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Zwischen Gebundenheit und Freiheit – Symposium „Musikalische Improvisation“ vom Zentrum für Gegenwartsmusik der HMT-Leipzig

Leontine Bayer

Tagungs­bericht

„Impro­vi­sa­tion in der Musik ist wie vor ein­er weißen Lein­wand ste­hen und ein Bild malen, sie kommt ganz tief aus einem selb­st. […] Impro­vi­sa­tion ist Kom­mu­nika­tion. Mit anderen und mit sich selb­st.“ (Geb­hard Ull­mann, Berlin) „Impro­vi­sa­tion bedeutet den Mut, Unvorherge­se­hen­em zu begeg­nen, und die Bere­itschaft, gle­icher­maßen, erfol­gre­ich zu sein oder zu scheit­ern.“ (Tilo Aug­sten, Leipzig)

So heißt es im Fly­er zum Sym­po­sium „Musikalis­che Impro­vi­sa­tion zwis­chen Gebun­den­heit und Frei­heit“ vom Zen­trum für Gegen­wartsmusik Kul­tur­sa­lon (ZfGM), welch­es von Prof. Dr. Con­stanze Rora, Prof. Dr. Gesine Schröder und Prof. Dr. Mar­ti­na Sichardt organ­isiert und konzip­iert wurde. Ver­anstal­tung­sort des Sym­po­siums am 20. und 21.11.2021 war der Orch­ester­proben­saal der Gras­sis­traße der Hochschule für Musik und The­ater Leipzig „Felix Mendelssohn Bartholdy“. Zu Gast waren Lehrende und Musiker:innen aus Deutsch­land, der Schweiz und Hongkong, die musikalis­che Impro­vi­sa­tion aus ver­schiede­nen Per­spek­tiv­en beleuchteten. In Vorträ­gen wurde das The­ma the­o­retisch betra­chtet. Work­shops luden dazu ein, ver­schiedene Impro­vi­sa­tions­for­men prak­tisch zu erproben. In Podi­ums­ge­sprächen wur­den diese dann auf ihre Vor­gaben und Voraus­set­zun­gen hin befragt.

Doch was bedeutet es vor dieser weißen Lein­wand zu ste­hen? Im Jazz, jaz­zna­hen und tran­skul­turellen Idiomen sowie der Kirchen­musik ist Impro­vi­sa­tion längst etabliert. Und wie ste­ht es um west­liche von Schriftlichkeit geprägte ‚klas­sis­che‘ Musikkul­turen? (Wie) Kann Impro­vi­sa­tion ver­mit­telt wer­den und ist sie frei oder entste­ht Frei­heit erst im Rah­men fest­gelegter Regeln? Diesen und weit­eren Fra­gen wid­mete sich die Tagung.

Zunächst einige Worte zum Impro­vi­sa­tions­be­griff selb­st. Der Begriff, so heißt es im Fly­er zur Ver­anstal­tung, wird nicht nur in der Musik, son­dern auch bezo­gen auf All­t­agssi­t­u­a­tio­nen ver­wen­det, wenn Ver­hal­tensweisen weniger einem fes­ten Plan als der Einge­bung des Moments fol­gen. Impro­vi­sa­tion – ein „schillern­der Begriff“, der sich zwis­chen den Polen Gebun­den­heit und Frei­heit zu bewe­gen scheint. Denn eine Gegenüber­stel­lung von werk­be­zo­gen­er Auf­führung und Impro­vi­sa­tion ist nicht ohne weit­eres möglich. Auf der Seite von Kom­po­si­tion bzw. Inter­pre­ta­tion lasse sich impro­visatorische Öff­nung fest­stellen und umgekehrt seien Impro­vi­sa­tion­sprak­tiken im unter­schiedlichen Maße idioma­tisch gebun­den: Im Zuge des Inter­ess­es an his­torisch­er Auf­führung­sprax­is lassen sich explizite Impro­vi­sa­tion­sprak­tiken wieder­ent­deck­en. Zudem ermöglicht die Unbes­timmtheit von Par­ti­turen Raum für (implizite) Impro­vi­sa­tion. Hinzu kom­men Kom­po­si­tio­nen der zeit­genös­sis­chen Musik ab 1950, die eben­falls Raum für Impro­vi­sa­tion geben. Die Tagung wid­mete sich Beispie­len musikalis­ch­er Impro­vi­sa­tion­sprak­tiken, die sich in diesem Span­nungs­feld bewe­gen.

Beim Eröff­nungskonz­ert am Fre­itag trafen ver­schiedene Bere­iche der Impro­vi­sa­tion, wie sie an der HMT gelehrt wer­den, aufeinan­der. Es muszierten das Jaz­zquin­tett unter der Leitung von Eric Schae­fer (Leipzig) und Co-Leitung von Michael Woll­ny (Leipzig), Chris­t­ian Gross (Leipzig) an der Orgel, das von Tilo Aug­sten (Leipzig) angeleit­ete Impro­vi­sa­tion­sensem­ble der HMT und Studierende ver­schieden­er Fachrich­tun­gen. Die Leitung des Gesanges hat­te Lisa Forn­ham­mar (Leipzig). Nach einzel­nen Beiträ­gen der beteiligten Ensem­bles lud Geb­hard Ull­mann im zweit­en Teil des Abends zu ein­er freien Grup­pen­im­pro­vi­sa­tion ein. Anhand von Zufall­skat­e­gorien wie Geburtsmonat und Augen­farbe „erwür­felte“ er wech­sel­nde Kon­stel­la­tio­nen von Instru­menten, die sich jew­eils zu ein­er gemein­samen Impro­vi­sa­tion trafen. Die in den Impro­vi­sa­tio­nen her­vorge­bracht­en Klänge waren teil­weise exper­i­mentell und  bewegten sich abseits etabliert­er Spiel­prax­is. Mit dem aleatorischen Rah­men ent­stand eine Atmo­sphäre, die span­nende Momente freier Impro­vi­sa­tion ermöglichte.

Am Sam­stag wur­den Impro­vi­sa­tions­for­men des „Free Impros“ der exper­i­mentellen, indis­chen und Alten Musik prak­tisch erprobt – bere­ichert durch eine Demon­stra­tion über die Verbindung von Tanz und Musik. Ull­mann erprobte in seinem Work­shop Impro/ Freie Impro­vi­sa­tion (Moments/ Structures/ Chords) mit Studieren­den der Jaz­z­abteilung ver­schiedene Meth­o­d­en des Impro­visierens und zeigte dabei, wie Impro­vi­sa­tion erlernt und geübt wer­den kann. Beim Impro­visieren gebe es laut Ull­mann „wie bei einem Maler – gewisse Tech­niken, die man erler­nen kann. Wichtig sind – auch in der Impro­vi­sa­tion – die ein­fachen Ele­mente der Musik wie Melodie, laut, leise, kurz, lang, hoch, tief, etc. – diese kön­nen sich zu einem Konzept for­men.“[1] (Geb­hard Ull­mann) Das Vorgeben unbe­d­ingt binden­der Regeln – zunächst ein Wider­spruch zur ‚freien‘ Impro­vi­sa­tion – spiele beim Erler­nen von Impro­vi­sa­tion eine wichtige Rolle. Ins Schwitzen geri­eten die Studieren­den im Work­shop Impro­visierte Tanz­musik um 1600 mit Mar­tin Erhardt (Halle/Leipzig/Weimar), wo Tänze um 1600 erlernt und anschließend sin­gend in andere Tänze umge­wan­delt wur­den. So wurde aus ein­er Pavane eine Gail­larde, aus ein­er Alle­mande eine Courante. Dabei führte zunächst immer nur ein Weg zum Ziel. Prof. Dr. Peter Jar­chow (Berlin) und die Tänz­erin Prof. Ingrid Bor­chardt (Dres­den) demon­stri­erten in ihrem Vor­trag über Impro­vi­sa­tion, Musik und Tanz humor­voll, wie eine Tänz­erin und ein Pianist gemein­sam impro­visieren, obwohl sie unter­schiedliche Sprachen benutzen. Vor­bild für die Demon­stri­eren­den war die Schule der Tänz­erin und Tanzpäd­a­gogin Gret Paluc­ca aus Dres­den.

Dass Impro­vi­sa­tion auch im Rah­men ein­er konzep­tionell angelegten Kom­po­si­tion stat­tfind­en kann, erwies Prof. Dr. Ari­ane Jeßu­lat (Berlin) in ihrem Work­shop Konkur­renz – Störung- Stille: Prozesse und Ökonomien in der Impro­vi­sa­tion exper­i­menteller Musik. Unter der Anleitung von Jeßu­lat erar­beit­eten Studierende Auss­chnitte eines Werkes exper­i­menteller Musik von Dieter Schnebel, indem sie den im Werk angelegten Freiraum zur impro­visatorischen Gestal­tung erkun­de­ten.  Dabei sorgte ein Kaf­feefilter über­raschend für Aufmerk­samkeit.

Außer­halb west­lich­er Musikkul­tur bewegte sich Markus Schmidt (Gießen), der in sein­er Lec­ture-Demon­stra­tion klas­sis­ch­er indis­ch­er Musik zeigte, dass Impro­vi­sa­tion und klas­sis­che indis­che Musik eng ver­woben sind. Die auss­chließlich oral tradierte klas­sis­che indis­che Musik beruht auf Ragas, ein­er melodis­chen Grund­struk­tur, über die die Spie­len­den impro­visieren. Schmidt beein­druck­te schon allein durch das Spie­len eines einzel­nen Raga auf der Sitar. Höhep­unkt des Sym­po­siums bildete das Podi­ums­ge­spräch zur Frage: Wie wird Impro­vi­sa­tion gelehrt? Prof. Dr. Gesine Schröder mod­erierte die Runde beste­hend aus Tilo Aug­sten, Mar­tin Erhardt, Prof. Dr. Peter Jar­chow, Prof. Dr. Ari­ane Jeßu­lat, Prof. Thomas Lennartz, Markus Schmidt, Prof. Eric Schae­fer und Prof. Michael Woll­ny. Lehrende ver­schieden­er Fachrich­tun­gen trafen aufeinan­der, deren Ansätze zur Frage sich gemäß des Mot­tos der Tagung zwis­chen den Polen Gebun­den­heit und Frei­heit bewegten. Während in der Alten Musik zunächst nur ein Weg zum Ziel führt, den es zu ent­deck­en gilt, wird Impro­vi­sa­tion in der Jazzmusik als Prozess ver­standen. Die Vor­gabe eines Rah­mens scheint eine all­ge­meine Prax­is in der Impro­vi­sa­tion­slehre zu sein. Wie eng dieser Rah­men sein sollte, darin unter­schieden sich die Mei­n­un­gen. Ein wichtiger Aspekt sei es, Sit­u­a­tio­nen zu schaf­fen, in denen die Ler­nen­den Gele­gen­heit erhal­ten, sich selb­st im Zusam­men­spiel mit anderen zuzuhören. Impro­vi­sa­tion mag anfänglich eine Über­forderungssi­t­u­a­tion darstellen, die jedoch mit genü­gend musikalis­chem Vok­ab­u­lar, welch­es sich stetig erweit­ert, bewältigt wer­den kann. Die Lehrkraft, da waren sich alle einig, wird dabei zunehmend über­flüs­sig.

Der Son­ntag bildete den Abschluss der Tagung. Prof. Dr. Ulrich Mosch (Genf) sprach über das Ver­hält­nis von Kom­po­si­tion und Impro­vi­sa­tion in der jüng­sten Zeit und ging dabei auf die Unge­bun­den­heit im Kom­po­si­tion­sprozess ein. Die Mas­ter­stu­dentin Han­nah Ham­merich (Leipzig) richtete mit ihrem Vor­trag über das Live-Cod­ing als impro­visatorische Auf­führung­sprax­is den Blick auf elek­tro­n­is­che Musik. Sie führte aus, wie im Live-Cod­ing Impro­vi­sa­tion und Live­ness miteinan­der ver­schränkt sind. Beim Live-Cod­ing wird mith­il­fe von sit­u­a­tiv erstell­ten Codes impro­visiert. Trans­parenz hat dabei einen hohen Stel­len­wert. PhD John Lam Chu-fai (Hongkong, Leipzig) sprach über Per­form­ing Impro­vi­sa­tion in con­tem­po­rary Chi­nese music: Con­texts, Chal­lenges and Strate­gies. Anhand von aus­gewählten Musik­beispie­len ging Jonathan Delazar (Leipzig) ging der Frage nach, welche Rolle Soloim­pro­vi­sa­tion in der informellen Musik spielt. Prof. Dr. Kai Loth­we­sen stellte in seinem Vor­trag Suchen, find­en, spie­len: Per­spek­tiv­en auf musikalis­che Kreativ­ität und Impro­vi­sa­tion spielerische Bezüge her. Aus­ge­hend von der Frage „Warum so und nicht anders?“ warf er neue Per­spek­tiv­en auf die Begriffe Impro­vi­sa­tion, Impro­visieren und musikalis­che Kreativ­ität. Durch die Analyse ein­er videoaufgeze­ich­neten Impro­vi­sa­tion eines Jazz-Trios illus­tri­erte er Merk­male des Impro­vi­sa­tion­sprozess­es. Das Podi­ums­ge­spräch mit dem Titel Turn­ing, Cleese und Mozart: Eine Impro­vi­sa­tion bildete den Abschluss des Sym­po­siums und diente als Erfahrungsaus­tausch zwis­chen der wis­senschaftlichen Per­spek­tive Kai Loth­we­sens und der prak­tis­chen Lehrtätigkeit Michael Woll­nys.

Vom Eröff­nungskonz­ert bis zum let­zten Podi­ums­ge­spräch inspiri­erte die span­nungsvolle Atmo­sphäre. Mit seinen vie­len Ein­drück­en, den prak­tisch ori­en­tierten Work­shops und den Podi­ums­ge­sprächen, bei denen ver­schiedene Fachrich­tun­gen neue Zugänge auf Impro­vi­sa­tion eröffneten, hin­ter­lässt das Sym­po­sium seine Spuren an der HMT Leipzig.

 

Leon­tine Bay­er studiert im 9. Semes­ter Schul­musik an der HMT Leipzig und Deutsch an der Uni­ver­sität Leipzig.

 

[1] Fly­er zum Sym­po­sium „Musikalis­che Impro­vi­sa­tion zwis­chen Gebun­den­heit und Frei­heit“

  • 10. Juli 202210. Juli 2022
„Denn es bedarf eines In-der-Musik-Seins (als Moment, in dem Leib Musik und Musik Leib ist)“: Die leibphänomenologisch-musikpädagogische Auseinandersetzung mit Bewegung und Musikverstehen durch Anna Unger-Rudroff
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