Schiffbruch vor Zuschauer. Die See und ihre Naturgewalten in der Kunst
„Aber nun sandt‹ auf die Schiffe der Wolkenversammler des Nordwinds
Fürchterlich heulenden Sturm, verhüllt in dicke Gewölke, Meer und
Erde zugleich; und dem düstern Himmel entsank Nacht.
Schnell mit gesunkenen Masten entflohen die Schiff‹; und mit einmal
Rasselte rauschend der Sturm, und zerriß die flatternden Segel.
Eilend zogen wir sie, aus Furcht zu scheitern, herunter,
Und arbeiteten uns mit dem Ruder ans nahe Gestade.
Zwo graunvolle Nächte und zween langwierige Tage
Lagen wir mutlos dort, von Arbeit und Kummer entkräftet.
Aber da nun die dritte der Morgenröten emporstieg,
Richteten wir die Masten, und spannten die schimmernden Segel,
Setzten uns hin, und ließen vom Wind‹ und Steuer uns lenken.
Jetzo hofften wir sicher den Tag der fröhlichen Heimkehr.
Aber als wir die Schiff‘ um Maleia lenkten, da warf uns
Plötzlich die Flut und der Strom und der Nordwind fern von Kythera.
Und neun Tage trieb ich, von wütenden Stürmen geschleudert,
Über das fischdurchwimmelte Meer; am zehnten gelangt‹ ich
Hin zu den Lotophagen, die blühende Speise genießen.“
(Homer: Odyssee, IX. Gesang, 67–84)

Riesenwellen in der Odysee
Zu den ältesten überlieferten Beschreibungen von turbulenten Stürmen, dramatischen Schiffshaverien oder lähmender Flaute unter glühender Sonne zählt zweifellos das homerische Epos Odyssee aus dem achten vorchristlichen Jahrhundert. Der listenreiche Held von Troja wurde zum Spielball der Götter, gegen die er sich immer wieder selbstbewusst und manchmal auch spottend auflehnte. Als Bestrafung sandten der blitzeschleudernde Zeus und sein Gegenspieler, der Meergott und Erderschütterer Poseidon, Orkane, Strömungen oder Windstille, die immer wieder Odysseus‘ Rückkehr in die Heimat Ithaka verhinderten. Nach seiner Abreise von der Insel der Kirke hatte er zehn Tage und Nächte allein auf einem selbst gebauten Floß zugebracht, als der erzürnte Poseidon erneut einen schweren Sturm entfesselte und das Floß zerschellen ließ.
„Unter sich stürmten der Ost und der Süd und der sausende Westwind,
Auch der hellfrierende Nord, und wälzte gewaltige Wogen.
Und dem edlen Odysseus erzitterten Herz und Knie;
Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:
Weh mir, ich elender Mann! Was werd‹ ich noch endlich erleben!“
(Homer: Odyssee, V. 295–299)

Schließlich, nach zehn Jahren der Belagerung Trojas, weiteren Jahren der Irrfahrt über das Mittelmeer und dem Verlust aller zwölf Schiffe und Gefährten, strandete der schiffbrüchige Odysseus nackt auf der Insel der Phäiaken. Schon in dieser frühen Dichtung wurde der Himmel zur metaphorischen Projektionsfläche seelischer Stimmungslagen des Protagonisten: entweder er ist von Unheil verkündenden Wolkenbildern bedeckt, die die Wut der erzürnten Götter über den tollkühnen Odysseus zum Ausdruck bringen, oder der wolkenlose Himmel erstrahlt in einem leuchtenden Blau, wie bei der rettenden Begegnung des Gestrandeten mit Nausikaa auf der Insel der Phäiaken. In der Malerei seit dem Barock gedieh das Meermotiv zum bedeutungslosen Nebenschauplatz der Handlung und wird ruhig unter einem hohen Himmel dargestellt, wie in dem großformatigen Gemälde von Salvator Rosa.
Seinen Gastgebern berichtete Odysseus in langen Nächten von seiner Schiffreise, wie er durch ungünstige Winde und Stürme immer wieder vom Kurs abkam und Poseidon seine Rückkehr in die Heimat verhinderte. Nachdem er das Vertrauen der Phäiaken gewonnen hatte geleiteten sie ihn bei ruhiger See über das Ionische Meer zur Heimatinsel Ithaka. Fortan kann Pallas Athene ihren Günstling beschützen. Im fünften Gesang der Odyssee wird Poseidon als der unberechenbare Meergott und „Erderschütterer“ zum Herrn über die zerstörerisch-todbringenden Naturgewalten und dies nicht nur im metaphorischen Sinn: Mit seinem Dreizack kann er Wolken zusammen-treiben, um das Land zu verdunkeln, Böen der verschiedenen Winde peitschen lassen, das Meer aufwirbeln und „eine große Woge“ strömen lassen (Odyssee V., 282–296). Damit ist schon in der Antike ein Zusammenhang zwischen Erdbeben (bzw. Seebeben) und hohen Riesenwellen erkannt worden. Die geoarchäologische Forschung kann inzwischen sogar belegen, dass es im östlichen Mittelmeerraum nicht nur Erdbeben sondern auch Riesenwellen bzw. Tsunami gab. Im Jahr 551 vor Chr. wurde ein ganzer Landstrich bis zur über zwanzig Kilometer im Landesinneren gelegenen Stadt Olympia überschwemmt (Andreas Vött, 2011).[i] An vielen Stellen der Odyssee geben die Beschreibungen des Himmels, der Wolken und der Sonne Hinweise auf Naturereignisse und Naturkatastrophen, die mehr sind als metaphorische Umschreibungen. Nachdem Odysseus die seine Frau Penelope jahrelang bedrängenden Freier getötet hatte, heißt es am Ende des Epos: „Die Sonne/ Ist am Himmel erloschen, und rings herrscht schreckliches Dunkel!« (Odyssee XX., 356–357) Diese Textstelle wird als kurze Umschreibung einer Sonnenfinsternis gedeutet, die nach jüngsten Berechnungen eine Datierung der Heimkehr von Odysseus zu seiner Familie am 16. April 1178 vor Christus vermuten lässt (Osterkamp 2008).
Von einer dreistündigen Finsternis bei der Kreuzigung Christi am Tageshimmel berichten auch die Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas, allerdings konnte für diesen historischen Zeitraum keine Sonnenfinsternis berechnet werden, so dass die plötzliche Dunkelheit anders als in der Odyssee metaphorisch zu deuten ist.
Dem homerischen Epos folgten unzählige Texte von Philosophen, Literaten und Verfassern von Reiseberichten, die in epischer Breite, lyrischer Kürze oder lautmalerisch von unheilverkündenden Wolken, tobenden Windsbräuten, zuckenden Blitzen, prasselndem Regen oder donnernden Wellen erzählen und von gestrandeten, an Klippen zerschellten oder mit Eisblöcken kollidierten Schiffen berichten, die nicht selten mit Mann und Maus untergegangen seien.
Sturmfluten an der Nordsee
Während im Mittelmeer schwere Stürme und durch Seebeben ausgelöste Riesenwellen eher selten auftreten, müssen die Bewohner an der Nordseeküste jährlich mit Sturmfluten ab dem Spätherbst rechnen. Sie treten auf, wenn die Windgeschwindigkeit 20 Meter pro Sekunde beträgt, das mittlere Hochwasser über eineinhalb Meter liegt und der Wind von nordwestlicher Richtung auf die Nordseeküste gerichtet ist. Von einer ‚sehr schweren Sturmflut‘ ist die Rede, wenn starker Seewind ein Ansteigen des Wassers im Küstenbereich und an den Flussmündungen von Weser und Elbe dreieinhalb Meter über dem mittleren Hochwasser liegen. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie stellte fest, dass die Deutsche Bucht bedingt durch ihre Geographie häufiger von Sturmfluten heimgesucht wird als jede andere Region der Welt und das ein hundertprozentiger Schutz ausgeschlossen sei (Jensen/
Mudersbach 2006, S. 125).

Zahllos sind die Berichte vom Blanken Hans, der entlang der Nordseeküste von den Niederlanden bis nach Dänemark Halligen, Dünen und Sandstrände wegreißt, sich durch Deiche frisst, um Häuser und ganze Dörfer zu verschlingen. Seit der Römerzeit wissen wir von verheerenden Sturmfluten entlang der friesischen Küste mit hohen Opferzahlen von Mensch und Tier. Meereinbrüche veränderten immer wieder die Landkarte, ließen den Dollart und den Jadebusen entstehen. Jahrhundertfluten wie die Julianenflut 1164 und die beiden Marcellusfluten 1219 und am 15. Januar 1362 überschwemmten oft hunderte Quadratkilometer Landfläche. Es entstanden Sagen um die verschwundene Stadt Rungholt an der nordfriesischen Küste, die wie Atlantis im Meer versunken ist. Bewohner glaubten später, an stürmischen Tagen die Glocken noch zu hören und tatsächlich wurden die Ruinen von Rungholt 700 Jahre nach ihrem Untergang entdeckt (Rieken 2005, 172). Zwar bauten die Friesen entlang der Küste Deiche, aber gegen die Sturmfluten von Allerheiligen 1570 oder die Weihnachtsflut 1717 hielten sie nicht stand und eindringende Wassermassen zerstörten immer wieder Häuser und Ställe. Nur die sechs bis acht Meter über dem Meerspiegel auf Wurten errichteten gotischen Granit- bzw. Backsteinkirchen blieben unversehrt und boten oft den einzigen Schutz für Mensch und Tier.

Der Schriftsteller Hermann Allmers (1821–1902) aus dem in der Wesermarsch gelegenen Rechtenfleth, der zweimal nach Italien reiste, hatte in seinem Marschenbuch auch ein Kapitel über Sturmfluten veröffentlicht. Darin verglich er die Bewohner rund um den Vesuv mit den Friesen und stellte fest:
„Was sind einzelne Vesuvausbrüche, die dann und wann nach langen Zwischenräumen einige von ihren Bewohnern meistens schon verlassene Dörfer und Flecken zerstören und ein paar hundert Morgen Landes begraben – was sind sie gegen die ungeheuren Sturmfluten, deren das Volk der Friesen so viele in seinen Annalen aufzuweisen hat, Sturmfluten, von denen eine einzige oft zwanzig oder dreißig Dörfer vom Erdboden verschwinden ließ, meilenlange Landstriche in ödes Watt verwandelte, vielen Tausend wackeren Menschen das Leben raubte, die kostbarsten Schleusen und Deichanlagen in wenigen Stunden vernichtete und ganzen Küstenstrichen nicht selten eine Gestalt gab!“ (Hermann Allmers: Werke, S. 24)
In seiner im italienischen Stil erbauten Villa in Rechtenfleth an der Unterweser ließ sich Hermann Allmers von dem Historienmaler Heinrich von Dörnberg (1831–1905) in den 1860er Jahren einen Marschenfries in Grisaille-Technik an die Wände malen. Eines der Bilder widmet sich dem Deichbau, ein anderes zeigt einen dramatischen Deichbruch mit einem Hausdach, auf das sich Frauen und Kinder retten.
Einige Jahre später verarbeitete der Schriftsteller Theodor Storm (1817–1888) das Thema Sturmfluten und Deichschutz in seiner Novelle Der Schimmelreiter (1888). Als Schullektüre wird es allerdings mehr unter dem Aspekt eines Sozialdramas gelesen, während in den Verfilmungen die Sturmflutkatastrophe einen größeren Raum einnimmt.
Als Landvogt hatte Storm historische Ereignisse und Motive mündlicher Überlieferungen von Küstenbewohnern seiner Heimat Nordfriesland in die Novelle aufgenommen: Die verheerenden Sturmfluten vom 7. Oktober 1756 und 5. Juni 1858, bei denen zu steile Deiche unter der Wucht der Wassermassen brachen, und entlang der Küste von Ostfriesland bis nach Dänemark tausende Menschen und Tiere ertranken oder Hab und Gut verloren, wie der Held und Deichgraf Hauke Heyen, der Frau und Kind bei einem Deichbruch verlor.

Tsunami – Die Hafenwelle
Mit weltweit gleichzeitig ausgelösten Naturkatastrophen durch menschengemachten Klimawandel befasst sich ein Roman, der vor zwanzig Jahren erschien. Er beschwor das Szenario u.a. eines Stillstands des Golfstroms und einer Tsunami-Katastrophe in überwältigenden Bildern herauf. Nur wenige Monate nach Erscheinen von Frank Schätzings Der Schwarm ereignete sich am 26. Dezember 2004 in Südostasien tatsächlich ein verheerender Tsunami, bei dem mehr als 228.000 Menschen starben.[ii]

Auslöser war ein schweres Seebeben im Indischen Ozean bei Sumatra mit einer Magnitude von 9,1 und unvorstellbar hohen Riesenwellen von bis zu 30 Meter Höhe (vor allem in Aceh), die auf die Küsten zurollten. Die Plötzlichkeit des sich zunächst zurückziehenden Meeres, das dann mit gewaltiger Kraft zurückkehrte, hatte die Küstenbewohner und Touristen ohne jede Vorwarnung getroffen. Sieben Jahre später wurde das über Jahrhunderte riesenwellenerprobte Japan am 11. März 2011 ebenfalls unvorbereitet von Tsunamis heimgesucht, als statt der erwarteten drei bis zehn Meter hohen Wellen weit über 30 Meter hohe Flutwellen in die Präfektur Miyagi eindrangen, einen Landstrich von 500 Quadratkilometern flutete und in der Atomanlage von Fukushima eine Nuklearkatastrophe auslöste.
Der Begriff Tsunami wurde einst von japanischen Fischern geprägt, er setzt sich aus den beiden Wörtern für „tsu“ Hafen und „nami“ Welle zusammen. Fischer hatten erlebt, dass sie nach einer Hochseefahrt einen zerstörten Heimathafen vorfanden, der durch bis zu 30 bis 40 Meter hohe Riesenwellen zerstört worden war, von dem sie aber auf dem Meer nichts mitbekommen hatten.
Einer der berühmtesten japanischen Farbholzschnitte zeigt tiefblaue, sich aufbäumende Wellen von enormer Größe, die viele Europäer vor 2004 wohl für übertrieben oder für krudes Seemannsgarn gehalten haben mögen. Ihr Schöpfer, Katsushika Hokusai (1760–1849), schuf die Vorlage Unter der Welle im Meer vor Kanagawa (Yokohama) für den Farbholzschnittzyklus 36 Ansichten des Berges Fuji, entstanden von 1830 bis 1836 (Kiyonaga 2024). Zwischen sich kräuselnden Riesenwellen im Vordergrund ist in weiter Ferne der schneebedeckte, über 3700 Meter hohe Vulkankegel Fuji abgebildet. Die drei vollbesetzten etwa 15 Meter langen Fischerboote (Oshiokuri-bune) balancieren noch in den Wellentälern und geben das Größenverhältnis zu den aufsteigenden Flutwellen an. Vermutlich hatte Hokusai seine Fuji-Ansicht mit Riesenwellen nicht von der Seeseite des Pazifiks aus beobachtet, denn die Wellen laufen parallel zur Küste und bewegen sich nicht auf sie und den Vulkan dahinter zu. Durch die kunstvoll in Szene gesetzten Riesenwellen mit virtuos sprühender Gischt wird die sich abzeichnende Katastrophe für die winzig klein dargestellten japanischen Fischer, die sich verzweifelt am Boot festzuhalten versuchen, fast zu einer komikhaften Randnotiz. Für das intensive Blau der Wellen verwendete Hokusai das von Niederländern nach Japan importierte, lichtfeste, anorganische Berliner oder Preußisch Blau. Nach der erzwungenen Öffnung Japans 1853 gelangten Abzüge von Hokusais Riesenwelle nach Paris und beeindruckten Künstler wie den Maler Gustave Courbet, der daraufhin zahlreiche Brandungsbilder malte.

Die Bildhauerin Camille Claudel (1864–1943) fertigte eine 62 cm hohe, jadefarbene Marmorskulptur mit drei badenden Frauen im Wellental (Bronzefiguren). Die im nächsten Moment überschlagende Welle aus schwerem Onyx-Marmor verdickt sich nach oben hin und wirkt zerstörerisch weil sie sich gefährlich über den Badenden auftürmt und sie im nächsten Moment mit ihrer Wucht niederzudrücken droht. Geschickt gelang es Camille Claudel die Welle standfest auf einer schmalen Basis auszuponderieren.
Der Komponist Claude Debussy (1862–1918) verarbeitete das Thema musikalisch in La Mer (1903–1905) und verwendete für das Titelblatt seiner gedruckten Partitur einen Ausschnitt aus Hokusais Unter der Welle im Meer vor Kanagawa, verzichtete aber auf die Dramaturgie des Schiffsmotivs.

„Oft dient die Vorstellung der Gefährdungen auf der hohen See nur dazu,
die Behaglichkeit und Ruhe, die Sicherheit und Heiterkeit des Hafens vorzustellen,
in dem die Seefahrt ihr Ende finden soll.“
(Blumenberg 1979, S. 9)
Der Betrachterstandpunkt
In vielen Bildern holländischer Marinemaler des 17. Jahrhunderts ist der Horizont tief heruntergezogen, dunkle Wolkengebilde reißen an einigen Stellen auf. Verzweifelt versucht sich die Besatzung eines in Schieflage geratenen Segelschiffs in die Wanten zu flüchten, während durch den Aufprall auf einen Felsen der Großmast bereits gebrochen ist. Bemerkenswert erzählerisch ist das Wiener Seesturmbild von Jan Brueghel d. Jüngeren (1601–1678), das den Schiffbruch einer Kogge direkt vor der Küste mit Häusern und Hafen zeigt. Nur ein Teil der Besatzung konnte sich gerade noch auf ein Rettungsboot flüchten, das nun bei hohem Seegang zwischen Treibgut dümpelt. Einige Schiffbrüchige versuchen schwimmend, das rettende Ufer zu erreichen, während rechts unten im Bild, verdeckt von einer hohen Welle, ein großer Fisch lauert. Brueghels Kabinettbild war ein königliches Auftragswerk und entstand nach einer mehrjährigen Italienreise mit Schiffspassagen nach Sizilien und Malta.

Dass Schiffsreisen nicht nur vergnüglich waren, sondern gefährlich werden konnten, belegen ungezählte Logbucheinträge, Reise- und Abenteuerberichte. Nicht nur Seekrankheit, orkanartige Böen und über Deck strömendes Meerwasser konnten eine Schiffsreise recht ungemütlich werden lassen. Seit Beginn der Seefahrt drohten und drohen bis heute Piratenüberfälle wie jüngst im Suezkanal und Roten Meer, im Jahr 2023 allein 130 weltweit. Nicht nur in Piratenfilmen wurden vor der Küste Großbritanniens Schiffe in der Dunkelheit durch Irrlichter auf Riffe oder in Untiefen gelotst, bis sie manövrierunfähig von Strandräubern ausgeraubt werden konnten. Zwar sind Fähren, Container- und Kreuzfahrtschiffe heute bei weitem sicherer als früher, dennoch gibt es, trotz satellitengestützter Wetterberechnung und modernster Navigationstechnik, ein Restrisiko. Ein plötzlicher Wetterumschwung, Nebelbänke, Satellitenstörungen und eine einsetzende Ebbe können gepaart mit Unachtsamkeit und Navigationsfehlern ein Schiff auf Grund laufen lassen oder zu Kollisionen führen. Auf dem Grund der sieben Weltmeere liegen zigtausende Schiffe, die seit der Antike im Sturm gekentert, kollidiert oder in Seegefechten gesunken sind, sicherlich wesentlich mehr als uns bekannt. Mit der Einführung der Dampfmaschine stieg der Schiffsverkehr vor allem über den Atlantik. Dies geht im 19. Jahrhundert einher mit einer signifikant steigenden Nachfrage nach Schiffsporträts und Marinebildern mit und ohne Seegang, ähnlich wie im 17. Jahrhundert, als die Handelsrouten nach Übersee und zu den Kolonien erschlossen wurden. Der größte Teil der Marinebilder wurde für Handelskontore, Reedereien, Adelssitze, Kapitänshäuser und betuchte Bürgerhäuser in Auftrag gegeben oder bei Kunsthändlern gekauft.
Um den Grad der Wasserturbulenzen lebhaft und überzeugend erscheinen zu lassen, bevorzugten Landschaftsmaler seit dem 19. Jahrhundert das Motiv eines in schwere See geratenen Segel- oder Dampfschiffs unter oft fulminanten Wolkenbildern von Stratus- oder Cumuluswolken, nur selten mit geschlossener Wolkendecke. Das Publikum schätzte diese dramatische Inszenierung, mag sie doch manche an eigene Wetterbeobachtungen von der Reling aus bei langen bei Schiffspassagen über die Ozeane erinnert haben.
Eine kleine Gruppe von Marinemalern, die aus eigener Anschauung – nämlich aus der Relingperspektive — die ungestümen Naturgewalten, das ohrenbetäubende Brausen und Donnern der Wellen auf orkangepeitschter See leibhaftig erlebt hatten, und in dramatisch-wirklichkeitsgetreuer Malerei einfingen.
Es gibt somit verschiedene Kategorien von Marinemalern: Landschaftsmaler, die das Meer nur als hübsche Kulisse unter blauem Himmel maximal dekoriert mit einigen Schönwetterwolken abbildeten und Freilichtmaler, die aus der Strandperspektive das Strandleben wohlhabender Sommerfrischler in den mondänen Badeorten von Honfleur, Trouville, Knokke-Heist bis nach Schwenningen und Zandvoort schilderten. Hunderte Maler der Düsseldorfer Schule bevölkerten in den Sommermonaten die holländische Küste bei Den Haag und malten das vermeintlich ärmliche Leben der Fischer beim Anladen der schweren Holzsegler und ihrer am Strand wartenden Frauen mit schweren Fischkörben. Der Wind in den Röcken und weißen Hauben der jungen Fischerfrauen, die starke Brandung und der Himmel mit bauschig-weißen Wolken waren die beliebten Zutaten für ein gelungenes Strandmotiv. Im industriell geprägten Rheinland fanden diese Seestücke reißenden Absatz.
Es gab im 19. Jahrhundert einige Marinemalerinnen, wie beispielsweise die Pariserin Henriette Hermine Gudin, die neben Hafenbildern auch einige in Sturm geratene Schiffe malte. Die Wienerin Maria von Parmentier wurde mit Motiven französischer Häfen und der Küste bei Dieppe bekannt. Die aus Stralsund stammende Antonie Biel wird derzeit wegen ihrer Ostseemotive einem größeren Publikum bekannter. Nuancenreich schilderte Biel den sich in der Ostsee spiegelnden Wolkenhimmel am Strand von Rügen. Ein Segelschiff in der Ferne, die auf Kiel liegenden Ruderboote und ein auf das Wasser blinkender Mensch verleihen der nur sehr selten stürmischen Ostsee einen idyllisch-friedlichen Charakter.

Schiffshaverien in der Malerei
Um aber die Wucht von Naturgewalten wirklich zu erfahren, genügt es eben nicht, an einem Strand zu wandern und dem Spiel der Wellen zuzusehen, so wie es der aus Greifswald an der Ostsee stammende Caspar David Friedrich (1774–1840) uns in vielen seiner Strandbilder im Stil der Romantik zeigte. Die in Rückenansicht gezeigten Zuschauer blicken von hellem Sandstrand oder Kreidefelsen auf eine wie mit einem Lineal gezogene Horizontlinie unter blauem Himmel und eine dunkelblaue, wellenlose Ostsee ohne Tidenhub. Es weht kein Lüftchen und die atmosphärische Stille der See ergreift die Zuschauer. Ähnlich auch in Caspar David Friedrichs vor über hundert Jahren gemalten Eismeer (96,7 x 126,9 cm) in der Hamburger Kunsthalle, dass auf Schilderungen einer gescheiterten Nordpolexpedition zur Entdeckung der Nordwest-Passage rekurriert (Ausst.-Kat. Friedrich 1974, S. 258–9).
Neben monumentalen, sich bizarr wie fantasievoll auftürmenden Eisschollen im Polarmeer liegt das havarierte Segelschiff mit gebrochenem Mast wie lang vergessen auf der Seite und scheint nur zur Klärung innerbildlicher Größenverhältnisse zu fungieren. Das eigentliche Interesse Caspar David Friedrichs galt den sich emporragenden, schieferartigen Schichtungen der Eisschollen und der Vorstellung einer völligen Erstarrung der unwirtlichen Natur in Eiseskälte. Für die Komposition lieferte allerdings nicht der Polarkreis den künstlerischen Impuls, sondern ein eher banales Naturereignis: die einige Jahre zuvor zugefrorene Elbe bei Dresden.

Trotz seines Katastrophenbildes „Eismeer“ zählt Friedrich nicht zu der Kategorie von Marinemalern, die die See bei schwerem Seegang aus der Relingperspektive langer Schiffspassagen realistisch und glaubhaft auf Leinwände bannten. Zu den bekanntesten des auf Erfahrung basierenden Genres im 19. Jahrhundert zählen weit und viel gereiste Maler wie der Brite William Turner (1775–1851), der heute zu Unrecht in den Hintergrund geratene Landschaftsmaler Andreas Achenbach (1815–1910) und der von der Krim stammende Ivan Konstantinovich Aivazovsky (1817–1900). Letztere zählten zu den gefragtesten und damit hochpreisigen Künstlern ihrer Zeit, ihre Galeristen verkauften an begeisterte Sammler, die auch damals schon Action in Bildern wünschten.
Fabulierfreudig wurde das Wasser in all seinen Aggregatzuständen auf Leinwänden verewigt: Zur dramaturgischen Inszenierung brachen Masten im Sturm, trieben Dreimaster orientierungslos durch dunkle Nebelbänke, kollidierten Passagierdampfer mit Eisbergen, kämpften sich Großsegler durch Riesenwellen oder zerschellten gar an schroffen Felsklippen, gerne in Sichtweite der Küste, um den Schicksalsmoment im Bild noch zu steigern. Manches Schiff ging nach einer Kollision mit einem unterschätzten Eisberg innerhalb kürzester Zeit im wahrsten Wortsinn zu Grunde. Deutliches Anliegen dieser Bilder war es, das Wirken der Naturgewalten, ihre plötzliche Wandelbarkeit und ihr vernichtendes Potential so realistisch-detailgetreu wie möglich abzubilden. Zwar malten die Künstler ihre aufsehenerregenden Gemälde allesamt im windgeschützten Atelier, aber intensive Seh- und Wettererfahrungen hatten sie oft Jahre zuvor auf turbulenten Schiffspassagen von der Reling aus gesammelt. Einer von ihnen war Andreas Achenbach, der seit seiner Kindheit viele Schiffsreisen nach Russland, Skandinavien und Italien überstanden hatte, die er wie ein Trauma in hunderten Gemälden zu verarbeiten schien.[iii]

Seine naturgewaltigen Sturm- und Norwegenbilder zeichnen sich durch eine wohldurchdachte Farbinszenierung, eine ausgeklügelte Lichtregie und einen von realistischen Wolkenbildern durchzogenen Himmel aus. Wasserturbulenzen hob Achenbach hervor, indem er Ruderboote, Segel- und Dampfschiffe auf brillant gemalten, jadefarbenen Wellen mit heller Gischt balancieren oder dümpeln ließ. Um die Wucht der Wassermassen zu veranschaulichen, ließ er in dutzenden Bildern sturmgetriebene Nordseewellen donnernd an Landungsbrücken aufprallen und als weiß-graue Gischt effektvoll aufschäumen. Ein mehrfach wiederkehrendes Motiv, das die Not durchnässter Seeleute bei dem Versuch, auf wogender See einen Raddampfer an eine Landungsbrücke vor der holländischen Küste zu bugsieren, darstellt, wurde zu einem seiner Bestseller. Dennoch glich kein Bild dem anderen. In einem Brief vom 22. Mai 1871 schrieb der sechsundfünfzigjährige Achenbach an den Kunsthändler Lepke in Berlin, der angeregt hatte, Wiederholungen zu vermarkten, „er male ein Bild grundsätzlich nicht zweimal, da das Leben ohnehin zu kurz sei, um alles Gesehene und Erdachte ausführen zu können.“ (Köhn 2013)
Seine Vorbilder waren die Marinemaler des 17. Jahrhunderts, die Handels- und Kriegsschiffe in Sturm oder Gefecht bei dramatischer Wolken- und Welleninszenierung zu einem eigenen Genre gemacht hatten. Achenbach hatte Gemälde der alten Niederländer wie Willem van de Velde und Jan Porcellis genau studiert und den Bildaufbau adaptiert. In der realistischen Abbildung der Wolken und Wellen zeigt sich jedoch eine Überlegenheit gegenüber seinen Vorbildern, da Achenbach sich auf seine eigene Beobachtungsgabe fokussieren konnte, die zweifellos an Bord eines Schiffs geschult war.
Dass schon der erst Zweiundzwanzigjährige Wolkenbilder intensiv studiert hatte, zeigt sein 1837 im Frankfurter Atelier der Städelschule gemalter Seesturm an der norwegischen Küste, der sogleich für die Sammlung des Städels erworben wurde. Die sich von der Seeseite ins Bild vorarbeitende dunkle, massige Wolke mit beträchtlicher vertikaler Ausdehnung und faserigen Verästelungen würden Meteorologen heute als Cumulonimbus klassifizieren, einer Gewitterwolke, aus der der Regen fällt, wie dicht über dem Horizont links im Bild zu erkennen ist. In geradezu fotorealistischer Erfassung des Himmels gelang es dem jungen Künstler, alle Register der Farbschattierungen von Grau, Blau bis Rosa zu ziehen und die Bergmassive im Hintergrund in jenes typische bläuliche Licht zu tauchen, das sie in die Bildtiefe versetzt. Die bräunlichen Klippen des Vordergrunds wirken dagegen akademisch und haben mehr Ähnlichkeit mit den Sandsteinformationen der berühmten Externsteine am Rande des Teutoburger Waldes als mit einer norwegischen Fjordlandschaft, die Achenbach erst später selbst bereiste. Die Abbildung der jadefarbenen Nordsee mit sich kräuselnden Wellenkämmen und kraftvoll aufspritzender Gischt ist ein Ergebnis seines fotografischen Gedächtnisses, denn kaum einem Künstler vor Andreas Achenbach gelang es, derartige Wellen zu malen. Das im Seegang steuerlos dümpelnde Segelschiff mit gebrochenem Mast ist daher nicht der eigentliche Protagonist der Inszenierung, sondern es sind die Naturgewalten Wind, Wolken und Wasser.

In einem anderen Bild mit Ruderboot lässt Achenbach den dunklen Wolkenhimmel so aufreißen, dass das Sonnenlicht auf die Stelle fällt, an der die Wellen mit voller Wucht auf die Küste treffen und als weiße Gischt nach oben stäuben. Betrachter können sich lebhaft die Geräusche des Donnerns und Tosens beim Aufschlagen auf die schroffen Felsen vorstellen.


Mit seinen Sturmbildern hatte Andreas Achenbach den Nerv der Zeit getroffen und erreichte mit ihnen ein Publikum, das zwar in einem beschaulich-biedermeierlichen Zeitgeist befangen war, im Innersten aber von der weiten verwegenen Welt träumte und sich beim Betrachten nicht beherrschbarer Naturgewalten wonnevoll den Schauer über den Rücken rinnen ließ. In vielen seiner Bilder bringen treibende Baumstämme, Planken und Fässer die Unberechenbarkeit und zerstörerische Kraft von Orkanen zum Ausdruck. Sie sind aber gleichermaßen eine Referenz an Achenbachs altniederländische Vorbilder, die meist erst nach langem Suchen ihre Künstlersignatur preisgeben, da sie auf treibenden Fässern oder anderem Treibgut in winzigen Buchstaben zu lesen sind. Diese Zurückgenommenheit war im 19. Jahrhundert kaum noch Usus und Achenbach signierte alle seine Gemälde mit seinem selbstbewussten, fälschungssicheren Schriftzug „A. Achenbach“, auch in Abgrenzung zu seinem 12 Jahre jüngeren Bruder Oswald, der quasi als „Mitspieler“, aber mit italienischen „Schönwetterbildern“ reißenden Absatz fand. Seine Sujets zeigen fast durchgängig die flirrende Hitze des Südens, Windstille und wenn es farblich gerade so passte Cumulus humilis, aber immer ein Stück tiefblauen Himmels.
Panik auf der Titanic
Im Auftrag Großherzog Leopolds von Baden (1790–1852) malte Andreas Achenbach 1842 sein wohl aufregendstes Gemälde. Betrachter blicken auf eine bizarre Eislandschaft, in deren Mitte sich der Raddampfer President vor seinem Untergang ein letztes Mal aufbäumt. Auf dem nur noch zur Hälfte sichtbaren Schiffsdeck versucht sich die Besatzung vergeblich, in Rettungsboote und zum Schiffsheck zu flüchten. Beim Anblick des Bildes dürfte heute jeder an den Untergang der Titanic erinnert sein. Tatsächlich beruht das Bildmotiv auf einer wahren Begebenheit, denn das mit einer Länge von 74 Metern und 12 Metern Breite damals größte Passagierschiff für den Linienverkehr zwischen New York und Liverpool war im März 1841 zwei Tage nach dem Ablegen plötzlich verschollen. Die Überfahrt sollte zwar nur sechzehn Tage dauern, gegenüber zweiunddreißig mit einem Segelschiff, aber im Transatlantikdienst erwies sich die Leichtbauweise mit einer zu geringen Maschinenleistung als ungünstig. Vom Unglück der President berichtete lediglich eine Flaschenpost, die ein Passagier, ein irischer Schauspieler, ins Meer geworfen hatte. Bei der letzten Sichtung kämpfte das Schiff mit stürmischen Winden und hohem Wellengang. Achenbachs Bilderzählung führt vor, wie schnell sich die eben noch ruhige See plötzlich in ein gefährliches Eismeer verwandeln kann und verzweifelte Seeleute von den eiskalten Fluten verschlungen werden wie Jonas von dem Wal. Die Erhabenheit der Elemente und die Winzigkeit des Menschen angesichts der Übermacht der Naturgewalten sind hier in einer großen malerischen Geste vorgetragen.
Damals wie heute liefern Seestürme mit Schiffbruch und Schiffshavarien sensationelle Bildmotive. Nicht selten allerdings führte erst menschliches Fehlverhalten zur eigentlichen Katastrophe, wie beim Untergang der Titanic, die bei ihrer Jungfernfahrt am 14. April 1912 südöstlich von Neufundland wie die President mit einem Eisberg kollidierte. Eigentlich sollte sie als unsinkbares Schiff in die Geschichte der Seefahrt eingesehen, stattdessen kamen 1514 von 2220 Menschen um Leben. 1985 wurde das Wrack auf dem Meeresgrund entdeckt und Fundstücke daraus für astronomische Summen versteigert.
Hundert Jahre später schlug eine Schiffshaverie vor der italienischen Insel Giglio hohe Wellen. Dort hatte das 290 Meter lange Kreuzfahrtschiff Costa Concordia am 13. Januar 2012 mit 4229 Passagieren an Bord aus Unachtsamkeit des Kapitäns einen Felsen gerammt und sich auf die Seite gelegt. Erst achtzehn Monate später konnte der Schiffsriese aus dieser misslichen Lage befreit und verschrottet werden. Auch diese Bilder gingen um die Welt.

Was eine Schiffshavarie für Besatzung und Passagiere bedeuten konnte, veranschaulichte der Franzose Théodore Géricault (1791–1824) in seinem wandfüllenden, 1819 vollendeten Monumentalgemälde Szene eines Schiffbruchs, bekannt als Das Floß der Medusa.
Auf einem behelfsmäßig gezimmerten Floß, das in aufgewühlter See dümpelt, sind vierzehn erschöpfte Schiffbrüchige unter einem dunklen, von Unheil kündenden Gewitterwolken verhangenem Himmel zu sehen. Nur dem Betrachter — aber nicht den Schiffbrüchigen — zeigt sich eine mehrere Meter aufragende Sturmwelle, die sich dem Floß nähert und es im nächsten Moment zu verschlucken droht. Mit letzter Kraftanstrengung schwenken einige der Schiffbrüchigen mit Tüchern, um ein am fernen Horizont erscheinenden Schiff auf sich aufmerksam zu machen. Damalige Betrachter ahnten bald, dass es sich um eine wahre Begebenheit handelte, die sich einige Jahre zuvor vor der Küste Senegals zugetragen hatte: Zusammen mit vier anderen Fregatten stach 1816 eines der schnellsten Segelschiffe der französischen Marine, die Medusa, gen Senegal in See. Unter dem Kommando von Hugues Du Roy de Chaumareys, der wegen seiner Königstreue, nicht aber wegen nautischer Fähigkeiten das Kapitänspatent erhalten hatte, erreichte die Medusa als erstes die afrikanische Westküste, strandete aber am 2. Juli 1816 wegen eines Navigationsfehlers an der in Seekarten verzeichneten Arguin-Sandbank. Nachdem zwei Tage vergeblich versucht wurde, die Fregatte zu reparieren, wurden die 400 Passagiere schließlich evakuiert und auf sechs Rettungsboote und ein aus Schiffsplanken gezimmertes Floß von 8 mal 15 Metern verteilt, auf dem sich 147 Schiffbrüchige drängten. Als sich nach wenigen Stunden herausstellte, dass die Rettungsboote mit dem daran vertäuten Floß nicht vorankamen, wurden kurzerhand die Taue gekappt und das Floß der Medusa seinem Schicksal überlassen. Zwei der insgesamt nur zehn Überlebenden schilderten später den Fortgang in einem ausführlichen Bericht, der bis heute Maler, Philosophen, Psychologen, Comiczeichner und Komponisten wie Hans Werner Henze inspirierte, da alles aus dem Ruder lief und in einer Katastrophe mündete. Allein in der ersten Nacht fielen zwanzig Männer samt Wasserfass von den Floßrändern und nach vier Tagen wurde die Weinration mit Urin und Meerwasser „verlängert“. Es kam nicht nur zu Schlägereien, bei denen 65 ihr Leben ließen, sondern auch zu kannibalistischen Exzessen. Als das Floß am dreizehnten Tag von der Besatzung der Brigg »Argus« entdeckt wurde, lebten nur noch fünfzehn der Schiffbrüchigen, fünf starben an Bord, weil sie zu schnell zu viel Nahrung zu sich nahmen. Der Fall wurde zunächst vertuscht, hatte dann aber doch ein politisches Nachspiel. Unter dem Druck der Presse wurden schließlich der zuständige Minister und 200 Marineoffiziere entlassen. Unter dem Eindruck dieses Skandals nahm sich Théodore Géricault kurz darauf des Themas an, befragte die Überlebenden Corréard und Savigny, ließ sich ein Modellfloß bauen und besorgte sich für seine Studien Leichenteile in verschiedenen Verwesungsstadien. Anlässlich von Théodore Géricaults 200. Todestag schrieb Philipp Meier in der Neuen Züricher Zeitung vom 26.1.2024:
„Das Bild, das sich heute in Paris im Louvre befindet, ist so berühmt, dass es immer wieder als Menetekel für Katastrophen und desaströse Situationen aller Art herbeigezogen wird. Den 68ern galt es als Symbol für den Klassenkampf, die Klimawarner von heute sehen darin ein solches für den bevorstehenden Kampf um Ressourcen. Während der Flüchtlingskrise 2015 zitierte der anonyme Graffiti-Star Banksy das Werk in einem Schablonen-Spraybild an einer Hausfassade in Calais in der Nähe eines illegalen Flüchtlingscamps. Auf dem Floss waren moderne Flüchtlinge zu sehen, am Horizont kreuzte eine Jacht. Mit Bezug auf die Misere im Mittelmeer kommentierte der Künstler sein Werk mit «We’re not all in the same boat». Die Welt als Floss: Wo steuert sie hin? Dieses Monument von einem Bild kann auch als existenzialistische Parabel gelesen werden für das Unglück der Menschheit, die nicht aus ihrer Verstrickung in unlösbare Konflikte herausfindet. Vor dieser Wahrheit erstarrt man zu Stein wie beim Anblick des schrecklichen Gorgonenhaupts der Medusa. Denn letztlich gilt eben dennoch: Wir sitzen alle im selben Boot.“[iv]

Ein ebenso denkwürdiges, aber bei weitem nicht so berühmtes Seestück malte William Turner 1840 ohne Auftraggeber: „Das Sklavenschiff“ (seit 1899 im Fine Art Museum in Boston). Unheilverkündend färbt sich der Abendhimmel blutrot und Sturmwellen peitschen einem Rahsegler entgegen, dessen Segel bereits gerafft sind, um nicht vom Orkan zerfetzt zu werden. Hohe Wellenkämme rollen aus der Fahrtrichtung auf den dümpelnden Segler zu. Eine fast mittig gesetzte Sonne durchschneidet zudem die Horizontlinie durch eine vertikale Achse aus hellen Lichtflecken. Auch dieses Bild beruht auf einer wahren Geschichte, die sich 1781 ebenfalls vor der Westafrikanischen Küste auf dem britischen Sklavenschiff „Zong“ zugetragen hatte. Auf Anweisung des britischen Kapitäns hatte die Besatzung über hundert an den Beinen gefesselte Sklaven ins tosende Meer geworfen, um später den „Warenverlust“ auf hoher See bei der Versicherung zu deklarieren (Findberg 1961, S. 474). Turner schildert im Bildvordergrund, wie Sklaven ertrinken, zum Fraß von Haien, anderen Fischen und Möwen werden und der Ozean sich blutrot färbt. Die mit Malmesser pastos aufgetragenen Farbschichten bringen die typische Lichtregie Turners zum Ausdruck, die angedeuteten Naturgewalten und der rote Himmel über dem ‚Seelenverkäufer‘ versinnbildlichen hier den teuflischen Plan des Kapitäns.

Einige Jahre später tritt ein anderer, nicht weniger virtuos malender Marinemaler auf dem internationalen Kunstmarkt mit in dramatischem Realismus gemalten Sturmdarstellungen in Erscheinung. Der auf der Krim geborene Ivan Konstantinovich Aivazovsky (1817 Feodosija 1900), der nach einem Kunststudium in St. Petersburg fünf Jahre in Europa mit längeren Aufenthalten in Rom, Paris, Spanien, London und Deutschland zubrachte und 1869 zur Eröffnung des Suezkanals reiste (Nowouspendski, S. 20). Aiwazovskis frühe Landschaften zeigen ruhige mediterrane Motive oft mit einem stimmungsvollen Sfumato, doch nach seiner Rückkehr auf die Krim 1849, wo er sich eine Villa mit Meerblick errichten ließ, begann er, Wasserbilder mit enormer Farbintensität und räumlicher Tiefe zu malen. Die bis dahin festgeglaubte Horizontlinie überwindet Aivazovsky ähnlich wie vor ihm schon Turner. Himmel und See werden eins und nur die in seinen Bildern häufig mittig gesetzte Sonne gibt dem Betrachterauge halt, in Himmel und Ozean entfaltet der Maler eine gekonnte kühle Blautonalität. Seine Spezialität waren brillant-transparente, von der Sonne durchstrahlte Wellenkämme, die eine Lichtwirkung wie Aquamarine oder Smaragde aufweisen. Bei einer Salonausstellung in Paris sollen Zuschauer sogar eine Lichtquelle hinter diesen aufleuchtenden Wellen vermutet haben. „Die Kraft rauschender Wellen kann nicht durch Pinselstriche allein wiedergegeben werden: zu malen bei Blitzschlag, Wind oder Wellenschlag ist undenkbar. Um diese Eindrücke wiederzugeben, muss der Künstler sich genau erinnern können und sein Bild mit diesen Erinnerungen ausstaffieren, genauso wie er das tut mit den Eindrücken von Licht und Schatten. […] Ein Maler, der die Natur nur kopiert, wird ein ewiger Sklave dieser Technik bleiben, mit Hand und Fuss gebunden“ (Nowouspendski 1995, S. 20).

Dass Konstantinovich Aivazovsky und Andreas Achenbach sich gegenseitig aus der Ferne beobachteten, belegen zwei Bilder die kurz nacheinander gemalt wurden. Das Anschneiden von Motiven wie bei den Segelschiffen dürfte für den zur Düsseldorfer Malerschule zählenden Achenbach ein Graus gewesen sein. Sein Malerkollege im Atelier auf der Krim ignorierte trotzig die akademische Regel des Goldenen Schnitts und platzierte seinen Dreimaster einfach in die Bildmitte. Beide setzten auf eine effektvolle, den Betrachtenden emotional involvierende Inszenierung, ohne dabei oberflächlich zu werden. Geradezu bestechend ist ihre zur Perfektion neigende Präzision in der Beobachtungsgabe von Wetterereignissen verbunden mit einer enormen Produktivität und damaligen Ausstellungspräsenz. So soll der mit 83 Jahren verstorbene Aivazovsky 6000 Bilder mit feinem Pinsel geschaffen haben. Achenbach hat vermutlich noch mehr Landschaftsbilder hinterlassen als er fünfundneuzigjährig starb, darunter auch zahlreiche norwegische und westfälsche Landschaften reißender Sturzbäche mit umgestürzten Bäumen und unheilverkündenden Wolkenbildern.



Wie die einsetzende Ruhe nach dem Sturm wirken dagegen die unspektakulären, geradezu langweiligen Strandbilder, die das stürmische 19. Jahrhundert beenden. Der aus Estland stammende, langjährige Professor für Landschaftsmalerei der Düsseldorfer Kunstakademie, Eugen Dücker (1841–1916), lehrte seine Schüler, wieder eine klare Horizontlinie zu malen und sie ja nicht zu überschneiden wie Turner und Aivazovsky – seine Schüler nannten sie deshalb die Dücker-Linie. Dücker, der von Düsseldorf viele lange Schiffsreisen u.a. in seine Heimat Estland unternahm, nahm seine Akademieschüler zu Malexkursionen auf Ostsee- und Nordseeinseln von Rügen, Sylt und Wangerooge mit. Er zählt zu den Künstlern, die Wolken und Wellen lieber bei ruhigem, friedlichem Wetter vom Strand aus beobachteten.

Zuschauer vor Schiffbruch
Die Gemeinsamkeit zwischen den ca. 90 Generationen, die uns zeitlich vom homerischen Epos Odyssee trennen, liegt in dem Interesse, Naturgewalten und ihre Folgen zu verarbeiten und künstlerisch der Nachwelt zu überliefern.
Wenn wir heute wöchentlich und quasi in Echtzeit von Naturkatastrophen weltweit durch TV-Berichte und Social Media erfahren, so zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass dramatische Schilderungen von Stürmen, Riesenwellen, Schiff- und Deichbruch schon seit Jahrhunderten in Literatur und Kunst aufgearbeitet wurden, um in Erinnerung zu bleiben. Die Menschen früherer Jahrtausende konnten sich die Wetterkapriolen mit göttlicher Fügung erklären, während der Mensch des 21. Jahrhunderts dem Raubbau an der Natur und dem menschengemachten Klimawandel — und damit sich selbst — die Schuld gibt.
Der unweit der Danziger Bucht im 18. Jahrhundert geborene Philosoph Emanuel Kant (1724–1804) konnte einer stürmischen See offenkundig nichts Ästhetisches abgewinnen, nannte ihren Anblick gar grässlich und sprach ihr die Prädikate Schönheit und Erhabenheit ab.
„So kann der weite, durch Stürme empörte Ozean nicht erhaben genannt werden. Sein Anblick ist gräßlich; und man muss das Gemüt schon mit mancherlei Ideen angefüllt haben, wenn es durch eine solche Anschauung zu einem Gefühl gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist.“ (Kritik der Urteilskraft Kap.32, 2.)[v]
Aber eben diese Ideen wurden entwickelt, variationsreich und sublim abgebildet: Um bewegte Luft und Wassermassen in eine Kunstform zu bringen, wählten Künstler neben Wolkenbildern Sturmwellen oder gar das Tsunamimotiv. Vom Sturm gepeitschte Schiffe in Schieflage und Schiffbruch zählen nach in Auftrag gegebenen Schiffsporträts zu den beliebtesten Motiven der Seefahrernationen, kamen also den Bedürfnissen ihrer Käufer entgegen.
Die Marinemalerei umfasste einst allerdings viele Untergruppen, darunter Seeschlachten, Schiffsporträts, Kapitänsbilder, Schiffshaverien, Hafen- und Strandbilder. Um den reinen Abbildcharakter zu überwinden werden Sturmwellen und Wolkenformationen zu dramaturgischen Stimmungsträgern bei Seestücken, die anders als Hafen- und Strandbilder, die offene See zeigen. Der Betrachterstandpunkt, der von Künstlern wie Turner, Achenbach und Aivazovsky im 19. Jahrhundert eingenommen wurde, ist bildimmanent und von der Reling eines anderen nicht sichtbaren Schiffs aus gedacht, quasi als wären die Zuschauer hautnah dabei. Zur Steigerung der dramaturgischen Inszenierung überwanden Turner und Aivazovsky die bis dahin festgeglaubte Horizontlinie und den Fluchtpunkt. Der Übergang von Ozean und Wolken löste sich in ihren Bildern durch einen starken Wellengang auf, was beim Betrachten zu Irritationen führte, denn das Oben und Unten ist nicht mehr eindeutig definiert. Für die traditionelle Marinemalerei kam dies allerdings einem Tabubruch gleich und fand auch nur bei wenigen Künstlern Nachahmung. Salonbesucher des 19. Jahrhunderts fühlten sich emotional angesprochen durch die Dramaturgie eines im Seegang gefährlich dümpelnden Floßes mit geschwächten Schiffbrüchigen oder einem dem unausweichlich Untergang geweihten einst stolzen Schiffsriesen auf hoher See, evozierte sie doch das Glücksgefühl, nicht in eine ähnlich missliche Situation geraten zu sein.
Literatur
Ausstellungskatalog: Caspar David Friedrich. Kunst um 1800, Hamburger Kunsthalle 1974, S. 258–9.
Ausstellungskatalog: Herren der Meere – Meister der Kunst — Das holländische Seebild im 17. Jahrhundert. (Hg) Giltaji, Jeroen/ Kelch, Jan, Staatliche Museen zu Berlin 1996.
Behne, Axel (Hg.): Innen und Außen. Heimat und Freunde. Tagungsband Hermann Almers Bremerhaven 2008
Blumenberg, Hans: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt/M. 1979.
Victoria Charles: Iwan Aiwasowski und die Wasserlandschaft in der russischen Malerei. New York 2015.
Dürbeck, Gabriele/ Feindt, Peter H.: Der Schwarm und das Netzwerk im multiskalaren Raum. Umweltdiskurse und Naturkonzepte in Schätzings Ökothriller. In: Ermisch/ Kruse/Stobbe: Ökologische Transformationen und literarische Repräsentationen, 2010.
Finberg A. J., »The Life of J.M.W. Turner,« R.A., 1961, S. 474; Kiyonaga, Nobumasa: Die Monsterwelle von Hokusai – Zur Wahrnehmung von Hokusais „Die große Welle vor Kanagawa“ an japanischen Schulen. Vgl.: Hokusais_Große_Welle_an_japanischen_Schulen.pdf (explore-vc.org) (Stand: 20.06.2024)
Jensen, Jürgen/ Mudersbach, Christoph u.a.: Modellgestützte Untersuchungen zu Sturmfluten mit sehr geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten an der deutschen Nordseeküste. In: Die Küste, 71 (2006), 123–167
Köhn, Silke: Andreas Achenbach (1815–1905). In: Sammler Journal, Nov./Dez. 2013.
Köhn, Silke: Eugen Gustav Dücker 1841–1916. In: Sammler Journal. Okt. 2011
Meier, Philipp: Bild einer Katastrophe: «Das Floss der Medusa» zeigt Opfer des Schiffbruchs 1816 (nzz.ch) (Stand: 28.5.2024).
Nowouspendski, Nikolai: Iwan Aiwazovski. Maler des Meeres, Bournemouth 1995.
Osterkamp, Jan: Archäoastronomie: Wann die Sonne erlosch — Spektrum der Wissenschaft. 23.06.2008 (Stand: 19.6.2024)
Rieken, Bernd: »Nordsee ist Mordsee«: Sturmfluten und ihre Bedeutung für die Mentalitätsgeschichte der Friesen. 2005
Study, Case: The Trial of the Zong Slave Ship. http://www.twmuseums.org.uk/slavery/_files/learning-zone/Activity8b.pdf (Stand: 25.6.2024)
Vött, Andreas: Die Olympia-Hypothese: Tsunamis haben die Kultstätte auf der griechischen Halbinsel Peloponnes verschüttet | Kommunikation und Presse (KOM) (uni-mainz.de). (Veröffentlicht 30.06.2011 (Stand: 26.06.2024).
[i] Prof. Dr. Andreas Vött von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz fand heraus, dass Olympia nicht wie lange vermutet, von einem Erdbeben sondern von einem Tsunami zerstört wurde. Eine Arbeitsgruppe Naturrisiko-Forschung und Geoarchäologie untersucht seit Jahren die Küstenentwicklung von Westgriechenland und kam zu dem Ergebnis, dass es mehrere Tsunami-Ereignisse gab, die den Küstenverlauf dort vor 11000 Jahren veränderten.
[ii] Dürbeck/ Feindt 2010. Da irrtümlich davon ausgegangen wurde, dass Schätzings Roman 2005 erschienen sei (S. 214), also nach dem Tsunami in Asien, bleibt die Analyse bedauerlicherweise auf der rein strukturellen Ebene.
[iii] 1818 holte sein Vater Hermann Achenbach (1793–1849) die Familie nach Russland nach, weil er dort und in Estland und Litauen Fabriken betreute, in denen Bleizucker zum Panschen von saurem Wein hergestellt wurde. Zwischen seinem dritten und achten Lebensjahr erlebte Andreas Achenbach mindestens zwei große Schiffsreisen von Hamburg zweitausend Kilometer über die Ostsee nach St. Petersburg und 1823 viceversa zurück nach Düsseldorf.
[iv] Bild einer Katastrophe: «Das Floss der Medusa» zeigt Opfer des Schiffbruchs 1816 (nzz.ch) (Stand: 28.5.2024).
[v] https://www.projekt-gutenberg.org/kant/kuk/kukp231.html