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Dem Schneesturm trotzen …

Jasmin Meller

[Beitrag als pdf]

Das Wet­ter als Phänomen und Erfahrung im Ein­gang­sun­ter­richt

Wer gerne spazieren geht, wird wis­sen, dass wir – selb­st, wenn die Strecke beim zweit­en und drit­ten Gang unverän­dert bleibt – niemals densel­ben Spazier­gang erleben. Je nach­dem, ob eine san­fte Brise weht, ob Nebel aufzieht oder Sonne durch die Wolken bricht, ver­mit­telt die Land­schaft eine andere Stim­mung. Das Wet­ter also ver­lei­ht einem Ort durch Licht und Farb­wirkung, durch Wind, Nieder­schläge und Tem­per­atur eine eigene Atmo­sphäre. Es gestal­tet unsere Welt und die Art, wie wir sie erleben mit. Dieser phänom­e­nol­o­gisch inter­es­sante Aspekt der vom Wet­ter aus­gelösten Beziehung zwis­chen Men­sch und Welt wurde in ein­er Unter­richt­srei­he im Fach Kun­st in der Grund­schule (jahrgangsüber­greifende Ein­gangsklasse 1 und 2) aufge­grif­f­en. Die bild­ner­ische Arbeit eines Schülers aus diesem Unter­richt zeigt auf beein­druck­ende Weise, wie das Wet­ter als Phänomen sicht­bar wird, das nicht nur die Welt um uns herum verän­dert, son­dern auch auf den eige­nen Kör­p­er ein­wirkt. Das Bild ent­stand im drit­ten Block des Unter­richtsvorhabens, in dem es vor­rangig um das sinnliche Erleben des Wet­ters ging. Leitlin­ien der didak­tis­chen Über­legun­gen zu dieser Ein­heit wer­den im Fol­gen­den aus­ge­hend von der Betra­ch­tung des ent­stande­nen Bildes aspek­to­ri­en­tiert umris­sen.

Eine beson­dere Land­schaftscol­lage

In seine hier abge­bildete Land­schaftscol­lage (Abb. 1) inte­gri­ert der sech­sjährige Emil1 das sinnliche Erleben des Win­ter-Wet­ters auf mehreren Gestal­tungsebe­nen. Zunächst fällt die von Schnee umwe­hte Gestalt des Jun­gen im Vorder­grund des Bildes auf. Emil hat eine aus­geschnit­tene Fotografie sein­er Gestalt auf die rechte untere Bild­seite gek­lebt, was den Ein­druck erzeugt, als ob er just von links nach rechts über die schneebe­deck­te Wiese gestapft sei. Stirn­run­zel­nd ist sein Blick rechts aus dem Bild hin­aus in die Ferne gerichtet. Mit ein­er Hand schirmt er die Augen ab. Die andere Hand liegt läs­sig in der Hosen­tasche. Emils Schul­tern sind selb­st­be­wusst nach hin­ten gestreckt. Seine Klei­dung ist dem Wet­ter angepasst: Er trägt eine warme Daunen­jacke und feste Win­ter­stiefel. Mit kobalt­blauer Pastel­lkrei­de hat der Schüler die Bild­fläche ein­gerieben, die den Him­mel darstellt, dessen Far­bkraft am Hor­i­zont und den Berghän­gen verblasst. Der Hor­i­zont selb­st wird nicht als Lin­ie am oberen Bil­drand wiedergegeben, wie es für Kinder in diesem Alter typ­isch wäre, son­dern durch die zu den Berghän­gen hin verblassende Farbe.

Abb. 1: Land­schaft im Schneesturm von Emil
Abb. 2: Detail aus Land­schaft im Schneesturm

Der Schnee, dargestellt mit weißer Acryl­farbe, scheint die Gestalt von Emil zu umwe­hen (Abb.
2). So ver­schwinden seine Win­ter­schuhe beina­he hin­ter dem opak­en Weiß und selb­st sein Gesicht bleibt vom Unwet­ter nicht ver­schont. Diesen Ein­druck hat der Schüler auf zweier­lei Weise erzeugt: Zum einen mit der Spritztech­nik unter Zuhil­fe­nahme von Sprüh­flasche und Zahn­bürste und zum anderen, in dem er Farbe tupfend mit einem Schwämm­chen aufge­tra­gen hat. Dabei ist Emil nicht beliebig vorge­gan­gen, denn er set­zt die Strate­gie der Über­lap­pung gezielt ein: Er wagt es, die eigene fotografis­che Abbil­dung zu bek­leck­sen und zu über­malen, schafft es aber zugle­ich, dass sie noch gut genug sicht­bar ist, um die anson­sten men­schen­leere Land­schaftsszene des Bildes zu beleben. Dieses Vorge­hen ist keineswegs selbstverständlich.So erfordern das Über­malen und Bek­leck­sen der eige­nen Gestalt im fotografis­chen Abbild Mut, ins­beson­dere, wenn die entwick­lungsspez­i­fis­chen Beson­der­heit­en bedacht wer­den, die für Jun­gen diesen Alters typ­isch sind. So neigen Grund­schulkinder in der Schulein­gangsphase noch zu For­men des magis­chen Denkens und Gegen­stände, sowie auch Fotografien erscheinen ihnen im Sinne des Ani­mis­mus‘ beseelt und lebendig. „Im Arbeits- prozess schaut das Kind nicht von außen auf sein Bild, son­dern es ist in seinem Bild“
(Regelski/ Suwarz 2015, 14). Im hier betra­chteten Beispiel ist dieser Umstand sog­ar wörtlich zu nehmen. So ver­wun­dert die Aus­sage von Emils Mitschüler Jaron nicht, der seine fotografis­che Abbil­dung großzügig umran­dete und dieses Vorge­hen mit den Worten „ich kann ja nicht die Farbe auf mich machen, son­st werde ich doch nass“ begrün­det.

Abb. 3: Land­schaft bei Gewit­ter von Lewin

Dass Emil sich wie die meis­ten sein­er Mitschüler*innen selb­st als bild­haftes alter ego im über­tra- genen Sinn den­noch dem Wet­ter aus­set­zen, indem sie Fotografien ihrer selb­st in die Land­schaft und das jew­eils herrschende Wet­ter ein­bet­ten (Abb. 3 u. 4), geht auf die Tat­sache zurück, dass in den Unter­richtsstun­den zuvor auf die eigenkör­per­liche und leib­sinnliche Einge­bun­den­heit hingear­beit­et wurde.

 

So wurde nicht ein­fach ein Gestal­tungsauf­trag mit Zie­len und Kri­te­rien kom­mu­niziert, son­dern vielmehr eine Begeg­nung mit Wet­ter­phänome­nen ange­bah­nt, die nicht das Bild als voraus­gedacht­es Ergeb­nis in den Mit­telpunkt stellte. Vielmehr ging es nach der imag­i­na­tiv­en

Abb. 4: Land­schaft bei Son­nen­schein von Ali­na

Vorstel­lung und dem kör­per­lichen Sich-Hinein­ver­set­zen in die Wit­terungssi­t­u­a­tion zunächst um den Gestal­tung­sprozess an sich, um die Tätigkeit des aktiv­en Her­vor­brin­gens von bild­haften Wet­ter­ereignis­sen selb­st. Indem jedes Kind ein Wet­ter auswählt, das über die Land­schaft zieht und dort bes­timmte Far­ben und Spuren hin­ter­lässt, erhält es Gele­gen­heit, Selb­st­wirk­samkeit und Ermäch­ti­gung zu erfahren.

Alltägliche sinnliche Erfahrun­gen  mit Wit­terungsereignis­sen wer­den in diesem Prozess mit Darstel­lungsstrate­gien ver­bun­den. Ziel dabei ist die Ver­flech­tung von Kun­st und Sinnlichkeit (vgl. Bern­hard, P. 2008, 19). Ob dies tat­säch­lich erre­icht wurde, ist kaum mess­bar oder sicht­bar. Indizien dafür lassen sich jedoch anhand ein­er Kom­bi­na­tion aus genauer Bild­be­tra­ch­tung und Prozess­beobach­tung auf der Grund­lage ästhetis­chen Erlebens aus­machen, die Emils Per­spek­tive ein­bezieht. Hier einige Beobach­tun­gen zum gestalte- rischen Prozess:

Vor dem Jun­gen liegt die Kopie ein­er kon­trastre­iche Schwarz-Weiß-Fotografie des schot­tis­chen Hochlands. Wet­ter­phänomene, wie Sonne, Wolken, Regen oder Schnee sind nicht zu erah­nen. Über dem Hor­i­zont ist lediglich eine helle Fläche zu erken­nen. Doch nicht mehr lange. Schon greift Emil zu königs­blauer Pastel­lkrei­de, reibt die Krei­den aneinan­der und lässt das Pulver auf die weiße Fläche rieseln, reibt es in den Bild­grund ein, ver­wis­cht dabei die Farbe zum Hori­zont hin und umfährt vor­sichtig die Rän­der der Hügelkette mit seinem Zeigefin­ger. Die Farbe riecht erdig. Der blaue Him­mel wächst und wächst, wird dun­kler. Anschließend lässt Emil sein fotografis­ches Abbild über die dargestellte Hochebene wan­dern, ver­weilt mit der Hand mal hier, mal dort. „Oh eine schöne Aus­sicht!“ ruft er kich­ernd und klebt die Fotografie des eige­nen Abbildes schließlich vor­sichtig in die Land­schaft, wobei er Para­me­ter der Bild­per­spek­tive berück­sichtigt. Seine Gestalt schwebt nicht etwa in den Wolken oder ste­ht weit hin­ten auf der Bergspitze, son­dern an dem Ort, an dem sie per­spek­tivisch glaub­haft in die Bild­welt einge­bet­tet wirkt. Es sieht nun tat­säch­lich so aus, als würde Emil auf der Hochebene spazieren gehen. Nun das Wag­nis: Emil lässt einen Schneesturm über die Land­schaft here­in­brechen. Wolken ziehen mith­il­fe von Schwamm und weißer Acryl­farbe über der Bergkette auf und schon bald wird das Kind auf dem Bild von Schneeflock­en umwirbelt, die mith­il­fe ein­er Sprüh­flasche und der Zahn­bürste auf das Papi­er gespritzt wer­den. Aus­ge­lassen und lustvoll wird die Land­schaft besprüht und bek­leckst: Der Gestal­tung­sprozess gle­icht in seiner Dynamik und Lebendigkeit den wild tanzen­den Schneeflock­en eines Schneesturms. Die Schneeflock­en sind in Form von Far­bkleck­sen nicht nur auf dem Bild gelandet, son­dern auch auf Hän­den und Gesicht des entschlossen agieren­den Kindes, dessen Wan­gen im Eifer glühen.

Plä­doy­er für einen sub­jek­tiv bedeut­samen Kun­stun­ter­richt

Anhand ein­er solchen Prozess­beobach­tung und des bild­ner­ischen Ergeb­niss­es wer­den Aspek­te eines Kun­stun­ter­richts deut­lich, in dem gestal­ter­ische Tätigkeit an Erfahrun­gen und Empfind­un­gen der Kinder anknüpft. So etwa die Anwen­dung ver­schieden­er Mate­ri­alien und Ver­fahren, die zuvor frei erprobt wur­den und anschließend in ein­er plan­vollen Gestal­tung zur Anwen­dung kom­men. Dabei durfte das Kind selb­st das zu gestal­tende Wet­ter­phänomen auswählen (zur Wahl standen Regen, Sonne, Schnee und Gewit­ter), sich dafür entsprechend klei­den und für ein Foto in Szene set­zen. Ziel war es, durch die Erin­nerung an eigene Erfahrun­gen mit der gewählten Wit­terung einen Moment eige­nen Erlebens im Foto auszu­drück­en. Indem die Kinder sich auf diese Weise „ins Bild set­zen“, wird eine Brücke zwis­chen der auszugestal­tenden Land­schaft und ihrem sub­jek­tiv­en Erleben geschla­gen. „In der ästhetis­chen Erfahrung gehen Ich-Erfahrung und Welt-Erfahrung eine Ein­heit ein. Hans Robert Jauß charak­ter­isiert diese spez­i­fis­che Art der Erfahrung als ‚Erfahrung sein­er selb­st in der Erfahrung des anderen‘“ (Brand­stät­ter 2013, 3) Diese Form des Aus­drucks fordert Schüler*innen her­aus, ihre Vorstel­lungskraft zu nutzen und per­sön­lich­es Erleben und indi­vidu­elles Empfind­en in die Land­schafts­bilder einzubrin­gen. Sie ler­nen, dass es beim Gestal­ten von Bildern immer auch um sie selb­st geht, um ihre Art die Welt zu erleben (vgl. MSB NRW 2021, 55).

Die Verbindung von Fotografie und Malerei zeigt den Kindern darüber hin­aus, wie sich ver­schiedene kün­st­lerische Darstel­lungsver­fahren miteinan­der kom­binieren lassen, um eigene Vorstel­lun­gen und Erfahrun­gen bild­ner­isch auszu­drück­en. Kun­stun­ter­richt in diesem Sinn ist also weit mehr als die Ver­mit­tlung von gestal­ter­ischen Tech­niken, die Repro­duk­tion vorgegeben­er Inhalte und das Erfüllen mehr oder weniger for­maler Gestal­tungsaufträge. Er ist ein Raum der Begeg­nung – mit sich selb­st, mit den Anderen und mit der Welt. Im Mit­telpunkt ste­ht dabei das Kind als empfind­en­des, ler­nen­des, forschen­des und schöpferisches Sub­jekt, dessen ästhetis­che Erfahrun­gen nicht nur zu einem tiefen Ver­ständ­nis von Kun­st führen, son­dern auch eine Grund­lage für ein umfassendes Selb­st- und Weltver­hält­nis schaf­fen (vgl. Schäfer 2019, 23f).

In diesem Sinne soll­ten die ent­stande­nen Bilder auch zum Mit­telpunkt eines Aus­tausches wer­den, denn ein wichtiger Aspekt zeit­gemäßen Kun­stun­ter­richts ist die Reflex­ion eige­nen Tuns (vgl. MSB NRW 2021, 57). Kinder ler­nen nicht nur, Bilder zu gestal­ten, son­dern sich dabei eigen­er Sichtweisen und Empfind­un­gen bewusster zu wer­den. Welche Gefüh­le löst ein Bild in mir aus? Warum habe ich mich für diese Form oder Farbe entsch­ieden? Was wollte ich aus­drück­en, und ist es mir gelun­gen? Durch solche Fra­gen wird das Bild zu einem Spiegel eige­nen Erlebens und ästhetis­che Bil­dung zu einem Prozess der Selb­stfind­ung und Weltver­ar­beitung. Ins­beson­dere im Ein­gang­sun­ter­richt gilt es diesem Zusam­men­hang spielerisch nachzus­püren. Die Rolle der Lehrkraft ist es hier­bei, Erfahrungsräume zu insze­nieren, in denen Bild­be­tra­ch­tun­gen didak­tisch sin­ngebend an das Vor­wis­sen und den Entwick­lungs­stand ihrer Schüler*innen angepasst sind. „Für die Pri­mar- und Sekun­darstufe dienen beson­dere Fach­meth­o­d­en zur Ver­mit­tlung von Bil­dun­ter­suchun­gen, die par­tiell erhe­blich reduziert, hand­lung­sori­en­tiert und von der Ziel­gruppe der Kinder […] bes­timmt sind“
(Schoppe 2011, 94f).

Für die ent­standene Wet­ter­col­lage bietet es sich zur Bil­dreflex­ion beispiel­sweise an, den Spazier­gang durch die Land­schaft aufzu­greifen und ihn als durch das Bild wan­dern­den Blick per­for­ma­tiv zu insze­nieren. Unter­stützt wer­den kann diese Herange­hensweise durch eine kleine Fig­ur aus Kar­ton, die an einem Holzstab befes­tigt wird. Angeregt durch die Frage „Was erleb­st du auf dem Spazier­gang durch deine Land­schaft?“ kön­nen die Kinder mit der Stabpuppe in der Hand ihr Bild nicht nur beschreiben, son­dern die dargestellte Sit­u­a­tion nacher­leben. Auch den Zuschauen­den bietet die kleine Fig­ur einen Iden­ti­fika­tion­san­lass, sodass sie imag­i­na­tiv in das Bild ihres Mitschülers oder ihrer Mitschü­lerin hinein­schlüpfen und dadurch beim aktiv­en Zuhören und Zuschauen unter­stützt wer­den. Medi­al kann hier das Smart­board zum Ein­satz kom­men, mit dem viele Klassen­z­im­mer inzwis­chen aus­ges­tat­tet sind. Mith­il­fe eines Sta­tivs wird zu diesem Zweck ein mit dem Smart­board ver­bun­denes Tablet über dem Bild befes­tigt, sodass die Bewe­gung der Stabpuppe im Bild ver­größert pro­jiziert und somit für alle sicht­bar wird. Alter­na­tiv kön­nen aus­gewählte Arbeit­en der Schüler*innen auf Folie kopiert und mit­tels Over­head-Pro­jek­tor gezeigt wer­den. Mit der Stab­fig­ur entste­ht dann ein anre­gen­des Schat­ten­spiel, das den Abschluss der beschriebe­nen Sequenz markiert.2

Über die Unter­richt­srei­he Regen­schauer, Wolken­meer und Son­nen­schein

Die hier umris­sene Unter­richtsstunde war Teil ein­er inte­gra­tiv­en Unter­richt­srei­he, in der die Kinder aus Emils Klasse sich dem Wet­ter, einem eher alltäglichen Phänomen, von ein­er anderen Per­spek­tive aus näh­ern kon­nten. Die Rei­he enthielt ästhetis­che Begeg­nun­gen, gestal­ter­ische Exper­i­mente und Aktiv­itäten, die sub­jek­to­ri­en­tiert und inte­gra­tiv, im Sinne ein­er Verknüp­fung unter­schiedlich­er the­ma­tis­ch­er und gestal­ter­isch­er Zugangsweisen, aus­gerichtet waren. Diese boten den Kindern Gele­gen­heit, ihren Blick für all­ge­gen­wär­tige Wet­ter- phänomene zu schär­fen und zugle­ich sub­jek­tiv bedeut­same Zugriffe auf das The­ma zu erproben. Indem sie sich zunächst exper­i­men­tierend und spielerisch mit den Phänome­nen Sonne, Regen, Wind, Wolken und Schnee auseinan­der­set­zten, lern­ten sie Gestal­tungsweisen wit­terungs­be­zo­gen­er Bild­in­halte, wie Licht, Farbe und Duk­tus, intu­itiv ken­nen und erlebten das alltägliche Wet­tergeschehen zugle­ich mehrsinnlich (klan­glich, visuell, sprühend, stre­ichend, reibend, nach­spurend). Die fol­gende Tabelle verdeut­licht die Ein­bet­tung der geschilderten gestal­ter­ischen Aktiv­ität in den Gesamtkon­text.

Sequenz 1 Ein­führung in das The­ma Wet­ter (90 min): Audio­vi­suelle Inputs zu unter­schiedlichen Wet­ter­phänome­nen, Aus­tausch und anschließende freie Erprobung darstel­lerisch­er Mit­tel an vier „Wet­ter-Sta­tio­nen“.
  • Organ­isatorische Aspek­te, wie die Stun­den­trans­parenz oder auch das gemein­same Aufräu­men wer­den hier auf­grund der inhaltlichen Fokussierung nicht eigens aus­ge­führt.
Sequenz 2 Das Wet­ter in der Kun­st (90 min): Erkun­dung eines Wet­ter­mu­se­ums mit einem Muse­ums­führer, angeleit­et durch die Frage „In welch­es Wet­ter­bild würdest du sprin­gen?“.
Sequenz 3 Wet­ter­land­schaften (45 min): Wir set­zen unser fotografis­ches Abbild in eine Land­schaft und lassen mit unter­schiedlichen gestal­ter­ischen Ver­fahren ein
(Un-)Wetter aufziehen.
Sequenz 4 Schutz vor Unwet­ter (90 min): Wir machen einen Spazier­gang und sam­meln Bau­ma­te­r­i­al für eine eigene Miniatur-Bude, die uns vor einem Unwet­ter schützt.
Sequenz 5 Wet­terk­länge (45 min): Wir exper­i­men­tieren mit Klän­gen und nutzen ver­schiedene Mate­ri­alien (z.B. Reis, Wass­er, Sand), um Klänge für ver­schiedene Wet­ter­phänomene zu erzeu­gen und unsere Wet­tergeschichte zu akustisch unter­malen.
Sequenz 6 Wet­ter­reise (90 min): Kol­lab­o­ra­tives Gestal­ten ein­er Wet­ter­col­lage aus­ge­hend von der Reise im Bilder­buch Der rote Regen­schirm.
Sequenz 7 Ausstel­lung der Kunst­werke (45 min + 45 min): Pla­nung und Durch­führung der Ausstel­lung von Arbeit­en der SuS in Form eines audio-visuellen Wet­terspazier­gangs.

Darüber hin­aus wurde eine sub­jek­tive Ergrif­f­en­heit der Schü­lerin­nen und Schüler angestrebt, indem sie aufge­fordert wur­den, erst beobach­t­end, dann per­for­ma­tiv und später gestal­tend in Bilder von Wet­ter­land­schaften hineinzuspringen.3 Dieses Erleb­nis schlägt sich eben­falls in Emils Bild nieder, der für seine Fotografie eine Kör­per­hal­tung ein­nimmt, die sein­er Wan­derung durch den Schneesturm entspricht. Die Gestal­tung der Wet­ter­land­schaft wurde also mit ein­er kör­per­lichen Erfahrung verknüpft. Im Zuge der Sequen­zen kon­nten indi­vidu­ell bedeut­same Fra­gen aufge­grif­f­en wer­den: „Welch­es Wet­ter ist mir das Lieb­ste?“ oder „Welche beson­deren Erleb­nisse verbinde ich mit den unter­schiedlichen Wet­ter­phänome­nen und wie ging es mir dabei?“

                                               

  • Einen span­nen­den Eins­Deg hierzu bietet die Krei­deszene aus dem Film Mary Pop­pins (1964) an, die über den fol­gen­den Link ein­se­hbar ist: https://www.youtube.com/watch?v=zy7XEMeBROQ [Stand: 09.2024]

Wie beson­dere Schön­heit­en der Natur auch durch das Wet­ter anschaulich wer­den, lern­ten die Kinder schließlich durch die Betra­ch­tung von Kunst­werken und die Auseinan­der­set­zung mit ihnen zu erken­nen und wertzuschätzen. Die Instal­la- tio­nen des Kün­stlers Ola­fur Elias­son beispiel­sweise lenk­ten ihre Aufmerk­samkeit auf reizvolle Erschei­n­ungs­for­men des Wet­ters,

die maßge­blich durch Licht­spiele und Luft­strö­mungen erzeugt wer­den und das sinnliche Erleben von Wet­ter­phänome­nen beto­nen (Abb. 5).

Abb. 5: Beau­ty – Schön­heit von Ola­fur Elias­son, 2020

Ein­schübe von spon­tan-exper­i­mentellen Arbeit­saufträ­gen, wie: „Ver­folge mit einem Bleis­tift auf einem Trans­par­ent­pa­pi­er die über das Fen­ster wan­dern­den Regen­tropfen“, oder auch Erkun­dungs­gänge im natur­na­hen Umfeld der Schule, durch­brachen die gewohn­ten Gren­zen des Klassen­raumes und ermöglicht­en es den Kindern, kör­per­na­he Erfahrun­gen zu sam­meln und sich über diese auszu­tauschen. So erlebten sie die Unter­richt­sein­heit zum all­ge­gen­wär­ti­gen Phänomen des Wet­ters als eine spielerische und zugle­ich sinnhafte Auseinan­der­set­zung mit der Natur. Beson­ders bedeut­sam wurde das gemein­same Erleben, indem die Kinder kör­per­liche Reak­tio­nen und leib­sinnliche Empfind­un­gen anschließend in den Gestal­tung­sprozess hinein­holten. Sie posierten für die Wet­ter­col­lage, indem sie ihre Klei­dung und Kör­per­hal­tung an das aus­gewählte Wet­ter anpassten: Im imag­inierten Son­nen­schein schlossen sie entspan­nt die Augen, während sie im Schneesturm dick eingepackt ihre Hand schützend vor das Gesicht hiel­ten. Diese per­for­ma­tiv­en Ele­mente zeigen, dass es im Kun­stun­ter­richt nicht nur um handw­erk­lich-tech­nis­che Aspek­te von Bildgestal­tung geht, son­dern dass Bewe­gung, Kör­per­wahrnehmung und Insze­nierun­gen über ein ganzheitlich­es Erleben die indi­vidu­elle Involviertheit der Kinder in den Gestal­tung­sprozess ermöglicht (vgl. Kirch­n­er 2013, 14).

Faz­it

Die beschriebene Unter­richt­srei­he zeigt, auf welche Weise das Wech­sel­spiel von Wahrnehmung, Reflex­ion und Gestal­tung im Zen­trum des Kun­stun­ter­richts ste­hen kann. Die Kinder sind hier nicht bloß Ler­nende, son­dern Erlebende – sie reflek­tieren ihre Erfahrun­gen im Aus­tausch miteinan­der, ver­gle­ichen ihre Arbeit­en, staunen über die Vielfalt der Aus­drucks­for­men und ver­ste­hen allmäh­lich, dass es in der Kun­st nicht um ein „richtiges“ Ergeb­nis geht, son­dern um die per­sön­liche Auseinan­der­set­zung mit Phänome­nen der Welt im Modus des Darstel­lens und Gestal­tens.

Lehrerin­nen und Lehrer nehmen im Kun­stun­ter­richt fol­glich weniger eine belehrende, als eine beglei­t­ende Rolle ein. Sie geben Kindern Impulse und unter­stützen sie bei indi­vidu­ellen Vorhaben. Die Lehrkraft tritt also nicht als all­wis­sende Instanz auf, son­dern als Mitler­nende, die den Kindern Impulse gibt und sie gle­ichzeit­ig in ihren indi­vidu­ellen Vorhaben unter­stützt. Der Fokus liegt dabei immer auf dem Kind und dessen spez­i­fis­ch­er Wahrnehmung. Die Schüler*innen brin­gen ihre eige­nen Geschicht­en, Erfahrun­gen und Träume mit in den Unter­richt – diese zu respek­tieren und als Aus­gangspunkt der Arbeit zu nutzen, ist für einen lebendi­gen und sinnhaften Unter­richt essen­ziell.

Die ästhetis­che Bil­dung von Kindern begin­nt mit dem Blick, der weit offen ist für alles, was die Welt zu bieten hat. Dabei wird der Sinn für Schön­heit, Aus­druck und Sym­bo­l­ik nicht bloß aus­ge­bildet, son­dern immer neu erfun­den. Kinder sind, so kön­nte man sagen, von Natur aus
„ästhetis­che Ent­deck­er“. Sie nehmen For­men, Far­ben, Klänge und Struk­turen auf eine Art wahr, die uns Erwach­se­nen oft ver­bor­gen bleibt. Im Kun­stun­ter­richt wird diese oft noch unvor­ein­genommene kindliche Per­spek­tive aufge­grif­f­en und für neue Dimen­sio­nen des Wahrnehmens, Ver­ste­hens und Gestal­tens geöffnet (vgl. Horn 2022, 21). Kun­stun­ter­richt ist besten­falls ein Ort, an dem Kinder sich selb­st als schöpferische Wesen erfahren. Und darin liegt die vielle­icht größte Stärke der ästhetis­chen Bil­dung: Sie ermächtigt Kinder, ihre eigene Welt zu gestal­ten – in der Kun­st eben­so wie im Leben.

Aus­ge­hend von dieser Argu­men­ta­tion liegt die Anbindung an das über­ge­ord­nete The­ma Wet­ter nahe: Es ist Teil unseres All­t­ags und all­ge­gen­wär­tig. Wir fühlen den Wind oder die Wärme der Sonne auf unser­er Haut, wir hören das Pras­seln der Regen­tropfen gegen unser Fen­ster bei Nacht, spüren durch den Schnee stapfend das Knis­tern und Zusam­men­sack­en der weißen Decke unter unseren Schuhen und riechen die kalte Schneeluft oder den heißen Dampf von Pet­ri­chor. Diese und andere Sin­ne­sein­drücke knüpfen direkt an die affek­tive Betrof­fen­heit der Schü­lerin­nen und Schüler und ihr indi­vidu­elles Erleben an. Durch den Ein­satz spielerisch-exper­i­menteller Ver­fahren und die Anbindung an kindgemäße Bil­drezep­tion bietet das Wet­ter somit ein bre­it­ge­fächertes Spek­trum an Unter­richt­sim­pulsen an, die für Kinder im Grund­schu­lal­ter lebensweltlich bedeut­sam sind.

Lit­er­atur

Bern­hard, P. (2008): Ais­the­sis. In: Liebau, E.; Zir­fas, J. [Hg] (2008). Die Sinne und die Kün­ste. Per­spek­tiv­en ästhetis­ch­er Bil­dung. Ästhetik und Bil­dung, Bd. 2. Biele­feld: tran­script

Brand­stät­ter, Ursu­la (2013/2012): Ästhetis­che Erfahrung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/artikel/aesthetische-erfahrung [12.07.2022]

Horn, A. (2022): Raus aus der Ergeb­n­is­falle. Kinder­garten heute. Facetten der Kun­st. Jg. 52, H. 4. Freiburg: Ver­lag Herder

Kirch­n­er, C. (2013): Grund­la­gen des Kun­stun­ter­richts. In: Dies. (2013): Kun­st – Didak­tik für die Grund­schule. Berlin: Cor­nelsen Scrip­tor

Min­is­teri­um für Schule und Bil­dung des Lan­des Nor­drhein-West­falen (2021): Lehrpläne für die Pri­marstufe in Nor­drhein-West­falen. URL:
https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/klp_PS/ps_lp_sammelband_2021_0 8_02.pdf [21.02.2024]

Regel­s­ki, K.; Schwarz, S. (2015): Fed­er, Draht und Pin­sel. Ideen und Tech­niken für Kinderkun­st. Biele­feld: Haupt Ver­lag

Schäfer, G. E. (2019): Bedeu­tung der Ästhetik für kindliche Bil­dung­sprozesse. In: Neuß, Norbert/ Kaiser, Lena S. (Hgg.) (2019): Ästhetis­ches Ler­nen im Vor- und Grund­schu­lal­ter. Stuttgart: Kohlham­mer

Schoppe, A. (2011): Bildzugänge. Seelze: Kallmey­er/K­let­t/Friedrich-Ver­lag

Jas­min Meller studierte zunächst Ger­man­is­tik und Poli­tik­wis­senschaft an der Uni­ver­sität Biele­feld, sat­telte dann aber auf den Stu­di­en­gang Grund­schullehramt mit der Fächerkom­bi­na­tion Kun­st, Deutsch, Math­e­matik und Bil­dungswis­senschaften um. Inzwis­chen absolviert sie ihren Vor­bere­itungs­di­enst an ein­er jahrgangsüber­greifend­en Grund­schule.

  • 7. Januar 202517. Februar 2025
Friedrich Nietzsche – Ein Philosoph als Komponist
Von Winden bewegt, von Stürmen getrieben. Wolkengestalt und Windgewalt im Bild
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