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Haptik im Geschichtsunterricht?! Umsetzung haptischer Zugriffe auf (historische) Gegenstände am Beispiel von Graffiti

Martin Buchsteiner & Thomas Must

 

[Beitrag als PDF] 

 Geschichts­di­dak­tis­che (Vor-)Überlegungen

Hap­tik erfährt in der Geschichts­di­dak­tik bish­er nur wenig Beach­tung. Dies liegt nicht zulet­zt daran, dass Geschichte als ein abstrak­tes Kon­strukt über Sprache(n) und Sym­bole ver­mit­telt wird und sich dabei vor allem Texte und Bilder durch- und damit auch als Kern­me­di­en im Geschicht­sun­ter­richt fest­ge­set­zt haben. Die Medi­en­ho­heit, die viele Schul­büch­er haben, befördert diesen Zus­tand zusät­zlich. Dass hap­tis­che Zugänge bzw. der ‚Umgang’ mit (his­torischen) Gegen­stän­den vielfältige Chan­cen bieten, u.a. lassen sich ver­schiedene Lern­typen ansprechen oder his­torische Erfahrun­gen simulierend nachvol­lziehen, stellt keineswegs eine neue Ein­sicht dar (Ran­dall 1996; Heese 2007, S. 12–16; Völkel 2005, S. 9–13; 21–24). Die beste­hende Zurück­hal­tung ihres Ein­satzes im Unter­richt, die wohl wesentlich auf fehlende fach­di­dak­tis­che Forschun­gen und daran anknüpfende unter­richt­sprag­ma­tis­che Umset­zun­gen zurück­ge­führt wer­den kann, wird vielfach mit spez­i­fis­chen Erfordernissen an die his­torische Analyse, gerin­gen Erken­nt­nis­gewin­nen und einem hohen organ­isatorischen und zeitlichen Aufwand begrün­det. Gle­ich­wohl find­en sich aktuell – ins­beson­dere angeregt durch Sebas­t­ian Barsch, der vielfach Geschichts­di­dak­tik und Son­der­päd­a­gogik zu verbinden sucht – Pub­lika­tio­nen, die ein­er­seits Hap­tik im Sinne ganzheitlichen Ler­nens und ander­er­seits den spez­i­fis­chen Erken­nt­niswert his­torisch­er Gegen­stände beto­nen sowie eine stärkere Auseinan­der­set­zung mit Mate­ri­al­ität ein­fordern (Barsch & Küh­berg­er 2020 sowie Barsch & Nor­den 2020). Neben ein­er fach­wis­senschaftlichen, sich am Quel­len­wert von Gegen­stän­den ori­en­tieren­den und ein­er, die Indi­vid­u­al­ität von Ler­nen­den berück­sichti­gen­den päd­a­gogis­chen bzw. all­ge­mein­di­dak­tis­chen Begrün­dung, erscheinen darüber hin­aus auch Über­legun­gen notwendig, inwiefern hap­tis­che Zugriffe auf Gegen­stände als fach­spez­i­fis­ches Ver­fahren genutzt wer­den kön­nen. Hap­tis­che Zugriffe wären damit nicht reduziert auf eine Form der Moti­va­tion oder Sub­jek­to­ri­en­tierung ein­er­seits und ein­er Ori­en­tierung an der Mate­ri­al­ität his­torisch­er Gegen­stände ander­er­seits, son­dern – rekur­ri­erend auf geschichtswis­senschaftliche Forschungsrich­tun­gen, wie etwa die prak­tis­che Archäolo­gie (Lessig-Weller 2021) – auch für den Geschicht­sun­ter­richt eine his­torische Meth­ode, um Erken­nt­nisse über Ver­gan­ge­nes zu gewin­nen, die über hermeneutis­che Zugriffe nicht zu gener­ieren sind (vgl. Impulse im Band von Must & Buch­stein­er 2021). Hier­an anknüpfend, wäre allerd­ings eine Konkretisierung und Spez­i­fizierung des Begriffes Hap­tik sin­nvoll:

  1. Hap­tis­che Zugriffe auf (his­torische) Gegen­stände reduzieren sich nicht auf ein Anfassen oder tas­ten­des Betra­cht­en, sind damit doch zumeist nur Aus­sagen zur Beschaf­fen­heit und besten­falls Ver­mu­tun­gen zur Hand­habung möglich. Ein Aus­pro­bieren hinge­gen kann etwas über die tech­nis­che Funk­tion­sweise und Hand­habung, den gesellschaftlichen Stel­len­wert sowie die Nutzer* und Besitzer*innen ver­rat­en; ein Anfer­ti­gung­sprozess ermöglicht Erken­nt­nisse zu ver­wen­de­ten Mate­ri­alien, notwendi­gen Handw­erk­stech­niken sowie über Her­steller* und Besitzer*innen (Must 2021).
  2. Hap­tik lässt sich nicht ein­er spez­i­fis­chen wis­senschaftlichen Diszi­plin zuord­nen, son­dern berührt und vere­int unter­schiedliche Erken­nt­nis­in­ter­essen. (His­torische) Gegen­stände ver­weigern sich eben­falls Fach­gren­zen; sie lassen sich hin­sichtlich ihres Gebrauchs(-wertes) oft nur mit Hil­fe mehrerer natur- und gesellschaftswis­senschaftlich­er Diszi­plinen erschließen (Buch­stein­er & Germ 2021). Bei der Ermit­tlung der Funk­tion­sweise, der Charak­ter­isierung des Her­stel­lung­sprozess­es oder der Erschließung des sozialen Stel­len­wertes sind ggf. tech­nis­che und handw­erk­liche Ken­nt­nisse eben­so notwendig wie kün­st­lerische Über­legun­gen zu Mate­r­i­al und Gestal­tung, um ein dif­feren­ziertes his­torische Urteil for­mulieren zu kön­nen.

Das hier aus der Per­spek­tive der Geschichts­di­dak­tik vorgestellte Ver­ständ­nis von Hap­tik, die – so das Plä­doy­er – auf eine his­torische und zugle­ich mul­ti­diszi­plinäre (Sach-)Analyse auszuricht­en ist, unter­schei­det sich freilich von hap­tis­chen Zugrif­f­en im Kun­stun­ter­richt, die vor allem eine synäs­thetis­che Erfahrungs­bil­dung sowie eine Sen­si­bil­isierung und Pro­fes­sion­al­isierung im Bere­ich handw­erk­lich­er Fer­tigkeit­en anstrebt. Allerd­ings kön­nen sich bei­de Aus­prä­gun­gen bei ein­er mul­ti­diszi­plinären Betra­ch­tung von his­torisch zu veror­tenden Objek­ten ergänzen. Ein Beispiel soll diese verdeut­lichen.

Graf­fi­ti als his­torische Quelle

In den let­zten Jahren ist das Inter­esse der Geschichtswis­senschaften an Graf­fi­ti als ein­er beson­deren Form der Inschriften bzw. Schrif­tarte­fak­te deut­lich gestiegen; dies gilt ins­beson­dere für die Alter­tum­swis­senschaften und die Mediävis­tik. Mit gle­ich drei größeren Kon­feren­zen gilt eini­gen das Jahr 2017 gar als „Beginn ein­er his­torischen, oder ver­gle­ichen­den, Graf­fi­ti­forschung“ (Lohmann 2018, S. 9). Als Graf­fi­ti gel­ten ganz all­ge­mein graphis­che Zeichen, die „an ein­er dafür primär nicht vorge­se­henen Fläche ange­bracht“ wer­den und (oder um) die jew­eilige primäre Struk­tur „schön­er und inter­es­san­ter“ (zu) machen. Graf­fi­ti lassen sich in tech­nis­ch­er und (formal-)rechtlicher Hin­sicht sowie mit Blick auf Entste­hungssi­t­u­a­tion und Rezep­tion unter­schei­den. Sie find­en sich sowohl auf immo­bilen „gebaute[n], geologische[n] oder biologische[n] Struk­turen“ als auch auf beweglichen Arte­fak­ten, die als Infor­ma­tion­sträger oft­mals wertvolle Hin­weise für die Datierung und darüber hin­aus die Bedeu­tung der jew­eili­gen Orte bzw. Gegen­stände liefern (ebd. S. 10–12). Zu dif­feren­zieren ist Graf­fi­ti als „Erin­nerungs­graf­fi­ti“ (Kreuzer 1986) von Kun­st im öffentlichen Raum; egal ob es sich bei erster­er um gesellschaftlich oder poli­tisch legit­imierte „Auftrags“-Kunst, mod­ernes „Graf­fi­ti-Writ­ing“ oder „Tag­ging“ han­delt, die jew­eils auf eine Aneig­nung bzw. kul­turelle Beset­zung öffentlich­er Räume zie­len. Freilich kön­nen – ver­wiesen sei etwa auf mit­te­lal­ter­liche und früh­neuzeitliche Inschriften adeliger Pilger*innen (vgl. Kraack 2017) – die Übergänge fließend sein. Bedeut­sam erscheint die hier vorgenommene Dif­feren­zierung jedoch mit Blick auf die unter­schiedlichen Inten­tio­nen und Funk­tio­nen – von Schmähun­gen, sozialem und poli­tis­chem Protest über prag­ma­tis­che Infor­ma­tionsver­mit­tlung bis hin zu Selb­stvergewis­serun­gen bzw. -veror­tun­gen im Sinne von Iden­titäts­bil­dung und -sta­b­lisierung –, die mit den einzel­nen „Erin­nerungs­graf­fi­ti“ bzw. deren For­men ver­bun­den sind und sich deut­lich von Graf­fi­ti als Kun­st im öffentlichen Raum oder „Street Art“, die u.a. auf (De-)Legitimation poli­tis­ch­er Posi­tio­nen und/oder Unter­hal­tung zie­len, unter­schei­den kön­nen; als his­torische Quelle freilich lassen sich alle Arten von Graf­fi­ti ansprechen. Während aus geschichtswis­senschaftlich­er Per­spek­tive „Erin­nerungs­graf­fi­ti“ u.a. inhaltliche Infor­ma­tio­nen über Ver­gan­ge­nes liefern oder Auf­schlüsse über lit­er­arische und (fremd-)sprachliche Ein­flüsse geben (Lohmann 2018, S. 13), liegt der Fokus aus Sicht eines dem nar­ra­tiv­en Par­a­dig­ma verpflichtetem his­torischen Ler­nens bzw. Geschicht­sun­ter­richts vielmehr auf Fra­gen nach der jew­eili­gen Deu­tung des mit einem Erin­nerungs­graf­fi­ti verse­henen Ortes oder des mit der Inschrift über­liefer­ten his­torischen Sachver­halts (Per­son, Ereig­nis, Prozess), der damit ver­bun­de­nen Per­spek­tive und den spez­i­fis­chen Hand­lung­sop­tio­nen, -zwän­gen und -alter­na­tiv­en, die sich den Schreiben­den und/oder Zeich­nen­den auf­tat­en (Buch­stein­er, Lorenz & Scheller 2018, bes. S. 11–15 und 30–31). Um die Inten­tion von Graf­fi­ti zu erschließen und Aus­sagen zu den Zeich­nen­den abzuleit­en, kann die Berück­sich­ti­gung des Mate­ri­als, auf dem die Botschaft hin­ter­lassen wird, und der Mal­tech­nik bzw. Graf­fi­ti-Art wieStyle Writ­ing oder Scratch­ing essen­tiell sein (vgl. u.a. https://graffitiartist.de/graffitiarten/). Sie kön­nen z.B. Anhalt­spunkt für Aus­sagen darüber sein, ob die Anfer­ti­gung des Graf­fi­ti unter Zeit­druck oder im Ver­bor­ge­nen geschah und ob bes­timmte kün­st­lerische Fer­tigkeit­en notwendig waren.

Ärg­er­nis oder kul­turelles Erbe?

Im nach­ste­hen­den, trans­diszi­plinär angelegten Lehr-Lern-Set­ting (Buch­stein­er & Germ 2021) beurteilen die Schüler/-innen, inwiefern Graf­fi­ti ein Ärg­er­nis oder (schützenswertes) kul­turelles Erbe sind, indem sie his­torische, kün­st­lerische, poli­tis­che und chemische/physikalische Aspek­te indi­vidu­eller Inschriften und Zeich­nun­gen im öffentlichen Raum erschließen, sie Kri­te­rien von Denkmalschutz zuord­nen und eine struk­turi­erte Argu­men­ta­tion for­mulieren. Das Lehr-Lern-Set­ting set­zt entwed­er Ken­nt­nisse zu den mit den einzel­nen Graf­fi­ti ver­bun­de­nen his­torischen Kon­tex­ten voraus oder ver­langt nach deren Erschließung sowohl über die in den Graf­fi­ti enthal­te­nen als auch die in den for­malen Merk­malen angegebe­nen his­torischen Sachver­halte.

Der hap­tis­che Zugriff kann in unter­schiedlichen Phasen und Arbeitss­chrit­ten nutzbar gemacht wer­den; in diesem Beispiel unter­stützt er wesentlich die Gewin­nung von Erken­nt­nis­sen zu den ver­wen­de­ten Mate­ri­alen, den Mal­tech­niken und Urheber*innen und verdeut­licht die bei­den ein­gangs for­mulierten Set­zun­gen: Im Zuge der chemisch/physikalischen und anschließen­den his­torischen Analyse hil­ft Hap­tik, durch Anfassen ver­gle­ich­bar­erer Flächen die Eigen­schaften der für Graf­fi­ti genutzten Ober­flächen sowie durch Aus­pro­bieren von Mal­tech­niken und Anfer­ti­gen eigen­er Graf­fi­ti deren Eig­nung als Mal­grund­lage zu ermit­teln, um auf die ver­wen­de­ten Mal­tech­niken und Qual­itäten des fer­ti­gen Pro­duk­ts zu schließen. So kön­nen die Schüler/-innen z.B. erken­nen, dass leser­lich­es bzw. feines Schreiben auf rauen und porösen Ober­flächen – und ger­ade unter Druck oder in Eile – sehr schwierig ist und bes­timmte Fer­tigkeit­en ver­langt. Auf diese Weise lassen sich über hap­tis­che Zugriffe Aus­sagen zu den Her­stel­len­den, dem Kon­text der Erstel­lung und der Beständigkeit der Botschaften ableit­en.

didak­tis­che Phase Arbeit­saufträge Mate­r­i­al
Ori­en­tierung Beschreibe die durch das Graf­fi­ti dargestellte Sit­u­a­tion und benenne mögliche Akteure.

Weise Gestal­tungsmit­tel nach und erschließe (anhand der Gestal­tung) die Charak­ter­isierung der Akteure.

M1
Frage Inwiefern sind Graf­fi­ti ein Ärg­er­nis oder (schützenswertes) kul­turelles Erbe?
kün­st­lerische /

gestal­ter­ische
Sach­analyse

Weise in den einzel­nen Graf­fi­ti enthal­tene kün­st­lerische Rich­tun­gen und gestal­ter­ische Tech­niken nach. M2–M7
his­torische
Sach­analyse
Erschließe die Inten­tio­nen der Graf­fi­ti.

Tipp: Ermit­tle (anhand der for­malen Merk­male) deren Adres­sat­en und über­lege, warum ger­ade sie auf diese Weise und in der jew­eili­gen Form informiert wer­den soll­ten.

Leite aus­ge­hend von deinen Arbeit­sergeb­nis­sen Funk­tio­nen von Graf­fi­ti ab.

Weise anhand von M2–M7 Wan­del und Kon­ti­nu­ität in der Gestal­tung und Funk­tion von Graf­fi­ti nach.

Begründe die Unter­schiede in den Inten­tio­nen und der Gestal­tun­gen mit zeit­genös­sis­chen Hand­lung­sop­tio­nen, -zwän­gen und -motiv­en.

M2–M7
chemisch /

physikalis­che Sach­analyse

Hap­tik: Fasse den in M2–M7 erkennbaren Ober­flächen ver­gle­ich­bare an und erschließe Eigen­schaften für ihre Ver­wen­dung als Träger für die Graf­fi­ti. Berück­sichtige dabei auch die unter­schiedlichen Tech­niken.

Erk­läre die Entste­hung der Graf­fi­ti und beurteile ihre Beständigkeit.

M2–M7
his­torische
Sach­analyse
Hap­tik: Pro­biere die einzel­nen Tech­niken auf ver­gle­ich­baren Ober­flächen aus und fer­tige Graf­fi­ti ähn­lich­er Inten­tion an.

For­muliere Aus­sagen zur zeitlichen Dauer, dem organ­isatorischen Aufwand und zu den tech­nis­chen Fer­tigkeit­en der Her­stel­len­den.

For­muliere Ver­mu­tun­gen zur sozialen Stel­lung der Hersteller*innen bzw. Auftraggeber*innen.

M2–M7
Urteil For­muliere eine struk­turi­erte Argu­men­ta­tion, inwiefern Graf­fi­ti ein Ärg­er­nis oder (schützenswertes) kul­turelles Erbe sind?

Disku­tiert, ob das Graf­fi­ti M1 unter (Denkmal-)Schutz gestellt und dauer­haft kon­serviert wer­den sollte.

Tipp: Beurteile, inwiefern die Wer­bung für das Por­tal ogo (M1) als his­torische Quelle gel­ten kann.

M1

M1 (Abb.1): „stree­tart – Ausverkauf“, Spray­farbe an ein­er Häuser­wand, 2008.

M2 (Abb.2): „Alex­a­menos sebete theon“, dt. „Alex­a­menos betet (seinen) Gott an“. Zeich­nung (u.a. Chris­tus mit Esel­skopf) und Inschrift mit einem spitzen Gegen­stand an der Wand eines Wachlokals für Sol­dat­en auf dem Hügel Palatin in Rom, ca. 125 n. Chr.

M3 (Abb.3): Namensin­schriften von Klerik­ern, Adeli­gen und Bürg­ern, v.a. Handwerker*innen mit Kohle/Graphit in der Burgkapelle von Frunds­burg in Schwaz, 17. Jahrhun­dert.

M4 (Abb.4): Eingeschnit­tene, kolo­ri­erte Innschrift des fränkischen Adeli­gen Karl von Hess­burg an einem der Gurt­bö­gen im „Alten Refek­to­ri­um“ des Kathari­nen­klosters auf dem Sinai, 1414.

M5 (Abb.5): Zeich­nun­gen und Inschriften [mit Graphit] in Zelle 4 des Köl­ner Gestapo-Gefäng­niss­es, 1944.

M6 (Abb.6): Adres­sauf­schriften an einem von Bomben zer­störten Gebäude in Dort­mund, 1944.

M7 (Abb.7): „Helft Bier­mann“, weiße Farbe an ein­er Wand in der Wit­tekind­straße in Halle, Foto des MfS vom 25.11.1976.

 

Faz­it und Aus­blick

Die beispiel­haften Aus­führun­gen haben gezeigt, dass Hap­tik in dem hier skizzierten Sinne eine wichtige erken­nt­nislei­t­ende Funk­tion besitzt. Erst das Anfassen der Mate­ri­alien und das Aus­pro­bieren von Mal­tech­niken schafft wesentliche Voraus­set­zun­gen, um begrün­dete Ver­mu­tun­gen zum Entste­hungskon­text der Graf­fi­ti und darin eingeschlossen den (Lebens-) Bedin­gun­gen der Her­stel­len­den zu for­mulieren und daran anschließend hin­sichtlich Per­spek­tive und Inten­tion zu über­prüfen. Das zeitlich Ver­gan­gene tritt durch hap­tis­che Zugriffe, in diesem Falle des „Anfassens“ und „Aus­pro­bierens“ bewusster in die Vorstel­lun­gen der Schüler*innen und kann dabei helfen, mögliche vorschnelle Urteile abzubauen (hier z.B. „Das ist aber ‚unsauber’ geschrieben“) und zugle­ich spez­i­fis­chere Fra­gen an den Gegen­stand evozieren, die his­torisch gewen­det, ein­er­seits genutzt wer­den kön­nen, um Kon­ti­nu­ität und Wan­del sowohl in tech­nis­ch­er Hin­sicht als auch in Bezug auf kul­turell normierte Kon­no­ta­tio­nen sicht­bar zu machen (hier z.B. „Warum hat sie/er nicht andere Mate­ri­alien oder Tech­niken ver­wen­det?“; „Warum hat sie/er nicht Far­ben oder andere Sym­bole genutzt?“), ander­er­seits die Möglichkeit bieten, Alter­ität­se­le­mente zu fokussieren, einen Per­spek­tiven­nachvol­lzug anzus­toßen und ggf. die his­torische Betra­ch­tung sog­ar in eine Selb­stre­flex­ion der vorschnellen Urteile zu über­führen (Buchsteiner/Lorenz 2019).

Allerd­ings, auch das wird über das vorgestellte Beispiel deut­lich, ent­fal­ten hap­tis­che Zugriffe im Rah­men his­torischen Ler­nens ihr Poten­tial erst durch das Zusam­men­wirken der Denk­for­men und Arbeit­stech­niken ander­er Diszi­plinen. Es braucht daher weit­ere Unter­richts­ma­te­ri­alien bzw. -beispiele, deren Erprobung und Evaluierung, um darüber den Begriff der Hap­tik und sein Ver­hält­nis zum his­torischen Ler­nen noch weit­er zu schär­fen und Aus­sagen über den Ein­fluss entsprechen­der Tätigkeit­en im Geschicht­sun­ter­richt tre­f­fen zu kön­nen. Wenn der Auf­satz in diesem Sinne (oder erst mal auch nur zur Umset­zung des hier gegeben Beispiels) ermutigt, ist sein Zweck erfüllt.

 

Lit­er­atur

Barsch, Sebas­t­ian / Küh­berg­er, Christoph: Mit allen Sin­nen ler­nen? Zur Viel­seit­igkeit des his­torischen Ler­nens. In: Sebas­t­ian Barsch / Bet­ti­na Deg­n­er / Christoph Küh­berg­er / Mar­tin Lücke (Hrsg.): Hand­buch Diver­sität im Geschicht­sun­ter­richt. Inklu­sive Geschichts­di­dak­tik, Frank­furt a.M. 2020, S. 385–404.

Barsch, Sebas­t­ian / Nor­den, Jörg van (Hrsg.): His­torisches Ler­nen und materielle Kul­tur. Von Din­gen und Objek­ten in der Geschichts­di­dak­tik (Band 2: Pub­lic His­to­ry — Ange­wandte Geschichte). Biele­feld 2020.

Buch­stein­er, Mar­tin / Lorenz, Tobias / Scheller, Jan: Medi­en analysieren im Geschicht­sun­ter­richt. Kom­pe­ten­zori­en­tierte und bin­nen­dif­feren­zierte Auf­gaben für Karten, Bilder, Plakate, Karika­turen, Schema­ta, gegen­ständliche Quellen, Sta­tis­tiken, Texte und Lieder. Frank­furt a.M. 2018.

Buch­stein­er, Mar­tin / Germ, Alfred: (His­torische) Gegen­stände – Verpflich­tung zu mul­ti­diszi­plinärem Ler­nen?! In: Thomas Must / Mar­tin Buch­stein­er (Hrsg.): Hap­tis­che Zugriffe auf Gegen­stände – eine Chance für his­torisches Ler­nen? Fach­wis­senschaftliche, didak­tis­che und päd­a­gogis­che Impulse. Mün­ster 2021, S. 123–138.

Buch­stein­er, Mar­tin / Lorenz, Tobias: Ver­schleierung mus­lim­is­ch­er Frauen – Alter­ität­ser­fahrun­gen und Selb­stre­flex­ion als Prinzip­i­en his­torischen Ler­nens. In: Zeitschrift für Geschichts­di­dak­tik, 18 (2019), S. 46–60.

Heese, Thorsten: Ver­gan­gen­heit „begreifen“. Die gegen­ständliche Quelle im Geschicht­sun­ter­richt. Schwalbach/Ts. 2007.

Kraack, Detlef: Adelige und Patrizier auf Reisen: Graf­fi­ti des 14.–16. Jahrhun­derts. In: Pol­ly Lohmann (Hrsg.): His­torische Graf­fi­ti als Quellen. Meth­o­d­en und per­spek­tiv­en eines jun­gen Forschungs­bere­ichs, Stuttgart 2018, S. 193–220.

Kreuzer, Peter: Das Graf­fi­ti-Lexikon. Wand-Kun­st von A–Z. München 1986.

Lessig-Weller, Thomas: Exper­i­mentelle Archäolo­gie. Eine wis­senschaftliche Meth­ode als Zugang zum his­torischen Ler­nen. In: Thomas Must / Mar­tin Buch­stein­er (Hrsg.): Hap­tis­che Zugriffe auf Gegen­stände – eine Chance für his­torisches Ler­nen? Fach­wis­senschaftliche, didak­tis­che und päd­a­gogis­che Impulse. Mün­ster 2021, S. 15–28.

Lohmann, Pol­ly: Warum sich eigentlich mit his­torischen Graf­fi­ti beschäfti­gen – und was sind Graf­fi­ti über­haupt? In: Ders. (Hrsg.): His­torische Graf­fi­ti als Quellen. Meth­o­d­en und per­spek­tiv­en eines jun­gen Forschungs­bere­ichs, Stuttgart 2018, S. 9–16.

Must, Thomas / Buch­stein­er, Mar­tin (Hrsg.): Hap­tis­che Zugriffe auf Gegen­stände – eine Chance für his­torisches Ler­nen? Fach­wis­senschaftliche, didak­tis­che und päd­a­gogis­che Impulse. Mün­ster 2021.

Must, Thomas: Anfassen – Aus­pro­bieren – Anfer­ti­gen. Über das Betra­cht­en des Objek­ts hin­aus­ge­hen. In: Thomas Must / Mar­tin Buch­stein­er (Hrsg.): Hap­tis­che Zugriffe auf Gegen­stände – Chance für his­torisches Ler­nen? Fach­wis­senschaftliche, didak­tis­che und päd­a­gogis­che Impulse. Mün­ster 2021, S. 91–106.

Ran­dall, Cath­leen Coyle: Hap­tic His­to­ry: Teach­ing A.P. U.S. His­to­ry through Kines­thet­ic Learn­ing and Mate­r­i­al Cul­ture. New York 1996. https://files.eric.ed.gov/full-text/ED423152.pdf (zulet­zt 24.08.2020).

Völkel, Bär­bel: Hand­lung­sori­en­tierung im Geschicht­sun­ter­richt. Schwalbach/Ts. 2005.

Abbil­dun­gen

Abbil­dung 1: Foto von Nicor im Feb­ru­ar 2008; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/com-mons/7/7f/Ogo-streetart.jpg [7.10.2020].

Abbil­dung 2: Foto aus https://www.ptz-rpi.de/fileadmin/user_upload/ptz/einzelhome-pageseite/SBBZ/sbbz-pdf/2018_07_Esel_RU_Schweiker.pdf [7.10.2020].

Abbil­dung 3: Foto von R. Schmitz-Ess­er, o.J., Schmidz-Ess­er, R: Tirol­er Graf­fi­ti als Quellen zur Sozialgeschichte des späten Mit­te­lal­ters und der Frühen Neuzeit. In: Lohmann, P. (2018), S. 154.

Abbil­dung 4: Foto von D. Kraack/M. Walz 1993, Kraack, D.: Adelige und Patritzer auf reisen. Graf­fi­ti des 14. – 16. Jahrhun­derts. In: Lohmann, P. (2018), S. 195.

Abbil­dung 5: Foto von A.C. Wag­n­er, o.J., Rheinis­ches Bil­darchiv/r­bad015387-71.

Abbil­dung 6: Foto von Han­nelore Eyck­mey­er, Copy­right: Stadtarchiv Dort­mund
Sig­natur: 502–1/ 036–10-18.

Abbil­dung 7: BStU, MfS, Hle AOP 2482_77, S. 0117.

 

 

Dr. Mar­tin Buch­stein­er ist wis­senschaftlich­er Mitar­beit­er am Arbeits­bere­ich Fach­di­dak­tik des His­torischen Insti­tuts der Uni­ver­sität Greif­swald.

 

Dr. Dr. Thomas Must ist wis­senschaftlich­er Mitar­beit­er der Fach­di­dak­tik Geschichte an der Uni­ver­sität Biele­feld. Aktuell ver­tritt er die Pro­fes­sur für Didak­tik des Sachunter­richts mit Schw­er­punkt Gesellschaftswis­senschaftlich­es Ler­nen an der Uni­ver­sität Vech­ta.

  • 24. Mai 202131. Mai 2021
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