aus dem hingestreck­ten Lager. Sie geht gemein­sam mit den Augen des Jünglings in Rich­tung des Geschehens, das sich von rechts nähert. Kein Fin­ger­bre­it fehlt mehr und der von dort ener­gisch ent­ge­gengestreck­te Arm reicht mit der Spitze des Zeigefin­ger an die Hand des ersten Men­schen her­an. Für den Moment wirkt dieser noch müde und wie betäubt. Im großen Kon­trast dazu sein Gegenüber: Einger­ahmt von einem tex­tilen Gewölk, das zudem eine Schar von Put­ti und eine junge Frau umfängt, scheint im Entschluss des Schöpfers kein Funken Hem­mung, den kurz bevorste­hen­den Akt zu vol­lziehen. Auch hier ist offenkundig Anstren­gung im Spiel, nicht gegen die Erd­schwere, son­dern, um das himm­lis­che Geschäft zusam­men­zuhal­ten und den Leben spenden­den Hand­kon­takt Wirk­lichkeit wer­den zu lassen.

Dem­nach erre­icht den Men­schen das Leben aus der Luft. Als Wille eines älteren Mannes, der von dort her­abkommt, um es auf die Erde zu brin­gen. Wed­er dessen Entschei­dung noch sein Wort allein, son­dern die Berührung ist es, auf die es ankommt. Das Zusam­men­tr­e­f­fen der Hände. Durch sie wird sich die schöpferische Kraft auf den Erden­men­schen über­tra­gen. In der Folge wird dieser Antrieb dazu führen, dass er allem, was ihm begeg­net, einen Namen gibt. Alles erhält einen zusät­zlichen Ort im Rah­men sym­bol­is­ch­er Ord­nun­gen. Und bei allem, was der Men­sch sieht, was er anzus­prechen, zu beze­ich­nen und einzuord­nen lernt, wer­den seine Hände nicht untätig bleiben. Auch wenn er schon bald zu delegieren begin­nen wird und es nicht mehr in jedem Fall die eige­nen Hände sein müssen – mit der Zeit wird er keinen Stein mehr auf dem anderen lassen.

Die Beschäf­ti­gung des Men­schen mit sich selb­st und sein­er Natur, sein­er Gegeben­heit und deren Bes­tim­mung – ja, dass er sich das fra­gen kann – macht auch hier einen wesentlichen Teil des Bildes aus. Ganz offenkundig denkt sich der Men­sch die Herkun­ft seines Lebens­geistes zuvorder­st von Seines­gle­ichen her. Der Über­vater im Him­mel – keine Spur von ein­er Mut­ter –, dieser Pater omni­um wollte, dass es so geschieht, während sich der Men­sch hier unten so sich­er noch nicht war oder so sich­er noch nicht sein kon­nte. Und nach­dem er es auch in der Zwis­chen­zeit nicht zu ein­er Sicher­heit gebracht hat, die sich von selb­st ver­ste­ht, ist es von­nöten, sich von all dem ein Bild zu machen. Es zeigt den Men­schen auf Erden und den Men­schen im Him­mel. Dazwis­chen nur die winzige Lücke vor ihrer Berührung. Im näch­sten Moment wird sie geschlossen sein. Dann wird der Men­sch, fol­gt man dem Bild, schon ganz am Anfang über­all gewe­sen sein. Für den weißhäuti­gen Mann eura­sis­ch­er Abstam­mung, sofern er aus gutem Hause kommt oder sich dort gut verkaufen kann, wird sich dieses Bild vielfach ein­lösen – darf man mit Klaus Theweleit ergänzen.

Schließlich Szene III: Das let­zte Bild zeigt wieder eine Leer­stelle. Nur dies­mal ohne genaueren Ort. Vielle­icht sind es der Orte zu viele. Was haben die Hände der Men­schen auf dieser Erde noch nicht berührt? Kön­nten sie, selb­st wenn sie woll­ten, etwas unberührt lassen? Was wäre ein Bild der Hand heute, ein Bild der manuellen Ver­bun­den­heit des Men­schen mit sein­er Umwelt im gegebe­nen Hier und Jet­zt? Was wäre exem­plar­isch für diese Gemen­ge­lage und als Bild tief genug, all das zu enthal­ten?

Vielle­icht die Hand an der Mas­chine. Die sys­tem­a­tis­che Ein­beziehung des Feuers zur Poten­zierung men­schlich­er Tatkraft. Doch wie viele Maschi­nen sind zwis­chen­zeitlich am Werk, bis die Hand selb­st ins Spiel kommt? Maschi­nen, die von Maschi­nen hergestellt wur­den, die von Maschi­nen hergestellt wur­den. Die resul­tieren­den Umstände zu fein oder zu groß oder zu schnell, als dass die Fin­ger samt der Handw­erkzeuge, die sie führen, noch mithal­ten kön­nen. Die Ideen eilen dafür schein­bar unge­hal­ten voraus. Wan­dern ein in die Tas­taturen und Pro­gramme dieser Welt. Sie vor allem, die Ideen­wel­ten, wirken ent­lastet – enthemmt? –, wenn der Schmutz der Hände abge­waschen, die Schwie­len ver­heilt, die Horn­haut entwöh­nt ist. Aber für wie viele Men­schen gilt das?

Vielle­icht die Hand an der Mas­chine als Berührung mit einem Bild. Das buch­stäbliche Fen­ster zur Welt: Der Bild­schirm, der berührt sein will. Ver­hält es sich nicht ähn­lich wie bei Car­avag­gios ungläu­bigem Thomas? Im sel­ben Zug, in dem es um den sicht­baren Beweis der Wund­male geht, liegt der Fin­ger schon darin. Nicht nur: Ich glaube erst, wenn ich es gese­hen habe. Son­dern auch: Berührt haben muss ich es – auf dass es dann auch mich berührt haben wird? Die Renais­sance men­schlich­er Selb­stschöp­fung scheint so ver­heißungsvoll unabgeschlossen wie in der Szene an der Decke der Six­ti­na. Aber wie lange wird die Wiese unter den Füßen dieses Pro­jek­tes noch grün sein?

Ein let­ztes Bild: Der Mönch am Meer. Ohne Begleitung ste­ht er auf ein­er Düne, die sich ihrer­seits aus vie­len kleinen Wogen zusam­menset­zt. Die Weite des Hor­i­zonts und die Größe des Him­mels lassen die Sand­hügel klein erscheinen und mit ihnen den Men­schen. Er ste­ht nahe, aber nicht ganz an der flachen Spitze der Erhe­bung. Her­aus­gerückt aus der Mitte des Bildes. Dort tre­f­fen sich das dun­kle Wass­er und die fin­stere Bewölkung eines Unwet­ters, das auf der gesamten Bre­ite des Hor­i­zonts lastet. Der hohe wolken­lose Streifen darüber find­et auf dem Wass­er keinen Wider­hall. Spär­lich und ver­schwindend hell leucht­en allein vere­inzelte Schaumkämme auf den Wellen und der Flug ein­er Hand­voll Möwen.

Ungreif­bar ste­ht die Weite vor Augen, in die sich der einzelne Men­sch, der wir alle sind, gestellt sieht. Wer muss sich heute noch fra­gen, warum es ein Mönch ist? Die Frage ist vielmehr: Wer wurde gefragt, bevor das je eigene Leben seinen Anfang und Ver­lauf nahm? Der einzelne Men­sch in einem Bild, das er von sich vor sich sieht. Auf diese Weise ste­ht er nicht nur vor dieser Welt, son­dern ist in sie hinein­ver­woben. Er sieht sich von hin­ten, als kön­nte er auch in einem Zim­mer ste­hen, dem Bewusst­seinsin­nen­raum. Um ihn herum in alle Rich­tun­gen – ohne Ende? – Raum und Zeit. Aber was sagen diese Worte? Als hätte man mit ihnen bere­its etwas in der Hand und am besten gle­ich begrif­f­en. So ste­ht der Men­sch da für den Moment, mit sich selb­st und dem vielgestalti­gen Blau, das ihn umgibt. Benei­denswert leicht, zumin­d­est scheint es so, wie die Vögel damit umge­hen im Flug. Er schaut ihnen nach wie den Wellen, bis er seine Füße spüren wird. Dann blickt er an sich herab, nimmt bei­de Hände, hält sie vor sich hin, die Hand­flächen nach oben geöffnet. Ich werde daste­hen mit leeren Hän­den.

 

 

Lit­er­aturverze­ich­nis

Leroi-Gourhan, André: Hand und Wort – Die Evo­lu­tion von Tech­nik, Sprache und Kun­st. Übers. v. Michael Bischoff. Frank­furt am Main 1980. [Paris 1965.]

Rousseau, Jean-Jacques: Abhand­lung über den Ursprung und die Grund­la­gen der Ungle­ich­heit unter den Men­schen. Übers. v. Philipp Rip­pel. Stuttgart 1998. [Ams­ter­dam 1755.]

Theweleit, Klaus: Warum Cortés wirk­lich siegte – Tech­nolo­giegeschichte der eura­sisch-amerikanis­chen Kolo­nial­is­men – Poc­a­hon­tas III. Berlin 2020

 

 

Thomas Schlereth, Dr. phil., ist akademis­ch­er Mitar­beit­er für Bil­dungswis­senschaften an der Staatlichen Akademie für Bildende Kün­ste Karl­sruhe. Neben Tex­ten für Künstler*innen geht er Fra­gen der Rela­tion­s­the­o­rie nach. Zurück­liegend geschah dies vor allem mit Blick auf die Kon­junk­tio­nen „und“ sowie „nicht nur, son­dern auch“. Im Kom­menden geht es um Rela­tion­s­the­o­rien im weit­eren Sinne des Wortes. 

  • 24. Mai 202126. Mai 2021
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