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Konzept versus Realisierung von Limes — Limits of Perception

Hristina Šušak

[Beitrag als pdf]

Wie ästhetis­che Erfahrung und musik­the­o­retis­che Forschung auf eine Per­for­mance wirken

Wie kün­st­lerische Forschung im Bere­ich von Per­for­mance Art und exper­i­menteller Musik zu betreiben ist, dafür gibt es noch keine aus­ge­fahre­nen Wege und keine vielfach erprobten Meth­o­d­en. Bei einem forschen­den Kom­ponieren von Per­for­mances oder – aus dem anderen Blick­winkel – beim Forschen, das sich der Meth­ode des Kom­ponierens bedi­ent, stellen sich mir in mein­er Arbeit diese Fra­gen: Kann mein aus Vor­erfahrun­gen zu einem Erfahrungss­chatz akku­muliertes ästhetis­ches Wis­sen mir bei der Entwick­lung und Real­i­sa­tion ein­er Per­for­mance nützen und mit welch­er Meth­ode set­ze ich es am besten ein? Und: Wo bringt mich speziell bei ein­er konzeptuellen Per­for­mance ein (musik-) the­o­retis­ch­er Ansatz weit­er? Als Kom­pon­istin, Musik­the­o­retik­erin, Konzep­tkün­st­lerin und Per­formerin kon­nte ich während des Entste­hung­sprozess­es ein­er Per­for­mance-Serie beobacht­en, dass die Tätigkeit­en des The­o­retisierens, der Erfind­ung eines Konzepts und des Per­for­mens zusam­men- und auch aufeinan­der ein­wirken. Diese Beobach­tung soll den Aus­gangspunkt bilden, um die bei­den genan­nten Fra­gen zu beant­worten. Exem­plar­isch ziehe ich meine Per­for­mance Lim­its of Per­cep­tion von 2016 her­an, die Teil der aus ins­ge­samt vier Per­for­mances beste­hen­den Werk­serie Limes ist. Die einzel­nen Per­for­mances von Limes vari­ieren sowohl von ihrem Motiv her als auch in ihrer Real­isierungsweise, doch liegt der Serie ins­ge­samt eine math­e­ma­tis­che Struk­tur zugrunde, die unverän­dert bleibt und im Sinne eines Kerns das Konzept der Serie bildet.1 Zwis­chen ihm und sein­er Real­isierung entste­hen aber an einzel­nen Punk­ten Span­nun­gen. Oft kommt es dazu, dass auf diesem Span­nungs­feld musik­the­o­retis­che Ansätze meine kün­st­lerische Prax­is lenken und ich ver­suche dann, diese Ansätze – auf Grund­lage mein­er ästhetis­chen Erfahrun­gen – exper­i­mentell umzuset­zen.

Im ersten Teil der Per­for­mance Lim­its of Per­cep­tion2 befinde ich mich in einem von mir kon­stru­ierten Käfig aus einem Holzrah­men (3m x 3m), auf dem äquidis­tante Gum­mibän­der ent­lang aller drei Achsen befes­tigt sind. Der Käfig stellt ein drei­di­men­sion­ales karte­sis­ches Koor­di­naten­sys­tem dar und sym­bol­isiert zugle­ich sowohl die Art als auch die Gren­zen der Wahrnehmung. Im zweit­en Teil ver­suche ich, mich von diesen Gren­zen – von der physis­chen bzw. von der materiellen Ebene – zu befreien. Am Ende entste­ht eine Utopie, da ich sym­bol­isch die Begren­zun­gen über­winde und die Lim­its „zer­breche“ oder „zer­reiße“, wodurch ein flüchtiger und fik­tiv­er Zus­tand der Befreiung erre­icht wird. Die Musik bzw. das Sound­de­sign begleit­et diesen Prozess: Im ersten Teil wer­den die gesamte Bühne sowie mein Kör­p­er mit einem Hall-Effekt ver­stärkt. Die Schritte wer­den dabei durch Mikro­fone unter der Bühne und mein Atem durch ein Head­set-Mikro­fon über­mit­telt, was die Anstren­gung und die Energie, die in die Per­for­mance einge­ht, zusät­zlich zum ohne­hin Hör­baren steigert. Im zweit­en Teil kommt neben der Mikro­fonierung ein vor­ab aufgenommen­er Track hinzu. Dieser begin­nt mit ein­er chao­tis­chen Klang­tex­tur, die sich allmäh­lich in einen Dur-Dreik­lang trans­formiert und sich schließlich im Unhör­baren auflöst. Dadurch wird der Effekt der ‚Utopie‘ auch klan­glich unter­stützt.

Abbil­dung 1: H. Šušak, Limes — Lim­its of Per­cep­tion (2016)

The­o­rie (hier: Musik­the­o­rie) trat während des Entste­hung­sprozess­es, der Real­i­sa­tion und im Nach­hinein nicht frei flot­tierend in Aktion, son­dern die The­o­rie wurde sortiert oder gelenkt von mein­er ästhetis­chen Erfahrung. The­o­retis­che Anteile und Arbeitsweisen ergaben sich in diesem Fall bei den fol­gen­den Aspek­ten: 1) Über­legun­gen, die der Kom­po­si­tion voraus­gin­gen;
2) Entste­hung­sprozesse beglei­t­ende Reflex­io­nen im Kon­text mit der Erstel­lung neuer Fas­sun­gen der Per­for­mance; 3) nachträgliche Reflex­io­nen über das Ergeb­nis bzw. die

endgültige Real­isierung; und 4) Über­legun­gen dazu, wie auf­grund der gemacht­en Erfahrun­gen eine neue Arbeit zu konzip­ieren wäre. Ich möchte jeden der vier Punk­te exem­plar­isch kom­men­tieren. Begin­nen werde ich mit Fra­gen, die sich bei der Entwick­lung des Konzepts von Limes ergaben.

Zu Punkt 1: Die Über­legun­gen, die der Kom­po­si­tion von Lim­its of Per­cep­tion voraus­gin­gen, set­zten bei der Ken­nt­nis und kri­tis­chen Auseinan­der­set­zung mit Per­for­mances ander­er Komponist*innen an, ich machte mir Prob­leme und Gren­zen solch­er bere­its existieren­den Per­for­mances klar (wie in einem Forschung­spro­jekt, wo zunächst der Forschungs­stand zu doku­men­tieren ist und Desider­a­ta aufzuzeigen sind). Anschließend über­legte ich, wie offene Fra­gen beant­wortet und vielle­icht sog­ar Män­geln existieren­der Per­for­mancekun­st mit meinem eige­nen neuen Konzept begeg­net wer­den könne.

Bei meinen musikalisch-szenis­chen Per­for­mances ziehe ich Par­al­le­len zum Werk der Per­for­mance-Kün­st­lerin Mari­na Abramović (* 1946), die, wie ich, aus Ser­bi­en stammt. Wie in ihrem Werk spielt auch in meinen Arbeit­en ein min­i­mal­is­tis­ch­er Ansatz eine zen­trale Rolle, eben­so wie die Verbindung der Klang-Ebene mit Ele­menten und Aus­drucks­bere­ichen der bilden­den Kun­st und mit sicht­baren kör­per­lichen Bewe­gungs-Aspek­ten (einem Bere­ich von Tanz und von Schaus­piel). Allerd­ings unter­schei­det sich das Ver­hält­nis dieser Kom­po­nen­ten in meinen Per­for­mances von dem in Abramovićs Arbeit­en: Dem Hör­baren kommt bei mir meist eine deut­lich größere Rolle zu.

Immer wieder stellt sich mir beim Kom­ponieren die Frage, inwiefern das Hör­bare das Sicht­bare konkretisieren, ver­dop­peln, es klar­er machen oder Analo­gien zu ihm bilden soll. Und von welchem Punkt an wer­den solche Entsprechun­gen über­flüs­sig oder redun­dant? Diese Fra­gen lassen sich beant­worten, indem man sich die eigene ästhetis­che Erfahrung verge­gen­wär­tigt, aber auch, indem man bedenkt, wie welche Aktio­nen von Zuschauer*innen reflek­tiert wer­den kön­nten oder – im Nach­hinein – welche Aktio­nen von ihnen tat­säch­lich wahrgenom­men und reflek­tiert wur­den. Während des Entste­hung­sprozess­es meines Stücks hat­te ich ursprünglich einen aufgenomme­nen bzw. pro­gram­mierten Klang für das ganze Stück vorge­se­hen, der als Hin­ter­grund die Atmo­sphäre beschreiben und das Konzept unter­stützen sollte. Im weit­eren Ver­lauf der Real­isierung und Konzepten­twick­lung ergab sich jedoch der Bedarf nach ein­er per­for­ma­tiv­en Kom­po­nente, die die Energie und Anstren­gung auf der Bühne stärk­er her­vorhebt. Gle­ichzeit­ig emp­fand ich das ursprüngliche Sound­de­sign als über­flüs­sig, da es das Konzept lediglich ver­dop­pelt hätte und dadurch für zuschauende Hörer*innen weniger attrak­tiv gewe­sen wäre. Nach einigem Über­legen und aller­lei Änderun­gen habe ich mich entsch­ieden, den Haup­tan­teil der aufgenomme­nen Klänge zu eli­m­inieren und stattdessen die Bühne als Raum sowie die Aktio­nen der Per­formerin mit Mikro­fo­nen und zusät­zlichen live- Effek­ten akustisch ins Zen­trum zu rück­en.

Zu Punkt 2: Während der Real­isierung stellte sich als wichtig­ste Frage her­aus, inwieweit man dem Pub­likum das Konzept ver­mit­teln oder es offen und unbes­timmt lassen soll. Was soll davon ver­ständlich und ein­deutig sein? Wo soll man hinge­gen den Zuschauer*innen die Frei­heit lassen, ein eigenes Ver­ständ­nis einzubrin­gen? Diese ÜbeIst es denn das Ziel, ein Gle­ichgewichtr­legun­gen führten zu ein­er inten­siv­en Auseinan­der­set­zung mit der Bal­ance zwis­chen Klarheit und absichtsvoll in die Perzep­tion aus­ge­lagert­er Inter­pre­ta­tion. Ein­er­seits kann ein stark geführtes Konzept die Vorstel­lungskraft des Pub­likums ein­schränken, ander­er­seits beste­ht bei großer Offen­heit die Gefahr, dass das Vorhaben der Per­for­mance oder die Idee, an der sie sich entzün­dete, ver­loren geht. Ein forschen­der Ansatz wäre, sys­tem­a­tisch zu erfassen und wom­öglich aufzulis­ten, welche Möglichkeit­en es gibt und wohin sie führen wür­den. Beispiel­sweise kön­nte man unter­suchen, welche Aspek­te des Werks als Leit­faden dienen kön­nten und welche bewusst abstrakt gehal­ten wer­den soll­ten, um Raum für indi­vidu­elle Deu­tun­gen zu schaf­fen. Zusät­zlich stellt sich die Frage, wie visuelle, akustis­che oder nar­ra­tive Ele­mente gestal­tet wer­den kön­nen, um (für kün­ftige Per­former, aber auch für das Pub­likum) eine Bal­ance zwis­chen Vor­gabe und Frei­heit zu schaf­fen, sodass sich die Wirkung der Per­for­mance auf den jew­eili­gen Moment und den Ort abstim­men lässt. Ohne Vor­gabe würde die Per­for­mance beliebig, doch möchte ich sie indes nicht weit­er als nötig aus­for­mulieren. Nicht nur die konkrete Gestal­tung, son­dern sog­ar das Ver­hält­nis von Sehen, Hören und Sto­ry soll ein stück­weit dem Moment über­lassen bleiben.

Zu Punkt 3: Nachträgliche Reflex­io­nen bein­hal­ten so etwas wie eine musikalis­che Analyse der Per­for­mance. Hier liegt ein tra­di­tioneller musik­the­o­retis­ch­er Zugang nahe: Reflex­ion über bere­its Vorhan­denes. Anhand konkreter Stellen aus mein­er Per­for­mance Lim­its of Per­cep­tion möchte ich erläutern, wie sich diese aus der Rückschau darstellt und wo ich alter­na­tive Lösun­gen und Ansätze aus­pro­bieren möchte. Beispiel­sweise habe ich mir die Frage gestellt, ob man die Schritte im ersten Teil mehr stil­isieren und pla­nen sollte oder ob sie noch freier und unbes­timmter als in der ursprünglichen Per­for­mance sein kön­nten. Eine detail­liert­ere Pla­nung würde ein­er­seits die Auf­führung „sicher­er“ machen, kön­nte ander­er­seits jedoch die spon­tane Energie vor Ort reduzieren und in eine Art insze­niertes Schaus­piel überge­hen, wie es etwa von Mari­na Abramović konzip­iert wurde.3 Zudem habe ich darüber nachgedacht, ob der Höhep­unkt des Stücks durch den Ein­satz von Schreik­län­gen inten­siv­er gestal­tet wer­den kön­nte. Kann aber ein Schrei in diesem Moment ehrlich und natür­lich aus dem Kör­p­er kom­men? Wenn nicht, würde man ihn als über­flüs­sig, fremd und nicht per­for­ma­tiv im Sinne der Per­for­mance Art wahrnehmen, die ja das Vorge­führte zur Real­ität des Augen­blicks wer­den lässt.

Das führt zu Punkt 4, Über­legun­gen dazu, wie auf­grund der gemacht­en Erfahrun­gen eine neue Arbeit zu konzip­ieren wäre. Solche Über­legun­gen wür­den bei einem natur­wis­senschaftlichen Exper­i­ment zu einem anderen Unter­suchungsansatz führen. Ich möchte zur Ver­an­schaulichung kurz beschreiben, welche Reak­tio­nen auf die Per­for­mance aus dem Pub­likum kamen. Die Reak­tio­nen und Kri­tiken waren über­wiegend pos­i­tiv. So wurde z.B. geäußert, dass die Grun­didee im Prinzip ver­ständlich war und zugle­ich einen Imag­i­na­tion­sraum beließ und dass die Per­for­mance jene Emo­tio­nen geweckt hat­te, die ich mir vorstellte bzw. beab­sichtigte. Ander­er­seits habe ich Inputs bekom­men: dass näm­lich manche Bewe­gun­gen und Klänge noch inten­siv­er hät­ten sein kön­nen und dass man die zuge­spiel­ten Klänge kom­plett weglassen kön­nte. Diese Reak­tio­nen haben teil­weise meine Vorstel­lun­gen bestätigt und mich zu neuen Meth­o­d­en der Konzepten­twick­lung geführt. Die neuen Konzepte reagieren darauf, dass beim Pub­likum noch andere, manch­mal schw­er vorausse­hbare Fak­toren eine Rolle für die Perzep­tion spie­len, etwa eine region­al bes­timmte Fan­tasie und lokal abhängige inter­pre­ta­tive Elab­o­ra­tion. Hier kann erforscht wer­den, welchen unter­schiedlichen Aus­prä­gun­gen oder Aus­führun­gen solche Per­for­mances Raum bieten: Auf welche regionalen oder lokalen Momente kann oder möchte ich mich mit meinen Per­for­mances ein­lassen? An welch­er Stelle ver­wan­delt sich die Per­for­mance in ein neues Pro­jekt? Was macht ihre Iden­tität bzw. ihr So-und-nicht-anders-Sein aus?

Es ist unwahrschein­lich, dass man die regionalen und lokalen Aspek­te bzw. die aus ihnen her­vorge­hen­den Reak­tio­nen wirk­lich im Voraus pla­nen kann. Und ein kul­turell homo­genes Pub­likum wird kaum jemals zu find­en sein; man kann die Zusam­menset­zung des Audi­to­ri­ums nur in sel­te­nen Fällen beim Kom­ponieren ein­pla­nen (etwa bei Auf­tragskom­po­si­tio­nen für bes­timmte Anlässe mit gelade­nen Gästen). Daraus ergibt sich die Frage, ob es nüt­zlich wäre, wenn ich anhand bish­eriger Erfahrun­gen bei der Auf­führung der Per­for­mance mehrere Möglichkeit­en bere­i­thal­ten und sie zunächst ein­mal für mich auflis­ten würde. Doch kann man so etwas wie eine Menge ver­schieden­er Reak­tio­nen auf eine Per­for­mance anhand solch­er Kom­po­nen­ten wie Reli­gion, Kul­tur etc. auch zu den Frei­heit­en zählen, die der Kom­pon­ist oder die Kom­pon­istin aus­drück­lich lässt. Dass etwas anders ver­standen wird als geplant, kann auf jeden Fall ein gutes Ergeb­nis sein. Prob­lema­tisch wäre, wenn man sich auf­grund kul­tureller oder religiös­er Fak­toren auf gar keine Inter­pre­ta­tion ein­er Per­for­mance ein­stellen kann, die auf eine bes­timmte Auf­führungslokalität zugeschnit­ten wäre oder ein bes­timmtes Pub­likum antizip­ierte. Eine solche Erfahrung hat­te ich mit der Per­for­mance 0 x infin­i­ty, die eben­falls zu der Limes-Serie mein­er Per­for­mances gehört. Das Pub­likum stammte teil­weise aus der Türkei und teil­weise aus Öster­re­ich bzw. Zen­traleu­ropa und diese Per­for­mance fand im Rah­men eines Abschlusskonz­erts eines Feldforschungsprojekts4 statt. Die Mehrheit des türkischen

Pub­likums set­zte die Aus­sage dieser Per­for­mance mit religiösen Ein­stel­lun­gen in Beziehung, während die Mehrheit des öster­re­ichis­chen bzw. zen­traleu­ropäis­chen Pub­likums die Per­for­mance eher als eine fem­i­nis­tis­che Geschichte ver­stand. Was mich wun­derte, war, dass bei­de Inter­pre­ta­tio­nen gle­ichzeit­ig gut zu mein­er ursprünglichen Idee passten. Den­noch hätte ich mich mit der konkreten Auf­führung gern genauer auf das Pub­likum eingestellt, um die Per­for­mance inten­siv­er wirken zu lassen.

Eine Frage, mit der ich diesen Beitrag schließen möchte, ist, ob man solche Über­legun­gen zur eige­nen und frem­den ästhetis­chen Erfahrung und zur lokal sowie kul­turell definierten Perzep­tion dem Feld der (Musik-)Theorie oder dem der Kom­po­si­tion zuord­nen soll. Gehören Über­legun­gen zu Wech­sel­wirkun­gen zwis­chen sicht­barem Geschehen auf der Bühne und dem zu Hören­den eher zur Arbeit der Kom­pon­istin als der The­o­retik­erin? Jeden­falls wird mit ihnen ein kom­pos­i­torisch­er bzw. schöpferisch­er Prozess unter­sucht, abstrahiert und sowohl method­ol­o­gisch als auch (mit Blick auf ein Pub­likum) didak­tisch betra­chtet sowie aktiv gelenkt. Daher sind solche Über­legun­gen vielle­icht keine rein ana­lytis­chen Tätigkeit­en. Falls sich Musik­the­o­rie nicht nur als Analyse von Fer­tigem ver­ste­ht, kön­nte sie im Sinne ein­er kün­st­lerisch pro­fil­ierten Forschung­sprax­is mehr als nur bere­its beste­hen­des Musik­ma­te­r­i­al in den Blick nehmen. Mir scheint, dass fast alle zeit­genös­sis­chen Kün­ste zuse­hends mehr zur Abstrak­tion bzw. zu konzeptuellen For­men neigen, wobei die For­men let­z­tendlich fast nur als ein Medi­um der Real­isierung dienen. Eine Per­for­mance, in die Musik als Medi­um involviert ist, wirkt wom­öglich inten­siv­er, wenn sie ‚selb­st­gemachte‘ und imag­inierte ästhetis­che Erfahrung sowie neben the­o­retis­ch­er Reflex­ion auch musik­the­o­retis­che Kon­struk­tion in ihre Erfind­ungsmo­di aufn­immt.


Lit­er­atur

Abramović, Mari­na: Im Gespräch mit Mari­na Abramović. Inter­view geführt von Ste­fanie Ham­mer und Nor­bert Classen, moment by moment, 6. Juni 2022, https://www.moment-by-moment.de/im-gespraech-mit-marina-abramovic/ (Stand: 12.12.2024)

Hristi­na Šušak: „Limes: Lim­its of Per­cep­tion“ (2016). Instal­la­tion, sound design and per­for­mance. Werkbeschrei­bung auf der Šušaks Home­page:
https://hristinasusak.com/portfolio/limes-limits-of-perception-2016/ (Stand: 12.12.2024)

Hristi­na Šušak: Lim­its of Per­cep­tion auf YouTube:

https://www.youtube.com/watch?v=KB5bj8ImMUk (Stand: 12.12.2024)


[1] Zu den hier nicht weit­er zu erörtern­den math­e­ma­tis­chen Grund­la­gen siehe die Stückbeschrei­bung von Lim­its of Per­cep­tion auf mein­er Home­page: https://hristinasusak.com/portfolio/limes-limits-of-perception-2016/

[2]  Eine Aufze­ich­nung dieser Per­for­mance ist auf YouTube zu find­en: https://www.youtube.com/watch?v=KB5bj8ImMUk

[3] Abramović, 2022

[4] Es han­delte sich um das Feld­forschung­spro­jekt Con­fus­ing Inspi­ra­tion 2, ange­siedelt an der Uni­ver­sität für Musik und darstel­lende Kun­st, geleit­et von Johannes Kretz, Wei-Ya Lin und Hande Sağlam, 2016–2017.


Hristi­na Šušak, geboren 1996 in Novi Sad, studierte Kom­po­si­tion bei Iris ter Schiphorst und Musik­the­o­rie bei Gesine Schröder an der Uni­ver­sität für Musik und darstel­lende Kun­st Wien. 2019 nahm sie an ein­er Mas­ter­class von Mari­na Abramović in Bel­grad teil. Anschließend absolvierte sie ein Meis­terk­lass­es­tudi­um bei Mark Andre in Dres­den. Ihre Werke wur­den unter anderem vom Ensem­ble Inter­con­tem­po­rain, in der Phil­har­monie de Paris, bei der Bien­nale di Venezia, der Paris Fash­ion Week, vom MDR-Sin­fonieorch­ester, dem Ardit­ti Quar­tett, den Neuen Vocal­solis­ten sowie beim Stuttgarter ECLAT-Fes­ti­val und im Volk­sthe­ater Wien aufge­führt. Neben ihrer kom­pos­i­torischen Tätigkeit hielt sie musik­the­o­retis­che Vorträge, unter anderem an der Sor­bonne Uni­ver­sité, am Moskauer Kon­ser­va­to­ri­um, bei GMTH- Jahreskon­gressen und an der Uni­ver­sität der Kün­ste in Bel­grad. 2021–23 lehrte sie Ton­satz an der HMT Leipzig, seit 2023 unter­richtet sie Musik­the­o­rie an der Uni­ver­sität der Kün­ste Berlin.

  • 5. Januar 202517. Februar 2025
Julia Wilke: Musik und Bewegung in pädagogischer Einzelarbeit. Videobasierte Analysen zu musik- und bewegungsbezogenen Koordinationsprozessen. (Münster: Waxmann 2023)
Friedrich Nietzsche – Ein Philosoph als Komponist
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