Vorwort
Es ist in aller Munde – nicht nur im Modus tagtäglichen Vergewisserns der lokalen Wetterlagen, sondern zunehmend auch unter dem Vorzeichen eines aus den Fugen geratenen, globalen ökologischen Gleichgewichts: das Wetter. Die Auseinandersetzung mit dem elementaren, gleichwohl weltumspannenden Phänomen, dem die Menschheit nach wie vor ausgesetzt ist, bewegt sich situations- und interessenabhängig zwischen privater Betroffenheit, ästhetischer Anmutung und wissenschaftlicher Einordnung.
Unter den jahreszeitlich bestimmten Witterungsverläufen in unseren Breitengraden konkretisiert sich das Wettergeschehen in wechselnde Phasen. Neben Sonnenschein, Regen, Wind, Hitze, Kälte, Schnee, phasenweise auch Sturm und Gewitter, verzeichnen Klimatologen von A (Antizyklon) bis Z (Zyklon) eine große Bandbreite an wetterspezifischen Erscheinungen. Hingegen prägten vor der meteorologischen Wetteraufzeichnung und der wissenschaftlichen Erforschung klimatisch bedingter Zusammenhänge kultisch-religiöse Ausdeutungen und Praktiken über Jahrtausende die Beziehung der Menschen zum Wetter: Wetterwechsel und Wettererscheinungen galten durch ihre lebenserhaltende oder lebensbedrohende Wirkung als Zeichen göttlicher Einflussnahme auf menschliche Geschicke.
Beide, die mythologisch-religiöse und damit kulturgeschichtlich verankerte Beziehung zum Wetter wie die meteorologisch-naturwissenschaftliche – heute von den ökologischen Folgen des menschengemachten Klimawandels dominierte – Auseinandersetzung mit seinen Gesetzmäßigkeiten, fanden ihren Niederschlag in einer reichhaltigen ästhetisch-künstlerischen Produktion. Mit bildnerischen, musikalischen, performativen und literarischen Mitteln haben Künstlerinnen und Künstler die Ausdruckskraft der Elemente wie die Möglichkeiten ihrer gestalterischen Inszenierung auf beeindruckend vielfältige Weise ins Werk gesetzt. Besonders die Erscheinungsweise und Atmosphäre einer Landschaft wird durch Wetterphänomene beeinflusst, lösen diese doch neben situativer Betroffenheit, Anmutungen oder Gestimmtheiten im Menschen aus. Am Wandel der Atmosphäre und dem damit einhergehenden Wechsel von Stimmungen sind stets mehrere Faktoren beteiligt. Wolkenbildung verändert nicht nur die Helligkeit, sondern auch das Farbspektrum. Wind hingegen setzt als unsichtbare Kraft Wolken, Wasser und Vegetation in Bewegung und trägt damit zur Dynamisierung oder Dramatisierung bei.
Das Wetter kann folglich nicht nur Begleiterscheinung, sondern auch Beweggrund bildnerischer Produktion sein. In diesem Fall wird Landschaft zum Ort, der dem Wetter eine Bühne bietet. Auf ihr werden Ereignisse der Witterung mit zeichnerischen, malerischen oder fotografischen Mitteln inszeniert. Ob die dabei entstehende Stimmung Menschen ergreift, hängt zu nicht geringem Teil von den darstellerischen und kompositorischen Fertigkeiten derer ab, die das Landschaftsbild im Bewusstsein seiner Wirkung erschaffen. Besondere Visualisierungsstrategien erfordern über Land oder Meer ziehenden Winde und Stürme, lassen sie sich als unsichtbares Phänomen doch in der Regel einzig anhand von Begleiterscheinungen und Einwirkungen auf die Landschaft wiedergeben.
Bildnerisch dargestellte Windereignisse stehen im Mittelpunkt der Beiträge dieser Ausgabe zum Thema Wetter. Die Autorinnen untersuchen, wie Wirkung und Ausdruckskraft von Wind und (Un)Wetter ins Werk gesetzt und mit Bedeutungszuschreibungen, Grundstimmungen oder Sinngebungen aller Art aufgeladen werden. So stellt Silke Köhn in ihrem Beitrag „Schiffbruch vor Zuschauer: Die See und ihre Naturgewalten in der Kunst“ nicht nur eine Reihe beeindruckender Bilder von Schiffshavarien vor. Sie fragt zugleich nach den Beweggründen für die lokale und temporäre Beliebtheit des Sujets, das atmosphärisch vom dramatisierten Zusammenspiel zwischen Wellen, Wolken und Licht lebt und neben zeitgeschichtlichen auch mythologisch-religiöse und damit kulturgeschichtliche Bezüge aufweist. Beginnend bei der Odyssee schlägt die Autorin einen weiten Bogen über Bilder von Sturmfluten und Riesenwellen und stellt neben historischen Hintergründen etwa von Gericaults Floß der Medusa (1819) die Kunstfertigkeit und Raffinesse kompositorischer Inszenierung bei weniger bekannten Malern wie Andreas Achenbach (1815–1910) oder Ivan Konstantinovich Aivazovsky (1817–1900) heraus. In deren beeindruckenden Bildern werden Wolken und Wellen zu Seismographen des Windes. Neben der kunsthistorischen Einordnung exemplarischer Werke erschließt Silke Köhn zugleich jene rezeptionsästhetische Perspektive, die das vor dem Bild eines Schiffbruchs aus sicherer Position nacherlebbare Gefühl des Ausgesetz-Seins im 19. Jahrhundert salonfähig machte.
Zu den gefahrvollsten, kurzzeitigen Wetterereignissen gehören Wirbelstürme. Was sie vor anderen Winden auszeichnet und als bildnerisches Motiv so attraktiv macht, ist die außergewöhnliche Art ihres Hervortretens, ihr visuell wahrnehmbares Sich-Bilden. Petra Kathke geht dem allmählichen Abheben eines Tornados vom stürmischen Geschehen ringsumher nach, bei dem die extrem schnelle Rotation des Windes eine Himmel und Erde verbindende „Wolkensäule“ erzeugt, die Menschen als wirkmächtiges Bild lange vor Beginn der Wetteraufzeichnungen beobachtet, beschrieben und dargestellt haben, und setzt sie in Analogie zu Gernot Böhmes Ekstasen-Begriff. Die Autorin untersucht die Faszination des Fotografierens und Filmens von Tornados durch sogenannte stormhunter aus raum-zeitlicher und phänomenologischer Sicht und reflektiert die Herausbildung des außergewöhnlichen Wind-/ Wolkenereignisses durch Bezugnahme auf ontologische Aspekte, Fragen zu Bildgestalt und leibsinnlicher Wahrnehmung sowie das Erzeugen von Atmosphären. Den gestalterischen Umgang mit Wind knüpft sie an das Bedürfnis nach körperlichem Erleben und leiblichem Spüren. Zugleich führt Petra Kathke exemplarisch vor Augen, welche bildnerischen, performativen und medialen Mittel Künstlerinnen und Künstler seit der Klassischen Moderne eingesetzt haben, um Wirkweise und Ausdruckskraft von Wind und Wolken ins Werk zu setzen und mit Bezug auf das aus den Fugen geratene ökologische Gleichgewicht erfahrbar zu machen.
Auf das bei Weitem unausgeschöpfte Potenzial der Wetter-Thematik für ästhetische Bildungsprozesse verweist der Beitrag von Jasmin Meller. Ihre didaktische Reflexion einer Unterrichtseinheit im Fach Kunst verdeutlicht, wie Gespür und körperliches Empfinden von Grundschulkindern in Gestaltungsvorhaben zu Wetterereignissen einfließen können. Im Kunstunterricht der Autorin führt der besondere Einsatz bildnerischer Mittel nach performativer Vergegenwärtigung zu einer beeindruckenden Synthese zwischen der Visualisierung des situativen Erlebens und dem individuellen Spüren des einzelnen Kindes, dessen fotografisches Ich sich der Witterung im Bild aussetzt.