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Schiffbruch vor Zuschauer. Die See und ihre Naturgewalten in der Kunst

Silke Köhn

[Beitrag als pdf]

„Aber nun sandt‹ auf die Schiffe der Wolken­ver­samm­ler des Nord­winds

Fürchter­lich heulen­den Sturm, ver­hüllt in dicke Gewölke, Meer und

Erde zugle­ich; und dem düstern Him­mel entsank Nacht.

Schnell mit gesunke­nen Mas­ten ent­flo­hen die Schiff‹; und mit ein­mal

Ras­selte rauschend der Sturm, und zer­riß die flat­tern­den Segel.

Eilend zogen wir sie, aus Furcht zu scheit­ern, herunter,

Und arbeit­eten uns mit dem Rud­er ans nahe Ges­tade.

Zwo graun­volle Nächte und zween lang­wierige Tage

Lagen wir mut­los dort, von Arbeit und Kum­mer entkräftet.

Aber da nun die dritte der Mor­gen­röten emporstieg,

Richteten wir die Mas­ten, und span­nten die schim­mern­den Segel,

Set­zten uns hin, und ließen vom Wind‹ und Steuer uns lenken.

Jet­zo hofften wir sich­er den Tag der fröh­lichen Heimkehr.

Aber als wir die Schiff‘ um Maleia lenk­ten, da warf uns

Plöt­zlich die Flut und der Strom und der Nord­wind fern von Kythera.

Und neun Tage trieb ich, von wüten­den Stür­men geschleud­ert,

Über das fis­chdurch­wim­melte Meer; am zehn­ten gelangt‹ ich

Hin zu den Lotopha­gen, die blühende Speise genießen.“

(Homer: Odyssee, IX. Gesang, 67–84)

John Austen (1886-1948): Odysseus. Aquarell, 21,5 x 17,7 cm. Foto Privatbesitz.
John Austen (1886–1948): Odysseus. Aquarell, 21,5 x 17,7 cm. Foto Pri­vatbe­sitz.

Riesen­wellen in der Odysee

Zu den ältesten über­liefer­ten Beschrei­bun­gen von tur­bu­len­ten Stür­men, drama­tis­chen Schiff­shave­r­ien oder läh­mender Flaute unter glühen­der Sonne zählt zweifel­los das home­rische Epos Odyssee aus dem acht­en vorchristlichen Jahrhun­dert. Der lis­ten­re­iche Held von Tro­ja wurde zum Spiel­ball der Göt­ter, gegen die er sich immer wieder selb­st­be­wusst und manch­mal auch spot­tend auflehnte. Als Bestra­fung sandten der blitzeschleud­ernde Zeus und sein Gegen­spiel­er, der Meer­gott und Erder­schüt­ter­er Posei­don, Orkane, Strö­mungen oder Wind­stille, die immer wieder Odysseus‘ Rück­kehr in die Heimat Itha­ka ver­hin­derten. Nach sein­er Abreise von der Insel der Kirke hat­te er zehn Tage und Nächte allein auf einem selb­st gebaut­en Floß zuge­bracht, als der erzürnte Posei­don erneut einen schw­eren Sturm ent­fes­selte und das Floß zer­schellen ließ.

„Unter sich stürmten der Ost und der Süd und der sausende West­wind,

Auch der hell­frierende Nord, und wälzte gewaltige Wogen.

Und dem edlen Odysseus erzit­terten Herz und Knie;

Tiefauf­seufzend sprach er zu sein­er erhabenen Seele:

Weh mir, ich elen­der Mann! Was werd‹ ich noch endlich erleben!“

(Homer: Odyssee, V. 295–299)

Salvator Rosa (1615-1673): Odysseus und Nausicaa, um 1655. Öl/ Leinwand, 161 x 127 cm. Foto Los Angeles County Museum of Art.
Sal­va­tor Rosa (1615–1673): Odysseus und Nau­si­caa, um 1655. Öl/ Lein­wand, 161 x 127 cm. Foto Los Ange­les Coun­ty Muse­um of Art.

Schließlich, nach zehn Jahren der Belagerung Tro­jas, weit­eren Jahren der Irrfahrt über das Mit­telmeer und dem Ver­lust aller zwölf Schiffe und Gefährten, stran­dete der schiff­brüchige Odysseus nackt auf der Insel der Phäi­ak­en. Schon in dieser frühen Dich­tung wurde der Him­mel zur metapho­rischen Pro­jek­tions­fläche seel­is­ch­er Stim­mungsla­gen des Pro­tag­o­nis­ten: entwed­er er ist von Unheil verkün­den­den Wolken­bildern bedeckt, die die Wut der erzürn­ten Göt­ter über den tol­lküh­nen Odysseus zum Aus­druck brin­gen, oder der wolken­lose Him­mel erstrahlt in einem leuch­t­en­den Blau, wie bei der ret­ten­den Begeg­nung des Ges­tran­de­ten mit Nausikaa auf der Insel der Phäi­ak­en. In der Malerei seit dem Barock gedieh das Meer­mo­tiv zum bedeu­tungslosen Neben­schau­platz der Hand­lung und wird ruhig unter einem hohen Him­mel dargestellt, wie in dem groß­for­mati­gen Gemälde von Sal­va­tor Rosa.

Seinen Gast­ge­bern berichtete Odysseus in lan­gen Nächt­en von sein­er Schiffreise, wie er durch ungün­stige Winde und Stürme immer wieder vom Kurs abkam und Posei­don seine Rück­kehr in die Heimat ver­hin­derte. Nach­dem er das Ver­trauen der Phäi­ak­en gewon­nen hat­te geleit­eten sie ihn bei ruhiger See über das Ion­is­che Meer zur Heimatin­sel Itha­ka. For­t­an kann Pal­las Athene ihren Gün­stling beschützen. Im fün­ften Gesang der Odyssee wird Posei­don als der unberechen­bare Meer­gott und „Erder­schüt­ter­er“ zum Her­rn über die zer­störerisch-tod­brin­gen­den Naturge­wal­ten und dies nicht nur im metapho­rischen Sinn: Mit seinem Dreiza­ck kann er Wolken zusam­men-treiben, um das Land zu ver­dunkeln, Böen der ver­schiede­nen Winde peitschen lassen, das Meer aufwirbeln und „eine große Woge“ strö­men lassen (Odyssee V., 282–296). Damit ist schon in der Antike ein Zusam­men­hang zwis­chen Erd­beben (bzw. See­beben) und hohen Riesen­wellen erkan­nt wor­den. Die geoarchäol­o­gis­che Forschung kann inzwis­chen sog­ar bele­gen, dass es im östlichen Mit­telmeer­raum nicht nur Erd­beben son­dern auch Riesen­wellen bzw. Tsuna­mi gab. Im Jahr 551 vor Chr. wurde ein ganz­er Land­strich bis zur über zwanzig Kilo­me­ter im Lan­desin­neren gele­ge­nen Stadt Olympia über­schwemmt (Andreas Vött, 2011).[i] An vie­len Stellen der Odyssee geben die Beschrei­bun­gen des Him­mels, der Wolken und der Sonne Hin­weise auf Natur­ereignisse und Naturkatas­tro­phen, die mehr sind als metapho­rische Umschrei­bun­gen. Nach­dem Odysseus die seine Frau Pene­lope jahre­lang bedrän­gen­den Freier getötet hat­te, heißt es am Ende des Epos: „Die Sonne/ Ist am Him­mel erloschen, und rings herrscht schreck­lich­es Dunkel!« (Odyssee XX., 356–357) Diese Textstelle wird als kurze Umschrei­bung ein­er Son­nen­fin­ster­n­is gedeutet, die nach jüng­sten Berech­nun­gen eine Datierung der Heimkehr von Odysseus zu sein­er Fam­i­lie am 16. April 1178 vor Chris­tus ver­muten lässt (Osterkamp 2008).

Von ein­er dreistündi­gen Fin­ster­n­is bei der Kreuzi­gung Christi am Tageshim­mel bericht­en auch die Evan­gelien von Matthäus, Markus und Lukas, allerd­ings kon­nte für diesen his­torischen Zeitraum keine Son­nen­fin­ster­n­is berech­net wer­den, so dass die plöt­zliche Dunkel­heit anders als in der Odyssee metapho­risch zu deuten ist.

Dem home­rischen Epos fol­gten unzäh­lige Texte von Philosophen, Lit­er­at­en und Ver­fassern von Reise­bericht­en, die in epis­ch­er Bre­ite, lyrisch­er Kürze oder laut­ma­lerisch von unheil­verkün­den­den Wolken, toben­den Winds­bräuten, zuck­enden Blitzen, pras­sel­n­dem Regen oder don­nern­den Wellen erzählen und von ges­tran­de­ten, an Klip­pen zer­schell­ten oder mit Eis­blöck­en kol­li­dierten Schif­f­en bericht­en, die nicht sel­ten mit Mann und Maus unterge­gan­gen seien.

Sturm­fluten an der Nord­see

Während im Mit­telmeer schwere Stürme und durch See­beben aus­gelöste Riesen­wellen eher sel­ten auftreten, müssen die Bewohn­er an der Nord­seeküste jährlich mit Sturm­fluten ab dem Spätherb­st rech­nen. Sie treten auf, wenn die Windgeschwindigkeit 20 Meter pro Sekunde beträgt, das mit­tlere Hochwass­er über einein­halb Meter liegt und der Wind von nord­west­lich­er Rich­tung auf die Nord­seeküste gerichtet ist. Von ein­er ‚sehr schw­eren Sturm­flut‘ ist die Rede, wenn stark­er Seewind ein Ansteigen des Wassers im Küsten­bere­ich und an den Flussmün­dun­gen von Weser und Elbe dreiein­halb Meter über dem mit­tleren Hochwass­er liegen. Das Bun­de­samt für Seeschiff­fahrt und Hydro­gra­phie stellte fest, dass die Deutsche Bucht bed­ingt durch ihre Geo­gra­phie häu­figer von Sturm­fluten heimge­sucht wird als jede andere Region der Welt und das ein hun­dert­prozentiger Schutz aus­geschlossen sei (Jensen/
Mud­er­s­bach 2006, S. 125).

Eberhard Werner Happel (1647-1690): Die erschreckliche Wasser-Fluth. Aus: Die größten Denkwürdigkeiten der Welt aus dem Jahr 1683. Kupferstich.
Eber­hard Wern­er Hap­pel (1647–1690): Die erschreck­liche Wass­er-Fluth. Aus: Die größten Denkwürdigkeit­en der Welt aus dem Jahr 1683. Kupfer­stich.

Zahl­los sind die Berichte vom Blanken Hans, der ent­lang der Nord­seeküste von den Nieder­lan­den bis nach Däne­mark Hal­li­gen, Dünen und Sand­strände wegreißt, sich durch Deiche frisst, um Häuser und ganze Dör­fer zu ver­schlin­gen. Seit der Römerzeit wis­sen wir von ver­heeren­den Sturm­fluten ent­lang der friesis­chen Küste mit hohen Opfer­zahlen von Men­sch und Tier. Meere­in­brüche verän­derten immer wieder die Land­karte, ließen den Dol­lart und den Jade­busen entste­hen. Jahrhun­dert­fluten wie die Julia­nen­flut 1164 und die bei­den Mar­cel­lus­fluten 1219 und am 15. Jan­u­ar 1362 über­schwemmten oft hun­derte Quadratk­ilo­me­ter Land­fläche. Es ent­standen Sagen um die ver­schwun­dene Stadt Rung­holt an der nord­friesis­chen Küste, die wie Atlantis im Meer ver­sunken ist. Bewohn­er glaubten später, an stür­mis­chen Tagen die Glock­en noch zu hören und tat­säch­lich wur­den die Ruinen von Rung­holt 700 Jahre nach ihrem Unter­gang ent­deckt (Rieken 2005, 172). Zwar baut­en die Friesen ent­lang der Küste Deiche, aber gegen die Sturm­fluten von Aller­heili­gen 1570 oder die Wei­h­nachts­flut 1717 hiel­ten sie nicht stand und ein­drin­gende Wasser­massen zer­störten immer wieder Häuser und Ställe. Nur die sechs bis acht Meter über dem Meer­spiegel auf Wurten errichteten gotis­chen Gran­it- bzw. Back­steinkirchen blieben unversehrt und boten oft den einzi­gen Schutz für Men­sch und Tier.

Heinrich von Dörnberg (1831-1905): Wassernot, aus dem Marschenfries, um 1865. Wandfries, 85 x 166 cm. In situ Hermann-Allmers-Haus, Rechtenfleth/ Wesermarsch. Repro Behne/ Gradel, 2002.
Hein­rich von Dörn­berg (1831–1905): Wasser­not, aus dem Marschen­fries, um 1865. Wand­fries, 85 x 166 cm. In situ Her­mann-Allmers-Haus, Rechtenfleth/ Weser­marsch. Repro Behne/ Gradel, 2002.

Der Schrift­steller Her­mann Allmers (1821–1902) aus dem in der Weser­marsch gele­ge­nen Recht­en­fleth, der zweimal nach Ital­ien reiste, hat­te in seinem Marschen­buch auch ein Kapi­tel über Sturm­fluten veröf­fentlicht. Darin ver­glich er die Bewohn­er rund um den Vesuv mit den Friesen und stellte fest:

„Was sind einzelne Vesu­vaus­brüche, die dann und wann nach lan­gen Zwis­chen­räu­men einige von ihren Bewohn­ern meis­tens schon ver­lassene Dör­fer und Fleck­en zer­stören und ein paar hun­dert Mor­gen Lan­des begraben – was sind sie gegen die unge­heuren Sturm­fluten, deren das Volk der Friesen so viele in seinen Annalen aufzuweisen hat, Sturm­fluten, von denen eine einzige oft zwanzig oder dreißig Dör­fer vom Erd­bo­den ver­schwinden ließ, meilen­lange Land­striche in ödes Watt ver­wan­delte, vie­len Tausend wack­eren Men­schen das Leben raubte, die kost­barsten Schleusen und Deichan­la­gen in weni­gen Stun­den ver­nichtete und ganzen Küsten­strichen nicht sel­ten eine Gestalt gab!“ (Her­mann Allmers: Werke, S. 24)

In sein­er im ital­ienis­chen Stil erbaut­en Vil­la in Recht­en­fleth an der Unter­weser ließ sich Her­mann Allmers von dem His­to­rien­maler Hein­rich von Dörn­berg (1831–1905) in den 1860er Jahren einen Marschen­fries in Gri­saille-Tech­nik an die Wände malen. Eines der Bilder wid­met sich dem Deich­bau, ein anderes zeigt einen drama­tis­chen Deich­bruch mit einem Haus­dach, auf das sich Frauen und Kinder ret­ten.

Einige Jahre später ver­ar­beit­ete der Schrift­steller Theodor Storm (1817–1888) das The­ma Sturm­fluten und Deich­schutz in sein­er Nov­el­le Der Schim­mel­re­it­er (1888). Als Schullek­türe wird es allerd­ings mehr unter dem Aspekt eines Sozial­dra­mas gele­sen, während in den Ver­fil­mungen die Sturm­flutkatas­tro­phe einen größeren Raum ein­nimmt.

Als Land­vogt hat­te Storm his­torische Ereignisse und Motive mündlich­er Über­liefer­un­gen von Küsten­be­wohn­ern sein­er Heimat Nord­fries­land in die Nov­el­le aufgenom­men: Die ver­heeren­den Sturm­fluten vom 7. Okto­ber 1756 und 5. Juni 1858, bei denen zu steile Deiche unter der Wucht der Wasser­massen brachen, und ent­lang der Küste von Ost­fries­land bis nach Däne­mark tausende Men­schen und Tiere ertranken oder Hab und Gut ver­loren, wie der Held und Deich­graf Hauke Heyen, der Frau und Kind bei einem Deich­bruch ver­lor.

Johann Martin Winterstein: Deichbruch, 1661. Kupferstich.
Johann Mar­tin Win­ter­stein: Deich­bruch, 1661. Kupfer­stich.

Tsuna­mi – Die Hafen­welle

Mit weltweit gle­ichzeit­ig aus­gelösten Naturkatas­tro­phen durch men­schengemacht­en Kli­mawan­del befasst sich ein Roman, der vor zwanzig Jahren erschien. Er beschwor das Szenario u.a. eines Still­stands des Golf­stroms und ein­er Tsuna­mi-Katas­tro­phe in über­wälti­gen­den Bildern her­auf. Nur wenige Monate nach Erscheinen von Frank Schätz­ings Der Schwarm ereignete sich am 26. Dezem­ber 2004 in Südostasien tat­säch­lich ein ver­heeren­der Tsuna­mi, bei dem mehr als 228.000 Men­schen star­ben.[ii]

Katsushika Hokusai (1760-1849): Unter der Welle im Meer vor Kanagawa, 1830. Farbholzschnitt, 25 x 37 cm.
Kat­sushi­ka Hoku­sai (1760–1849): Unter der Welle im Meer vor Kana­gawa, 1830. Farb­holzschnitt, 25 x 37 cm.

Aus­lös­er war ein schw­eres See­beben im Indis­chen Ozean bei Suma­tra mit ein­er Mag­ni­tude von 9,1 und unvorstell­bar hohen Riesen­wellen von bis zu 30 Meter Höhe (vor allem in Aceh), die auf die Küsten zuroll­ten. Die Plöt­zlichkeit des sich zunächst zurückziehen­den Meeres, das dann mit gewaltiger Kraft zurück­kehrte, hat­te die Küsten­be­wohn­er und Touris­ten ohne jede Vor­war­nung getrof­fen. Sieben Jahre später wurde das über Jahrhun­derte riesen­wellen­er­probte Japan am 11. März 2011 eben­falls unvor­bere­it­et von Tsunamis heimge­sucht, als statt der erwarteten drei bis zehn Meter hohen Wellen weit über 30 Meter hohe Flutwellen in die Präfek­tur Miya­gi ein­drangen, einen Land­strich von 500 Quadratk­ilo­me­tern flutete und in der Atom­an­lage von Fukushi­ma eine Nuk­lear­katas­tro­phe aus­löste.

Der Begriff Tsuna­mi wurde einst von japanis­chen Fis­ch­ern geprägt, er set­zt sich aus den bei­den Wörtern für „tsu“ Hafen und „nami“ Welle zusam­men. Fis­ch­er hat­ten erlebt, dass sie nach ein­er Hochseefahrt einen zer­störten Heimath­afen vor­fan­den, der durch bis zu 30 bis 40 Meter hohe Riesen­wellen zer­stört wor­den war, von dem sie aber auf dem Meer nichts mit­bekom­men hat­ten.

Ein­er der berühmtesten japanis­chen Farb­holzschnitte zeigt tief­blaue, sich auf­bäu­mende Wellen von enormer Größe, die viele Europäer vor 2004 wohl für über­trieben oder für krudes See­manns­garn gehal­ten haben mögen. Ihr Schöpfer, Kat­sushi­ka Hoku­sai (1760–1849), schuf die Vor­lage Unter der Welle im Meer vor Kana­gawa (Yoko­hama) für den Farb­holzschnittzyk­lus 36 Ansicht­en des Berges Fuji, ent­standen von 1830 bis 1836 (Kiy­on­a­ga 2024). Zwis­chen sich kräusel­nden Riesen­wellen im Vorder­grund ist in weit­er Ferne der schneebe­deck­te, über 3700 Meter hohe Vulkankegel Fuji abge­bildet. Die drei vollbe­set­zten etwa 15 Meter lan­gen Fis­cher­boote (Osh­iokuri-bune) bal­ancieren noch in den Wellen­tälern und geben das Größen­ver­hält­nis zu den auf­steigen­den Flutwellen an. Ver­mut­lich hat­te Hoku­sai seine Fuji-Ansicht mit Riesen­wellen nicht von der See­seite des Paz­i­fiks aus beobachtet, denn die Wellen laufen par­al­lel zur Küste und bewe­gen sich nicht auf sie und den Vulkan dahin­ter zu. Durch die kun­stvoll in Szene geset­zten Riesen­wellen mit vir­tu­os sprühen­der Gis­cht wird die sich abze­ich­nende Katas­tro­phe für die winzig klein dargestell­ten japanis­chen Fis­ch­er, die sich verzweifelt am Boot festzuhal­ten ver­suchen, fast zu ein­er komikhaften Rand­no­tiz. Für das inten­sive Blau der Wellen ver­wen­dete Hoku­sai das von Nieder­län­dern nach Japan importierte, licht­feste, anor­gan­is­che Berlin­er oder Preußisch Blau. Nach der erzwun­genen Öff­nung Japans 1853 gelangten Abzüge von Hoku­sais Riesen­welle nach Paris und beein­druck­ten Kün­stler wie den Maler Gus­tave Courbet, der daraufhin zahlre­iche Bran­dungs­bilder malte.

Gustave Courbet (1819-1877): Die Welle, um 1870. Öl/ Leinwand, 72,5 x 92,5 cm. Nationalmuseum Tokio, Foto. Wikipedia.
Gus­tave Courbet (1819–1877): Die Welle, um 1870. Öl/ Lein­wand, 72,5 x 92,5 cm. National­mu­se­um Tokio, Foto. Wikipedia.

Die Bild­hauerin Camille Claudel (1864–1943) fer­tigte eine 62 cm hohe, jade­far­bene Mar­morskulp­tur mit drei baden­den Frauen im Wellen­tal (Bronze­fig­uren). Die im näch­sten Moment über­schla­gende Welle aus schw­erem Onyx-Mar­mor verdickt sich nach oben hin und wirkt zer­störerisch weil sie sich gefährlich über den Baden­den auftürmt und sie im näch­sten Moment mit ihrer Wucht niederzu­drück­en dro­ht. Geschickt gelang es Camille Claudel die Welle stand­fest auf ein­er schmalen Basis auszupon­derieren.

Der Kom­pon­ist Claude Debussy (1862–1918) ver­ar­beit­ete das The­ma musikalisch in La Mer (1903–1905) und ver­wen­dete für das Titel­blatt sein­er gedruck­ten Par­ti­tur einen Auss­chnitt aus Hoku­sais Unter der Welle im Meer vor Kana­gawa, verzichtete aber auf die Dra­maturgie des Schiff­s­mo­tivs.

Camille Claudel (1903-1905): La vague ou les Baigneuses, 1897-1904. Marmor und Bronze, Höhe 62 cm. Foto: Musée Rodin, Paris
Camille Claudel (1903–1905): La vague ou les Baigneuses, 1897–1904. Mar­mor und Bronze, Höhe 62 cm. Foto: Musée Rodin, Paris

„Oft dient die Vorstel­lung der Gefährdun­gen auf der hohen See nur dazu,
die Behaglichkeit und Ruhe, die Sicher­heit und Heit­erkeit des Hafens vorzustellen,

in dem die Seefahrt ihr Ende find­en soll.“

 (Blu­men­berg 1979, S. 9)

 

Der Betra­chter­stand­punkt

In vie­len Bildern hol­ländis­ch­er Marine­maler des 17. Jahrhun­derts ist der Hor­i­zont tief herun­terge­zo­gen, dun­kle Wolkenge­bilde reißen an eini­gen Stellen auf. Verzweifelt ver­sucht sich die Besatzung eines in Schieflage ger­ate­nen Segelschiffs in die Wan­ten zu flücht­en, während durch den Auf­prall auf einen Felsen der Groß­mast bere­its gebrochen ist. Bemerkenswert erzäh­lerisch ist das Wiener Seesturm­bild von Jan Brueghel d. Jün­geren (1601–1678), das den Schiff­bruch ein­er Kogge direkt vor der Küste mit Häusern und Hafen zeigt. Nur ein Teil der Besatzung kon­nte sich ger­ade noch auf ein Ret­tungs­boot flücht­en, das nun bei hohem See­gang zwis­chen Treibgut düm­pelt. Einige Schiff­brüchige ver­suchen schwim­mend, das ret­tende Ufer zu erre­ichen, während rechts unten im Bild, verdeckt von ein­er hohen Welle, ein großer Fisch lauert. Brueghels Kabi­net­tbild war ein königlich­es Auf­tragswerk und ent­stand nach ein­er mehrjähri­gen Ital­ien­reise mit Schiff­s­pas­sagen nach Sizilien und Mal­ta.

Jan Brueghel d. J. (1601-1678): Seesturm, um 1625/30. Öl/ Holz, 38 x 56 cm, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie, Foto Wikipedia.
Jan Brueghel d. J. (1601–1678): Seesturm, um 1625/30. Öl/ Holz, 38 x 56 cm, Kun­sthis­torisches Muse­um Wien, Gemälde­ga­lerie, Foto Wikipedia.

 

Dass Schiff­s­reisen nicht nur vergnüglich waren, son­dern gefährlich wer­den kon­nten, bele­gen ungezählte Log­buchein­träge, Reise- und Aben­teuer­berichte. Nicht nur Seekrankheit, orka­nar­tige Böen und über Deck strö­mendes Meer­wass­er kon­nten eine Schiff­s­reise recht ungemütlich wer­den lassen. Seit Beginn der Seefahrt dro­ht­en und dro­hen bis heute Piratenüber­fälle wie jüngst im Suezkanal und Roten Meer, im Jahr 2023 allein 130 weltweit. Nicht nur in Piraten­fil­men wur­den vor der Küste Großbri­tan­niens Schiffe in der Dunkel­heit durch Irrlichter auf Riffe oder in Untiefen gelotst, bis sie manövrierun­fähig von Stran­dräu­bern aus­ger­aubt wer­den kon­nten. Zwar sind Fähren, Con­tain­er- und Kreuz­fahrtschiffe heute bei weit­em sicher­er als früher, den­noch gibt es, trotz satel­litengestützter Wet­ter­berech­nung und mod­ern­ster Nav­i­ga­tion­stech­nik, ein Restrisiko. Ein plöt­zlich­er Wet­terum­schwung, Nebel­bänke, Satel­liten­störun­gen und eine ein­set­zende Ebbe kön­nen gepaart mit Unacht­samkeit und Nav­i­ga­tions­fehlern ein Schiff auf Grund laufen lassen oder zu Kol­li­sio­nen führen. Auf dem Grund der sieben Welt­meere liegen zig­tausende Schiffe, die seit der Antike im Sturm geken­tert, kol­li­diert oder in Seege­fecht­en gesunken sind, sicher­lich wesentlich mehr als uns bekan­nt. Mit der Ein­führung der Dampf­mas­chine stieg der Schiffsverkehr vor allem über den Atlantik. Dies geht im 19. Jahrhun­dert ein­her mit ein­er sig­nifikant steigen­den Nach­frage nach Schiff­s­porträts und Marinebildern mit und ohne See­gang, ähn­lich wie im 17. Jahrhun­dert, als die Han­del­srouten nach Übersee und zu den Kolonien erschlossen wur­den. Der größte Teil der Marinebilder wurde für Han­del­skon­tore, Reed­ereien, Adelssitze, Kapitän­shäuser und betuchte Bürg­er­häuser in Auf­trag gegeben oder bei Kun­sthändlern gekauft.

Um den Grad der Wasser­tur­bu­len­zen leb­haft und überzeu­gend erscheinen zu lassen, bevorzugten Land­schafts­maler seit dem 19. Jahrhun­dert das Motiv eines in schwere See ger­ate­nen Segel- oder Dampf­schiffs unter oft ful­mi­nan­ten Wolken­bildern von Stra­tus- oder Cumu­lus­wolken, nur sel­ten mit geschlossen­er Wolk­endecke. Das Pub­likum schätzte diese drama­tis­che Insze­nierung, mag sie doch manche an eigene Wet­ter­beobach­tun­gen von der Rel­ing aus bei lan­gen bei Schiff­s­pas­sagen über die Ozeane erin­nert haben.

Eine kleine Gruppe von Marine­malern, die aus eigen­er Anschau­ung – näm­lich aus der Rel­ing­per­spek­tive — die ungestü­men Naturge­wal­ten, das ohren­betäubende Brausen und Don­nern der Wellen auf orkangepeitschter See leib­haftig erlebt hat­ten, und in drama­tisch-wirk­lichkeits­ge­treuer Malerei ein­fin­gen.

Es gibt somit ver­schiedene Kat­e­gorien von Marine­malern: Land­schafts­maler, die das Meer nur als hüb­sche Kulisse unter blauem Him­mel max­i­mal deko­ri­ert mit eini­gen Schön­wet­ter­wolken abbilde­ten und Freilicht­maler, die aus der Strand­per­spek­tive das Stran­dleben wohlhaben­der Som­mer­frischler in den mondä­nen Bade­orten von Hon­fleur, Trou­ville, Knokke-Heist bis nach Schwen­nin­gen und Zand­voort schilderten. Hun­derte Maler der Düs­sel­dor­fer Schule bevölk­erten in den Som­mer­monat­en die hol­ländis­che Küste bei Den Haag und mal­ten das ver­meintlich ärm­liche Leben der Fis­ch­er beim Anladen der schw­eren Holzsegler und ihrer am Strand wartenden Frauen mit schw­eren Fis­chkör­ben. Der Wind in den Röck­en und weißen Hauben der jun­gen Fis­cher­frauen, die starke Bran­dung und der Him­mel mit bauschig-weißen Wolken waren die beliebten Zutat­en für ein gelun­ge­nes Strand­mo­tiv. Im indus­triell geprägten Rhein­land fan­den diese Seestücke reißen­den Absatz.

Es gab im 19. Jahrhun­dert einige Marine­ma­lerin­nen, wie beispiel­sweise die Paris­erin Hen­ri­ette Her­mine Gudin, die neben Hafen­bildern auch einige in Sturm ger­atene Schiffe malte. Die Wiener­in Maria von Par­men­tier wurde mit Motiv­en franzö­sis­ch­er Häfen und der Küste bei Dieppe bekan­nt. Die aus Stral­sund stam­mende Antonie Biel wird derzeit wegen ihrer Ost­seemo­tive einem größeren Pub­likum bekan­nter. Nuan­cen­re­ich schilderte Biel den sich in der Ost­see spiegel­nden Wolken­him­mel am Strand von Rügen. Ein Segelschiff in der Ferne, die auf Kiel liegen­den Rud­er­boote und ein auf das Wass­er blink­ender Men­sch ver­lei­hen der nur sehr sel­ten stür­mis­chen Ost­see einen idyl­lisch-friedlichen Charak­ter.

Antonie Biel (1830–1880): Strand auf Rügen. Öl/ Lein­wand, 62x 96 cm (Foto Pri­vatbe­sitz).

 

Schiff­shave­r­ien in der Malerei

Um aber die Wucht von Naturge­wal­ten wirk­lich zu erfahren, genügt es eben nicht, an einem Strand zu wan­dern und dem Spiel der Wellen zuzuse­hen, so wie es der aus Greif­swald an der Ost­see stam­mende Cas­par David Friedrich (1774–1840) uns in vie­len sein­er Strand­bilder im Stil der Roman­tik zeigte. Die in Rück­e­nan­sicht gezeigten Zuschauer blick­en von hellem Sand­strand oder Krei­de­felsen auf eine wie mit einem Lin­eal gezo­gene Hor­i­zontlin­ie unter blauem Him­mel und eine dunkel­blaue, wellen­lose Ost­see ohne Tiden­hub. Es weht kein Lüftchen und die atmo­sphärische Stille der See ergreift die Zuschauer. Ähn­lich auch in Cas­par David Friedrichs vor über hun­dert Jahren gemal­ten Eis­meer (96,7 x 126,9 cm) in der Ham­burg­er Kun­sthalle, dass auf Schilderun­gen ein­er gescheit­erten Nord­pol­ex­pe­di­tion zur Ent­deck­ung der Nord­west-Pas­sage rekur­ri­ert (Ausst.-Kat. Friedrich 1974, S. 258–9).

Neben mon­u­men­tal­en, sich bizarr wie fan­tasievoll auftür­menden Eiss­chollen im Polarmeer liegt das havari­erte Segelschiff mit gebroch­en­em Mast wie lang vergessen auf der Seite und scheint nur zur Klärung inner­bildlich­er Größen­ver­hält­nisse zu fungieren. Das eigentliche Inter­esse Cas­par David Friedrichs galt den sich empor­ra­gen­den, schiefer­ar­ti­gen Schich­tun­gen der Eiss­chollen und der Vorstel­lung ein­er völ­li­gen Erstar­rung der unwirtlichen Natur in Eis­eskälte. Für die Kom­po­si­tion lieferte allerd­ings nicht der Polarkreis den kün­st­lerischen Impuls, son­dern ein eher banales Natur­ereig­nis: die einige Jahre zuvor zuge­frorene Elbe bei Dres­den.

Cas­par David Friedrich (1774–1840): Eis­meer, 1823/24. Öl/ Lein­wand, 96,7 x 126,9 cm, Ham­burg­er Kun­sthalle, Foto Wikipedia.

Trotz seines Katas­tro­phen­bildes „Eis­meer“ zählt Friedrich nicht zu der Kat­e­gorie von Marine­malern, die die See bei schw­erem See­gang aus der Rel­ing­per­spek­tive langer Schiff­s­pas­sagen real­is­tisch und glaub­haft auf Lein­wände ban­nten. Zu den bekan­ntesten des auf Erfahrung basieren­den Gen­res im 19. Jahrhun­dert zählen weit und viel gereiste Maler wie der Brite William Turn­er (1775–1851), der heute zu Unrecht in den Hin­ter­grund ger­atene Land­schafts­maler Andreas Achen­bach (1815–1910) und der von der Krim stam­mende Ivan Kon­stan­ti­novich Aiva­zovsky (1817–1900). Let­ztere zählten zu den gefragtesten und damit hoch­preisi­gen Kün­stlern ihrer Zeit, ihre Galeris­ten verkauften an begeis­terte Samm­ler, die auch damals schon Action in Bildern wün­scht­en.

Fab­u­lier­freudig wurde das Wass­er in all seinen Aggre­gatzustän­den auf Lein­wän­den verewigt: Zur dra­matur­gis­chen Insze­nierung brachen Mas­ten im Sturm, trieben Dreimas­ter ori­en­tierungs­los durch dun­kle Nebel­bänke, kol­li­dierten Pas­sagier­dampfer mit Eis­ber­gen, kämpften sich Großsegler durch Riesen­wellen oder zer­schell­ten gar an schrof­fen Fel­sklip­pen, gerne in Sichtweite der Küste, um den Schick­salsmo­ment im Bild noch zu steigern. Manch­es Schiff ging nach ein­er Kol­li­sion mit einem unter­schätzten Eis­berg inner­halb kürzester Zeit im wahrsten Wortsinn zu Grunde. Deut­lich­es Anliegen dieser Bilder war es, das Wirken der Naturge­wal­ten, ihre plöt­zliche Wan­del­barkeit und ihr ver­nich­t­en­des Poten­tial so real­is­tisch-detail­ge­treu wie möglich abzu­bilden. Zwar mal­ten die Kün­stler ihre auf­se­hen­erre­gen­den Gemälde alle­samt im windgeschützten Ate­lier, aber inten­sive Seh- und Wet­ter­erfahrun­gen hat­ten sie oft Jahre zuvor auf tur­bu­len­ten Schiff­s­pas­sagen von der Rel­ing aus gesam­melt. Ein­er von ihnen war Andreas Achen­bach, der seit sein­er Kind­heit viele Schiff­s­reisen nach Rus­s­land, Skan­di­navien und Ital­ien über­standen hat­te, die er wie ein Trau­ma in hun­derten Gemälden zu ver­ar­beit­en schien.[iii]

Andreas Achen­bach (1815–1910): Rad­dampfer bei stür­mis­ch­er See. Öl/ Lein­wand, 104 x 153 cm, Foto Kun­stauk­tio­nen Van Ham.

Seine naturge­walti­gen Sturm- und Nor­we­gen­bilder zeich­nen sich durch eine wohldurch­dachte Farbin­sze­nierung, eine aus­gek­lügelte Lichtregie und einen von real­is­tis­chen Wolken­bildern durch­zo­ge­nen Him­mel aus. Wasser­tur­bu­len­zen hob Achen­bach her­vor, indem er Rud­er­boote, Segel- und Dampf­schiffe auf bril­lant gemal­ten, jade­far­be­nen Wellen mit heller Gis­cht bal­ancieren oder düm­peln ließ. Um die Wucht der Wasser­massen zu ver­an­schaulichen, ließ er in dutzen­den Bildern stur­mgetriebene Nord­seewellen don­nernd an Lan­dungs­brück­en auf­prallen und als weiß-graue Gis­cht effek­tvoll auf­schäu­men. Ein mehrfach wiederkehren­des Motiv, das die Not durch­nässter Seeleute bei dem Ver­such, auf wogen­der See einen Rad­dampfer an eine Lan­dungs­brücke vor der hol­ländis­chen Küste zu bugsieren, darstellt, wurde zu einem sein­er Best­seller. Den­noch glich kein Bild dem anderen. In einem Brief vom 22. Mai 1871 schrieb der sech­sund­fün­fzigjährige Achen­bach an den Kun­sthändler Lep­ke in Berlin, der angeregt hat­te, Wieder­hol­un­gen zu ver­mark­ten, „er male ein Bild grund­sät­zlich nicht zweimal, da das Leben ohne­hin zu kurz sei, um alles Gese­hene und Erdachte aus­führen zu kön­nen.“ (Köhn 2013)

Seine Vor­bilder waren die Marine­maler des 17. Jahrhun­derts, die Han­dels- und Kriegss­chiffe in Sturm oder Gefecht bei drama­tis­ch­er Wolken- und Wellenin­sze­nierung zu einem eige­nen Genre gemacht hat­ten. Achen­bach hat­te Gemälde der alten Nieder­län­der wie Willem van de Velde und Jan Por­cel­lis genau studiert und den Bil­dauf­bau adap­tiert. In der real­is­tis­chen Abbil­dung der Wolken und Wellen zeigt sich jedoch eine Über­legen­heit gegenüber seinen Vor­bildern, da Achen­bach sich auf seine eigene Beobach­tungs­gabe fokussieren kon­nte, die zweifel­los an Bord eines Schiffs geschult war.

Dass schon der erst Zweiundzwanzigjährige Wolken­bilder inten­siv studiert hat­te, zeigt sein 1837 im Frank­furter Ate­lier der Städelschule gemal­ter Seesturm an der nor­wegis­chen Küste, der sogle­ich für die Samm­lung des Städels erwor­ben wurde. Die sich von der See­seite ins Bild vorar­bei­t­ende dun­kle, mas­sige Wolke mit beträchtlich­er ver­tikaler Aus­dehnung und faseri­gen Verästelun­gen wür­den Mete­o­rolo­gen heute als Cumu­lonim­bus klas­si­fizieren, ein­er Gewit­ter­wolke, aus der der Regen fällt, wie dicht über dem Hor­i­zont links im Bild zu erken­nen ist. In ger­adezu foto­re­al­is­tis­ch­er Erfas­sung des Him­mels gelang es dem jun­gen Kün­stler, alle Reg­is­ter der Farb­schat­tierun­gen von Grau, Blau bis Rosa zu ziehen und die Bergmas­sive im Hin­ter­grund in jenes typ­is­che bläuliche Licht zu tauchen, das sie in die Bildtiefe ver­set­zt. Die bräun­lichen Klip­pen des Vorder­grunds wirken dage­gen akademisch und haben mehr Ähn­lichkeit mit den Sand­ste­in­for­ma­tio­nen der berühmten Extern­steine am Rande des Teu­to­burg­er Waldes als mit ein­er nor­wegis­chen Fjord­land­schaft, die Achen­bach erst später selb­st bereiste. Die Abbil­dung der jade­far­be­nen Nord­see mit sich kräusel­nden Wellenkäm­men und kraftvoll auf­spritzen­der Gis­cht ist ein Ergeb­nis seines fotografis­chen Gedächt­niss­es, denn kaum einem Kün­stler vor Andreas Achen­bach gelang es, der­ar­tige Wellen zu malen. Das im See­gang steuer­los düm­pel­nde Segelschiff mit gebroch­en­em Mast ist daher nicht der eigentliche Pro­tag­o­nist der Insze­nierung, son­dern es sind die Naturge­wal­ten Wind, Wolken und Wass­er.

Andreas Achen­bach: Seesturm an der nor­wegis­chen Küste, 1837. Öl/ Lein­wand, 179 x 272 cm, Städel Frank­furt, Foto Wikipedia.

In einem anderen Bild mit Rud­er­boot lässt Achen­bach den dun­klen Wolken­him­mel so aufreißen, dass das Son­nen­licht auf die Stelle fällt, an der die Wellen mit voller Wucht auf die Küste tre­f­fen und als weiße Gis­cht nach oben stäuben. Betra­chter kön­nen sich leb­haft die Geräusche des Don­nerns und Tosens beim Auf­schla­gen auf die schrof­fen Felsen vorstellen.

Andreas Achen­bach: In stür­mis­ch­er See, 1847. Öl/ Lein­wand, 92 x 120 cm, Foto Kun­stauk­tio­nen Van Ham.
Andreas Achen­bach (1815–1910): Der Unter­gang der Pres­i­dent. Öl/ Lein­wand, 180 x 225 cm, ehe­mals Muse­um Kun­st­palast, Düs­sel­dorf, Foto Wikipedia.

Mit seinen Sturm­bildern hat­te Andreas Achen­bach den Nerv der Zeit getrof­fen und erre­ichte mit ihnen ein Pub­likum, das zwar in einem beschaulich-bie­der­meier­lichen Zeit­geist befan­gen war, im Inner­sten aber von der weit­en ver­we­ge­nen Welt träumte und sich beim Betra­cht­en nicht beherrschbar­er Naturge­wal­ten won­nevoll den Schauer über den Rück­en rin­nen ließ. In vie­len sein­er Bilder brin­gen treibende Baum­stämme, Planken und Fäss­er die Unberechen­barkeit und zer­störerische Kraft von Orka­nen zum Aus­druck. Sie sind aber gle­icher­maßen eine Ref­erenz an Achen­bachs alt­nieder­ländis­che Vor­bilder, die meist erst nach langem Suchen ihre Kün­stlersig­natur preis­geben, da sie auf treiben­den Fässern oder anderem Treibgut in winzi­gen Buch­staben zu lesen sind. Diese Zurückgenom­men­heit war im 19. Jahrhun­dert kaum noch Usus und Achen­bach sig­nierte alle seine Gemälde mit seinem selb­st­be­wussten, fälschungssicheren Schriftzug „A. Achen­bach“, auch in Abgren­zung zu seinem 12 Jahre jün­geren Brud­er Oswald, der qua­si als „Mit­spiel­er“, aber mit ital­ienis­chen „Schön­wet­ter­bildern“ reißen­den Absatz fand. Seine Sujets zeigen fast durchgängig die flir­rende Hitze des Südens, Wind­stille und wenn es far­blich ger­ade so passte Cumu­lus humilis, aber immer ein Stück tief­blauen Him­mels.

Panik auf der Titan­ic

Im Auf­trag Großher­zog Leopolds von Baden (1790–1852) malte Andreas Achen­bach 1842 sein wohl aufre­gend­stes Gemälde. Betra­chter blick­en auf eine bizarre Eis­land­schaft, in deren Mitte sich der Rad­dampfer Pres­i­dent vor seinem Unter­gang ein let­ztes Mal auf­bäumt. Auf dem nur noch zur Hälfte sicht­baren Schiffs­deck ver­sucht sich die Besatzung verge­blich, in Ret­tungs­boote und zum Schiff­sheck zu flücht­en. Beim Anblick des Bildes dürfte heute jed­er an den Unter­gang der Titan­ic erin­nert sein. Tat­säch­lich beruht das Bild­mo­tiv auf ein­er wahren Begeben­heit, denn das mit ein­er Länge von 74 Metern und 12 Metern Bre­ite damals größte Pas­sagier­schiff für den Lin­ien­verkehr zwis­chen New York und Liv­er­pool war im März 1841 zwei Tage nach dem Able­gen plöt­zlich ver­schollen. Die Über­fahrt sollte zwar nur sechzehn Tage dauern, gegenüber zweiund­dreißig mit einem Segelschiff, aber im Transat­lantik­di­enst erwies sich die Leicht­bauweise mit ein­er zu gerin­gen Maschi­nen­leis­tung als ungün­stig. Vom Unglück der Pres­i­dent berichtete lediglich eine Flaschen­post, die ein Pas­sagi­er, ein irisch­er Schaus­piel­er, ins Meer gewor­fen hat­te. Bei der let­zten Sich­tung kämpfte das Schiff mit stür­mis­chen Winden und hohem Wellen­gang. Achen­bachs Bilderzäh­lung führt vor, wie schnell sich die eben noch ruhige See plöt­zlich in ein gefährlich­es Eis­meer ver­wan­deln kann und verzweifelte Seeleute von den eiskalten Fluten ver­schlun­gen wer­den wie Jonas von dem Wal. Die Erhaben­heit der Ele­mente und die Winzigkeit des Men­schen angesichts der Über­ma­cht der Naturge­wal­ten sind hier in ein­er großen malerischen Geste vor­ge­tra­gen.

Damals wie heute liefern Seestürme mit Schiff­bruch und Schiff­shavarien sen­sa­tionelle Bild­mo­tive. Nicht sel­ten allerd­ings führte erst men­schlich­es Fehlver­hal­ten zur eigentlichen Katas­tro­phe, wie beim Unter­gang der Titan­ic, die bei ihrer Jungfer­n­fahrt am 14. April 1912 südöstlich von Neu­fund­land wie die Pres­i­dent mit einem Eis­berg kol­li­dierte. Eigentlich sollte sie als unsinkbares Schiff in die Geschichte der Seefahrt einge­se­hen, stattdessen kamen 1514 von 2220 Men­schen um Leben. 1985 wurde das Wrack auf dem Meeres­grund ent­deckt und Fund­stücke daraus für astronomis­che Sum­men ver­steigert.

Hun­dert Jahre später schlug eine Schiff­shaver­ie vor der ital­ienis­chen Insel Giglio hohe Wellen. Dort hat­te das 290 Meter lange Kreuz­fahrtschiff Cos­ta Con­cor­dia am 13. Jan­u­ar 2012 mit 4229 Pas­sagieren an Bord aus Unacht­samkeit des Kapitäns einen Felsen ger­ammt und sich auf die Seite gelegt. Erst achtzehn Monate später kon­nte der Schiff­s­riese aus dieser misslichen Lage befre­it und ver­schrot­tet wer­den. Auch diese Bilder gin­gen um die Welt.

Kol­li­sion der Cos­ta Con­cor­dia vor der Insel Giglo, 14.1.2012, Foto: Rober­to Vongher, Wikipedia.

Was eine Schiff­shavarie für Besatzung und Pas­sagiere bedeuten kon­nte, ver­an­schaulichte der Fran­zose Théodore Géri­cault (1791–1824) in seinem wand­fül­len­den, 1819 vol­len­de­ten Mon­u­men­tal­gemälde Szene eines Schiff­bruchs, bekan­nt als Das Floß der Medusa.

Auf einem behelf­s­mäßig gez­im­merten Floß, das in aufgewühlter See düm­pelt, sind vierzehn erschöpfte Schiff­brüchige unter einem dun­klen, von Unheil kün­den­den Gewit­ter­wolken ver­hangenem Him­mel zu sehen. Nur dem Betra­chter — aber nicht den Schiff­brüchi­gen — zeigt sich eine mehrere Meter aufra­gende Sturmwelle, die sich dem Floß nähert und es im näch­sten Moment zu ver­schluck­en dro­ht. Mit let­zter Kraftanstren­gung schwenken einige der Schiff­brüchi­gen mit Tüch­ern, um ein am fer­nen Hor­i­zont erscheinen­den Schiff auf sich aufmerk­sam zu machen. Dama­lige Betra­chter ahn­ten bald, dass es sich um eine wahre Begeben­heit han­delte, die sich einige Jahre zuvor vor der Küste Sene­gals zuge­tra­gen hat­te: Zusam­men mit vier anderen Fre­gat­ten stach 1816 eines der schnell­sten Segelschiffe der franzö­sis­chen Marine, die Medusa, gen Sene­gal in See. Unter dem Kom­man­do von Hugues Du Roy de Chau­mareys, der wegen sein­er Königstreue, nicht aber wegen nautis­ch­er Fähigkeit­en das Kapitänspatent erhal­ten hat­te, erre­ichte die Medusa als erstes die afrikanis­che West­küste, stran­dete aber am 2. Juli 1816 wegen eines Nav­i­ga­tions­fehlers an der in Seekarten verze­ich­neten Arguin-Sand­bank. Nach­dem zwei Tage verge­blich ver­sucht wurde, die Fre­gat­te zu repari­eren, wur­den die 400 Pas­sagiere schließlich evakuiert und auf sechs Ret­tungs­boote und ein aus Schiff­s­planken gez­im­mertes Floß von 8 mal 15 Metern verteilt, auf dem sich 147 Schiff­brüchige drängten. Als sich nach weni­gen Stun­den her­ausstellte, dass die Ret­tungs­boote mit dem daran vertäuten Floß nicht voranka­men, wur­den kurz­er­hand die Taue gekappt und das Floß der Medusa seinem Schick­sal über­lassen. Zwei der ins­ge­samt nur zehn Über­leben­den schilderten später den Fort­gang in einem aus­führlichen Bericht, der bis heute Maler, Philosophen, Psy­cholo­gen, Comicze­ich­n­er und Kom­pon­is­ten wie Hans Wern­er Hen­ze inspiri­erte, da alles aus dem Rud­er lief und in ein­er Katas­tro­phe mün­dete. Allein in der ersten Nacht fie­len zwanzig Män­ner samt Wasser­fass von den Floßrän­dern und nach vier Tagen wurde die Wein­ra­tion mit Urin und Meer­wass­er „ver­längert“. Es kam nicht nur zu Schlägereien, bei denen 65 ihr Leben ließen, son­dern auch zu kan­ni­bal­is­tis­chen Exzessen. Als das Floß am dreizehn­ten Tag von der Besatzung der Brigg »Argus« ent­deckt wurde, lebten nur noch fün­fzehn der Schiff­brüchi­gen, fünf star­ben an Bord, weil sie zu schnell zu viel Nahrung zu sich nah­men. Der Fall wurde zunächst ver­tuscht, hat­te dann aber doch ein poli­tis­ches Nach­spiel. Unter dem Druck der Presse wur­den schließlich der zuständi­ge Min­is­ter und 200 Mari­ne­of­fiziere ent­lassen. Unter dem Ein­druck dieses Skan­dals nahm sich Théodore Géri­cault kurz darauf des The­mas an, befragte die Über­leben­den Cor­réard und Sav­i­gny, ließ sich ein Mod­ell­floß bauen und besorgte sich für seine Stu­di­en Leichen­teile in ver­schiede­nen Ver­we­sungssta­di­en. Anlässlich von Théodore Géri­caults 200. Todestag schrieb Philipp Meier in der Neuen Zürich­er Zeitung vom 26.1.2024:

„Das Bild, das sich heute in Paris im Lou­vre befind­et, ist so berühmt, dass es immer wieder als Menetekel für Katas­tro­phen und desas­tröse Sit­u­a­tio­nen aller Art her­beige­zo­gen wird. Den 68ern galt es als Sym­bol für den Klassenkampf, die Kli­mawarn­er von heute sehen darin ein solch­es für den bevorste­hen­den Kampf um Ressourcen. Während der Flüchtlingskrise 2015 zitierte der anonyme Graf­fi­ti-Star Banksy das Werk in einem Sch­ablo­nen-Spray­bild an ein­er Haus­fas­sade in Calais in der Nähe eines ille­galen Flüchtlingscamps. Auf dem Floss waren mod­erne Flüchtlinge zu sehen, am Hor­i­zont kreuzte eine Jacht. Mit Bezug auf die Mis­ere im Mit­telmeer kom­men­tierte der Kün­stler sein Werk mit «We’re not all in the same boat». Die Welt als Floss: Wo steuert sie hin? Dieses Mon­u­ment von einem Bild kann auch als exis­ten­zial­is­tis­che Para­bel gele­sen wer­den für das Unglück der Men­schheit, die nicht aus ihrer Ver­strick­ung in unlös­bare Kon­flik­te her­aus­find­et. Vor dieser Wahrheit erstar­rt man zu Stein wie beim Anblick des schreck­lichen Gor­gonen­haupts der Medusa. Denn let­ztlich gilt eben den­noch: Wir sitzen alle im sel­ben Boot.“[iv]

Théodore Géri­cault (1791–1824): „Szene eines Schiff­bruchs«, 1819. Öl/ Lein­wand, 491 x 716 cm, Musée du Lou­vre, Paris, Foto Wikipedia.

Ein eben­so denkwürdi­ges, aber bei weit­em nicht so berühmtes Seestück malte William Turn­er 1840 ohne Auf­tragge­ber: „Das Sklaven­schiff“ (seit 1899 im Fine Art Muse­um in Boston). Unheil­verkün­dend färbt sich der Abend­him­mel blutrot und Sturmwellen peitschen einem Rah­segler ent­ge­gen, dessen Segel bere­its ger­afft sind, um nicht vom Orkan zer­fet­zt zu wer­den. Hohe Wellenkämme rollen aus der Fahrtrich­tung auf den düm­pel­nden Segler zu. Eine fast mit­tig geset­zte Sonne durch­schnei­det zudem die Hor­i­zontlin­ie durch eine ver­tikale Achse aus hellen Licht­fleck­en. Auch dieses Bild beruht auf ein­er wahren Geschichte, die sich 1781 eben­falls vor der West­afrikanis­chen Küste auf dem britis­chen Sklaven­schiff „Zong“ zuge­tra­gen hat­te. Auf Anweisung des britis­chen Kapitäns hat­te die Besatzung über hun­dert an den Beinen gefes­selte Sklaven ins tosende Meer gewor­fen, um später den „Waren­ver­lust“ auf hoher See bei der Ver­sicherung zu deklar­i­eren (Find­berg 1961, S. 474). Turn­er schildert im Bild­vorder­grund, wie Sklaven ertrinken, zum Fraß von Haien, anderen Fis­chen und Möwen wer­den und der Ozean sich blutrot färbt. Die mit Malmess­er pas­tos aufge­tra­ge­nen Farb­schicht­en brin­gen die typ­is­che Lichtregie Turn­ers zum Aus­druck, die angedeuteten Naturge­wal­ten und der rote Him­mel über dem ‚See­len­verkäufer‘ versinnbildlichen hier den teu­flis­chen Plan des Kapitäns.

William Turn­er (1775–1851): „Das Sklaven­schiff“, 1840. Öl/ Lein­wand, 90,8 x 122,6 cm, Fine Art Muse­um Boston, Foto Wikipedia.

Einige Jahre später tritt ein ander­er, nicht weniger vir­tu­os mal­en­der Marine­maler auf dem inter­na­tionalen Kun­st­markt mit in drama­tis­chem Real­is­mus gemal­ten Stur­m­darstel­lun­gen in Erschei­n­ung. Der auf der Krim geborene Ivan Kon­stan­ti­novich Aiva­zovsky (1817 Feo­dosi­ja 1900), der nach einem Kun­st­studi­um in St. Peters­burg fünf Jahre in Europa mit län­geren Aufen­thal­ten in Rom, Paris, Spanien, Lon­don und Deutsch­land zubrachte und 1869 zur Eröff­nung des Suezkanals reiste (Nowous­pend­s­ki, S. 20). Aiwa­zovskis frühe Land­schaften zeigen ruhige mediter­rane Motive oft mit einem stim­mungsvollen Sfu­ma­to, doch nach sein­er Rück­kehr auf die Krim 1849, wo er sich eine Vil­la mit Meerblick erricht­en ließ, begann er, Wasser­bilder mit enormer Farbin­ten­sität und räum­lich­er Tiefe zu malen. Die bis dahin fest­geglaubte Hor­i­zontlin­ie über­windet Aiva­zovsky ähn­lich wie vor ihm schon Turn­er. Him­mel und See wer­den eins und nur die in seinen Bildern häu­fig mit­tig geset­zte Sonne gibt dem Betra­chter­auge halt, in Him­mel und Ozean ent­fal­tet der Maler eine gekon­nte küh­le Blau­tonal­ität. Seine Spezial­ität waren bril­lant-trans­par­ente, von der Sonne durch­strahlte Wellenkämme, die eine Lichtwirkung wie Aqua­ma­rine oder Smaragde aufweisen. Bei ein­er Salonausstel­lung in Paris sollen Zuschauer sog­ar eine Lichtquelle hin­ter diesen aufleuch­t­en­den Wellen ver­mutet haben. „Die Kraft rauschen­der Wellen kann nicht durch Pin­sel­striche allein wiedergegeben wer­den: zu malen bei Blitzschlag, Wind oder Wellen­schlag ist undenkbar. Um diese Ein­drücke wiederzugeben, muss der Kün­stler sich genau erin­nern kön­nen und sein Bild mit diesen Erin­nerun­gen ausstaffieren, genau­so wie er das tut mit den Ein­drück­en von Licht und Schat­ten. […] Ein Maler, der die Natur nur kopiert, wird ein ewiger Sklave dieser Tech­nik bleiben, mit Hand und Fuss gebun­den“ (Nowous­pend­s­ki 1995, S. 20).

Ivan Kon­stan­ti­novich Aiva­zovsky (1817–1900): Schiff in stür­mis­ch­er See. Öl/ Lein­wand, 20,5 x 28,5 cm, Pri­vat­samm­lung, Foto Wikipedia.

Dass Kon­stan­ti­novich Aiva­zovsky und Andreas Achen­bach sich gegen­seit­ig aus der Ferne beobachteten, bele­gen zwei Bilder die kurz nacheinan­der gemalt wur­den. Das Anschnei­den von Motiv­en wie bei den Segelschif­f­en dürfte für den zur Düs­sel­dor­fer Maler­schule zäh­len­den Achen­bach ein Graus gewe­sen sein. Sein Malerkol­lege im Ate­lier auf der Krim ignori­erte trotzig die akademis­che Regel des Gold­e­nen Schnitts und platzierte seinen Dreimas­ter ein­fach in die Bild­mitte. Bei­de set­zten auf eine effek­tvolle, den Betra­ch­t­en­den emo­tion­al involvierende Insze­nierung, ohne dabei ober­fläch­lich zu wer­den. Ger­adezu bestechend ist ihre zur Per­fek­tion neigende Präzi­sion in der Beobach­tungs­gabe von Wet­ter­ereignis­sen ver­bun­den mit ein­er enor­men Pro­duk­tiv­ität und dama­li­gen Ausstel­lung­spräsenz. So soll der mit 83 Jahren ver­stor­bene Aiva­zovsky 6000 Bilder mit feinem Pin­sel geschaf­fen haben. Achen­bach hat ver­mut­lich noch mehr Land­schafts­bilder hin­ter­lassen als er fün­fund­neuzigjährig starb, darunter auch zahlre­iche nor­wegis­che und west­fälsche Land­schaften reißen­der Sturzbäche mit umgestürzten Bäu­men und unheil­verkün­den­den Wolken­bildern.

Ivan Kon­stan­ti­novich Aiva­zovsky: Beim Ver­lassen des Schiffs, 1882. Öl/ Lein­wand, 70,5 x 110,5 cm, Foto Wikipedia.
Ivan Kon­stan­ti­novich Aiva­zovsky: Wind­stärke 9. Öl/ Lein­wand, 20,5 x 28,5 cm, Foto Wikipedia.
Andreas Achen­bach: Dampf­schiff und Segler im Sturm, 1885. Öl/ Lein­wand, 77 x 94 cm, Foto Wikipedia.

Wie die ein­set­zende Ruhe nach dem Sturm wirken dage­gen die unspek­takulären, ger­adezu lang­weili­gen Strand­bilder, die das stür­mis­che 19. Jahrhun­dert been­den. Der aus Est­land stam­mende, langjährige Pro­fes­sor für Land­schafts­malerei der Düs­sel­dor­fer Kun­stakademie, Eugen Dück­er (1841–1916), lehrte seine Schüler, wieder eine klare Hor­i­zontlin­ie zu malen und sie ja nicht zu über­schnei­den wie Turn­er und Aiva­zovsky – seine Schüler nan­nten sie deshalb die Dück­er-Lin­ie. Dück­er, der von Düs­sel­dorf viele lange Schiff­s­reisen u.a. in seine Heimat Est­land unter­nahm, nahm seine Akademieschüler zu Malexkur­sio­nen auf Ost­see- und Nord­seein­seln von Rügen, Sylt und Wangerooge mit. Er zählt zu den Kün­stlern, die Wolken und Wellen lieber bei ruhigem, friedlichem Wet­ter vom Strand aus beobachteten.

Eugen Dück­er: Nord­see, 1904. Öl/ Lein­wand, 33,5 x 44,5 cm, Pri­vatbe­sitz, Foto Wikipedia.

Zuschauer vor Schiff­bruch

Die Gemein­samkeit zwis­chen den ca. 90 Gen­er­a­tio­nen, die uns zeitlich vom home­rischen Epos Odyssee tren­nen, liegt in dem Inter­esse, Naturge­wal­ten und ihre Fol­gen zu ver­ar­beit­en und kün­st­lerisch der Nach­welt zu über­liefern.

Wenn wir heute wöchentlich und qua­si in Echtzeit von Naturkatas­tro­phen weltweit durch TV-Berichte und Social Media erfahren, so zeigt ein Blick in die Ver­gan­gen­heit, dass drama­tis­che Schilderun­gen von Stür­men, Riesen­wellen, Schiff- und Deich­bruch schon seit Jahrhun­derten in Lit­er­atur und Kun­st aufgear­beit­et wur­den, um in Erin­nerung zu bleiben. Die Men­schen früher­er Jahrtausende kon­nten sich die Wet­terkapri­olen mit göt­tlich­er Fügung erk­lären, während der Men­sch des 21. Jahrhun­derts dem Raub­bau an der Natur und dem men­schengemacht­en Kli­mawan­del — und damit sich selb­st — die Schuld gibt.

Der unweit der Danziger Bucht im 18. Jahrhun­dert geborene Philosoph Emanuel Kant (1724–1804) kon­nte ein­er stür­mis­chen See offenkundig nichts Ästhetis­ches abgewin­nen, nan­nte ihren Anblick gar grässlich und sprach ihr die Prädikate Schön­heit und Erhaben­heit ab.

„So kann der weite, durch Stürme empörte Ozean nicht erhaben genan­nt wer­den. Sein Anblick ist gräßlich; und man muss das Gemüt schon mit mancher­lei Ideen ange­füllt haben, wenn es durch eine solche Anschau­ung zu einem Gefühl ges­timmt wer­den soll, welch­es selb­st erhaben ist.“ (Kri­tik der Urteil­skraft Kap.32, 2.)[v]

Aber eben diese Ideen wur­den entwick­elt, vari­a­tion­sre­ich und sub­lim abge­bildet: Um bewegte Luft und Wasser­massen in eine Kun­st­form zu brin­gen, wählten Kün­stler neben Wolken­bildern Sturmwellen oder gar das Tsunami­mo­tiv. Vom Sturm gepeitschte Schiffe in Schieflage und Schiff­bruch zählen nach in Auf­trag gegebe­nen Schiff­s­porträts zu den beliebtesten Motiv­en der Seefahrerna­tio­nen, kamen also den Bedürfnis­sen ihrer Käufer ent­ge­gen.

Die Marine­malerei umfasste einst allerd­ings viele Unter­grup­pen, darunter Seeschlacht­en, Schiff­s­porträts, Kapitäns­bilder, Schiff­shave­r­ien, Hafen- und Strand­bilder. Um den reinen Abbild­charak­ter zu über­winden wer­den Sturmwellen und Wolken­for­ma­tio­nen zu dra­matur­gis­chen Stim­mungsträgern bei Seestück­en, die anders als Hafen- und Strand­bilder, die offene See zeigen. Der Betra­chter­stand­punkt, der von Kün­stlern wie Turn­er, Achen­bach und Aiva­zovsky im 19. Jahrhun­dert ein­genom­men wurde, ist bildim­ma­nent und von der Rel­ing eines anderen nicht sicht­baren Schiffs aus gedacht, qua­si als wären die Zuschauer haut­nah dabei. Zur Steigerung der dra­matur­gis­chen Insze­nierung über­wan­den Turn­er und Aiva­zovsky die bis dahin fest­geglaubte Hor­i­zontlin­ie und den Flucht­punkt. Der Über­gang von Ozean und Wolken löste sich in ihren Bildern durch einen starken Wellen­gang auf, was beim Betra­cht­en zu Irri­ta­tio­nen führte, denn das Oben und Unten ist nicht mehr ein­deutig definiert. Für die tra­di­tionelle Marine­malerei kam dies allerd­ings einem Tabubruch gle­ich und fand auch nur bei weni­gen Kün­stlern Nachah­mung. Salonbe­such­er des 19. Jahrhun­derts fühlten sich emo­tion­al ange­sprochen durch die Dra­maturgie eines im See­gang gefährlich düm­pel­nden Floßes mit geschwächt­en Schiff­brüchi­gen oder einem dem unauswe­ich­lich Unter­gang gewei­ht­en einst stolzen Schiff­s­riesen auf hoher See, evozierte sie doch das Glücks­ge­fühl, nicht in eine ähn­lich missliche Sit­u­a­tion ger­at­en zu sein.


Lit­er­atur

Ausstel­lungskat­a­log: Cas­par David Friedrich. Kun­st um 1800, Ham­burg­er Kun­sthalle 1974, S. 258–9.

Ausstel­lungskat­a­log: Her­ren der Meere – Meis­ter der Kun­st — Das hol­ländis­che See­bild im 17. Jahrhun­dert. (Hg) Gilta­ji, Jeroen/ Kelch, Jan, Staatliche Museen zu Berlin 1996.

Behne, Axel (Hg.): Innen und Außen. Heimat und Fre­unde. Tagungs­band Her­mann Almers Bre­mer­haven 2008

Blu­men­berg, Hans: Schiff­bruch mit Zuschauer. Par­a­dig­ma ein­er Daseins­meta­pher. Frankfurt/M. 1979.
Vic­to­ria Charles: Iwan Aiwa­sows­ki und die Wasser­land­schaft in der rus­sis­chen Malerei. New York 2015.

Dür­beck, Gabriele/ Feindt, Peter H.: Der Schwarm und das Net­zw­erk im mul­ti­skalaren Raum. Umwelt­diskurse und Naturkonzepte in Schätz­ings Ökothriller. In: Ermisch/ Kruse/Stobbe: Ökol­o­gis­che Trans­for­ma­tio­nen und lit­er­arische Repräsen­ta­tio­nen, 2010.

Fin­berg A. J., »The Life of J.M.W. Turn­er,« R.A., 1961, S. 474; Kiy­on­a­ga, Nobu­masa: Die Mon­ster­welle von Hoku­sai – Zur Wahrnehmung von Hoku­sais „Die große Welle vor Kana­gawa“ an japanis­chen Schulen. Vgl.: Hokusais_Große_Welle_an_japanischen_Schulen.pdf (explore-vc.org) (Stand: 20.06.2024)

Jensen, Jürgen/ Mud­er­s­bach, Christoph u.a.: Mod­ellgestützte Unter­suchun­gen zu Sturm­fluten mit sehr gerin­gen Ein­trittswahrschein­lichkeit­en an der deutschen Nord­seeküste. In: Die Küste, 71 (2006), 123–167

Köhn, Silke: Andreas Achen­bach (1815–1905). In: Samm­ler Jour­nal, Nov./Dez. 2013.

Köhn, Silke: Eugen Gus­tav Dück­er 1841–1916. In: Samm­ler Jour­nal. Okt. 2011
Meier, Philipp: Bild ein­er Katas­tro­phe: «Das Floss der Medusa» zeigt Opfer des Schiff­bruchs 1816 (nzz.ch) (Stand: 28.5.2024).

Nowous­pend­s­ki, Niko­lai: Iwan Aiwa­zovs­ki. Maler des Meeres, Bournemouth 1995.

Osterkamp, Jan: Archäoas­tronomie: Wann die Sonne erlosch — Spek­trum der Wis­senschaft. 23.06.2008 (Stand: 19.6.2024)

Rieken, Bernd: »Nord­see ist Mord­see«: Sturm­fluten und ihre Bedeu­tung für die Men­tal­itäts­geschichte der Friesen. 2005

Study, Case: The Tri­al of the Zong Slave Ship. http://www.twmuseums.org.uk/slavery/_files/learning-zone/Activity8b.pdf (Stand: 25.6.2024)

Vött, Andreas: Die Olympia-Hypothese: Tsunamis haben die Kult­stätte auf der griechis­chen Hal­binsel Pelo­ponnes ver­schüt­tet | Kom­mu­nika­tion und Presse (KOM) (uni-mainz.de). (Veröf­fentlicht 30.06.2011 (Stand: 26.06.2024).

[i] Prof. Dr. Andreas Vött von der Johannes Guten­berg-Uni­ver­sität Mainz fand her­aus, dass Olympia nicht wie lange ver­mutet, von einem Erd­beben son­dern von einem Tsuna­mi zer­stört wurde. Eine Arbeits­gruppe Natur­risiko-Forschung und Geoarchäolo­gie unter­sucht seit Jahren die Küste­nen­twick­lung von West­griechen­land und kam zu dem Ergeb­nis, dass es mehrere Tsuna­mi-Ereignisse gab, die den Küsten­ver­lauf dort vor 11000 Jahren verän­derten.

[ii] Dürbeck/ Feindt 2010. Da irrtüm­lich davon aus­ge­gan­gen wurde, dass Schätz­ings Roman 2005 erschienen sei (S. 214), also nach dem Tsuna­mi in Asien, bleibt die Analyse bedauer­licher­weise auf der rein struk­turellen Ebene.

[iii] 1818 holte sein Vater Her­mann Achen­bach (1793–1849) die Fam­i­lie nach Rus­s­land nach, weil er dort und in Est­land und Litauen Fab­riken betreute, in denen Bleizuck­er zum Pan­schen von saurem Wein hergestellt wurde. Zwis­chen seinem drit­ten und acht­en Leben­s­jahr erlebte Andreas Achen­bach min­destens zwei große Schiff­s­reisen von Ham­burg zweitausend Kilo­me­ter über die Ost­see nach St. Peters­burg und 1823 vicev­er­sa zurück nach Düs­sel­dorf.

[iv] Bild ein­er Katas­tro­phe: «Das Floss der Medusa» zeigt Opfer des Schiff­bruchs 1816 (nzz.ch) (Stand: 28.5.2024).

[v] https://www.projekt-gutenberg.org/kant/kuk/kukp231.html

  • 9. Januar 202517. Februar 2025
Von Winden bewegt, von Stürmen getrieben. Wolkengestalt und Windgewalt im Bild
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