Von Winden bewegt — von Stürmen getrieben.
Wolkengestalt und Windgewalt im Bild
Wind und Wolken vor der Kamera
„Von mächtigen Stürmen und einzigartigen Wolken“ – unter diesem Motto veröffentlichte das Magazin Geo 2020 bereits im fünften Jahr preisgekrönte Fotografien außergewöhnlicher Wetterereignisse.[1] Von Mammatus-Wolken bei Leipzig (B. Jordan) über vertikale Cumolonimbus-Wolken einer Gewitterfront in Texas (L. G. Bailey) bis zum Tornado in Colorado (T. J. Ostberg) haben die in diesem Wettbewerb ermittelten Weather Photographers of the Year 2020 weltweit beobachtete Wolkenbildungen mit der Kamera festgehalten. Neben Formationen einer Shelf Cloud in Kroatien (M. Kraljik), einer linsenförmigen Lenticularis in Argentinien (F. J. Negroni Rodriguez) oder eines Habub in Arizona (T. Wright) belegen die Aufnahmen eindrucksvoll, wie vielgestaltig die flüchtige und wandelbare Gestalt von in der Luft schwebender Feuchtigkeit am Himmel erscheint. Ihre Neigung, sich unter Einfluss von Druckunterschieden und der wettertreibenden Kraft des Windes zu ballen und zusammenzurotten, aufzutürmen und wieder zu zerfasern, bringt mannigfaltige Wolkenformationen hervor, deren Bezeichnungen die vom englischen Pharmakologen und Hobby-Meteorologen Luke Howard 1804 veröffentlichte Klassifizierung in Stratus, Cumulus, Cirrus und Nimbus beachtlich ausdifferenziert.[2] (Abb. 1)
Wie es das Thema des Wettbewerbs vermuten lässt, beeindrucken die prämierten Fotografien durch eine bildnerische Dynamik und Dramatik, die das Zusammenspiel von Wind, Wolken, Landschaft und Licht in bestimmten Konstellationen hervorzubringen vermag. Im Fall von Unwettersituationen, worauf die durch Attribuierung zugespitzten Begriffspaare „mächtige Stürme“ und „einzigartige Wolken“ letztlich hinauslaufen, erweist sich nicht selten der Moment der Aufnahme des Bildes selbst als dramatisch, insofern er neben dem euphorisierenden Aufspüren des geeigneten Vis-à-Vis auch das Ausgesetzt-Sein der Fotografen in Extremsituationen einschließt. “However, being in the path of a highly charged electrical storm also has its own risks, so I made sure I left the area to avoid being struck by lightning”[3], kommentiert Lori Grace Bailey, Preisträgerin aus Arizona, ihre am 6. November 2019 entstandene Aufnahme eines Gewitters über El Paso (Texas). Und Tori Jane Ostberg räumt bezüglich ihrer Fotografie eines Tornados in Colorado ein: “(…) narrowly avoiding being run over by a large tornado was a bit of a challenge!”[4]

„Mächtige Stürme“ und „einzigartige Wolken“ – die in der Ausschreibung durch ein Bindewort verknüpften Motive sind durchaus in wechselseitigem Verhältnis aufeinander bezogen. So wird, wer Stürme bildnerisch darstellen möchte, sei es fotografisch oder im Medium der Malerei, sich vor allem an ihre Auswirkungen halten müssen, wird beobachten, wie sie das Umfeld verändern, in dem sie auftreten. Wolken, „diese Verwandlungskünstler des Wassers […]“, die als „flüchtig spielendes Medium das Auge“ bezaubern (H. Böhme 2005, 16), sind für das zwar spür- und hörbare, nicht aber visuell wahrnehmbare Blasen der Winde oder Wüten der Stürme dankbare Indikatoren. Ihre „gezausten jagenden Formen, welche die Spur der Winde zeichnen“ (ebd.) machen, indem sie mit Form- und Lageveränderung, in der Folge auch mit Farb- und Helligkeitswechsel, auf die durch Druckunterschiede in Bewegung versetzten Luftmassen reagieren, Wind indirekt sichtbar – ähnlich, wie die Flamme einer Kerze, deren Gestalt der kleinste Luftzug verändert. Im Unterschied zur Flamme und zu materiell greifbaren Windindikatoren wie Sand, Meereswellen oder jeglicher Art von Vegetation handelt es sich bei einer Wolke – und damit ist sie zwangsläufig „einzigartig“ – um eine im freien Raum entstehende, zwischen gasförmigem und flüssigem Zustand changierende Entität, die bei ihrer Sichtbarwerdung sowohl fest umrissen, als auch von fluider Gestalt sein kann. Permanente Umbildungen und Standortänderungen werden durch atmosphärische Gegebenheiten, durch Druck- und Temperaturunterschiede und damit vor allem durch Winde – Passat- oder Polarwinde, Jetstreams oder die durch die Erdrotation verursachte Corioliskraft – verursacht oder beeinflusst. Diese Wirkung bleibt keinesfalls einseitig, denn meteorologisch betrachtet formt Wind Wolken, wird aber zugleich von ihnen gelenkt, insofern ihre Auf- und Abwärtsbewegungen Luft in andere Schichten der Atmosphäre transportiert.
Auf bemerkenswerte Weise wird das Zusammenspiel von Winden und Wolken durch Stürme veranschaulicht, die in Rotation geraten – eine Tatsache, die Scharen von Wetter-Fotografen in den mittleren Westen der USA lockt, wo sich vermehrt Tornados bilden („Tornado Alley“). Da Windkraft bei dieser Art des Wirbelsturms aus der Eigenbewegung heraus scheinbar körperhaft Gestalt annimmt, setzen die folgenden Überlegungen zur Visualisierung von Winden durch Wolken bei diesem Phänomen an. Bezugnehmend auf Gernot Böhmes Beiträge zum Begriff der Atmosphäre und das von Hermann Schmitz eingeführte Konstrukt der Halbdinge geht es darum, das Faszinosum eines außergewöhnlichen Windereignisses aus phänomenologischer Sicht zu ergründen sowie den gestalterischen Umgang mit dem optisch nicht Vorhandenen in ein Verhältnis zu Fragen von Körperlichkeit und leiblichem Spüren zu setzen. Ob und wie diese Aspekte in wind- und wolkenbezogenen Werken der neueren Kunst eine Rolle spielen und mit welchen Konzepten sich Künstlerinnen und Künstler dem Spiel des Unsichtbaren mit dem Flüchtigen und Wandelbaren nähern, wird abschließend exemplarisch erörtert.
Ein Wind nimmt Gestalt an: Der Tornado als außergewöhnliches Wetterereignis
Für die von Geo ausgezeichneten Wetterfotografen ist neben der technischen und bildnerischen Qualität ihrer Aufnahmen ein weiterer Gelingensfaktor entscheidend: der Umstand, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Dies gilt besonders für kurzzeitige und seltene Ereignisse, wie für jene „Luftsäule mit Bodenkontakt, die um eine mehr oder weniger senkrecht orientierte Achse rotiert und sich unter einer cumuliformen Wolke befindet“ (Wetter und Klimalexikon des Deutschen Wetterdienstes).[5] Einen solchen Tornado zeigt Tori Jane Ostbergs preisgekröntes Foto The Red Terror. (Abb. 4) Zentral ins Bild gesetzt reicht der rotierende Luftwirbel, wie vom Meteorologen und Geowissenschaftler Alfred Wegener 1917 beschrieben, von der Unterseite einer Wolke bis zum Erdboden. In seinem Buch „Wind- und Wasserhosen in Europa“ (Braunschweig 1917) führt Wegener aus,[6] dass solche großen Luftwirbel mit vertikaler Achse, „die vom Rande einer Cumulo-Nimbus-Wolke meist bis zum Erdboden herabreichen, im Inneren durch Kondensation in Form eines herabhängenden Zapfens, Trichters, Schlauches oder Säule [sic], im unteren Teile auch durch Staub, ganz oder teilweise sichtbar sind und in einer meist nach Hektometern zählenden Spurbreite durch stürmisches Hinzuströmen der Luft zu dem stark luftverdünnten Raum um die Wirbelachse gewöhnlich derartige Verwüstungen verursachen, wie sie auch bei den schwersten Stürmen größerer Ausdehnung nicht beobachtet werden.“ (Wegener 1917, 4)

Schon Leonardo da Vinci, von dem eine illustrierte Beschreibung eines Tornados im Codex Leicester überliefert ist,[7] wählt zur Veranschaulichung des Ereignisses das Bild einer Säule und beginnt erklärend: „Oftmals geschieht es, wenn ein Wind mit einem anderen im stumpfen Winkel zusammenstößt, daß die beiden sich ineinanderdrehen und verschlingen in Gestalt einer riesigen Säule, und die verdichtete Luft gewinnt Gewicht“. (zit. n. Nova 2007, 86) Die dann folgende Beschreibung des über dem Meer beobachteten Wirbelsturms schließt mit der Beobachtung: „[…] und die Luft vermengte sich selbst mit dem Wasser, das sich drehte und in Gestalt einer dichten Wolkensäule dampfend erhob […]“. (ebd.) In der kleinen Federzeichnung dieser vertikalen (Doppel-) Spiralform ergänzt da Vinci das säulenförmige Strömungsbild durch ein darüber skizziertes Kapitell. (Abb. 2)
Der Vergleich des Tornados mit einer Säule stimmt mit dem mehr oder weniger senkrecht rotierenden Sturmwirbel überein und überzeugt besonders dann, wenn sich trichterförmige Erweiterungen im oberen und/ oder unteren Bereich abzeichnen. Die vom Wind abgeknickten oder gebogenen Wirbel mit ihren Schwüngen und Ausbuchtungen entsprechen dieser Vorstellung eher nicht. Entscheidend für die folgenden Überlegungen bleibt die Tatsache, dass Tornados, anders als tropische Wirbelstürme, die großräumig über dem Meer wüten und nach den Regionen ihres Entstehens als Hurrikane, Zyklone und Taifune bezeichnet werden, eher kleinräumige Ereignisse von relativ kurzer Dauer sind, deren Terminierung und Lokalisierung schwer vorhersagbar und deren genaue Entstehungsbedingungen im Zusammenwirken von Gewitterwolken und Windscherungen noch ungeklärt sind. Grundsätzlich ist das Aufeinandertreffen feuchtwarmer und kalter Luftmassen ausschlaggebend, wobei kalte Luft an den Fronten in einem Strudel nach unten fällt, während warme nach oben steigt. Dabei senkt sich aus einer Trichterwolke mit vertikaler Rotationsdichte die mehr oder weniger dunkler Wolkenschlauch (‚hose‘) bis zur Erdoberfläche herab. (Abb. 3) Fotografen, die als professionelle Stormhunter oder Storm Chaser vor allem in den USA unterwegs sind, wollen vor allem diesen Sturm vor die Kamera bekommen. Viele von ihnen arbeiten zugleich als sogenannte Spotter den Wetterdiensten zu, indem sie, anders als Katastrophentouristen oder Hobbysturmjäger, wissenschaftliche Messungen über seine Richtung und Schnelligkeit durchführen und verwertbare Daten zur Optimierung der Warnsysteme sammeln. Filmische Dokumentationen zeigen,[8] wie solche gut organisierten Teams meteorologisch versiert und mit Spezialausrüstungen ausgestattet, die gefährlichen Windereignisse aufspüren und ihnen entgegenreisen – ungeachtet der Tatsache, dass Tornados mit ihren in rotierende Bewegung geratenen Luftmassen dafür bekannt und gefürchtet sind, in kürzester Zeit ungeheure Kräfte zu entfalten sowie Schneisen der Verwüstung und viele Todesopfer hinterlassen zu können. Dann, so lesen wir schon beim römischen Dichter Lukrez, „ergreift er [der Wind, P.K.] mit drohendem Strudel die Dinge und trägt rasenden Fluges sie fort im rollenden Wirbel“. [9] (Lukrez, übers. v. H. Diels, 1957, 37)

Doch um eine Dokumentation der oft katastrophalen Zerstörung geht es den Tornadojägern in der Regel nicht. Neben dem wissenschaftlichen Interesse an meteorologischen Messungen und Datenerhebungen scheint ihr fotografisches Augenmerk der in ihren Bewegungen so unverfänglich und nicht selten anmutig wirkenden Winderscheinung zu gelten, besonders aber jenem Moment, in dem sich der Tornado aus einem raumgreifenden stürmischen Geschehen heraus als visuell wahrnehmbares Ereignis manifestiert. Dabei bringen sich die „rollenden Wirbel“ durch mitgerissene Wolken in der von Alfred Wegener beschriebenen Ausprägung auf ungewöhnliche Weise selbst zum Erscheinen. Weitere Besonderheiten ihres Hervortretens lassen vermuten, dass hinter dem Vorhaben, das extreme Windereignis als Wolkenformation mit der Kamera festzuhalten, mehr steckt, als nur der Kick, es aufzuspüren, bildnerisch einzufangen und dabei einer ernst zu nehmenden Gefahr zu trotzen. Ein nicht geringer Teil der Faszination, so die hier vertretene These, wird auf die Art und Weise zurückzuführen sein, in der beim Entstehen eines Tornados raum-zeitliche und visuell erfahrbare Gegebenheiten zusammenwirken. Dabei sind Fotografen, die das Geschehen aus nächstmöglicher Nähe erleben und aufnehmen, im selben Moment sowohl ästhetisch Wahrnehmende, die sich dem Witterungsereignis aussetzen, als auch ästhetisch Schaffende, die Teile ihres Erlebens in ein bildnerisches Werk überführen, das bei Betrachterinnen und Betrachtern fasziniertes Staunen hervorrufen und über die Visualisierung des Gefahrvollen eine atmosphärische Stimmung vermitteln soll.
Sich aussetzen und ergreifen lassen: Der Tornado aus raum-zeitlicher und phänomenologischer Perspektive
Was den raum-zeitlichen Aspekt beim Entstehen eines Tornados anbelangt, so scheint für Sturmjäger jener Moment entscheidend, in dem sie einerseits einen Totaleindruck des eher seltenen Windes in seiner Typik erfassen, ihn andererseits zugleich als individualisierte und durch die Parameter seiner speziellen Ausprägung im Hier und Jetzt sich darbietende Erscheinung filmen oder fotografieren können. Beim Sondieren der Großwetterlage und einer oft meilenweiten Anfahrt über Land haben sie allererst zu berücksichtigen, dass die typische Tornado-Gestalt nur mit gehörigem Abstand erlebbar ist, die Distanz der Anschauung folglich eine notwendige Bedingung für das Erfassen seiner charakteristischen Form und seines Verhältnisses zum umgebenden Raum darstellt. Diese Anschauungsdistanz garantiert letztlich die Bildhaftigkeit eines Phänomens, das sich anders als von außen betrachtet nicht als das wahrnehmen lässt, was es ist. Dabei verlangt der Totaleindruck eine Position der Fotografen entweder neben der erwarteten Spur des Wirbels oder ihm frontal gegenüber, denn ein Dahinter oder gar Mittendrin, wie es beim Eintauchen in Nebel oder gewöhnliche Wolken geschieht, kann es bei Wirbelstürmen ohne Gefahr für Leib und Leben naturgemäß nicht geben.
Auf dem Foto von Ostberg lässt sich die Entfernung zum aufgenommenen Tornado durch den Verlauf des in die Bildtiefe hineinführenden Fahrwegs in etwa einschätzen. (Abb. 4) Weitere dimensionale Anhaltspunkte bilden helle Pfosten, die zur Einfriedung der Felder dienen. Als Besonderheit fällt zunächst die immense Breite des Wirbels auf, dessen in den Umraum weich diffundierende Ränder über die Tatsache hinwegtäuschen, dass mitten im Zentrum der Rotation durch einen starken Unterdruck und hohe Windgeschwindigkeiten im Randbereich Kräfte entstehen, die die festgefügt erscheinenden Dinge der Welt wie Spielsteine in Zustände der Zerstreuung überführen. Folglich werden Windjäger dem Ereignis immer auch im Bewusstsein der Tatsache begegnen, einen Moment zwischen dem vertrauten Vorher und dem ins Chaos überführten Nachher zu erleben, wobei die oft nur wenige Minuten dauernde Entfesselung von Kräften auf eine relativ kleine Fläche einwirkt. Die gebotene Außenperspektive auf die in der Rotation Gestalt annehmenden Luftmassen wird besonders dann zur Gefahr, wenn sich der Wirbel in seiner unberechenbaren und unvorhersehbaren Eigendynamik auf die Sturmjäger zubewegt, wenn also der für filmische oder fotografische Aufnahmen noch akzeptable Abstand durch seine Annäherung unterschritten wird. Dann werden Jäger zu Gejagten, die der Sturm vor sich hertreibt. Die Bedeutung des Wortstamms tornare (lat. umdrehen, umkehren, umwälzen, (sich) wenden) erweist sich hier in doppelter Hinsicht als sinngebend. Im Spanischen und Portugiesischen steht dafür heute noch das Wort tornar, wobei sich tornar-se (zu etwas werden) auf den transitorischen Moment der Herausbildung des Wirbelsturms beziehen lässt. Um die Gestaltbildung und die sich dabei entwickelnde Wucht rotierender Luft sichtbar zu machen und sie als Wolkensäule oder Wolkenschlauch zwischen Himmel und Erde in ein Bildformat zu bannen, setzen nicht nur professionelle Stormhunter sich und gegebenenfalls andere einem hohen Gefahrenpotenzial aus – ein umstrittenes Unterfangen. Sie lassen sich atmosphärisch ergreifen, um den Preis, selbst von der Wucht des Sturms oder mitgerissenen Trümmerteilen ergriffen zu werden.
Was einen Tornado, unabhängig davon in welcher Ausprägung er sich zeigt, vor allen anderen Windereignisse auszeichnet und als Motiv so attraktiv macht, ist fraglos die außergewöhnliche Art seines Hervortretens, sein visuell wahrnehmbares Sich-Bilden. Historische Aufzeichnungen der in Europa beobachteten Wind- und Wasserhosen schildern erstaunlich differenziert, wie der Wirbelsturm durch einen trichterförmig rotierenden Wolkenschlauch in Erscheinung tritt.[10] Seine Entstehung ist abgeschlossen, sobald die Spitze des aus der Wolkendecke herauswachsenden, sich stetig verlängernden Trichters oder Zapfens erstmals den Boden berührt oder sich über dem Meer mit einem angesaugten Wasserkegel vereint, um, dem bildnerischen Vergleich entsprechend, zur Wolkensäule zu werden. In diesem Moment entsteht eine sichtbare Verbindung zwischen Himmel und Erde – ein magisch anmutendes Ereignis, widerspricht es doch der auf physikalischen Gesetzmäßigkeiten basierenden Alltagserfahrung, dass Wolken weit über uns, in der Höhe, entstehen. Nur dort, fern von der Erdoberfläche, zeigt kondensierendes Wasser sich als gemeinhin aufsteigendes Wolkengeschehen. Beim Tornado aber entsteht der Eindruck, als würde er sich aus einer Abwärtsspirale bilden und der Erde oder einem aufgewühlten Wasserkegel in Form eines Trichters entgegenwachsen.[11]
Anders als horizontal wehender Wind, anders auch als Nebel, Regen oder Schnee, die sich im Raum ausbreiten, Dinge einhüllen oder umspielen, verdichtet der Tornado sich in der Phase seines Entstehens zu einem säulen- oder schlauchförmigen Gebilde, dessen senkrechte oder gebogene Erscheinung seine fokussierbare Gestalthaftigkeit unterstreicht. Zunehmend an Kontur und Prägnanz gewinnend – Prägnanz hier bezogen auf die visuelle Wahrnehmung, die „eine blitzartig einleuchtende ganzheitliche Auffassung ermöglicht“ (H. Lehmann 1966, zit. n. Böhme 1995, 151)[12] – gibt sich das typische Erscheinungsbild erst zu erkennen, wenn der in die Rotation übergehende, zunehmend dünner werdende Schlauch aus jener Wolkenschicht heraustritt, die ihn speist und die Beobachterinnen und Beobachtern als Folie seines Erscheinens dient. Typisch ist die Gestalt des Windkörpers allein deshalb, weil der Tornado sich nur in dieser Art zum Erscheinen zu bringen vermag. Gleichzeitig präsentiert er sich aufgrund vielfältiger Begleitumstände in einer von mitgerissenem Wasser, Staub, Sand und aufgewühlter Erde angereicherten Ausprägung als einzigartiges, durch Wolken sichtbar gemachtes Windereignis von relativ kurzer Dauer.[13]
Auch andere Winde, ihre Richtungen und Stärken, lassen sich heute anhand von Wolkenformationen und -bewegungen identifizieren: Abwinde und Aufwinde, Föhnwinde, Sturm unterschiedlicher Intensität, Zirkulationswinde oder Küstenwinde. Keiner von ihnen erzeugt eine dem Tornado vergleichbare, in ihrer mehr oder weniger senkrechten Ausrichtung körperhaft erscheinende Wolkengestalt, die wie ein wirbelnder Strudel mit bis zu vierhundert Stundenkilometern über die Erd- oder Meeresoberfläche fegt. Als markanter visueller Akzent, so lässt sich das phänomenale Geschehen seines Entstehens zusammenfassend beschreiben, tritt der Tornado in einem atmosphärisch aufgeladenen, zunächst noch diffus und unübersichtlich erscheinendem Unwettergeschehen als zunehmend sich verdichtende Gestalt aus sich heraus (tornar-se) und entfaltet durch eine rasante, um sich selbst rotierende und dabei zugleich über Land oder Meer rasende Bewegung ein hochgradig dynamisches, in doppeltem Wortsinn ergreifendes Ausdruckspotenzial. Das allmähliche Abheben des Tornados vom stürmischen Geschehen ringsumher bringt dabei ein in Analogie zu Böhmes Ekstasen-Begriff wirkmächtiges Bild hervor,[14] dem sich kaum jemand entziehen kann. Die solchen Stürmen folgenden Stormhunter verschaffen sich über die unmittelbare Betroffenheit des Sich-Aussetzens, also über die pathische Seite, Zugang zu jenem ekstatischen Ereignis des Aus-Sich-Heraustretens, wohl wissend, dass ihre Zuwendung rechtzeitig in Abwendung übergehen muss.
Das fotografisch gebannte, gemalte und beschriebene Tornadoereignis
Während eine vor Ort aufgenommene Filmsequenz das Wetterereignis als zeitlichen Ablauf sichtbar macht, indem sie mit dem szenischen Modus des Sich-Bildens von Wolkenformationen korrespondiert, bannt die Fotografie einzelne Momente des über Land oder Meer ziehenden Sturmwirbels. Das damit einhergehende Paradox, extrem schnelle Bewegungen durch ein Stillstellen derselben sicht- und nachvollziehbar machen zu wollen, ist als Herausforderung sowohl der Fotografie als auch dem gemalten Bild eigen. Damit Augenblicke zeitlich über sich hinauswachsen und fixierte Momente beim Betrachten ein Zuvor und ein Danach evozieren, haben Künstlerinnen und Künstler unterschiedliche Strategien entwickelt. So nutzen sie beispielsweise das Format als ein die Wahrnehmung von Zeitlichkeit beeinflussendes Spannungs- und Kräftefeld, um szenische Abläufe oder transitorische Ereignisse darzustellen. Durch Platzierung im Geviert des Bildes und kalkulierte Abstände einzelner Motive zueinander sowie durch diagonale Formverläufe oder Kompositionslinien gelingt es über die Anschauungsdynamik gerichteter Spannungen, die Gegenwärtigkeit des Dargestellten um den Nachvollzug des Vorgängigen und ein Antizipieren des Zukünftigen zu erweitern.[15]
Dieses Anliegen verfolgt Ostberg mit ihrem Foto offensichtlich nicht (Abb. 4). Zu zentral und formstabil erhebt sich die weitgehend senkrechte Wolkensäule in der Mitte des hochformatigen Bildes. Ihr Von-Woher und ihr Wohin – beides ist eher am rechtsdrehenden grauen Wolkenwirbel im oberen Bereich auszumachen, in und mit dem sich die Säule aus der dunklen Wolkendecke herauszuschrauben scheint, als am wenig unterschiedenen Abstand zu den Bildrändern. Der von mitgerissener Erde rotbraun gefärbte Tornado (Red Terror), der weder eine Verschlankung noch scharf konturierte Ränder aufweist, sitzt trotz minimaler Schrägstellung und leichter Untersicht stabil zwischen oberer und unterer, rechter und linker Bildgrenze. Im Foto wirkt die Geschwindigkeit, mit der dieser Wirbelsturm über Land rast, durch die mittige Position der ungewöhnlich breiten, in ihrer Massigkeit durchaus respekteinflößenden Wolkensäule eher ausgebremst, die von ihm ausgehende Gefahr dadurch gemildert. Zudem verbirgt ein leichter Anstieg des Geländes den direkten Bodenkontakt und suggeriert ebenso wie der links vorbeiführende Weg Abstand und Schutz – ungeachtet der Tatsache, dass dieser Wirbelsturm kurz zuvor ein Gehöft mit sich gerissen hat. Ins Zentrum ihrer Aufnahme rückt Ostberg das spiralförmige Heraustreten aus der Wolkendecke, welches der Säule optisch den Schwung der Eigenrotation verleiht. Es wird durch ein von der Natur gebotenes und von der Fotografin in vertikaler Schichtung gekonnt in Szene gesetztes Farbspiel zwischen kühlen, von hell nach dunkel wechselnden Blaugrautönen der vorderen Wolkendecke, dem kobaltblauen fernen Himmelsbereich und dem rötlichen Ocker des Wegs

zum bildbestimmenden Schauspiel, dessen ästhetische Wirkung den katastrophalen Aspekt der Situation zu überspielen vermag.

Ungleich dynamischer als die eher massig und träge erscheinende Wolkensäule in Ostbergs Foto wirkt dagegen jener fast tänzerisch anmutende Wirbelsturm in der Bucht vor Neapel, den der Heidelberger Künstler Ernst Fries 1833 in Öl auf Leinwand malte (Abb. 5). Die hier deutlich schlankere und damit agiler wirkende Wolkengestalt ist bei etwas höher gesetztem Horizont diagonaler angelegt und wird von einem Regen angetrieben, der rechts ins Bild einfällt. Auch dadurch scheint sich der Tornado auf die im indirekten Sonnenlicht aufscheinenden Häuser Neapels zuzubewegen. Seine schräg ausgerichtete Position im Bild sowie der seitlich auf ihn einwirkende Druck dunkler Wolken und Regenschauer verstärken diesen Eindruck Medientheoretisch betrachtet besteht zwischen dem auf Leinwand gemalten Tornado von Ernst Fries und der Fotografie von Ostberg ein die Bildrezeption insbesondere von Unwettersituationen und Naturkatastrophen nach wie vor beeinflussender Unterschied. So versetzt uns jede von Menschen aufgenommene Fotografie die wir betrachten, und trotz der Gewissheit ihrer digitalen Bearbeitung nach wie vor geneigt sind als Ablichtung der Wirklichkeit anzusehen, an die mehr oder weniger exponierte Position der Person, die das Unwetter vor Ort aufnehmen konnte. Die Tatsache, dass die Fotografin ein gleicherweise gefahrvolles wie faszinierendes Windereignis von unserem Standpunkt aus nicht nur visuell wahrgenommen, sondern in Präsenz erlebt hat, holt uns als Miterlebende an den Ort des Geschehens. Es ist der nach wie vor authentischen Charakter, der die Fotografie eines außergewöhnlichen oder extremen Wettergeschehens dem gemalten oder auf andere Weise hergestellten Bild voraushat.
Gleichwohl lässt sich die von der Fotografin erlebte Dramatik des Augenblicks nur eingeschränkt an diejenigen vermitteln, die ihr Bild oder dessen Reproduktion losgelöst vom situativen Ereignis in geschützten Räumen betrachten. Die atmosphärische Anmutung und Gestimmtheit, von der Ostberg in der Landschaft ergriffen wurde, einschließlich ihrer Angst oder Sorge in das Unwetter hineinzugeraten, unterscheiden sich zwangsläufig von jener Stimmung, die ihre Aufnahme bei Betrachterinnen und Betrachtern auszulösen vermag. Ohne die Wahrnehmungsqualitäten körperlichen Spürens, ohne leiblich-affektive Betroffenheit können wir uns nur vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen und eigenen Bilderlebens von der Ästhetik des Gefahrvollen beeindrucken lassen. Es wird grundiert durch eine zunehmende mediale Bildpräsenz von Extremwettersituationen, die der menschengemachte Klimawandel allerorts nach sich zieht. Dass Fotografen sich für ihre Bilder extremen Naturgewalten aussetzen spricht für eine Faszination am unmittelbaren körperlichen Erleben von Wetterereignissen. Uns ermöglicht es die bildhafte Repräsentation des Wirbelsturms in der sprechenden Form seiner Wolkengestalt, am Eindruck desjenigen teilzuhaben, der die Ekstase des Windes erlebt hat. Dabei beflügeln die relative Seltenheit eines Tornados und seine in der bildhaften Abstraktion teils unwirklich erscheinende Wirklichkeit das imaginative Mit- oder Nacherleben nicht weniger, als es anschaulichen Beschreibungen von Augenzeugen gelingt.
Beispiele dafür bieten die bereits erwähnten, von Alfred Wegener abgedruckten Berichte. (Wegener 1917, 7–32) Sie dienen in erster Linie dazu, das aufsehenerregende Ereignis zu dokumentieren und anderen so präzise und anschaulich wie möglich vor Augen zu führen. Folglich wird die Form des beobachteten Wind-Wolken-Gebildes mit bekannten Dingen, wie Trichter, Zapfen, Korb, Schlauch, Säule, Seil, aber auch Nebelstrahl, Stalaktit und sogar dem Sauger eines Polypen verglichen. Wir erfahren etwa, dass am finnischen Meerbusen 1796 „aus einer lang gebildeten Masse düsterer Wolken von schwarz-blauer Farbe […] zwei fürchterlich herabsinkende Zapfen“ (ebd., 11) beobachtet wurden oder im Erzgebirge ein „hornartig gekrümmtes Gebilde“, welches sich „schief nach unten zu einem mächtigen Streifen ausgestreckt [hatte], dessen Ende drei fingerartige Fortsätze trieb, deren mittelster sich ungeheuer verlängerte und in weitem Bogen sich gegen die Erde senkte.“ (ebd., 23) „Ein Wirbel wie ein Korb“ wird 1906 auf dem ruhigen Zuger See gesichtet. Nach „wenigen Sekunden erhob sich aus dem Korb eine vielspitzige Wassergarbe, aus welchem endlich eine dünne Säule herauswuchs, die mit einem zapfenartigen unteren Vorsprung der Wolke sich vereinigte.“ (ebd., 30) Ein weiterer Chronist vergleicht die Wasserhose in Zug ausdrücklich „nicht mit einer steifen Säule“ […,], sondern „eher mit einem tastenden Kautschukschlauch oder dem Sauger eines Polypen.“ (ebd.) Eine Tornadobildung über Teplitz (1887) wird in ihrer horizontalen Ausrichtung als „Nebelröhre“ bezeichnet: „Es hatte den Anschein, als ob zwei aus dem dunklen Himmel wenig hervortretende entfernte Wolken mit einander durch die Nebelröhre verbunden wären, wobei die eine Wolke die andere abzusaugen schien.“ (ebd.) Von „umgekehrten Kegeln“ ist die Rede, „die lotrechten Stalaktiten von der Wölbung einer unterirdischen Höhle ähnelten“ und „sobald ihre Spitzen das Meerwasser berührte, dieses sich zu einem kleinen Berge erhob“ (ebd., 9). Neben dem „Schauspiel“ bei Kap Matapan (Peleponnes) „Wolkenmassen in Gestalt dicker cylinderförmiger Wassersäulen heruntersinken zu sehen“ (ebd., 14), wird die Windhose mit einem aus Nebel gebildeten Seil oder einer herabhängenden Leine verglichen. Im schwedischen Nöttja kann ein Augenzeuge 1883 die Bewegungen eines solchen Nebelseils sehr genau beschreiben. Dort schien eine „hellgraue Wolke sich zu einem groben Seil auszuspinnen, welches in überall gleicher Breite vom Himmel herab zur Erde hing, zeitweise sich biegend und sich unaufhörlich drehend, und zwar in umgekehrter Richtung wie die Zeiger einer auf dem Boden liegenden Uhr. Das Seil, welches zuerst nur 2/3 des Abstandes der Wolke von der Erde ausmachte und an der Wolke fest war, knüpfte sich sodann auch an die Erde an. Dies ging indessen vor sich, daß das unterste Drittel sich durch Ansaugen von der Erde her erhob, worauf die ganze Säule gleichförmig und sehr schnell rotierte, ähnlich einer Leine oder einem Seil, das herumgedreht wird. Auf der ganzen Länge der Säule schienen ihre Bestandteile eine kreisende, aufwärts gehende Richtung zu haben.“ (ebd., 20)
Schließlich gibt es eine interessante Beobachtung zur fehlenden materiellen Substanz eines Tornados: „Die Materie der Trombe schien mir vollkommen ähnlich der der Wolken zu sein, und ihre Transparenz gestattete zu sehen, daß ihr Inneres vollständig leer war.“ (ebd., 9) Mehrfach werden Gerüche (eigentümlich fremd, widerlich oder schwefelartig) und Geräusche beschrieben:
„Man hörte aufs Deutlichste das Geräusch der Luft, welche vom oberen Teil der Trombe senkrecht herabfallend, mit Gewalt auf das Meer schlug, es zwang sich auszuhöhlen und um die Höhlung herum eine schäumende Lamelle von mehreren Fuß Höhe emporhob; und die Oberfläche der Höhlung kochte und schäumte und wurde in einer kreisenden Bewegung herumgeführt […].“ (ebd.,10)
Anders als bei wissenschaftlichen Erklärungen oder Definitionen teilt sich in den Beschreibungen trotz des Bemühens um präzise und bildhaft eindeutige Darstellung auch etwas von der Art und Weise mit, in der das Wind-Wolken-Ereignis erfahren wurde. Indiz dafür sind hier und da eingestreute Adjektive wie fürchterlich, mächtig, schauderhaft, ungeheuer. Auch wird Freude darüber geäußert, das seltene Naturschauspiel miterleben zu können. Indem die Berichterstatter schildern, wie die sprechende Form allmählich aus sich heraustritt, in charakteristischer Weise zur Anwesenheit und Präsenz kommt, gehen sie als Zeugen eines ekstatischen Ereignisses zugleich eine lebendige Beziehung zum „Aktualitätsvollzug“ (Böhme 1995, 174) des Geschehens ein. Böhme spricht mit Blick auf den Zusammenhang von Ekstase, Ontologie und Ästhetik von der „Beschreibung des Seienden im Geschehen seines Aufgehens“, indem „Weisen des Hervortretens spezifiziert und benannt werden“ (ebd., 175) und vergleicht sie mit einem Bild:
„Die Beschreibung, die man von einem Ding gibt (…) ist so etwas wie ein Bild. Beides – Beschreibung wie bildliche Wiedergabe eines Dinges – sind nicht das Ding selbst, sollen aber in gewisser Weise einem anderen die Präsenz des Dinges vermitteln. Was in der Beschreibung oder der bildlichen Darstellung an Dingen geschieht, ist die Abhebung ihrer Ekstasen. […] Beschreibung oder bildliche Darstellung gehören also selbst zum Hervorgetreten-Sein des Dinges, sie sind abgehobene, d.h. auch weiter artikulierte und herausgehobene, aber eben auch isolierte und stillgestellte Ekstasen.“ (ebd., 175/76)

Die in Wegeners Buch abgebildeten Zeichnungen eines 1890 bei Oldenburg gesichteten Tornados – von mehreren Augenzeugen mit Bleistift auf Papptafeln angefertigt – gehen mit den Beschreibungen in dem Bemühen überein, der Windhose Gestalt und Form zu geben, um „ein klares Bild der Erscheinung“ (Wegener 1917, 25) zu gewinnen. (Abb. 6) Folglich wird das beobachtete Wolkengebilde linear konturierend erfasst und als quasi stillgestellte Ekstase in seiner hervortretenden, mehr oder weniger typischen Form fixiert.
Anders als die historischen Skizzen und Beschreibungen, die das Erlebte in einer annähernd objektiven Weise zu erfassen suchen, werden Bilder von Witterungsereignissen in der Kunst nicht zuletzt mit Blick auf eine Wirkung im Sinn jener affektiven Betroffenheit gestaltet, die Menschen bei ihrem Anblick ergreifen soll. Viele Künstlerinnen und Künstler, allen voran William Turner, sind Meister in der Praxis des Erzeugens von Atmosphären im Bild. Sie setzen diese nicht nur so in Szene, dass sich den Betrachterinnen und Betrachtern Jahres- oder Tageszeiten erschließen, sondern vermitteln durch Auflösung klar konturierter Formen unter Einwirkung von wahrnehmbaren Luftphänomenen wie Nebel, Dunst, Wolken und Licht atmosphärische Stimmungen von Witterungsereignissen in der Landschaft. (Abb. 7) So heben sich in Turners

späten Gemälden wie Seestück mit aufkommendem Sturm weder Horizon- oder Uferlinien, noch Umrisse einzelner Wolken deutlich ab. Auch im Bild Stürmische See mir Delphinen (um 1840) lassen sich die Tiere eher erahnen, als bildhaft identifizieren. Dabei scheint es, als könnte eine die Dinge miteinander verbindende, sie in Unschärfe führende Malweise das Unwettergeschehen eher für ein individuelles Erleben und damit einhergehendes Wahrnehmen des Atmosphärischen öffnen, als die detailgenau separierende Darstellung von Einzelheiten. Eine solche zeichnet das kleinformatige Bild lucht des niederländischen Künstlers Olphaert den Otter von 2009 aus.[16] (Abb. 8) Der im Ausschnitt gegebene

Luftwirbel mit Wolkenschlauch vor dunklem Grund vermittelt den Eindruck eines durch schwungvolle Pinselzüge in Bewegung versetzten Kreisels, der sich in seiner Form durch starke Hell-Dunkel-Kontraste und Abhebungen vom Grund zugleich auch verfestigt.
Begriffe und Formen, die sich einem Tornadoereignis aufgrund seiner Gestaltbildung zweifelsfrei zuschreiben lassen, schützen andererseits auch ein Stück weit vor der Ohnmacht des Unverfügbaren, die Stürme in ihrer Urgewalt mit sich bringen. Gebannt und bezähmt werden solche Ängste über Jahrhunderte durch mythische Darstellungen und Personifikationen, wie sie etwa in Darstellungen von Windsbräuten nachleben, die in der Zeit der Klassischen Moderne unter anderem Oskar Kokoschka oder Max Ernst malten.[17] Letzterer hat wirbelnde Windsbräute mithilfe von Schnur-Frottagen in Gestalt rasender Pferde verbildlicht, die in nordischen und slawischen Mythen überliefert sind. Auch von Anselm Kiefer gibt es das Bild einer über Berggipfeln schwebenden und von wirbelnden schwarzen Haaren umspielten Windsbraut in der Sammlung Würth.[18]
Atmosphärische Abhebungen und Halbdinge
Die in der Landschaft sich einstellende Bildhaftigkeit und eine mit dem Wetterereignis einhergehende Wahrnehmungsverschiebung vom Erdboden Richtung Himmel und Wolken legen es nahe, das atmosphärische Geschehen rund um die Tornadobildung in den Blick zu nehmen. So kündigt sich ein aufziehendes Unwetter meist schon im Vorfeld durch eine bestimmte Atmosphäre an. Die Aussage „etwas braut sich zusammen“ meint neben dem in unzähligen Fotos festgehaltenen Ballen von Schlechtwetterwolken auch jenes Spüren einer Anwesenheit von etwas, noch bevor es sichtbar aus sich herausgetreten ist. Dem Gewahrwerden bedeutungsvoller Anzeichen folgt meist erst im zweiten Schritt eine konkretisierende Bestimmung des bevorstehenden Wetterwechsels durch Analyse von Wolkenformationen und ‑konstellationen, was eine Art physiognomisches Erkennen im Sinne einer „Deutung sichtbarer Zeichen für Verborgenes“ (Böhme 2014, 203) voraussetzt.
Da jede Atmosphäre sich als die „gemeinsame Wirkung der Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen“ (Böhme 1995, 34) erweist, die zwischen dem in der freien Landschaft tobendem Unwetter und denjenigen, die es erleben, entsteht, ist kaum allgemein zu bestimmen, wodurch sich ein atmosphärischer Eindruck auszeichnet und wie er letztlich zustande kommt, sich im hier thematisierten Ereignis herausbildet. Bezüglich der Bildhaftigkeit von Atmosphären und der atmosphärischen Wirklichkeit von Bildern fragt Böhme folglich danach, wie sich jenseits einer bloßen Dichotomie von Subjekt und Objekt das sinnlich Gegebene, das „eine Atmosphäre enthält oder ausstrahlt und den dafür Sensiblen ergreift“ (Böhme 1995, 137), in Worte fassen lässt. Neben Korrelationen zwischen den objektiven Gegebenheiten des Naturereignisses mit dem daran affektiv Erfahrbaren nennt er als weiteren Anhaltspunkt Anmutungen, die durch Synästhesien oder Mitvollziehen von Bewegungen wirksam werden und zu einer Art Ausdrucksverstehen des Erlebten führen. Ein solches Mitvollziehen kann sich etwa beim spiralförmigen Zeichnen der rotierenden Tornado-Säule ereignen, während synästhetische Wahrnehmungen durch die Vielfalt der Sinneseindrücke des Ereignisses stimuliert werden. Als Abhebung bezeichnet Böhme schließlich jene spezifische „Weise, in der Dinge aus sich heraustreten“ (ebd., 140), indem sie das umgebende Medium auf eine bestimmte Art und Weise modifizieren. Solch ein Abheben und in Erscheinung-Treten des Atmosphärisch-Bildhaften wird durch das Geschehen rund um die Entstehung eines Tornados im übertragenen Sinn anschaulich illustriert, kommt es dabei doch inmitten des sich zunächst unbestimmt und raumgreifend ausbreitenden Unwetterszenarios zur Herausbildung einer de facto unkörperlichen, zugleich aber körperhaft wirkenden Erscheinung. Physikalisch betrachtet sind es durchaus konkrete Eigenschaften, wie die charakteristische Gestalt, die zunehmende Prägnanz in Form und Kontur sowie Farb- und Helligkeitskontraste zur Umgebung, durch die sich der Wirbelsturm als zunehmend sichtbarer ‚Körper‘ in seiner Umgebung bemerkbar macht – einer Umgebung, deren materielle Beschaffenheit er mit zunehmender Vehemenz auf drastische Weise modulieren und modifizieren wird. Aufgrund dieser ihm nicht abzusprechenden Gestalt und Wirkmächtigkeit fragt sich, mit was für einem Körper wir es inmitten des atmosphärisch aufgeladenen Wetterereignisses eigentlich zu tun haben.
Wie Wind im Allgemeinen oder ein Wirbelsturm im Besonderen als verdinglichte Kraft ontologisch fassbar wird, verdeutlicht aus phänomenologischer Perspektive der von Hermann Schmitz eingeführte Begriff der Halbdinge. Diese unterscheiden sich von physikalischen Körpern, die in ihrer verlässlichen Konstanz Masse haben und Raum einnehmen, vor allem darin, dass ihre Ursache nicht von ihrer Wirkung trennbar ist. Wind wird, so Schmitz, „als nackte Kraft erfahren, nicht als Äußerung eines Angreifers, der diese Kraft bloß ausübt.“ (Schmitz 2003, 78) Anders als wir es von materiell greifbaren Dingen mit permanenter Präsenz kennen, ist jedes Halbding folglich nur im Zustand der Auswirkung seiner Kraft erlebbar. Der Ruhezustand kommt seiner Nichtexistenz gleich: Nicht wehender Wind ist nicht vorhandener Wind.[19] „Auf die Halbdinge kann man sich nicht verlassen, weil ihre Dauer nicht konstant ist, und man kann sie nicht gleichsam im Ruhezustand, bevor sie ihre Kräfte ausüben, vorbeugend bearbeiten, weil die Ursache, die sie sind, nur in der schon aktuellen Einwirkung besteht.“ (ebd., 79) Während Schmitz Dingen demnach eine dreigliedrige, mittelbare Kausalität zuschreibt – „zwischen sie als Ursache und den Effekt schiebt sich als Mittelglied die Einwirkung“ (ebd.) – fällt bei Halbdingen die Ursache mit der Einwirkung zusammen. Für Wind, wie für andere Halbdinge auch (elektrischer Schlag, Melodien, Schmerz, Stimme, Blicke, Gefühle), gilt daher, „dass sie unserem Leib als etwas begegnen, was kein dingliches Gegenüber ist, sondern sie begegnen uns als ein Einfluss am eigenen Leib“ (Landweer, S. 170). Halbdinge ermöglichen demnach Wahrnehmungsereignisse nicht nur, sie erzwingen sie unter Umständen sogar, da sie aus einwirkungsfreier Distanz kaum erfahrbar sind. Damit bleibt festzuhalten: Ursache und Vorhandensein des Windes entsprechen seiner Wirkung und diese Wirkung erfahren wir körperlich.
Indem er die wahrnehmbaren Wirkungen von Wind und Sturm betont anschaulich beschreibt, ist sich auch der römische Dichter Lukrez der Problematik des unsichtbar Vorhandenen bewusst, jener Körper also, „die eingestandenermaßen/ Zwar in der Welt sich befinden und doch sich nicht sichtbar bekunden.“ (Lukrez 1957, 37). „Erstlich denk‘ an des Windes Gewalt!“, erinnert er und fragt, nach einer Beschreibung seiner drastischen Auswirkungen: „Was sind also die Winde? […] die Winde sind auch nichtsichtbare Körper, da sie in Taten und Sitten als Nebenbuhler erscheinen zu den gewaltigen Strömen, die sichtbare Körper besitzen.“ (ebd.) Unberücksichtigt beim Veranschaulichen unsichtbarer Dinge am Beispiel des Windes lässt Lukrez jenen Sturm, der sich durch verdichtende Rotation in einen Wolkenstrudel kleidet und erst trichter-, dann säulen- oder schlauchförmige Gestalt annimmt. Entscheidend für das Wahrnehmen dieser Gestalt bleibt letztlich der Abstand, der den Sturm in der Landschaft Bild werden lässt und es erlaubt, seine Form vergleichend zu beschreiben und linear zu umreißen. Die Distanz zum Tornado, der sich als partielles Ereignis vom raumgreifenden Wettergeschehen rings umher abhebt und trotz der von Augenzeugen beobachteten Transparenz und Leere (Wegener 1917, 9) als körperhaft wahrnehmbares Gebilde eine unberechenbare Eigendynamik entwickelt, ist den Windjägern zugleich Versicherung dafür, mit ihrer Ausbeute an Fotos, Filmen und Daten seiner direkten Einwirkung zu entkommen. Damit gibt es mindestens zwei gute Gründe dafür, sich den Wirbelsturm vom Leib zu halten.
Vom Wahrnehmen des Windes und dem Spüren von Atmosphären
Vom Wind ergriffen zu werden, löst – unabhängig davon, in welcher Form er sich visuell bemerkbar macht – ein breites Spektrum von miteinander verknüpften Sinneswahrnehmungen und körperlichen Empfindungen aus. Allererst spüren wir Wind auf der Haut. Weil unser Körper Wärme an die Luftschicht direkt über der Haut abgibt, der Wind dieses isolierende Luftposter aber laufend wegbläst, nehmen wir leichten Wind oder heftigen Sturm als Wärmeverlust wahr. Daher fühlt sich Luft bei gleicher Temperatur mit Wind kühler an als ohne Wind. Auch die Stimulation der Körperhaare spielt eine Rolle. Sie wird durch Nervenenden in den Haarfollikeln in Nervensignale übersetzt und an das Gehirn geleitet. Hören können wir Wind, weil strömende Luft aerodynamisch Geräusche erzeugt. Zudem trägt sie als Medium des Schalls andere Geräusche und Klänge mit sich, was die reale Entfernung zur Tonquelle verkürzt. Je stärker der Wind, umso mehr nehmen wir ihn kinästhetisch wahr, indem unser Gleichgewichtssinn auf den Druck der Luft reagiert. Für das Ausbalancieren der Körperhaltung, die Orientierung im Raum und das Einschätzen von Geschwindigkeiten ist die vestibuläre und propriozeptive Wahrnehmung zuständig. Auf Sturm reagieren Propriozeptoren, indem sie das Gehirn über Zustand und Position von Muskeln, Sehnen und Gelenken informieren. Körperhaltung und die Ausrichtung einzelner Körperteile können damit erkannt und an veränderte Bedingungen angepasst werden.
Sowohl körperliches Spüren als auch die Wahrnehmung der Zustands- und Lageveränderung von Dingen außerhalb unseres Körpers (Rauch, Blätter, Zweige, Äste, Bäume) werden herangezogen, um die Stärke des Windes zu messen. Denn während Wolken sich in ihrer Typologie und Klassifizierung der Erfassung durch numerische Skalen entziehen, gilt als Gradmesser für Winde seit Anfang des 19. Jahrhunderts die sogenannte Beaufortskala.[20] Der zufolge lässt sich Windstärke 2 als Windhauch im Gesicht spüren, während eine schwache Brise der Stärke 3 Blätter und Zweige bewegt. Bei Wind der Stärke 5 schwanken kleine Laubbäume, ab Stärke 10 werden Bäume entwurzelt. Die Kraft eines Tornados resultiert u.a. aus seiner Geschwindigkeit, die zwischen einhundert und seltenen fünfhundert Stundenkilometern betragen kann. Für Starksturmereignisse wie Hurrikane, Taifune und Tornados gibt es seit 1971 die sogenannte Fujita-Skala,[21] die der Schadensklassifikation dient.
Weite räumliche Ausdehnung und große Entfernungen führen dazu, dass wir uns bei der Einschätzung metrischer Daten wie Größe, Gewicht und Dichte von optisch wahrnehmbaren Wetterphänomenen wie Wolken oft genug täuschen. So wiegen die uns leicht und luftig erscheinende Schönwetterwolken etliche tausend Tonnen, eine Tatsache, die wir weder mit einer permanent von Luftströmungen und Winden bewegten Wasserdampfansammlung in Einklang bringen, noch mit der Erfahrung, dass Schweres seinen Platz am Boden hat und dabei sowohl formstabil als auch kompakt erscheint. Wissenschaftlich belegte Fakten geraten hier in Konflikt mit alltäglichen Wahrnehmungserfahrungen, die für unser Handeln und Beurteilen allererst maßgeblich bleiben.
Einerseits nehmen wir Witterungsereignisse als physikalische Einwirkungen mit allen Sinnen, also dem Körper wahr, andererseits rufen sie als atmosphärisches Geschehen Befindlichkeiten hervor, die nicht nur in bedrohlichen Situationen affektiv-emotionale Züge tragen und unsere Gefühlswelt beeinflussen (Böhme 2003). Wetter und Gefühle, beides sind letztlich Atmosphären (Böhme 2009, 248).[22] Atmosphäre im meteorologischen Kontext als Totalität des Luftraums der Erde korrespondiert dabei mit jener emotionalen Tönung eines gestimmten Raumes, die „die Sphäre gespürter leiblicher Anwesenheit“ (ebd., 248) ist und sich im Bereich der Witterung vor allem im komplexen zeit- und raumgebundenen Zusammenwirken von Wolken, Niederschlag, Nebel, Wind, Temperatur und Licht mitteilt. Wir nehmen solche atmosphärischen Veränderungen bewusst aber auch unbewusst wahr. Denn, so fasst es der Wahrnehmungspsychologe Axel Buether zusammen:
„Die Lufthülle der Erde bildet einen atmosphärischen Raum, dessen Wettererscheinungen, wir mit allen Sinnen spüren. Die feinen Partikel der Luft absorbieren, reflektieren und streuen die energetische Strahlung der Sonne. Sie können sich über die Aufnahme von Feuchtigkeit zu Wolken verdichten und thermische Reaktionen, wie Wind, Sturm oder Gewitter, auslösen. Durch den Wechsel der Tages- und Jahreszeiten sowie der Wetterbedingungen verändert sich die Atmosphäre im Außen- sowie in den Innenräumen unserer baulichen Strukturen [sic!] beständig. Durch die Farb- und Lichtwechsel weitet oder verengt, entgrenzt oder verdichtet, strahlt oder verdüstert sich unser gesamter Lebensraum.“ (Buether 2010, 172)
Letztlich sind es atmosphärische Phänomene von Wetter und Jahreszeiten, über die wir heutzutage Natur erleben. Als Naturereignis ist Wetter folglich ein gutes Beispiel dafür, wie eine Veränderung der Atmosphäre als spürbare Zustandsänderung eines Teils der natürlichen Umwelt unser Erleben beeinflusst oder beeinflussen kann. Zugleich berührt ihre phänomenale Erscheinungsweise unser ästhetisches Empfinden. (ebd.) Damit kommt dem Wetter wie der Landschaft der Status einer ästhetischen Kategorie zu. An der Schnittstelle von beiden hat uns insbesondere in der europäischen Kunst der letzten Jahrhunderte die Darstellung von Wolken gelehrt, sie als Konstituenten von Atmosphären zu lesen, nicht nur in der Landschaftsmalerei. Auch der Wind ist am atmosphärischen Geschehen unmittelbar beteiligt. „Im Wind entstehen Atmosphären,“ schreibt Jürgen Hasse, „die sowohl etwas leiblich Unruhiges mit sich bringen als auch die Dinge in der äußeren Welt in Bewegung versetzen. Im Medium der Luft überlagern sich die klimatologischen und die am eigenen Leib spürbaren Atmosphären.“ (Hasse 2012, S. 142) Allein die vielbeschworene ‚Ruhe vor dem Sturm‘ lässt einen plötzlichen Wechsel atmosphärischer Stimmungen erwarten.
Mit Blick auf die durch eine herrschende Witterung modifizierte Landschaft als Gegenstand der Wahrnehmung lässt sich mit Böhme die dort herrschende Atmosphäre von der subjektiven Gestimmtheit eines Menschen durchaus unterscheiden. Oder, wie es Hilge Landweer ausdrückt: „Klima und auch Wetter werden als etwas Ganzheitliches am eigenen Leib gespürt, aber als etwas außer uns wahrgenommen.“ (Lanweer 2020, 168) So kann sich jemand beim Eintreten in den Landschaftsraum von dieser Atmosphäre ergreifen lassen und in ihr aufgehen. Möglich und wahrscheinlich ist es nach Böhme auch, dass einer solchen Ingression eine Diskrepanz vorausgeht, insofern die in der Landschaft vorgefundene Stimmung von der momentanen Befindlichkeit des Menschen abweicht (Böhme 2001, S. 46). Beim Herausbilden eines gefährlichen Sturms, zumal wenn er sich auf rasante Weise körperhaft zu materialisieren scheint, entsteht diese Diskrepanzerfahrung allein durch das Einbrechen des Gefahrvollen, dem nicht zuletzt aufgrund bereits erlebter bedrohlicher Situationen in der Regel eine Distanzierung folgt. Hier aber kommt es zur Ambivalenz zwischen Schrecken und Gefahr auf der einen, Begeisterung und Faszination auf der anderen Seite, was mit den widersprüchlichen Facetten übereinstimmt, durch die Wind sich generell auszeichnet.[23] Diese Zwiespältigkeit geht mit einer paradoxen Zerrissenheit zwischen Anziehung und Distanzierung einher, was sich physisch und affektiv-emotional auswirken kann. Grundsätzlich sind es solche Diskrepanzerfahrungen, durch die eine Atmosphäre in der Landschaft als Gegenstand außerhalb der eigenen Empfindung wahrnehmbar wird, womit ihr „eine relative ontologische Eigenständigkeit und Züge eines gegenständlichen Charakters“ zukommt. (Landweer 2020, 170). Böhme hat daher Halbdinge wie Wind, Wetter, Nacht oder Jahreszeiten als das Atmosphärische gekennzeichnet, das sich vom Ich-Pol deutlicher absetzt als die vom subjektiven Anteil mitbestimmte Atmosphäre, die eine vollständige Distanzierung nicht zulässt (Böhme 2001, 46). Demnach ist es das Atmosphärische, das uns in einer durch Wind und Wetter modifizierten Landschaft ergreift. Als von ihr abgehobener Körper bleibt der Tornado zwar Teil des vom Unwetter bestimmten atmosphärischen Raumes, er separiert sich aber zugleich durch seine verdichtete Gestalt, die Kurzzeitigkeit seiner Präsenz und die Geschwindigkeit, mit der er vorbeizieht.
Für stürmische Winde im Besonderen wie für die Witterung im Allgemeinen gilt festhalten, dass wir an den damit verbundenen Veränderungen in besonderer Weise körperlich und emotional beteiligt sind und uns der Eigenaktivität des Wetters außerhalb von schützenden Behausungen kaum entziehen können. Dass Fotografen große Risiken für das Aufspüren, Erforschen und bildhafte Dokumentieren außergewöhnlicher Witterungsereignisse in Kauf nehmen, deckt sich mit dem allenthalben beobachtbaren Bedürfnis danach, das medial und überwiegend visuell Vermittelte durch körperliches Spüren zu erweitern und zu intensivieren. Menschen folgen diesem Bedürfnis auch dann, wenn es sie aus geschützten Räumen in die unwirtliche Witterung hinauszieht, wenn sie bei Wind, Regen oder Schneefall die Landschaft durchwandern oder spazieren gehen, kurz: bei ‚Wind und Wetter‘ das Haus verlassen. Und obwohl der Begriff des Windes hier der Alliteration geschuldet ist, betont er zugleich seine das Wetter aktiv gestaltende Kraft. Vor dem Hintergrund der Faszination daran, Natur über das herrschende Wetter zu erleben, sich Wind und Wetter auszusetzen, bleibt zu fragen, ob und auf welche Art und Weise körpernahes Erleben und leibsinnliches Spüren von Windgewalt und Wolkenbildung in der neueren Kunst thematisch wird.
Wind und Wolken in der zeitgenössischen Kunst

Der Tornado selbst, dem sich so viele Wetterfotografen verschrieben haben, bleibt als rotierende Wind- und Wolkengestalt in der westeuropäischen Kunst ein seltenes Motiv, was mit der Seltenheit seines Auftretens korrespondiert. Eher ist es die Unsichtbarkeit von Winden, die bildende Künstlerinnen und Künstler seit jeher herausfordert. Über Jahrhunderte haben sie unterschiedliche Mittel und Wege ersonnen, das visuell nicht wahrnehmbare Ereignis zu veranschaulichen.[24] Sind es anfangs Personifikationen oder figürliche Gestalten, die, wie es der noch bis ins 19. Jahrhundert als Schulbuch gebräuchliche Orbis sensualium pictus des Johann Amos Commenius zeigt (Abb. 9), mit aufgeblähten Wangen pustend und blasend auf das Wehen von Winden in unterschiedlichen thematischen Kontexten verweisen,[25] bringt es die Beobachtung und Erforschung der Wirklichkeit seit dem 14. Jahrhundert mit sich, bewegte Luft durch wahrnehmbare Auswirkungen ihrer Aktivität zu bezeugen. Neben dem formbildenden Spiel des Windes, das sich an Wasser, Rauch und Wolken beobachten lässt,[26] zeigt nun alles, was Wind bewegen und ergreifen kann – Pflanzen, Haare, textile Stoffe, Vegetation – sein Wehen in Bildern an. Gegen das Wirken der Schwerkraft wird es in einer labilen, nicht auf Dauer haltbaren Position oder Ausrichtung gebannt.[27] Anders als das formbildende und bewegende Spiel ist das Aufbrausen des Windes seit jeher gefürchtet, löst der wütende Sturm doch Dinge der Welt aus ihren festgefügten Zusammenhängen, lässt sie herabstürzen oder – sich der Schwerkraft widersetzend – umherfliegen. Er verursacht Schiffshavarien und Verwüstungen. Die Kräfte bewegter Luft können für Menschen nach wie vor immer beides sein: zerstörerisch und nutzbringend.
Jenseits solcher Kategorien führt sie der Künstler Roman Signer in einer simplen Installation auf prosaische Weise vor, indem er mit einem Ventilator und einem Holzbrett beides in Szene setzt: Unsichtbarkeit und Kraft bewegter Luft. (Abb. 10) Bei anhaltender Stromversorgung hält die Windkraft des Ventilators die Schmalseite eines dünnen Bretts im Schwebezustand, stemmt sich gegen seine Fläche.[28] Das kalkulierte Zusammenwirken eines winderzeugenden Geräts mit dem nur wenige Zentimeter darüber in labiler Position gehaltenem Brett verweist auf die in Bewegung versetzte, nicht sichtbaren Luft. Hingegen nutzt der schottische Künstler Andy Goldsworthy in der Abschlussszene seines von Thomas Riedelsheimer gedrehten
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Dokumentarfilms „Leaning Into the Wind“ den eigenen Körper für ein solches Experiment.[29] (Abb. 11) Am abschüssigen Hang eines Berges überlässt er sich mit ausgebreiteten Armen der Kraft des Windes. Wenn auch nur für Sekunden wird er wie das Brett von Roman Signer im Schwebezustand gehalten. Gegen das sich dem Wind in der Landschaft anvertrauende Aussetzen hält Signer ihn sich in der gezähmten Form einer technisch anmutenden Versuchsanordnung vom Leib.
Auch Wolken haben als „Agenten des metaphysischen Spektakels der Welt“ (H. Böhme 2005, 13) eine lange, die Künste inspirierende Geschichte geschrieben,[30] in der die seit jeher als Vorboten von Witterungsereignissen gedeuteten Himmelserscheinungen immer auch der Projektion und Symbolisierung dienen. Ihre selten scharf konturierte Gestalt von dunstiger Plastizität, Flüchtigkeit und Vielgestalt gibt Künstlerinnen und Künstler jedoch nicht nur Anlass zum assoziativen Ausdeuten sich stetig wandelnder Formen. Wolken erweisen sich in der Malerei als dankbare Motive, um Kräfteverhältnisse in Bildern zu regulieren, räumliche Tiefe zu erzeugen und Farb- oder Helligkeitsakzente zu setzen. Sie können einer Szene Leichtigkeit oder Schwere, eine heitere oder unheilvoll düstere Atmosphäre verleihen. Gliedernd und ordnend balancieren sie als Requisiten des Himmels das Spannungsgefüge aus und stehen damit ganz im Dienst der Bilddramaturgie. Seit dem 20. Jahrhundert übernehmen mehr und mehr unkonventionelle Darstellungsverfahren und Materialien die Rolle, die in der Natur den formenden Luftströmungen und Winden zukommt. Wolken werden als frei verfügbare Bildelemente zunehmend vom individuellen Malstil vereinnahmt. So ringen Künstlerinnen und Künstler nicht mehr um ihre naturgetreue Darstellung oder vertiefen sich in das, was der englische Maler und Universalgelehrte John Ruskin anhand von Turners Malerei als „Wolkendienst“ bezeichnet hat.[31] Am Wolkenmotiv erproben sie nun malerische Freiheiten und experimentelle Möglichkeiten, wodurch Wolken an der Schwelle zur Abstraktion zu Ausdrucksträgern bildinterner und formalästhetischer Konzeptionen werden.

Bekannt für diese Art der Anverwandlung ist Lyonel Feiningers Bild Wolke nach dem Sturm (Vogelwolke) von 1926 (Abb. 12). Es zeigt über der im Querformat angelegten Strand- und Meereszone eine in den Himmel ausgreifende Wolkenformation, die wie ein überdimensionaler Vogel über der in transparenten Farbflächen angelegten Küstenlandschaft schwebt. Das kalkulierte Zusammenspiel von Vogel, Wind, Wolken und Licht verweist auf das Element Luft, das Feininger mit der für seine Malerei charakteristischen Strukturgebung veranschaulicht. Dass sein Bild tatsächlich auf ein Zusammenwirken von Wind und Wolken zurückgeht, belegt die zwei Jahre zuvor entstandene „Natur-Notiz“,[32] eine Bleistiftskizze der am Strand der pommerschen Ostseeküste beobachteten Wolke, deren vom Wind bizarr geformte Gestalt Feininger an einen Vogel erinnert hatte. Im Bild begradigt er die zuvor schwungvoll in die Tiefe fluchtende Küstenlinie und vernetzt die drei nun parallel angelegten Bildebenen Land, Meer und Himmel durch transparente Überlagerungen und jene kristallinen Brechungen, durch die die Vogelwolke Gestalt annimmt.
Neben der stilistischen Anverwandlung des Wolkenmotivs an konzeptuelle Überlegungen verdanken sich Wind- und Wolkendarstellungen seit der klassischen Moderne dem Einsatz unkonventioneller Vorgehensweisen und Materialien, die in Korrespondenz zu Wirkweisen des Windes oder dem Wandlungsdrang von Wolken gebracht werden. Während es in Kurt Schwitter Blatt Wind swept von 1946 Papier und Pappstreifen sind, deren diagonale Anordnung auf ein kraftvolles Wehen des Windes hinweist,[33] treibt Willi Baumeister im Blatt Wind (1951) großen Tuschekleckse wie Wolkenfetzen über die mehr als einen Quadratmeter große Bildfläche.[34] Joseph Beuys lässt eine Wolke aus Fett aus dem Meer aufsteigen (1959)[35] und Arnulf Rainer zeichnet einen Sturm (1968) durch die formbildende Schwärzung verdichteter, sich überlagernder Linien. Ein weiteres druckgraphisches Blatt von ihm spielt mit einem lockeren Gespinst sich kreuzender Geraden auf das dynamische Geschehen in einer zentral positionierten Wolke an.[36] In der Arbeit Wind (1972/73) aus der Reihe der Body Poses stellt Rainer den direkten Körperbezug her, indem eine mit roter Ölkreide überzeichnete Fotografie seinen in schwungvolle Aufwärtsbewegung versetzten Körper zeigt.[37] Nicht ohne Ironie nähert sich Günter Uecker dem Motiv des Windes (Großer Wind I u. II, 1966) mit dem gemeinhin der Fixierung dienendem Verfahren des Nagelns. Höhe, Abstände, Neigungen und Schatten der Nägel, die in eine leinwandüberzogene, quadratische Holzplatten geschlagen wurden, lassen an windbewegte Gräser denken.[38] Antony Gormleys Quantum Clouds XXVI (2000) lösen sich in einem fragil wirkenden Zusammenspiel linearer Elemente als schwebende Wolken aus Metall von der Wand und vermitteln trotz skulpturaler Materialisierung den Eindruck von Leichtigkeit und Durchlässigkeit.[39]
Solche Werke aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdeutlichen, dass Wolken in ihrer immateriellen Vielgestalt nahezu jede materielle und verfahrenstechnische Annäherung zulassen. Eine wirkliche Beziehung zwischen Wind und Wolken wird jedoch eher selten dargestellt. So spachtelt Karl Otto Götz einen Tornado mit schwarzer Farbe auf hellen Bildgrund, wobei breite Schwünge neben rotorangen Spritzern und Pinselstrichen die für seine Malweise charakteristische Dynamik betonen, durch die auch das Wolkengebilde Gestalt annimmt.[40] Wolkenbildung durch Wind findet im Rahmen der Kunst nun unmittelbar in der Natur statt. So spielt Andy Goldsworthy mit der Aktion Snow sun wind throws von 1999 und die Flüchtigkeit des Ereignisses an. In winterlicher Landschaft lässt er empor geschleuderte Schneekristalle vor der dunklen Folie eines Waldes für Bruchteile von Sekunden eine weiße Wolke bilden.[41] Damit leitet er die Tendenz ein, sich Wind und Wolken nicht mit abbildenden oder skulpturalen Verfahren anzunähern, sondern Praktiken performativer, technischer oder medial inszenierter Re-Präsentationen zu wählen, nicht ohne dabei zugleich ökologische Aspekte zu berücksichtigen.[42] So bringt auch die Arbeit In Elements des niederländischen Künstlers Sjoerd Knibbeler kurzzeitig Wolken hervor, hier allerdings aus Kreidepulver, das durch dünne Metallrohre in die Luft geschossen wird. Eine Fotoserie dokumentiert, wie der Wind die künstlichen Wolken im Wattenmeer vor der Nordseeinsel Föhr formt, vertreibt und wieder auflöst. Knibbeler bezieht sich mit der Aktion auf die Möglichkeit der stratosphärischen Aerololeinspritzung, mit der sich die Einwirkung des Sonnenlichts auf die Erdoberfläche reduzieren ließe.[43] Bildnerisch gebannt sind hingegen jene Wolken, die ihre Wolkenidentität nur vorspielen. Für seine Fotoserie Clouds (2019–21) hat der Düsseldorfer Künstler Andreas Gefeller Wasserdampfemissionen der Kühltürme von Kohlekraftwerken fotografiert. Die aus den Schloten

quellende, mit Verbrennungsrückständen angereicherte Abluft gaukelt uns in den digital bearbeiteten Aufnahmen ein Naturgeschehen vor.[44]
Viele der in den Ausstellungen in Wien oder Bonn präsentierten Werke (s. Anm. 42) zeichnen sich durch situative Gegenwärtigkeit, durch Aspekte körperhafter Präsenz sowie die Irritation von Wahrnehmungsmustern aus. Bezugnehmend auf die zuvor am Beispiel des Wirbelsturms verhandelten Fragen leibsinnlichen und atmosphärischen Erlebens und des Zusammenwirkens von Wolkengestalt und Windgewalt lassen sich drei Tendenzen ausmachen: Wind, der bewegend und formend auf Dinge einwirkt, die quasi an die Stelle der Wolken treten (a), Wind der als bewegende Kraft zum Kopoduzent der Werke wird, indem er auf Materialien und Werkzeuge trifft, die etwas hervorbringen oder vollenden (b) und schließlich Wind, der in der Art seiner Reinszenierung Aspekte von Körperlichkeit, Wahrnehmung oder atmosphärischem Erleben in den Mittelpunkt rückt ©.
(a) Wind als bewegende und formende Kraft

Es sind einfache Campingzelte, die in der Fotoserie One More Night von Julius von Bismarck als leere, vom Wind getragene und geformte Hüllen über freies Land fliegen (Abb. 14). Jedes Bild zeigt eine andere Form der temporären, gewöhnlich am Boden verankerten Behausung. Vor einem Himmel mit geschlossener Wolkendecke scheint sie zum Spielball des Windes zu werden, ist wie ein bizarrer Drachen seinen unvorhersehbaren Böen ausgesetzt. Einige Zelte sind im Flug aufgebläht, andere drohen in sich zusammenzufallen und abzustürzen. Ihre Form wird auch hier zum Indikator für Richtung und Stärke von Wind, für den es keine weiteren Anzeichen in der Landschaft gibt. In seiner Unberechenbarkeit scheint er indirekt mit dem Schutzbedürfnis von Menschen zu spielen, die Funktion von Zelten als Zufluchtsorte oder schützende Unterkünfte konterkarierend.

Auch Plastiktüten sind leere Hüllen, die noch bis vor wenigen Jahren in allen Ballungsgebieten der Welt zum Stadtbild gehörten. Längst haben sie die entlegensten Orte der Erde erreicht und verfangen sich selbst in der kargen Vegetation des peruanischen und bolivianischen Hochlands. Mit seiner Fotoserie Plastic Trees von 2014 dokumentiert der portugiesische Fotograf Eduardo Leal die windgeformten und im späten Licht transparent wirkenden Gebilde im Gestrüpp der Büsche, wo sie Assoziationen an phantastischen Blüten oder tänzerische Figurationen hervorrufen. (Abb. 15) Mit der Ambivalenz von flüchtig und verspielt wirkendem Eindruck und der faktisch tödlichen Auswirkung für Flora und Fauna weist Leal auf eine der vielen ökologischen Katastrophen hin.
(b) Wind als Koproduzent
Wehenden Wind unmittelbar an der Gestaltung eines Werks teilhaben zu lassen, diese Strategie verfolgt die Amerikanerin Susan Walsh (2018), indem sie es seinen Böen überlässt, ungebundene Partikel entlang mehrerer mit grober Zeichenkohle gezogener Linien zu vertreiben.[45] Dabei entstehen Spuren, die den Verlauf der Linien unterbrechen und zugleich zart umspielen, was den Eindruck vom Gleichmaß ihrer Längen und Abstände stört. Während Wind hier in die vorliegende Zeichnung eingreift und ihr durch das Verwehen des Materials eine nebulöse Ausdrucksdimension hinzufügt, wird seine nächtliche Aktivität in Lydia Simons Video-Arbeit 70 Sekunden Wind (2020) mithilfe von jeweils drei hängende LEDs aufgezeichnet, deren flügelartige Aufsätze Richtung und Stärke des Windes einfangen, sodass die Leuchten im nächtlichen Dunkel für jeweils siebzig Sekunden geschwungene Lichtlinien in seriell angelegten Filmsequenzen hinterlassen.[46] In diesem Zusammenhang sind auch die poetisch anmutenden Wind Drawings des Japaners Ricudo Uedas anzuführen,[47] der es dem Wind durch fragile Konstruktionen aus Zweigen und anderen Materialien ermöglicht, unterschiedliche Zeichenwerkzeuge auf seine Art über das teils in Büschen und Bäumen befestigte Papier zu bewegen. Am 5. April 2021 entsteht in Osaka ein feinlinig gezeichneter Wirbel, der auf einen rotierenden Wind schließen lässt. (Abb. 16) Neben den unterschiedlichen teils auch kalligraphisch anmutenden Ergebnissen beeindrucken die Konstruktionen und die Art ihrer jeweiligen Installation. In Werken wie diesen ist der Wind als Akteur eingeladen, Parameter seines Wehens wie Richtung und Stärke nach Art seismographischer Dokumentation selbst aufzuzeichnen. Indem Künstlerinnen und Künstler sich auf diese Art und Weise seiner Mitwirkung versichern, wahren sie einerseits Distanz zum Wind, auch durch Abwesenheit bei der

Entstehung der Werke, vereinnahmen ihn andererseits jedoch als mitgestaltende Instanz.
© Wind, Körper und Atmosphäre

Während Olafur Eliasson mit der Installation Your Windy Corner in Wien oder Arcangelo Sassalino mit Il vuoto senza misura, einem riesigen Ventilator auf dem Bonner Museumsplatz, das unmittelbare Erleben von in Bewegung versetzter Luft direkt in der Ausstellung ermöglichen,[48] werden in anderen Werken hintergründige Körperbezüge aktiviert, die Wahrnehmungsroutinen unterlaufen. So erscheinen in Aiyumi Ishiis Arbeit The Breath From Which the Clouds Are Formed weiße Wolken vor hellblauem Himmel auf zwölf Digitaldrucken (Abb. 17). Bei einigen dieser Wolken handelt es sich um den sichtbar gemachten Atem der Künstlerin, den sie auf ein wärmeempfindliches blaues Papier gehaucht und dessen bei 25 Grad Celsius einsetzende Entfärbung sie fotografiert hat. Die Fotos ihre Atemwolken sind von denen der tatsächlichen Wolken nicht zu unterscheiden, womit Wolken, Wind und Atem eine mehrfach ausdeutbare Verbindung eingehen.

Bezüglich der Wahrnehmung von Windkraft und Atmosphäre eines Unwetters ist es eine weitere Arbeit Julius von Bismarcks, die das Wüten eines Sturms auf ungewöhnliche Weise erfahrbar macht. Sein Video Irma to Come in Earnest zeigt jenen siebenunddreißig Stunden lang tobenden Hurrikan, der am 10. September 2017 auf den Südwesten Floridas traf und dort unter dem Namen Irma immense Verwüstungen anrichtete. (Abb. 18) Von Bismarck, dessen Arbeiten häufig um Eingriffe des Menschen in die Natur kreisen, reagiert mit einem durch an- und abschwellende Sounds unterlegten Video von einundfünfzig Minuten auf die medialen Bilder des Sturms. Dabei werden Ausschnitte des Geschehens extrem verlangsamt wiedergegeben, wodurch die mit einer Hochgeschwindigkeitskamera gefilmten Sequenzen das am Meer und der Vegetation sichtbare Wüten ausbremsen und durch Zeitlupe in eine unwirklich erscheinende Darbietung von tänzerischer Anmut und meditativer Intensität verwandeln. Äste, Palmenblätter und Gräser scheinen sanft und behutsam ineinanderzugreifen, das Meer als träge aufgeschäumte Masse sich langsam zu nähern und wieder zu entfernen. Es sind Aufnahmen zwischen Stillstand und Bewegung, die durch bildnerische und akustische Verfremdung die gewohnte Katastrophendokumentation unterlaufen und eine Atmosphäre der Unwirklichkeit schaffen. Erst die abschließende Kamerafahrt enttarnt das Schauspiel und zeigt eine Welt mit Menschen, die angesichts unfassbarer Zerstörungen nun ihrerseits in einen Modus ausgebremster, verlangsamter Bewegung fallen. Von Bismarck gelingt es mit seinem Video, die Sicht auf das Ereignis durch den kontrastierend eingesetzten Zeitmodus sowie das weitgehende Eleminieren der Farbe zu irritieren und über die solcherart entstehende Fremdheit des sich Ereignenden eine zwiespältige atmosphärische Stimmung hervorzurufen. Medial transformiert kann das situativ Gegebene zum Reflexionsgegenstand eigenen Wahrnehmens und Empfindens werden. Auch dafür ist Distanz vonnöten. Nicht die verdichtete Wolken-Wind-Erscheinung eines Tornados hält uns als fokussierbares Gegenüber hier auf Abstand, sondern die Irrealität einer surreal anmutenden Traumwelt, die der Künstler als Ausdrucksmittel für die Unfassbarkeit des Geschehens aus dem dokumentarischen Material selbst generiert.
Windgewalt und Wolkengestalt – ein Fazit
Ausgehend von dem Versuch, die Faszination der Annäherung und bildhaften Aufzeichnung eines gefahrvollen Wind-/ Wolkenereignisses aus phänomenologischer Sicht zu ergründen, wurde die Herausbildung eines Tornados durch Bezugnahme auf ontologische Fragen, Fragen zu Bildgestalt und leibsinnlicher Wahrnehmung sowie den von Gernot Böhme ausformulierten Atmosphäre-Begriff reflektiert. Beim Blick auf ausgewählte Werke zeitgenössischer Kunst wurde deutlich, dass sich Künstlerinnen und Künstler dem unsichtbaren Windereignis wie dem bildhaften Wolkengeschehen auf sehr unterschiedliche Weise annähern und – anders als in der Klassischen Moderne – einem Bedürfnis nach leibsinnlichem Erleben Rechnung tragen. Trotz vielfältiger medialer Transformationen von Windkraft und Wolkenbildung setzen viele von ihnen mit reinszenierenden Praktiken und irritierenden Wahrnehmungsverschiebungen auf körperliche Beteiligung und leibsinnliche Anteilnahme, auch um Auswirkungen des globalen Klimawandels und ökologische Fragen zu thematisieren. Bis auf wenige Ausnahmen findet dabei eine bemerkenswerte Entkoppelung des atmosphärisch bedingten Zusammenwirkens von Winden und Wolken statt. Künstlerinnen und Künstler bemächtigen sich auf der einen Seite der Kraft des Windes oder setzen ihn mit Hilfe künstlich bewegte Luft in unterschiedlichen Kontexten ein, während sie auf der anderen Seite Wolken und ihre Abbilder selbst hervorbringen und (um)gestalten. Trotz meteorologisch bedingter Wechselwirkungen sind es nach wie vor Winde, die als treibende oder formende Kräfte, hautnah oder in medialer Transformation erlebt, und Wolken, die als formannehmende Erscheinungen betrachtet werden.[49] Für die Sturmjäger in den USA fallen Erleben und Betrachten zusammen, besonders wenn es um den Himmel und Erde verbindenden Wirbel geht, der Wolken zum Erdboden herabzwingt.
Das distanzierte optische Verhältnis zur Wolke ist neben ihrer räumlichen Ferne und Flüchtigkeit nicht zuletzt durch ihren autopoietischen Charakter bedingt, denn selbst ohne spürbaren Wind erschaffen Wolken permanent Bilder. Auch diesen Aspekt eigenständiger Bildhervorbringung hat Lukrez kommentiert. Nun sind es erstaunlicherweise die Wolken selbst, die „in stürmischem Sausen das Luftmeer peitschen“ und denen als Hervorbringer von Bildern „selbständigen Ursprungs“ eine aktive Kraft zugestanden wird:
„Aber damit Du nicht wähnst, nur die aus den Dingen sich lösen, / Seien die einzigen Bilder der Dinge, die uns umschwärmen, / Siehe da gibt›s noch die andere Art selbständigen Ursprungs, / Die an dem Himmel entsteht, in dem Luftkreis, wie wir ihn nennen. / Mannigfach sind die Bilder geformt, die droben sich regen, / So erblicken wir oft, wie leicht die Wolken im Luftraum / Ballen und Finsternis bringend der Welt die Heiterkeit rauben, / Wenn sie in stürmischem Sausen das Luftmeer peitschen. Da sehen / Oft wir als Riesen sie fliegen und weithin werfen den Schatten, / Oft als gewaltige Berge und abgerissene Blöcke / Bald vor sie Sonne sich schieben, bald neben ihr her sich verziehen; / Sehn sie auch anderes Regengewölk als Schäfchen herbeiziehen, / Doch im Zerfließen verändern sie unaufhörlich ihr Aussehn / Und verwandeln sich in beliebig umrissene Formen.“ (Lukrez 1957, IV 127–144, S. 133)

Diese vor über zweitausend Jahren formulierten Beobachtungen zum „Bildungstrieb“[50] der Wolken erinnern abschließend daran, dass Wetterphänomene durch ihre unmittelbare Gegenwärtigkeit Bedingtheiten des Zusammenwirkens von Körperlichkeit und Bildlichkeit erlebbar machen. So kann das Ereignishafte der aktuellen Witterung im kunstpädagogischen Feld über Praktiken spielerisch-performativer Annäherung und bildnerischer Inszenierung einschließlich ihrer medialen Repräsentation in gestalterische Aktionen überführt und an individuelle Erlebnisse rückgebunden werden. Wahrnehmend und spürend, betrachtend und darstellend entfalten die sowohl situativ erlebten als auch medial transformierten Bilder eine leibsinnliche Dimension, die mithilfe handlungsorientierter und materialbedingter Gestaltungsverfahren zur individuellen Annäherung jenseits gebräuchlicher Bildschemata, nicht selten auch zur überraschenden Synthese des Erinnerten, Imaginierten und Erlebten führt.[51] Solcherart aktiviert lassen sich Alltagserfahrungen mit Wetterereignissen um Momente des Staunens, um Wissensbestandteile und die Begegnung mit Kunstwerken erweitern. (Abb. 19) Wenn Sonne, Wolken, Regen, Gewitter und Wind über Projektionen und Filmsequenzen, über Bilder und Objekte in ästhetische Inszenierungen münden, werden Kinder und Jugendliche über die Dynamiken zwischen unmittelbarer Gegenwärtigkeit und transformierender Darstellbarkeit zu Akteuren in Bildern wie zu Autoren von Bildern.
Literatur
Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt a. M., Suhrkamp Verlag 1995.
Ders.: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre. München, Wilhelm Fink Verlag 2001.
Ders.: Das Wetter und die Gefühle. Für eine Phänomenologie des Wetters. In: Luft. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.). Wissenschaftliche Redaktion: Bernd Busch. Schriftenreihe Forum/ Band 12. Elemente des Naturhaushalts IV. Köln, Wienand 2003, S. 148–161.
Ders.: Das Wetter in der Sprache der Gefühle. Mit besonderer Berücksichtigung Goethes. In: Nova, Alessandro u. Michalsky, Tanja (Hg.): Wind und Wetter. Die Ikonologie der Atmosphäre. Kunsthistorisches Institut in Florenz, Max-Planck-Institut. Venedig, Marsilio 2009, S. 247–258.
Ders.: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Berlin, Suhrkamp 2013.
Böhme, Hartmut: Zur Kultur- und Kunstgeschichte von Wolken und Wetter. In: Stefan Kunz, Johannes Stückelberger, Beat Wissner (Hgg.): Die Erfindung des Himmels. Katalog zur Ausstellung im Aargauer Kunsthaus, Aarau. München, Hirmer Verlag 2005, S. 11–21.
Buether, Axel: Die Bildung der räumlich-visuellen Kompetenz. Neurobiologische Grundlagen für die methodische Förderung der anschaulichen Wahrnehmung, Vorstellung und Darstellung im Gestaltungs- und Kommunikationsprozess (Schriftenreihe Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, Band 23). Halle, Burg Giebichenstein 2010.
Brogsitter, Roana: Die Macht der Wirbelwinde – Tornado, Twister, Windhose. IQ — Wissenschaft und Forschung. Podcast auf BII. https://www.br.de/mediathek/podcast/iq-wissenschaft-und-forschung/die-macht-der-wirbelwinde-tornado-twister-windhose-1/2098471 (Stand 30.12.24).
Guldin, Rainer: Die Sprache des Himmels. Eine Geschichte der Wolken. Berlin, Kulturverlag Kadmos 2006.
Hasse, Jürgen: Atmosphären der Stadt – Stadt als Gefühlsraum. In: Der urbane Blick. Impulse für eine Documenta moderna. Kunstforum International 218/2012, S. 132–147.
Hedinger, Bärbel: Wetter und Wolken. Zur Kunst und Kulturgeschichte flüchtiger Erscheinungen. In: Wasser. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.). Wissenschaftliche Redaktion: Bernd Busch u. Larissa Förster. Schriftenreihe Forum/ Band 9, Köln, Wienand 2000, S. 230–245.
Horn, Joachim: Wolkenklassifikation. In: Bärbel Hedinger, Inés Richter-Musso und Ortrud Westheider (Hgg.): Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels. Katalog zur Ausstellung des Bucerius Kunst Forums in Hamburg, Berlin und Aargau. München, Hirmer Verlag 2005, S. 240–241.
Landweer, Hilge: Zur Räumlichkeit der Gefühle. In: Gestalt Theory 2020, Vol. 42, No. 2, S. 165–180. DOI 10.2478/gth-2020–0014.
Lukrez/ Lucretius Carus, Titus: De rerum natura/ Über die Natur der Dinge. Aus dem Lateinischen übersetzt von Hermann Diels. Berlin, Aufbau Verlag 1957.
Natter, Tobias W. u. Smola, Franz (Hgg.): Wolken. Welt des Flüchtigen. Katalog zur Ausstellung im Leopold Museum Wien. Ostfildern, Hatje Cantz Verlag 2013.
Nova, Alessandro: Das Buch des Windes. Das Unsichtbare sichtbar machen. München Berlin, Deutscher Kunstverlag 2007.
Nova, Alessandro u. Michalsky, Tanja (Hgg.): Wind und Wetter. Die Ikonologie der Atmosphäre. Kunsthistorisches Institut in Florenz, Max-Planck-Institut. Venedig, Marsilio 2009.
Scheffknecht, Liddy u. Strouhal, Ernst (Hgg.): Wenn der Wind weht. Luft, Wind und Atem in der zeitgenössischen Kunst. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Haus der Kunst Wien, Museum Hundertwasser. Edition Angewandte. Buchreihe der Universität für angewandte Kunst Wien. Berlin, De Gruyter 2022.
Scheuermann, Barbara u. Döbblin, Anna (Hgg.): Welt in der Schwebe. Luft als künstlerisches Material. Kunstmuseum Bonn, Snoeck Verlagsgesellschaft 2022.
Schmitz, Hermann: Die Luft und als was wir sie spüren. In: Luft. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.). Wissenschaftliche Redaktion: Bernd Busch. Schriftenreihe Forum/ Band 12. Elemente des Naturhaushalts IV. Köln, Wienand 2003, S. 76–84.
Spielmann, Heinz u. Westheider, Ortrud (Hgg.): Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels. Publikation des Bucerius Kunst Forums. München, Hirmer Verlag 2005.
Weber, C. Sylvia (Hg): Wasser, Wolken, Wind. Elementar- und Wetterphänomene in Werken der Sammlung Würth. Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Würth. Künzelsau, Swindoff Verlag 2016.
Wegener, Alfred: Wind- und Wasserhosen in Europa. Die Wissenschaft. Sammlung von Einzeldarstellungen aus den Gebieten der Naturwissenschaft und Technik Bd. 60. Braunschweig, Friedrich Vieweg & Sohn 1917. https://www.essl.org/media/pdf/Wegener1917/Kapitel01-02.pdf (Stand 15.12.24)
Westheider, Ortrud: Wolken und Abstraktion. Ein Motiv verändert die Malerei. Von Blechen zu Mondrian. In: Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels. Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung des Bucerius Kunst Forums in Hamburg, Berlin und Aargau. München, Hirmer Verlag 2005, S. 216–237.
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Abbildungsnachweise
Abb. 1: Wind-/ Wolkenspiel über der Lagune von Venedig. Foto P.K.
Abb. 2: Leonardo da Vinci: Codex Leicester. Seattle, Smlg. Bill Gates. Blatt 7A, fol. 30v. In: Nova 2007, S. 86.
Abb.3: Tornado bei Elie in Manitoba, Canada, 22. Juni 2007. Foto English Wikipedia, Justin 1569. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:F5_tornado_Elie_Manitoba_2007.jpg
Abb. 4: Tori Jane Ostberg: The Red Terror, 2016. https://www.rmets.org/node/361574 (Stand 30.12.24). Vgl. auch https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?nn=103346&lv2=102672&lv3=102774 (Stand: 15.11.24)
Abb. 5: Ernst Fries: Wirbelsturm vor Neapel, 1833. In: Un paese incantato: Italia dipinta da Thomas Jones a Corot, a cura di Anna Ottani Cavina, Milano 2002, Abb. 161. (vgl. prometheus Bildarchiv für Forschung und Lehre).
Abb. 6: Skizzen einer 1890 bei Oldenburg beobachteten Windhose, aufgezeichnet von verschiedenen Augenzeugen. In: Alfred Wegener 1917, Fig. 6, S. 25. https://www.essl.org/media/pdf/Wegener1917/Kapitel01-02.pdf (Stand 15.12.24)
Abb. 7: William Turner: Seestück mit aufkommendem Sturm, um 1840. In: Georg-W. Költzsch (Hg.): William Turner. Licht und Farbe. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum Folkwang Essen und im Kunsthaus Zürich, DuMont 2001, S. 255, Nr. 196.
Abb. 8: Olphaert den Otter: lucht 18/2/2009, 2009. In: Markus Bertsch und Jörg Trempler (Hgg.): Entfesselte Natur. Das Bild der Katastrophe seit 1600. Ausstellungskatalog Hamburger Kunsthalle. Michael Imhof Verlag 2018, S. 162–173. Vgl. auch https://www.olphaertdenotter.com/worldstresspainting?pgid=kiug7612-25c33ae5-9678–4444-a0de-8a90569ee26d (Stand: 30.12.25).
Abb. 9: Wind. Orbis pictus 1821. Neuer Lustweg zum Ziel nützlicher Künste und Wissenschaften. Ein unterhaltendes ABC-Bilderbuch in deutscher, lateinischer, französischer, und italienischer Sprache. Nürnberg 1821, S. 60 (vgl. prometheus Bildarchiv für Forschung und Lehre).
Abb. 10: Roman Signer: Ventilator mit Brett, 2015. In: Scheffknecht u. Strouhal 2022, S. 103.
Abb. 11: Andy Goldsworthy: Leaning into the Wind, 2017 (Film Still). https://theknockturnal.com/film-review-artist-andy-goldsworthy-will-teach-lean-wind/amp/ (Stand: 30.12.24)
Abb. 12: Lyonel Feininger: Wolke nach dem Sturm (Vogelwolke), Cambridge, Harvard University, The Busch-Reisinger Museum. In: Roland März (Hg.): Lyonel Feininger. Von Gelmeroda nach Manhatten. Retrospektive der Gemälde. Ausstellungskatalog: Berlin, Neue Nationalgalerie 1998, S. 143, Abb. 72.
Abb. 13: Andreas Gefeller: Clouds 2019. In: Scheuermann u. Döbbelin 2022, S. 48–53.
Abb. 14: Julius von Bismarck: One More Night, 2016. In: Scheffknecht u.Strouhal 2022, S. 155.
Abb. 15: Ayumi Ishii: The Breath From Which the Clouds Are Formed. 2015, 2019. In: Scheffknecht u. Strouhal 2022, S. 117.
Abb. 16: Eduardo Leal: Plastic Trees, 2014. In: Scheffknecht u.Strouhal 2022, S. 151.
Abb. 17: Ricudo Uedas: 5. April 2020, Ota Garden, Osaka, 12:28, 2021. In. Scheuermann u. Dobblin 2022, S. 134.
Abb.18: Julius von Bismarck: Irma to Come In Earnest, 2017 (Video Still). In: Scheffknecht u.Strouhal 2022, S. 82–83.
Abb. 19: „Wir sind das Wetter…!“ Schulprojekt im Fach Kunst- und Musikpädagogik an der Universität Bielefeld im Rahmen der Bielefelder Kulturwandertage 2022. Foto P.K., Bearbeitung Marlon Roth.
[1] https://www.geo.de/natur/naturwunder-erde/preisgekroente-wetterfotografie-von-maechtigen-stuermen-und-30167930.html (Stand: 15.11.24)
[2] Im Internationalen Wolkenatlas hat die WMO (World Meteorological Organization) angesichts der Tatsache, dass sich trotz des unendlichen Formenreichtums von Wolken weltweit eine begrenzte Anzahl charakteristischer Erscheinungsbilder ausmachen lässt, zehn Wolkengattungen, vierzehn Wolkenarten, neun Wolkenunterarten sowie neun Begleitwolken und Sonderformen verbindlich festgelegt. Vgl. auch Horn 2005 sowie die Internationale Wolkenklassifikation im Wetter- und Klimalexikon des Deutschen Wetterdienstes:
https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?lv2=101224&lv3=101274 (Stand: 15.11.24)
[3] https://www.rmets.org/node/361515 (Stand: 15.11.24)
[4] https://www.rmets.org/node/361574 (Stand: 15.11.24)
[5] https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?nn=103346&lv2=102672&lv3=102774 (Stand: 15.11.24)
[6] Anliegen von Wegeners Publikation war es, „die in Europa über Wind- und Wasserhosen oder Tromben gemachten Beobachtungen zu sammeln und unter dem Gesichtspunkt ihrer physikalischen Erklärung zu sichten.“ Wegener 1917, S. 1. https://www.essl.org/media/pdf/Wegener1917/Kapitel01-02.pdf (Stand: 10.12.24)
[7] Seattle, Smlg. Bill Gates, Blatt 7A, fol. 30v.
[8] Vgl. u.a.: https://www.youtube.com/watch?v=V9S0M_thysk; https://www.youtube.com/watch?v=7eeDaOSxp3I; https://www.youtube.com/watch?v=tQ5GvIWqztE; https://www.youtube.com/watch?v=13Mj9xyH_Fc; https://www.welt.de/mediathek/dokumentation/natur-und-wildlife/sendung246081896/Die-Macht-der-Natur-Tornados.html (Stand: 20.12.24)
[9] Der vollständige Satz lautet: „Wie ein gewaltiger Strom“, so zermalmt er alles und wälzt es/ Vor sich mit häufigem Stoße einher, wo immer er einfällt,/ Oder bisweilen ergreift er mit drohendem Strudel die Dinge/ Und trägt rasenden Fluges sie fort im rollenden Wirbel.“
[10] Alfred Wegener hat im zweiten Kapitel seines Buches elf ausgewählte Originalbeschreibungen, teils mit Zeichnungen oder Schwarz-Weiß-Fotografien versehen, abgedruckt. Wegener 2007, S. 7–32.
https://www.essl.org/media/pdf/Wegener1917/Kapitel01-02.pdf (Stand 15.12.24)
[11] Dies trifft nach neueren Erkenntnissen nur für den sogenannten Wolkenschlauch zu. Radar-Vermessungen an fünf Tornados deuten darauf hin, dass sich zumindest die tornadotypische Rotation im sichtbar gewordenen Schlauch in Bodennähe entwickelt, bevor sie die oberen Bereiche erfasst. Die daraus abgeleitete Top-Down-Hypothese widerspricht dem bislang angenommenen Entstehen als Bottom-Up-Ereignis, so eine Veröffentlichung der American Geophysical Union von 2018. Über dem Meer jedoch wächst dem Wolkenschlauch der aufgewirbelte Wasserkegel von unten entgegen, wie es schon Leonardo da Vinci beobachtet hat. https://www.scinexx.de/news/geowissen/tornados-widerlegen-theorie/ (Stand: 15.12.24)
[12] Und die dennoch „einen ganzen Komplex von mehr oder minder bewußten Assoziationen auslöst und damit die Phantasie anregt.“ Herbert Lehmann, Essays zur Physiognomie der Landschaft, Wiesbaden 1986, S. 164, zit. n. Böhme 1995, S. 151.
[13] Anders verhält es sich bei Hurrikanen: Weltweit am längsten wütete – seit Beginn der Wetteraufzeichnungen – der 2021 über Florida hinweggezogene Hurrikan Irma. Er war mit einer Intensität von fast 300 km/h 37 Stunden aktiv. https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2017/9/11.html (Stand 20.12.24)
[14] Vgl. Boehme 1995, S. 155–175, wobei zu klären wäre, inwiefern die Art und Weise des charakteristischen Sich-Zeigens oder Hervortretens auch jenseits traditioneller ontologischer Ding-Vorstellungen Gültigkeit haben kann.
[15] Zur Darstellung zeitlicher Abläufe im Bild vgl. u.a.: Heinrich Theissing: Die Zeit im Bild, Darmstadt 1987; Max Imdahl: Über einige narrative Strukturen in den Arenafresken Giottos. In: Ders. Gesammelte Schriften Bd. 2, (Suhrkamp) Frankfurt a.M. 1996, S. 180–209; Hannelore Paflik-Huber: Kunst und Zeit. Zeitmodelle in der Gegenwartskunst, München 1997.
[16] Der Künstler malt nach Katastrophenmeldungen aus dem Internet und den Printmedien kleine mit Datums- aber ohne Ortsangaben versehene Bilder in Eitempera auf Papier. Die umfangreiche Serie World Stress Painting umfasst Überschwemmungen, Feuersbrünste, Tsunamis, Bergrutsche und Wirbelstürme und spielt auf die an der Vier-Elementen-Lehre ausgerichteten Konstante von Naturkatastrophen an.
https://www.olphaertdenotter.com/worldstresspainting (Stand 30.12.24)
[17] In der Kombination der Worte Wind und Braut steht die Verkörperung der Windsbraut für eine ungestüme oder leidenschaftliche Person, wobei das Konzept der Vereinigung oder des Zusammenschlusses mitschwingt.
[18] Es handelt sich um die 63 x 72 cm große Fotoübermalung und Collage mit Haaren von 2003. Abb. in Sylvia C. Weber (Hg.) 2016, S. 258.
[19] Eine Tatsache, die Erich Kästner zu jener exemplarischen, die kindliche Neugier charakterisierenden Frage veranlasste: „Was tut der Wind, wenn er nicht weht?“
[20] Benannt nach dem irischen Schiffskommandanten und Hydrographen Sir Francis Beaufort (1774–1857). Die Beaufortskala. In: Richard Hamblyn: Die Erfindung der Wolken. Frankfurt a. Main u. Leipzig 2001, S. 202–226.
[21] Sie wurde 1971 von Dr. T. Teodore Fujita entwickelt und umfasst 13 Stufen, von denen die letzten sechs bislang nur theoretisch ermittelte Werte anführen.
https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?lv3=100922&lv2=100784 (Stand 30.12.24)
[22] Erhellend dazu die Kapitel „Sturm der Leidenschaften“ und „Die Analogie von Wetter und Gefühlen in der Kosmologie“ im Buch von Christina Storch: Wetter, Wolken und Affekte. Die Atmosphäre in der frühen Neuzeit. Berlin, Gebr. Mann Verlag, 2015, S. 15–56.
[23] Letztlich bergen alle elementaren Kräfte das Potenzial zur Katastrophe, eine Tatsache, die spätestens seit der Renaissance auch in Werken der Kunst ihren Niederschlag fand. Markus Bertsch u. Jörg Trempler (Hgg.) Entfesselte Natur. Das Bild der Katastrophe seit 1600. Katalog zur Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Michael Imhof Verlag 2018. Vgl. auch Silke Köhn: Schiffbruch vor Zuschauer. Die See und ihre Naturgewalten in der Kunst in dieser Ausgabe der ZAEB.
[24] Alessandro Nova hat diese in seinem Buch des Windes (2006) mit dem Untertitel Das Unsichtbare sichtbar machen kultur- und kunstgeschichtlich beleuchtet.
[25] Ein bekanntes Beispiel ist die Gestalt Zephirs in Sandro Botticellis Bild Geburt der Venus (1483–85), aus dessen Mund der Westwind strömt. Seine Auswirkungen auf Wellen, Haare, Gewänder und Vegetation hat Botticelli zugleich deutlich herausgestellt.
[26] Leonardo da Vinci hat sich zeichnend in die wind- und strömungsbedingten Strukturen des Wassers und der Wolken vertieft.
[27] Eng mit Fragen der Darstellbarkeit des Windes verbunden ist die Tatsache, dass sich Künstlerinnen und Künstler auch im Rahmen der christlichen Ikonographie jahrhundertelang vor die Aufgabe gestellt sahen, das Wirken unsichtbarer Kräfte und Existenzen bildhaft erfahrbar zu machen. Neben der Wolke spielt Wind als göttlicher Odem dabei eine entscheidende Rolle. So schwebt Gottes Windhauch, bevor er Himmel und Erde schuf, über dem Chaos. „Ruach“ nennt die hebräische Bibel den Atem Gottes, der auch als Geist Gottes, später als Heiliger Geist wirksam wird und als unsichtbare und beseelende Kraft Dinge bewegt.
[28] Dass wir anhand dieser Konstellation von der Wirkung des Luftdrucks auf das Holzbrett, nicht aber von jener des Holzbretts auf die Luft sprechen, hängt letztlich mit der Konditionierung unserer Wahrnehmung zusammen, dem jeweils aktiveren Element eine Auswirkung auf das passivere zuzuschreiben.
[29] https://www.youtube.com/watch?v=sngXz55b4bc (Stand: 20.12.24)
[30] Das zeigt die große Anzahl kunstgeschichtlichen Publikationen und Ausstellungsprojekte zum Thema Wolken, u.a. Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels (Hamburg u.a. 2005) und Wolken – Welt des Flüchtigen (Wien 2013). 2023 fand unter dem Titel Von Gerhard Richter bis zur Cloud eine Ausstellung in Bad Homburg statt: https://kunst-und-natur.de/museum-sinclair-haus/presse/pressemitteilungen/wolken-von-gerhard-richter-bis-zur-cloud (Stand 30.1.24)
[31] Es ging dabei verkürzt gefasst um die Forderung, Natur genau zu studieren, um ihre spirituelle Dimension zu erfassen. Wolken wurden zu Symbolen für das Streben nach Wahrhaftigkeit in der Kunst. Vgl. u.a. Hubert Damisch: Theorie der Wolke. Zürich-Berlin 2013.
[32] Abgebildet in Roland März (Hg.): Lyonel Feininger. Von Gelmeroda nach Manhatten. Retrospektive der Gemälde. Ausstellungskatalog Berlin, Neue Nationalgalerie 1998, S. 142.
[33] Ausst. Kat.: Schwitters in Britain. Tate Britain London/ Sprengel Museum Hannover, 2013. S. 71.
[34] Angela Schneider: Willi Baumeister, Gemälde. Berlin 1989, Abb. 89.
[35] Fettige Wolke löst sich aus dem Meer, 1959. Joseph Beuys. Zeichnungen. Stuttgart/ Ahrensburg, Dr. Cantz’sche Druckerei 1979, Tafel 50.
[36] Sylvia C. Weber 2016, S. 252.
[37] Brugger, Ingried, Arnulf Rainer: Gegen.Bilder. Retrospektive zum 70. Geburtstag, München, Peschke Druck 2000, S. 130. Hinsichtlich des Motivs von Menschen in stürmischer Landschaft ist das kleine, auf Holz gemalte Bild Der Windstoß von Honoré Daumier (1850–55) auch aufgrund seiner atmosphärischen Unschärfe bemerkenswert.
https://prometheus.uni-koeln.de/de/collections/63462/image/daumier-f03d3879d64b7276878ee655f320f803ce712836 (Stand 30.12.24)
[38] Sylvia C. Weber 2016, S. 272 u. 273.
[39] Reinhard Hoeps u.a. (Hgg.): Himmelschwer. Transformationen der Schwerkraft. Katalogbuch zur Ausstellung in Graz 2003. München Fink Verlag 2003, S. 159. Die skulpturale Auseinandersetzung mit Wind und Wolken ist ein weiteres lohnendes Thema, das an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden kann.
[40] Ina Ströher: K.O. Götz, Werkverzeichnis Band 2, 1937–1979. Bonn 2014, S. 339.
[41] Terry Friedman: Zeit. Andy Goldsworthy, Frankfurt a.M., Zweitausendeins 2001, S. 111.
[42] Vgl. zuletzt die Wiener Ausstellung Wenn der Wind weht. Luft, Wind und Atem in der zeitgenössischen Kunst (2022) sowie Welt in der Schwebe. Luft als künstlerisches Material (2022) im Kunstmuseum Bonn.
[43] Ein weiteres Beispiel für künstlich erzeugte Wolken in Ausstellungskontexten bietet die Arbeit The Sky Eludes All Attempts At Planing von Loudmilla Milanova und Steffi Lindner. Hier entsteht in kurzen Zeitsequenzen eine Wolke als ephemere Skulptur über einem Museumssockel.Abb. in Scheuermann u. Döbblin 2022, S. 101–102.
[44] https://www.andreasgefeller.com/gallery/clouds/ (Stand 30.12.25)
[45] Scheffknecht u.Strouhal 2022, S. 109–111.
[46] Scheffknecht u.Strouhal 2022, S. 108–111.
[47] https://www.mikikosatogallery.com/de/kuenstler/rikuo-ueda (Stand 30.12.24)
[48] Scheffknecht u.Strouhal 2022, S. 112–113; Scheuermann u. Döbbelin 2022, S. 128–129.
[49] Neben einer Vielzahl literarischer und bildnerischer Wolkenbetrachtungen ist hier René Magrittes Bild Der falsche Spiegel (1929) anzuführen. In der formatfüllenden Darstellung eines Auges hat der Künstler die Iris durch einen blauen Himmel mit weißen Wolken ersetzt. Le faux miroir, 1929, Öl/ Leinwand, 54 x 81 cm, neben einer zweiten kleineren Version von 1935. Abb. in: David Sylvester: Magritte. Lizenzausgabe Parkland Verlag Köln 2003, S. 147 u. 293.
[50] In Anlehnung an Friedlieb Ferdinand Runge. Vgl. Ausst.-Kat. Der Bildungstrieb der Stoffe. Friedlieb Ferdinand Runge (1794–1867). Gerhard Preuß, Kunsthalle Nürnberg, Nürnberg 1970. Wie inspirierend das reflektierende Betrachten von Wolkenbildungen in Natur und Kunst sein kann, davon überzeugt zuletzt Klaus Reichert mit seinem Buch Wolkendienst. Figuren des Flüchtigen von 2016.
[51] Vgl. den Beitrag Dem Schneesturm trotzen. Das Wetter als Phänomen und Erfahrung im Eingangsunterricht von Jasmin Meller in dieser Ausgabe der ZAEB.