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Nacht
Der Schlaf der Vernunft gebiert seit Goya Ungeheuer, doch das spanische Wort sueño kann auch Traum bedeuten. Wenn die Vernunft schläft, so erheben sich die Ungeheuer; träumt die Vernunft, dann bringt sie vielleicht selbst diese Ungeheuer hervor – und wie ist es rund 220 Jahre später um die Vernunft bestellt? Vom Verstand abgegrenzt, der durch Beobachtung und Erfahrung Sachverhalte erfasst, gilt sie als die geistige Fähigkeit des Menschen, Einsicht und Erkenntnis zu gewinnen, sich ein Urteil zu bilden, die Zusammenhänge und die Ordnung des Wahrgenommenen zu erkennen und sich in seinem Handeln danach zu richten. Schläft sie oder träumt sie nun?
Im Schlaf, so wissen wir inzwischen, werden Wahrnehmungen (dazu gehören auch Gedanken) verarbeitet und neu geordnet; das hat Folgen. Neuere Forschungen zum Traum sehen in ihm somit nicht nur die Verarbeitung der Vergangenheit, sondern auch eine Vorbereitung der Zukunft. Im Traum greifen wir, auch wenn es um Neues geht, auf einen Bildfundus zurück, der überwiegend, aber nicht ausschließlich in den ersten 27 Lebensjahren generiert wurde, denn ungefähr so lange brauchen wir, um dem zum (Über)Leben Wichtige ein erstes Mal begegnet zu sein. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie viel Schlaf und Traum mit Lernvorgängen zu tun haben, auch wenn die Pädagogik nur eines der Felder ist, die mit der Bitte um Textbeiträge angesprochen sind: Kunst, Literatur und Musik, Kunst- Literatur- Musik- Kultur- und Bildungswissenschaften.
Und Nacht ist nicht gleich Schlaf. Schlaf nicht zu viel, so verabschieden sich einige Sprachgruppen letzter Naturvölker am Abend voneinander, es könnten Schlangen und wilde Tiere kommen, und Metropolen wie New York und Tokio nennen sich selbst Städte, die nie schlafen, vor allem nicht nachts. Gibt es noch Nacht und was gibt sie uns? Wie sieht sie aus, wie hört sie sich an, wie riecht und fühlt sie sie an? Was passiert, wenn der dominierende Sehsinn zurücktreten muss, wie lässt sich das Dunkel beleuchten? Wie gehen Kunst, Musik und Literatur damit um? Und wie gehen Lehrende mit jener Zeitspanne um, auf die sie keinen Zugriff haben?