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Die bildkünstlerische Gestaltung bei Philipp Otto Runge. Algorithmen der Bedeutungsgebung und innere Musikalität

Elena Rovenko

[Beitrag als pdf]

„Alle Kun­st ist Mythe, ja diese find­et ihre reine vol­len­dete Darstel­lung erst in der Kun­st.“[1]

Hen­rich Stef­fens, 1842

 

Der Auf­satz unter­sucht, mit welchen Mech­a­nis­men der Bedeu­tungs­ge­bung Runges Bildkunst­werke die Qual­ität von inner­er Musikalität erlan­gen. Diese Qual­ität entste­ht nicht durch die Gegen­ständlichkeit und das Sujet sein­er Bilder und auch nicht durch Eigen­schaften des Bild­materials als solchem (z. B. durch die Wahrnehmung von Bewe­gung, wie sie für Gemälde franzö­sis­ch­er Roman­tik­er und Sym­bol­is­ten typ­isch ist), son­dern durch einen spez­i­fis­chen Algo­rith­mus der Bedeu­tungs­ge­bung, dank dessen Runges philosophis­che und mythopoeti­sche Ideen, ver­standen als Sig­nifikat (das Beze­ich­nete), mit Hil­fe von Gestal­tungsmit­teln, ver­standen als Sig­nifikant (das Beze­ich­nende), über­tra­gen wer­den. Da ein Bild (als etwas Visu­elles) nicht mit einem Wort, einem Syn­tag­ma oder ein­er anderen gram­matikalis­chen Ein­heit ver­gle­ich­bar ist, erzeugt die Verknüp­fung von Bildern einen Qua­si-Text, ein semi­o­tis­ches Sys­tem, das sich vom sprach­lichen Sys­tem unter­schei­det. Struk­turell set­zt sich ein Bild­kunst­werk aus zwei Ebe­nen zusam­men: erstens der seman­tis­chen Ebene, die sowohl dem künstleri­schen Mate­r­i­al imma­nent als auch mit der ver­balen Kul­tur ver­bun­den ist; zweit­ens dem Aspekt der Repräsen­ta­tiv­ität, die sowohl der visuellen Wahrnehmung direkt zugänglich ist und über diese geistig aufgenom­men wird als sich auch außer­halb der bloßen Abbil­dung vol­lzieht, da sie ihr nicht von Natur aus unter­liegt. Diese einem Hiero­glyphen­code gle­ichende Bild­struk­tur erwächst aus einem je neu aus­tari­erten Gle­ichgewicht zwis­chen dem Visuellen und dem Geis­tigen bzw. dem Man­i­festen und dem nur Denk- und grund­sät­zlich nicht Abbild­baren. Diese Nicht-Repräsen­ta­tion erzeugt eine Lücke zwis­chen der ganzheitlichen Bedeu­tung des Kunst­werks (die bei Runge untrennbar eine philosophis­che Bedeu­tungss­chicht ein­schließt) und ein­er visuell ver­mit­tel­baren Bedeu­tung. Daher ruft diese seman­tis­che Lücke eine Dialek­tik von seman­tis­ch­er Selb­sti­den­tität und einem Außer-sich-Sein des Bild­kunst­werks her­vor, die der Dialek­tik von Bedeu­tung in Musik nahekommt, ohne ihr doch zu gle­ichen.

***

Philipp Otto Runge, ein Fre­und Lud­wig Tiecks, Kor­re­spon­dent Johann Wolf­gang von Goethes und Bewun­der­er der Visio­nen Jacob Böhmes, ist bekan­nt für seine orig­inären Ansicht­en über Ziele, Auf­gaben und Wesen des kün­st­lerischen Schaf­fens, wobei die Malerei im Kreis der anderen Kün­ste und in Verbindung mit ihnen einen Son­der­fall darstellt. Einen her­aus­ra­gen­den Platz im Zusam­men­spiel der Kün­ste nimmt nach Runges schriftlichen Äußerun­gen aber die Musik ein – als Katalysator ein­er solchen Syn­these.[2] Davon überzeugt, dass die Beschäf­ti­gung mit anderen Kün­sten in einem Maler schöpferische Kräfte freiset­zen werde, besuchte Runge gerne Konz­erte (so während sein­er Jahre in Kopen­hagen) und nahm Musikun­ter­richt (in Dres­den bei Lud­wig Berg­er, dem späteren Klavier­lehrer Felix Mendelssohn Bartholdys). Darüber hin­aus war er fasziniert von den the­o­retis­chen Entwick­lun­gen auf dem Gebi­et der Farben­musik, welche er als „Ver­wandtschaft von visuellen und audi­tiv­en Phänome­nen“ betra­chtete.[3]

Die Per­son Runges, seine Ideen und seine Kun­st hat­ten schon zu seinen Lebzeit­en für Auf­merksamkeit gesorgt und waren zum Gegen­stand von Stu­di­en gewor­den, beispiel­sweise in den Tex­ten von Hen­rich Stef­fens und Joseph Gör­res. Forschun­gen zu Runge und zum Kon­text seines Schaf­fens kön­nen in fol­gende Bere­iche unterteilt wer­den: Erstens Samm­lun­gen von Dat­en zu Runges Leben, Unter­suchun­gen zu sein­er Per­sön­lichkeit und Inven­tarisierung seines Nach­lass­es, ein­schließlich des lit­er­arischen und der Kor­re­spon­denz;[4] zweit­ens Analy­sen von Runges philosophisch-ästhetis­chen Ansicht­en und Eruierung von deren Quellen, oft im Kon­text der roman­tis­chen Weltan­schau­ung und all­ge­mein­er kul­tureller Ten­den­zen der Epo­che, ins­beson­dere die Charak­ter­isierung der wichtig­sten von Runge selb­st artikulierten Kon­zepte zur Gestal­tung und zur Aus­sage sein­er Werke (die Konzepte der Arabeske und der Hiero­glyphen nehmen hier einen beson­deren Platz ein);[5] drit­tens hermeneutisch ori­en­tierte Stu­di­en zu fig­u­ra­tiv­en Schema­ta in Runges bild­kün­st­lerischem Werk, meist iko­nol­o­gis­chen Analy­sen ver­wandt und am häu­fig­sten anhand von Runges Tageszeit­en vorgenom­men, ein­er Art von schöpferischem Tes­ta­ment;[6] viertens Unter­suchun­gen zu der für Friedrich Schellings Rich­tung der Ästhetik[7] zen­tralen Frage nach den Beziehun­gen der Kün­ste untere­inan­der, in Bezug auf Runges kün­st­lerisches Uni­ver­sum meist fest­ge­hal­ten mit der Meta­pher der ‚musi­kalischen Land­schaft‘;[8] fün­ftens Analyse der Musikalität von Runges Malerei als ein­er Eigen­schaft, die sich aus dem Welt­ge­fühl des Kün­stlers ergibt, seinem Ver­ständ­nis des semanti­schen und expres­siv­en Poten­zials von Lin­ie und Farbe.[9] Die im vor­liegen­den Auf­satz in den Fokus gestellte semi­ol­o­gis­che Per­spek­tive auf die Musikalität von Runges kün­st­lerisch­er Welt, näm­lich die Unter­suchung der Bildgestal­tung als qua­si­musikalis­ch­er Gener­ierung von Bedeu­tung, ist jedoch noch nicht Gegen­stand beson­der­er Aufmerk­samkeit gewe­sen.[10]

Das Ziel dieses Auf­satzes ist es, jene Prinzip­i­en her­auszu­fil­tern, mit denen Runge seine Bild­kunst so gestal­tet, dass eine beson­dere Aus­prä­gung von inner­er Musikalität sein­er Bilder ent­steht, und zugle­ich aufzuzeigen, wie sich diese von Arten der Musikalität in räum­lichen Küns­ten (wie der Malerei, der Skulp­tur und der Architek­tur) unter­schei­det. Während die Quelle und der Garant bild­kün­st­lerisch­er Musikalität vielfach durch eine Verkör­pe­rung von Bewe­gung im kün­st­lerischen Mate­r­i­al her­vorgerufen wird (und dementsprechend in deren Wahrnehmung),[11] so wird die Musikalität von Runges Kun­st von ein­er eigen­tüm­lichen seman­tis­chen Organisa­tion des Bild­kunst­werks aus­gelöst.

Die in Runges Zeich­nun­gen und Gemälden real­isierten Algo­rith­men der Bedeu­tungs­ge­bung, welche zu ihrer inneren Musikalität führen, hän­gen von zwei Fak­toren ab:

1) davon, dass über­haupt die Chance ergrif­f­en wird, ver­schiedene Kun­starten zu verbinden, sowie von der konkreten Art und Weise, in der das geschieht;

2) von der Art und Weise, wie ein Bild­kunst­werk entste­ht, und von den Beson­der­heit­en sein­er seman­tis­chen und expres­siv­en Gestal­tung.

Tat­säch­lich ver­wirk­licht Runge eine eigene Ver­sion der Kun­st­syn­these um, sie beruht auf sei­ner Vorstel­lung von ein­er „inneren Musik“, die den auf „Worten“, „Lin­ien“ und „Far­ben“ basie­renden Kün­sten innewohnt. Diese innere Musik ver­ste­ht er als auch anderen Kün­sten imma­nente Qual­ität, die er als „Har­monie und Ruhe“ (Runges Hin­ter­lassene Schriften[12]) charakte­risiert.[13] „So muss in ein­er schö­nen Dich­tung durch Worte Musik seyn“,[14] schreibt er. In Volks­märchen ver­wirk­liche sich Har­monie als Übere­in­stim­mung des Charak­ters eines Dialek­ts, der Laute der Wörter und der Gram­matik mit dem Geist und dem Inhalt des Textes.[15] Für Karl Pri­vat ver­rät sich „Runges Aus­druck­skraft im Medi­um der Sprache“ durch die „musikalisch-rhyth­mis­che Abwand­lung der Motive, die Trans­parenz der Erzäh­lung“,[16] wie er mit Bezug auf Runges im Niederdeutschen ver­fasste Erzäh­lun­gen Von dem Machan­del­boom sowie Von dem Fis­ch­er un syn­er Fru for­muliert. Bemerkenswert ist zudem die Fülle an musikalis­chen Meta­phern in den Briefen des Kün­stlers selb­st.[17] Élis­a­beth Décul­tot befind­et sog­ar, dass Musik für Runge „zum Par­a­dig­ma der kün­st­lerischen Schöp­fung über­haupt“ gewor­den sei.[18]

Betra­cht­en wir nun genauer, was die einzel­nen Phasen der Bedeu­tungs­ge­bung bei Runge aus­macht und welche Fak­toren zur Musikalität der Semi­ose seines kün­st­lerischen Uni­ver­sums führen.

  1. Die vorkom­pos­i­torische Phase der Entste­hung des Werks

Die vorkom­pos­i­torische Phase ist mit einem Kom­plex von Erfahrun­gen, Gefühlen und Aspek­ten der Weltan­schau­ung ver­bun­den, die den Gesamtcharak­ter von Runges kün­st­lerischen Äußerun­gen bes­tim­men und seman­tis­che Strate­gien für dessen Verkör­pe­rung in der Materie vorgeben. Diese Phase ist von einem religiösen und mys­tis­chen Gefühl von Har­monie und der Ein­heit aller Phänomene des Uni­ver­sums geprägt. Jenes Gefühl geht auf Runges Pantheis­mus und seine Fasz­i­na­tion für die Gedanken­welt und die Visio­nen Jakob Böhmes zurück.[19] Es ist nicht gle­ichbe­deu­tend mit religiös­er Lei­den­schaft, son­dern das Ergeb­nis ein­er mysti­schen, inten­siv­en Erfahrung des Tran­szen­den­ten. Vielle­icht am tre­f­fend­sten wurde Runges Welt­ge­fühl von Stef­fens charak­ter­isiert: „Alle seine Gedanken, dich­ter­ische wie kün­st­lerische, bewegten sich in ein­er höh­ern geisti­gen Welt, in welch­er er lebte, und aus welch­er jede Aeuße­rung entsprang“.[20] In Fort­führung von Stef­fens’ For­mulierung kön­nte man sagen, dass sich Runges geistige Welt in seinen Werken in Gestalt eines „tiefe[n] verborgene[n] Sinn[s]“[21] ver­wirklicht hat, der für den tief religiösen[22] und mys­tisch affizierten Meis­ter zum Aus­druck eines höheren eigen­tüm­lichen Sinns des Uni­ver­sums – bis hin zur Ver­schmelzung mit ihm – wurde. Das mys­tis­che Gefühl wurde durch das Erleben des Wesens und der Seele der Natur geweckt, die ein Teilchen Gottes in sich trage oder sog­ar eins mit ihm sei. Runges Nat­u­rauf­fas­sung kön­nte durch Ideen Spin­ozas bee­in­flusst wor­den sein, die im Dres­d­ner Kreis (um Friedrich Schlegel, Lud­wig Tieck und Novalis sowie unter Malern neben Runge auch Cas­par David Friedrich) und später auch in Ham­burg rege disku­tiert wur­den.[23]

Runge hat sein Welt­ge­fühl ganz bewusst in seine Werke hinein­pro­jiziert; diese soll­ten die Ex­plikation von Ideen über die Welt, über den Sinn des Seins und über die Natur von dessen Ent­fal­tung in der Welt der Erschei­n­ung sein und als solche dem Betra­chter in der Kontempla­tion vor Augen gestellt wer­den.[24]

In gewiss­er Hin­sicht schafft eine solche Exp­lika­tion, die in Gestalt eines kün­st­lerischen Sys­tems präsen­tiert wird, eine neue Welt und mythol­o­gisiert die Wirk­lichkeit. „Hier aber glaubte ich das Mythen erzeu­gende Organ inmit­ten ein­er kalt reflec­tirten Zeit unmit­tel­bar wahrzuneh­men“,[25] bemerkt Stef­fens über Runge. In diesem Vor­gang der Erzeu­gung ein­er neuen Welt, die mit der wahrgenomme­nen Wirk­lichkeit kor­re­liert, aber nicht mit ihr iden­tisch ist, kommt der Kün­stler nicht umhin, auf die schöpferische Kraft der Imag­i­na­tion und Fan­tasie zuzu­greifen, die seinem ihm ganz eigen­tüm­lichen Inneren entspringt. Stef­fens:

„Es gibt keinen Kün­stler der neueren Zeit, der sich so unbe­d­ingt sein­er reichen Phan­tasie hin­gab, und bei dem ersten Anblicke scheinen seine Pro­duk­te mehr einem willkür­lichen Traume ähn­lich, in welchem alle bes­timmten Gestal­ten sich durch unsichere Ver­wand­lun­gen in das Gestalt­lose hinein­tauchen und zu ver­schwinden dro­hen.“[26]

Zu Runges schöpferisch­er Strate­gie macht Stef­fens hier eine wichtige Beobach­tung: Selb­st wo die Bilder der Wirk­lichkeit entlehnt und ihre Gestal­ten ursprünglich fest umris­sen sind, wer­den sie so weit trans­formiert, dass ihre Kon­turen ver­schwim­men, wobei diese Ver­wand­lun­gen die Qual­ität von Unbes­timmtheit gewin­nen, und zwar dadurch, dass ihre eigene Bes­tim­mung sowohl als Bedeu­tung (seman­tis­che Nicht-Tele­olo­gie) wie auch als Struk­tur (kon­struk­tive Nicht-Tele­olo­gie) dif­fundieren. Eine mit Eigen­wert aus­ges­tat­tete Farbe und die von der Form emanzip­ierte Arabeske dienen dieser Nicht-Tele­olo­gie (auf die später näher einge­gan­gen wird) als Mit­tel und Indika­toren. Die logis­che Gren­ze ein­er solchen Nicht-Tele­olo­gie ist die völ­lige Auflö­sung der ursprünglichen Struk­turen. Die kün­st­lerische Gren­ze der erwäh­n­ten Ver­wandlungen führt jedoch nicht zum Nichts als völ­liger Nega­tion von Bedeu­tung und Struk­tur, son­dern zur Kat­e­gorie der Unendlichkeit als dem Gegen­teil des Nichts, was nicht die Aus­löschung von Bedeu­tung, wohl aber jegliche nur mögliche Bedeu­tung, nicht die Aus­löschung von Struk­tur, aber jegliche Pro­jek­tion von Struk­tur auf etwas anderes impliziert.

Diese Poten­zierung der Unendlichkeit ist genau das, was die Musikalität von Runges Bedeu­tungssystem bere­its im vorkom­pos­i­torischen Sta­di­um des Gefühls aus­macht: In den Augen der Roman­tik­er ist es unter allen Kün­sten die Musik, die auf­grund ihres nicht-mimetis­chen Charak­ters und dementsprechend der Möglichkeit, sich von der realen, objek­tiv­en, zeitlich und räum­lich begren­zten Welt zu lösen, eine Vorstel­lung von der Idee der Unendlichkeit geben kann. Eine Art Cre­do in dieser Hin­sicht ist E. T. A. Hoff­manns berühmter Ausspruch über Musik: „Sie ist die roman­tis­chste aller Kün­ste, beina­he möchte man sagen, allein ächt roman­tisch, denn nur das Unendliche ist ihr Vor­wurf.“[27]

Hoff­mann bezog sich auf die Instru­men­tal­musik Mozarts und Beethovens, also auf jene Musik, die für „rein“ gehal­ten wurde:[28] „Reine“, d. h. instru­men­tale Musik war für Hoff­mann das bezie­hungsreichste, fan­tasievoll­ste und freieste Medi­um ihrer Zeit, wie E. T. A. Hoff­mann in seinem für die Musikkri­tik bahn­brechen­den Auf­satz Beethovens Instru­men­tal­musik von 1813, befand. In der Tat hat Musik nicht nötig, Ein­drücke der umgeben­den Welt in klan­gliche Äquiv­a­lente zu „über­set­zen“, sie sei in höch­stem Maße fähig, mit jenen Bedeu­tun­gen in Beziehung zu treten, die nicht dieser Welt ange­hören, also tran­szen­dent zu ihr sind: Instru­men­tal­musik verkör­pere das neue Ide­al der reinen Tran­szen­denz.[29] Wie sich die Hal­tung zur Instru­men­tal­musik – vom Zweifel an ihrem Wert, der auf unter­schiedliche Weise und mit unter­schiedlichen Begründun­gen in Pla­tons Nomoi, in den Urteilen des heili­gen Hierony­mus und des heili­gen Thomas von Aquin, im Dial­o­go von Vin­cen­zo Galilei usw. zum Aus­druck kam, bis hin zur allmäh­lichen An­erkennung der ihr innewohnen­den Aus­drucksmöglichkeit­en – im Laufe der Zeit in ihr Gegen­teil verkehrte, hat Mark Evan Bonds so zusam­menge­fasst: Bis zum Beginn des 19. Jahrhun­derts sei die Vorstel­lung, Instru­men­tal­musik sei von Natur aus der Vokalmusik unter­legen, die gän­gige Auf­fas­sung geblieben. Erst zu dieser Zeit seien manche Kri­tik­er und Philosophen zu der Auf­fas­sung gelangt, dass die Frei­heit der Instru­men­tal­musik von den Zwän­gen der Sprache und von der Mime­sis sie sog­ar zu ein­er über­lege­nen Aus­drucks­form machen könne. Mittler­weile war Instru­men­tal­musik ins Zen­trum von Diskus­sio­nen über das Wesen der Kun­st gerückt. Unter­stützend wirk­te dabei die neue Auf­fas­sung, dass Musik – und nun zum ersten Mal im spez­i­fis­chen Sinne von Instru­men­tal­musik – eine eigen­ständi­ge Sprache darstelle, eine Sprache, die in der Lage sei, Gefüh­le in ein­er Weise zum Aus­druck zu brin­gen, wie es die herkömm­liche Sprache nicht ver­möge.[30]

Die Frei­heit von der Darstel­lung, die dem Wesen der Musik innewohnt und die fol­glich dieser Kun­st nur die Möglichkeit übriglässt, pro­gram­ma­tisch oder imi­tierend zu sein, ist nicht zu bestre­it­en. Viel schwieriger ist die Frage nach der Frei­heit von den Zwän­gen der Sprache: Denn selb­st als eigen­ständi­ge Sprache muss sich die „reine Musik“, um über­haupt mit der „gewöhn­lichen“ Sprache ver­glichen wer­den zu kön­nen, deren Organ­i­sa­tion­sprinzip­i­en zu eigen machen. Diese sind: 1) das Vorhan­den­sein von artikulierten Ele­menten, die als Seme (seman­tis­che und kon­struk­tive Ein­heit­en) ähn­lich wie Mor­pheme und/oder Wörter funktionie­ren; 2) die Ähn­lichkeit der into­na­torischen und laut­lichen Struk­tur dieser Ele­mente mit der Struk­tur ihrer sprach­lichen Kor­re­late (Sil­ben usw.); 3) die Ver­wen­dung von Mit­teln zur Verbin­dung der Ele­mente (har­monis­chen, metrisch-rhyth­mis­chen usw.), die es ermöglichen, Syntag­mata und größere qua­si syn­tak­tis­che Ganzheit­en zu bilden.

Die zweite Bedin­gung ist natür­lich fakul­ta­tiv: Musikalis­che Ele­mente müssen nicht struk­turell denen der Sprache entsprechen (und das Beispiel der Musik des 20. Jahrhun­derts macht dies beson­ders deut­lich), aber wenn die anderen Bedin­gun­gen nicht erfüllt sind, wer­den jene Kohärenz und Sys­tem­atik nicht erre­icht, die notwendig sind, damit Musik als Kor­re­lat von Spra­che und ver­möge dessen ein konkretes musikalis­ches Werk als Kor­re­lat von Text fungieren kann. Im Fol­gen­den wird zu zeigen sein, dass Runge bere­its im Sta­di­um der Über­tra­gung visuell wahrgenommen­er For­men in seine kün­st­lerische Welt – offen­bar intu­itiv – auf diese Notwendigkeit fokussiert war. Die Idee von Musik als ein­er Sprache, die Erfahrun­gen und Gefüh­le aus­drückt (obwohl auch hier das Prob­lem des Zusam­men­hangs von musikalis­chem Mate­r­i­al und der außer­musikalis­chen Kom­po­nente bild­kün­st­lerisch­er Bedeu­tung beste­ht[31]), ist jedoch im vorkom­pos­i­torischen Sta­di­um völ­lig ungeeignet für Konzepte wie das mys­tis­che Gefühl für die Göt­tlichkeit der Welt oder ein Gefühl von Unendlichkeit. Wenn die Prinzip­i­en der Ver­mit­tlung bes­timmter Gefüh­le durch Musik mit der Angle­ichung der Laut- und Intonations­struktur der Sprache an den entsprechen­den emo­tionalen modus operan­di gebun­den wären,[32] wie kön­nte man dann diese – wenn auch teil­weise kon­ven­tionelle – Entsprechung bei der Wieder­gabe solch­er Zustände (nicht ein­mal von Gefühlen) erre­ichen, die auf sehr unterschied­liche Weise aus­ge­drückt wer­den, bis hin zu ihrem Gegen­teil?[33] Denn sie sind kom­plex­er als jedes Gefühl, eher sind sie Anmu­tun­gen höher­er Ord­nung. Die mit dem Tran­szen­den­ten kor­relierten Zustände und Gefüh­le erweisen sich als sprach­lich oder qua­si-sprach­lich unaus­sprechlich. Damit ist klar, dass in dem Sta­di­um des Gefühls als mythopo­et­is­ch­er Sinn für die Göt­tlichkeit des Uni­ver­sums eine sprachähn­lich funk­tion­ierende Musik nicht „die innere Musik“ ist, an die Runge als Grund­lage aller Kün­ste dachte und die als imma­nen­ter Bestandteil der kün­st­lerischen Konzep­tion wirkt. Die innere Musik ist offen­bar nicht als Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel, nicht als Mit­tel der Über­set­zung und Verdeut­lichung gedacht. Und obwohl die Fähigkeit der Instru­men­tal­musik, eher zu sug­gerieren als zu erk­lären, schließlich zu einem Eckpfeil­er der frühro­man­tis­chen Ästhetik wer­den sollte, wie Bonds bemerkt,[34] ist der Kern selb­st dieser Mög­lichkeit der Sug­ges­tion die Les­barkeit von Into­na­tion­sstruk­turen, ihre poten­tielle Konvertier­barkeit in Sprachele­mente.

Runges innere Musik ist grund­sät­zlich unhör­bar (son­st wäre sie nicht „innen“) und nicht „spre­chend“. Sie gle­icht eher der Musik des Pythago­ras:[35] ein­er numerischen Matrix, die dem Uni­versum Struk­tur ver­lei­ht. Die Prinzip­i­en der Sym­me­trie (Reflex­ions-, Trans­la­tions- und – sehr sel­ten – Ähn­lichkeitssym­me­trie[36]) und der Pro­por­tion­al­ität, deren Wirkung in allen Werken Runges[37] unmit­tel­bar sicht­bar wird, wur­den von ihm entwick­elt, um sein kün­st­lerisches Uni­versum zu ord­nen und in ihm die Konzepte von „Har­monie und Ruhe“ zu ver­wirk­lichen, die durch das Vorhan­den­sein der „inneren Musik“ selb­st bes­timmt wer­den.[38] Während jedoch die pythagor­eis­che Sphären­musik von der reinen Ver­nun­ft erfasst wird und nicht vom Empfin­dungsvermögen, ist die „numerische“ Struk­tur von Runges Gemälden auf die visuelle Wahr­nehmung gerichtet, d. h. die Präsenz der „inneren Musik“ wird durch eine räum­liche Architek­tur aus­ge­drückt, die freilich der zeitlichen Natur real­er, hör­bar­er Musik wider­spricht, indes voll­ständig der Natur der unhör­baren, in der Ewigkeit ruhen­den Musik im pythagor­eisch-pla­toni­schen Ord­nungskos­mos entspricht. Die unhör­bare „innere Musik“ als Struk­tur und Prinzip des geord­neten und wohl­pro­por­tion­ierten Daseins der Welt, ein­schließlich der kün­st­lerischen Welt, ist kein Prozess, son­dern ein Zus­tand, der die Selb­sti­den­tität dieses Daseins und die Imma­nenz von „Har­monie und Ruhe“ als ide­ale struk­turelle Aus­ge­wogen­heit und als Gle­ichgewicht garantiert. In dieser Hin­sicht war Runges „innere Musik“ als mys­tis­ches Welt­ge­fühl tat­säch­lich abso­lut – auch wenn dieses Konzept erst mehr als dreißig Jahre nach seinem Tod auf­tauchte.[39] Bei Runge fie­len die Ter­mi­ni ‚musikalisch‘ und ‚mys­tisch‘ in eins.[40]

Indessen hat Runge, wie Cor­du­la Grewe zu Recht fest­stellt, die Fasz­i­na­tion sein­er Zeit für die absolute Musik in eine visuelle Form über­set­zt.[41] Neben der impliziten geometrischen Struk­tur des kün­st­lerischen Raumes wird die pure Exis­tenz des Bild­kunst­werks durch die Eigenschaf­ten seines kün­st­lerischen Mate­ri­als bes­timmt. Und diese sind in Runges kün­st­lerisch­er Welt so beschaf­fen, dass sie, für sich genom­men, ein ganz anderes Ver­ständ­nis von „inner­er Musik“ erfordern. Oder, etwas anders aus­ge­drückt: Sie sind ein­er „inneren Musik“ ander­er Art inhärent, nicht als räum­lich­es Verbleiben, son­dern als sein Gegen­teil – als tem­po­ral­isiertes (nicht wirk­lich zeitlich­es, weil in der Malerei nicht zu erre­ichen­des) Wer­den.

Runge blieb nicht die Zeit, diese Syn­these (zwis­chen den Aspek­ten Mimesis/Abstraktion und Allegorie/Symbol) zu erre­ichen, und die damit ver­bun­de­nen Schwierigkeit­en zeigen sich in den bei­den Inter­pre­ta­tio­nen der „inneren Musik“, der raum- wie auch der zeit­be­zo­ge­nen. Während Architek­tonik der Musik eine „Spur“ der Mate­ri­alen­twick­lung in der Dauer darstellt, sodass die architek­tonis­chen und die prozes­sualen Aspek­te miteinan­der ver­bun­den zu sein scheinen, existieren bei Runge die geometrische Struk­tur als „Zahl“ und die Ent­fal­tung des Bild­ma­te­ri­als auf zwei ver­schiede­nen seman­tis­chen Ebe­nen. Manch­mal sind sie miteinan­der ver­bun­den (so kann z. B. die Arabeske von ein­er mimetis­chen Form abgeleit­et wer­den wie im inneren Feld jed­er der Fig­uren in Die Tageszeit­en; kann wiederum ganz frei sein wie in Die Freuden der Jagd), bisweilen aber auch nahezu isoliert (wie im Fall der Farb­mod­u­la­tion auf dem Rah­men von Der kleine Mor­gen oder im Bil­draum von Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten).[42]

Die innere Musik Die ‚hör­bare‘ (sicht­bare) Musik
Struk­tureller Modus der Ruhe (Sta­tik) Struk­tureller Modus der Entwick­lung (Dynamik)
Sym­me­trie (Spiegel-, Translations­symmetrie) als architek­tonis­ches Prinzip Kon­tinuier­liche, „reine“ Aus­bil­dung der ara­besken Lin­ie und „koloris­tis­che Mod­u­la­tion“ als Prinzip des Ablaufs
Artiku­la­tion der For­men – Ele­mente, aus denen sym­metrische Struk­turen entste­hen Kün­st­lerisches Mate­r­i­al an sich, ohne seine Artiku­la­tion und Aufteilung in Kom­po­nen­ten
Mime­sis als primäre Grund­lage der visuel­len For­men (und als Ergon für die Abstrak­tion, und umgekehrt) Abstrak­tion als Grund­lage der visuellen For­men (und als Par­ergon für mimetis­che For­men, und umgekehrt)
Die Idee der Zahl[43] als geometrische Grund­lage des kün­st­lerischen Raums Die Idee der sub­stantiellen Undifferenziert­heit

In let­zterem Fall erweist sich der Ver­such ein­er Umset­zung in Mate­r­i­al als poten­tiell unendlich: Tat­säch­lich ist der Rah­men der Zeich­nun­gen für Arabesken zu eng, und in Ölgemälden über­schreitet die Farb­mod­u­la­tion die Gren­ze des bild­kün­st­lerischen Raums. Aber selb­st unter Ab­sehung von der architek­tonisch-fig­u­ra­tiv­en Gestal­tung bildet dieses eigen­wer­tige, nahezu un­abhängige Wer­den des Mate­ri­als, das qua­si „le sup­plé­ment“ (nach Der­ri­da) zu ihr bildet und als Ablagerung auf ihm erscheint, mit ihm eine zweis­chichtige räum­liche und seman­tis­che Matrix. Deren Wahrnehmung führt zu einem „Flim­mern“ dieser „Schicht­en“ – zwis­chen sta­bil­er „Zahl“ und beweglichem „Mate­r­i­al“, zwis­chen Sein und Wer­den, zwis­chen der Absicht, Ruhe aufrecht zu erhal­ten, und dem Streben nach immer­währen­der Erneuerung von Struk­tur und Bedeu­tung. Die Idee der Musik als Zahl, die die Pro­por­tio­nen des Uni­ver­sums wider­spiegelt, und die Idee der Musik als Streben gen Unendlichkeit haben einen Schnittpunkt darin, dass bei­de darauf abzie­len, das Gefühl der höheren Har­monie des Uni­ver­sums zu her­vorzu­rufen, welch­es als Makrokos­mos im Mikrokos­mos der Har­monie der Kunst­welt widerge­spiegelt.

  1. Die Phase der Auswahl von Gestal­ten der umgeben­den Welt

Die erste Stufe der prak­tis­chen bild­kün­st­lerischen Ver­wirk­lichung ein­er Idee ist bei Runge mit zwei Strate­gien der Kom­mu­nika­tion mit der Natur­welt und – soweit möglich – der direk­ten Wahrnehmung ver­bun­den. Bei­de Strate­gien haben die Mime­sis als Kern. Die erste hat mit der Entlehnung von Natur­bildern in ihrem gegen­wär­ti­gen Vorhan­den­sein und vor allem in ihrer Form zu tun; das ist jene Kom­po­nente der zukün­fti­gen seman­tis­chen Struk­tur des Werkes, die Stef­fens „die Bilder“[44] nen­nt. Die zweite bet­rifft die Entlehnung der qual­i­ta­tiv­en Seite der visuell wahrgenomme­nen Welt, vor allem der Farbe.

Unter dem Aspekt ‚Form‘ wählt Runge solche Ele­mente aus, die erstens mit einem Poten­tial zum Wach­s­tum und zur Selb­st­pro­duk­tion, zur Entwick­lung, zur Ver­wand­lung des ursprüng­lichen Musters und der Ver­wirk­lichung ihres imma­nen­ten Sinns in dieser Ver­wand­lung (Wurzel – Spross – Stamm usw.) aus­ges­tat­tet sind, und die zweit­ens in höch­stem Maße den Geset­zen der Schön­heit als Ver­hält­nis­mäßigkeit (entsprechend der Idee „numerisch­er Har­monie“) unter­liegen.

Runge find­et eine solche Form in der Natur: Es ist die Pflanze bzw. die Blume, die freilich nicht Runge allein, son­dern auch vie­len Philosophen als höch­ster Aus­druck des ästhetis­chen Prin­zips der Ein­heit in der Vielfalt erschien.[45] Runge betra­chtete das „Gewächs“ als Mod­ell und nan­nte es „Total­form“.[46] Bere­its im Sta­di­um der uneigen­nützi­gen Betra­ch­tung und reinen Wahrnehmung der Gegen­stands­for­men erblick­te er in ihm ein Abstrak­tionspo­ten­tial, und in dieser Vision mag die Möglichkeit ein­er Syn­these von Mime­sis und Frei­heit von ihr angelegt sein, die der Kün­stler sowohl wegen seines frühen Todes als auch auf­grund der Gebun­den­heit an den Stil sein­er Zeit nicht ver­wirk­lichen kon­nte. Damit wird deut­lich, dass das vorkomposi­torische Sta­di­um, auch wenn es im kom­plex­en Prozess der Bedeu­tungs­ge­bung keinen eigen­ständigen Wert hat, nicht ver­nach­läs­sigt wer­den darf: Es bes­timmt bere­its den Charak­ter und den konkreten Inhalt dieser Erzeu­gung von Bedeu­tung. Runges beson­der­er Weltwahrneh­mung ver­dankt sich, dass die visuell wahrgenomme­nen For­men, wenn er sie in Kom­po­nen­ten des kün­st­lerischen Raums „über­set­zt“, deut­lich stil­isiert und geometrisiert wer­den, sodass sie als Zeichen dienen kön­nen, wom­it ihr gewis­ser­maßen „hiero­glyphis­ch­er“ Charak­ter zus­tande kommt (denn ihrer Natur nach ist eine Hiero­glyphe ein stil­isiertes Bild).

Die Blume bietet Runge auch die Idee der Farbe als rein­er Qual­i­ta­tiv­ität und die Idee der Emanzi­pa­tion der Farbe von der Materie, eine Vorstel­lung, die, wie im Fall der Geometrisie­rung der Form, zu ein­er Dialek­tik von Mime­sis und Abstrak­tion führt. Ramos[47] zufolge erscheint die Blüte schon in Runges ersten Über­legun­gen zur Land­schaft nicht nur als bedeut­sam, wenn sie mit ein­er men­schlichen Fig­ur ver­bun­den ist, son­dern sie wirkt auch als Ini­tia­tor des Phä­nomens Farbe:

Die Freude, die wir an den Blu­men haben, das ist noch ordentlich vom Paradiese her. So ver­binden wir inner­lich immer einen Sinn mit der Blume, also eine men­schliche Gestalt, und das ist erst die rechte Blume, die wir mit unsr­er Freude mey­nen. Wenn wir so in der ganzen Natur nur unser Leben sehen, so ist es klar, daß dann erst die rechte Land­schaft entste­hen muß, als völ­lig ent­ge­genge­set­zt der men­schlichen, oder his­torischen Com­po­si­tion. Die Blu­men, Bäume und Gestal­ten wer­den uns dann aufge­hen und wir haben einen Schritt näher zur Farbe geth­an! Die Farbe ist die lezte Kun­st und die uns noch immer mys­tisch ist und bleiben muß, die wir auf eine wun­der­lich ahnende Weise wieder nur in den Blu­men ver­ste­hen.[48]

Im weit­eren Ver­lauf des Briefes kon­vergiert dieser Ver­weis auf die Blu­men­welt Ramos zufolge mit ein­er christlichen Lesart der natür­lichen Far­ben, des Lichts und der Dunkel­heit.

Diese Auf­fas­sung pflan­zlich­er For­men als primär­er For­men der Bedeu­tungs­ge­bung im künst­lerischen Uni­ver­sum brachte Runge auf den Gedanken, dass die Zukun­ft im Genre der Land­schaftsmalerei liege und nicht in der His­to­rien­malerei, die unwider­ru­flich mit der Ver­gan­gen­heit verblasse.[49] August Wil­helm Schlegel – mit dem Runge bekan­nt war[50] – beze­ich­nete die Land­schaft als das „musikalis­che Theil“ der Malerei. In ähn­lich­er Weise taucht das The­ma der Land­schaft in Lud­wig Tiecks Kün­stler­ro­man Franz Stern­balds Wan­derun­gen (1798) auf, in dem Musik als „erste“ Kun­st betra­chtet wird und mit dessen Helden sich Runge sog­ar identifi­zierte.[51] Maria Arfi­ni weist darauf hin, dass der Roman den Zusam­men­hang von Land­schaft und Musik in ein­er Weise darstellt, die die deutschen Land­schafts­maler des frühen 19. Jahr­hunderts stark bee­in­flusste.[52] Die Vorstel­lung, die musikalis­che Land­schaft besitze eine eigene innere Stimme, die man wiederum durch inneres Hören erfassen könne, war bei deut­schen Lit­er­at­en und Dichtern um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhun­dert ver­bre­it­et: Sie find­et sich beispiel­sweise in Friedrich Hein­rich Jaco­bis Eduard All­wills Brief­samm­lung (1775–1792), Wil­helm Heins­es Ard­inghel­lo, oder die glück­seel­i­gen Inseln (1787) oder in Jean Paul Friedrich Richters Leben des Quin­tus Fixlein (1795).[53] In der Rezen­sion Über Matthissons Gedichte (1794) spricht Friedrich Schiller von der Land­schafts­malerei als einem ‚See­lengemälde‘ und ver­gle­icht sie mit ein­er musikalis­chen Kom­po­si­tion.[54]

Für Runge glich die visuelle Wahrnehmung eines „See­len­malers“ [Ter­mi­nus Schillers] ein­er „inneren Stimme“, ein­er Art innerem Augen­licht. Sie erlaube es, die Welt als reine Verbindung von Far­ben, Lin­ien und For­men aufz­u­fassen. Die Verbindung von Musik und Land­schaft ver­anschaulicht somit die in der roman­tis­chen Land­schaft­säs­thetik vorherrschende Äqui­v­oka­tion zwis­chen gegen­ständlichen und abstrak­ten Funk­tio­nen.[55] Diese Span­nung zwis­chen der Anrufung von Abwe­sen­heit und der Repräsen­ta­tion von Natur ist Alice Kuz­niar zufolge typ­isch für jene Ambivalen­zen, die man in der deutschen roman­tis­chen Land­schaft­säs­thetik antrifft. Für die Roman­tik­er sei die ide­ale Land­schafts­malerei die auf die Abwe­sen­heit des Abgebilde­ten ver­weisende leere Lein­wand gewe­sen. Und daher hät­ten die Roman­tik­er die Land­schaft wieder­holt mit der Musik als unge­gen­ständlich­er Kun­st ver­glichen. Der Sinn der Abwe­sen­heit sei das Streben nach dem Zeichen als abwe­sender Struk­tur oder, genauer gesagt, die Gleich­setzung von Zeichen und abwe­sender Struk­tur. Die Ablö­sung der Mime­sis von der Wahrneh­mung führe zur Abse­hung von dinglichen Eigen­schaften.[56]

Natür­lich set­zt die „reine Wahrnehmung“ (um eine For­mulierung von Erwin Panof­sky zu wäh­len) ein­er­seits ein gewis­ser­maßen primäres Erfassen von Form und Farbe ohne ver­mit­tel­nde Reflex­ion voraus. Ander­er­seits darf sie keineswegs zur Tren­nung der Form vom Mate­r­i­al – eine Umwand­lung in eine reine struk­turelle Abstrak­tion – und der Farbe vom Mate­r­i­al – eine Umwand­lung in reine, „sub­stanzielle“ Farbe – führen. In dieser Hin­sicht ist Runges visuelle Strate­gie etwas Beson­deres: Sie ähnelt der Strate­gie bei der Wahrnehmung eines Musik­stücks, weil die architek­tonis­chen Beziehun­gen (als „wer­dende Zahl“) und die Entwick­lung des Mate­ri­als selb­st den Gegen­stand der ästhetis­chen Erfahrung bilden. Runge schrieb an Tieck: „Das aus­ge­sproch­ene Licht und Leben theilt sich schon durch’s Aussprechen in drey, in der Math­e­matik, in Far­ben, und in Worten; in der Musik fließen Lin­ien, Worte und Far­ben zusam­men“.[57] Hätte Runge zu ein­er anderen, späteren Zeit gelebt, hätte er wohl tat­säch­lich die pri­märe Wirkung der Wahrnehmung als rein qual­i­ta­tiv ver­standen: die Farbe um der Farbe, die Lin­ie um der Lin­ie und die Form um der Form willen. Dann hät­ten die von ihm gezo­ge­nen Analo­gien zwis­chen Farbe und Ton vielle­icht zur Schaf­fung eines Gesamtkunst­werks von jen­er Art führen kön­nen, wie es etwa Wass­i­ly Kandin­sky gewagt hat. Diese Rich­tung der bil­denden Kun­st wurde bere­its inten­siv erforscht.[58] Ein solch­er Weg war für Runge zu Beginn des 19. Jahrhun­derts nicht möglich. Ver­fol­gt man seine Hal­tung indes hypo­thetisch weit­er, so wird deut­lich, dass sie sowohl zur Niv­el­lierung der gesamten Dialek­tik von „Struk­tur­musik“ und „Mate­rial­musik“ als auch zum seman­tis­chen „Flim­mern“ von Sym­bol und Alle­gorie und zur Bal­ance an der Gren­ze zwis­chen Mime­sis und Abstrak­tion geführt hätte, die es der Musik erlaubt, ein metonymis­ch­er Ersatz für „das Wort“ zu wer­den, indem sie sowohl die philosophi­sche als auch die kün­st­lerische Bedeu­tung von „Bildern“ offen­bart.

  1. Die geistige Ver­mit­tlung des Wahrgenomme­nen

Runge sei ja ein­fach davon aus­ge­gan­gen, dass jedes wahre Kunst­werk ein­er weit­eren verba­len Erläuterung bedarf,[59] so sagt es Grewe kurz und bündig von dem Wun­sch des Kün­stlers, eine Welt zu schaf­fen, die an der Gren­ze zwis­chen kom­plex­ester rein­er Darstel­lung und dem ver­bor­ge­nen Sinn, auf den sie deutet, bal­anciert. Das Bedürf­nis nach „dem Wort“ zur Klärung der kün­st­lerischen Inten­tion ver­weist auf eine Über­schre­itung der seman­tis­chen Gren­zen, denen die Malerei per se unter­wor­fen ist, und damit auf die Wider­sprüch­lichkeit von Runges kün­st­lerisch­er Welt. Ein­er­seits deutet die Vorstel­lung, dass Malerei eines ver­balen Kommen­tars bedarf, auf eine Art Erschöp­fung ihres Poten­zials hin, in ihrer bild­sprach­lichen Bedeu­tung ver­standen zu wer­den. Ander­er­seits führt dieses Bedürf­nis, „Bild“ und „Wort“ zueinan­der in Beziehung zu set­zen, wenn nicht zu einem Gesamtkunst­werk,[60] so doch zumin­d­est zu dem Ver­such, die bedeu­tungs­geben­den Strate­gien der Malerei der Lit­er­atur zu entlehnen. Solche Vorstel­lun­gen, die sich in Runges schriftlichen Äußerun­gen mehr oder weniger stark artikulie­ren, wur­den von den gesellschaftlichen Kreisen des Kün­stlers und von der Lit­er­atur geprägt, auf die er in seinem Umfeld traf. So hat­ten beispiel­sweise Hen­rich Stef­fens’ Ansicht­en über das Wesen des Bild­kunst­werks einen entschei­den­den Ein­fluss auf Runges Denken.[61] Karl Pri­vat weist darauf hin, dass die Ideen von Wil­helm Hein­rich Wack­en­roder und Tieck darüber hin­aus beson­ders Mutige in ihren „Anschau­un­gen von der Farbe und der Malerei als Sprache bestärkt haben“[62] mögen; zuvörder­st nen­nt er Wack­en­roders Phan­tasien über die Kun­st, für Fre­unde der Kun­st (1799). Runge sei nun die Idee gekom­men, nach Wegen zu suchen, um höhere Aus­drucks­for­men und ‚sig­nifikante Bedeu­tung‘ zu schaf­fen – eine Bedeu­tung von jen­er Art, die tra­di­tionell vielle­icht nur ver­bal ver­mit­telt wurde.[63] Grewe zufolge plante Runge sog­ar, einen Roman oder eine Geschichte zu schreiben, die mit vie­len Bildern erzählt wird.[64]

Wir sehen also, dass Runge min­destens drei Vari­anten der seman­tis­chen Beziehung zwis­chen „dem Bild“ und „dem Wort“ im Sinn hat­te:

1) „das Wort“ als Kom­men­tar zu „dem Bild“ (bei der Schaf­fung eines Bild­kunst­werks);

2) „das Bild“ als Kom­men­tar zu „dem Wort“ (bei der Illus­tra­tion von Tex­ten);

3) „das Bild“ mit der Funk­tion „des Wortes“.

Der erste und der zweite Fall erweisen sich als funk­tion­al ver­tauschbar, je nach der Art des Kunst­werks, das durch die ergänzen­den Möglichkeit­en ein­er je anderen Kun­st­form enthüllt wer­den soll. In diesen bei­den Fällen erscheinen Malerei und Lit­er­atur kom­ple­men­tär zueinan­der. Der dritte Fall ist allerd­ings kom­plex­er. Natür­lich ist das Bild kein funk­tionaler Ersatz für das Wort, weil es eine andere Wahrnehmungs­form ist. Wichtiger ist aber die Frage: Welche Eigen­schaften muss das Bild „dem Wort“ entlehnen, damit das Wort in vollem Umfang erset­zt wer­den kann?

1) Das Bild muss einen auf­fass­baren Anteil an kon­ven­tionellen Bedeu­tun­gen haben, die für alle (oder zumin­d­est für eine große Gruppe von) Betrachter*innen ver­ständlich sind, denn ohne eine kon­ven­tionelle Bedeu­tung kann das Wort nicht die Rolle eines Kommunikations­mittels spie­len.

2) Die kon­ven­tionelle Bedeu­tung muss grundle­gend sein und den Kern der Begriffe bilden (da seman­tis­che Zufälle kon­textab­hängig sind und zur Bil­dung ein­er gegen­stands­be­zo­ge­nen Bedeu­tung eines Wortes führen kön­nen). Dementsprechend kann ein Bild nur im Hin­blick auf das den Anschein ein­er kon­ven­tionellen Bedeu­tung haben, was von allen Rezipient*innen gle­ich wahrgenom­men wird, unab­hängig von ihrem eige­nen kul­turellen Gedächt­nis, ihrem assozia­tiv­en Denken usw. – gehen wir ein­mal davon aus, dass die Rezipient*innen der west­europäischen Kul­tur­tra­di­tion ange­hören. Es kann sich also nur um eine Frage der Objek­tiv­ität und der Bildlichkeit han­deln: Die Bedeu­tung eines Objek­ts, die ein Wort nicht wider­spruchs­frei erfassen kann, bezieht sich auf dessen sicht­bare Form, seine Materie und seine Attribute, die in einem direk­ten Sinn (Bild als phänom­e­nal Gegebenes) oder in einem alle­gorischen Sinn (Bild als Zeichen für einen Begriff[65]) inter­pretiert wer­den kön­nen.

3) Die Bilder soll­ten nicht nur rein visuell, son­dern auch logisch und struk­turell in einen Zusam­menhang zueinan­der ger­at­en und seman­tis­che Ganzheit­en wie Syn­tag­ma­ta bilden. Natür­lich wäre es naiv, Bildern die Funk­tio­nen von Wor­tarten zuzuweisen, da Bilder im Gegen­satz zu Wörtern eine gle­iche struk­turelle und seman­tis­che Natur haben. Aber obwohl das gemalte Bild an ein bildlich­es Zeichen­sys­tem gebun­den bleibt, das seinen eige­nen Text (selb­st wenn er im weitesten metapho­rischen Sinne definiert wird) nur auf ein­er metonymis­chen Ebene schaf­fen kann,[66] ist in Runges Kun­st den­noch bisweilen der Ver­such zu bemerken, reale Verbindun­gen ver­schieden­er Ebe­nen zwis­chen den Ele­menten herzustellen. Sowohl Runge als auch Tieck ver­wen­den das Wort ‚Zusam­men­hang‘.[67] Es bildet einen wesentlichen Bestandteil des kate­gorialen Appa­rats, der für die Über­set­zung von Runges philosophisch-ästhetis­chem Univer­sum in bild­kün­st­lerisches Mate­r­i­al geeignet ist. Wie Arfi­ni fest­stellt, entlehnte Runge den Begriff ‚Zusam­men­hang‘, ver­standen als neu­pla­tonis­che Ver­flech­tung des Kos­mos, von Böhme.[68]

Damit alle drei Bedin­gun­gen erfüllt sind, müssen die Bilder klar struk­turi­ert sein; und in der Tat ver­wan­delt sich bei Runge die Form als solche niemals. Daraus ergeben sich aber Konse­quenzen, die sich para­dox­er­weise als Nega­tion der Möglichkeit erweisen, dass „das Bild“ als „das Wort“ fungiert und zu einem Ver­ständ­nis von Bildern als Struk­turen führt, die mit Elemen­ten der musikalis­chen Sprache kor­re­lieren.[69] Diese Kon­se­quen­zen lassen sich wie fol­gt beschreiben:

1) Indem Runge jede visuelle Form artikuliert und durch Trans­la­tion­ssym­me­trie im gesamten kün­st­lerischen Raum vervielfältigt, behan­delt er sie ein­er­seits wie ein wiederkehren­des Wort. Ander­er­seits führt die Ver­wirk­lichung des Prinzips der Spiegel­sym­me­trie diese „Kompositions­reime“ über die Gren­zen imma­nent ver­baler Kon­struk­tio­nen hin­aus (es sei denn, es han­dele sich um poet­is­che Rät­sel). Ein solch­er Umgang mit Bildern erweist sich in Ansätzen als dem Umgang mit wiederkehren­den motivisch-the­ma­tis­chen Ele­menten in Musik ähn­lich, denn es gibt syn­tak­tis­che Ganzheit­en, die seman­tis­che und „gram­ma­tis­che“ Ein­heit­en bilden.

Da ist zum Beispiel ein Fugen­the­ma, mit dessen Entste­hung Runge selb­st das Konzept der Lehrstunde der Nachti­gall[70] ver­glich: „[…] näm­lich, daß dieses Bild das­selbe wird, was eine Fuge in Musik ist“,[71] schrieb er seinem Brud­er Daniel in einem Brief vom 4. August 1802, wobei er sich offen­bar auf die Wieder­hol­ung bes­timmter Gebilde sowohl im Inneren als auch auf dem Rah­men bezog. Das all­ge­meine Prinzip der Fuge und im weit­eren Sinne des Kon­tra­punk­ts entspricht dieser Vorstel­lung zufolge dem Prinzip der vol­lkomme­nen Sym­me­trie in der Natur. Ein anschaulich­es Beispiel dafür, wie Ähn­lichkeitssym­me­trie in Verbindung mit Spiegel­symmetrie funk­tion­iert, stellt die Fuge (1908) von Mikalo­jus Čiurlio­n­is dar, sie basiert auf der Über­tra­gung musikalis­ch­er Form­prinzip­i­en in die Malerei. Ähn­lich­es gilt für das freilich erst nach Runge aufgekommene Leit­mo­tiv, dessen Ver­wand­lun­gen im Ver­lauf eines Stücks die Idee der seman­tis­chen Trans­for­ma­tion ver­wirk­lichen sollen. Die Häu­figkeit, mit der Runge manche Bild­mo­tive (wie die Amaryl­lis, die Rose, den Put­to, den Vogel usw.) in einem einzi­gen Werk wieder­holt, und die Dichte ihres „Kon­tra­punk­ts“ lenken von der Idee ab, sie mit Worten zu ver­gle­ichen, denn in der gesproch­enen Sprache sind solche Wortwieder­hol­un­gen unnatür­lich; hinge­gen kön­nen „kon­tra­punk­tis­che“ Motiv­muster der Musik eigen­tüm­lich sein.

2) Das philosophis­che und ästhetis­che Ver­ständ­nis von Musik des Bildes durch das Nachden­ken über „Zeichen“ und das Enträt­seln ihrer ver­flocht­e­nen Bedeu­tun­gen, das Able­sen der ‚Codes‘, wer­den zur Auf­gabe von Rezipient*innen und hängt ein­er­seits von ihrem jew­eili­gen Ver­ständ­nis ein­er tief­er­en Bedeu­tung und ander­er­seits von der sys­temis­chen, kon­textuellen Bedeu­tung eines jeden Bildes ab. Der Zusam­men­hang der „Zeichen“ erschließt sich unter anderem durch den Ver­gle­ich ihrer Bedeu­tung im Kon­text ver­schieden­er Werke, die, sagen wir, „Vari­a­tio­nen über eine Weltan­schau­ung“ sind: In Die Tageszeit­en[72] sind dies die Leit­motive der Rose, der Amaryl­lis, des Put­to, der weib­lichen alle­gorischen Fig­ur, der himm­lis­chen Heer­schar, des Musikin­stru­ments, der Schlange, der Fack­el, der Licht­strahlen.[73] In diesem Zyk­lus geht die Kohärenz des Ganzen aus einem allmäh­lichen Wech­sel der Kon­no­ta­tio­nen von ein­er Radierung zur anderen her­vor. Dieser Wech­sel wird nicht durch die imma­nente kün­st­lerische Entwick­lung der Bilder reg­uliert, son­dern durch die philosophis­che und welt­anschauliche Bedeu­tung, die die Bilder ver­mit­teln sollen. In einem Brief berichtet Runge seinem Brud­er Daniel von Tiecks Erstaunen darüber, dass die Bilder untere­inan­der ver­bun­den seien: „[…] es hat­te ihn aus der Fas­sung geset­zt, daß das, was er sich doch nie als Gestalt gedacht, wovon er nur den Zusam­men­hang geah­net, jet­zt als Gestalt ihn immer von dem ersten zum let­zten herum­riß“.[74] Nach Richard Lit­tle­johns zeigt eine nähere Unter­suchung der Bild­in­halte, dass die vier Phasen der Tageszeit­en in ständi­ger Rota­tion einan­der fol­gen, ohne einen Anfangspunkt oder Schluss, son­dern in einem „ewigen Cirkelschlag“,[75] wie Runge es for­mulierte. Der „ewige Cirkelschlag“ der Bilder erzeugt ein semi­o­tis­ches Sys­tem, das sich selb­st repro­duziert: Es ist kein üblich­er Text mit Anfang und Ende, son­dern die Idee eines visuellen Qua­sitextes, der gewis­ser­maßen post­mod­ern mit einem beliebi­gen Zeichen und ein­er beliebi­gen Zeichen­folge begin­nt. Viel­sagend ist, dass Gör­res seine Beschrei­bung des Zyk­lus mit der Nacht begonnen hat­te, während der Kün­stler selb­st sich offen­bar den Mor­gen als Anfang dachte.[76] Tat­säch­lich kommt diese Art der Erzeu­gung von Seman­tik musikalis­chen Prinzip­i­en nahe: Eine Kom­po­si­tion entwick­elt sich aus dem­jeni­gen Ele­ment des musikalis­chen Mate­ri­als her­aus, das mit dem Sta­tus ein­er Urzelle aus­ges­tat­tet ist – mit einem gen­er­a­tiv­en Zel­limpuls und ein­er primären seman­tis­chen und syn­tak­tis­chen Integrität.

3) Die natür­liche Form­trans­for­ma­tion ist durch die Darstel­lung von Entwick­lungsstufen gekenn­zeichnet, die im Kunst­werk ver­streut sind. Diese Etap­pen stellen daher eine Abfolge dar, die darauf zielt, als räum­liche Entsprechun­gen zu zeitlichen Phasen der Bedeu­tungs­ge­bung erfasst zu wer­den, als eine Art räum­liche Spur der Dauer. Diese in die Dauer aus­ge­fal­tete For­men­twick­lung ist von ähn­lichen Geset­zen inspiri­ert wie die Entwick­lung von musikalis­chem Mate­r­i­al: Ein Ele­ment wird aus dem vorheri­gen abgeleit­et, indem der ursprüngliche Impuls erneuert wird.

4) Die Lin­ie wird de fac­to mit dem Umriss gle­ichge­set­zt. Runges Zeich­nung ist vor allem eine Umris­sze­ich­nung der Form (statt ihre Kör­per­lichkeit beispiel­sweise durch Schraf­fur zu ent­hüllen), die darauf abzielt, sie im Raum zu artikulieren und ihre struk­turelle, pro­por­tionale und plas­tis­che Vol­lkom­men­heit aufzuzeigen. Daher ist eine rein kon­struk­tive, kon­tinuier­liche Ver­bindung der For­men möglich, wenn die Lin­ie sich über die Form hin­aus fort­set­zt, indem sie das Prinzip von Ursache und Wirkung visu­al­isiert und dementsprechend inten­siv auf die näch­ste Stufe entwed­er der ursprünglichen Form (Stän­gel → aufge­blühte Blume) oder der Bil­dung des Gesamtsinns der Kom­po­si­tion (z. B. die Idee der Bewe­gung zum göt­tlichen Licht) hin­weist.[77] Die Lin­ie in ein­er solchen sinn- und kon­struk­tion­ss­tif­ten­den Funk­tion ist die Ara­beske, eine for­mgebende Strate­gie, die den Kün­stler, der mit Erfahrun­gen von Raf­fael und Albrecht Dür­er auf diesem Gebi­et ver­traut war und zu Ersterem neigte, anzog.[78]

Runge ver­wen­det das Wort ‚Arabeske‘ im Zusam­men­hang mit dem Vier Jahreszeit­en-Zyk­lus:[79] Seinem Brud­er schreibt er von „leichte[n] Arabesken“, die er zur „Verbindung“ der „vier Haup­tideen“ ein­set­zen wolle.[80] Hätte Runge den Weg Dür­ers statt den Raf­faels einge­schlagen, so wäre er vielle­icht zur Idee der völ­li­gen logis­chen Unbes­timmtheit von Sinn gelangt – also zur Idee des reinen, sub­stantiellen Wer­dens, dessen höch­ster Aus­druck im künstleri­schen Mate­r­i­al durch die Musik gegeben ist.[81] Während Schlegel der Arabeske die Rolle ein­er wesentlichen Fig­ur roman­tis­ch­er Kun­st (sowohl in Bild­kun­st als in der Poe­sie) zus­prach,[82] dient sie bei Runge als bild­kün­st­lerisches Äquiv­a­lent der Idee von Entwick­lung.

Stef­fens ver­wen­det wiederum, ohne von Musik zu sprechen, auch den Plur­al des Begriffs „die Arabesken“[83] und kon­sta­tiert, dass diese bei Runge „den lebendi­gen Keim ein­er neuen Kun­st“ enthiel­ten, in dem „ein über­schwenglich­er Trieb der Bil­dung“ liege, „eine reiche, aber unbe­stimmte Zukun­ft, die geweis­sagt, angedeutet, aber nicht dargestellt wer­den kann“.

Die Unbes­timmtheit, mit der die Absicht zur Bedeu­tungs­bil­dung hier umge­set­zt wird,[84] die nicht-tele­ol­o­gis­che Natur der Arabeske im Hin­blick auf die Schaf­fung konkreter und daher geschlossen­er, in sich ruhen­der For­men zeigen, dass sich die Arabeske in ihrer Entwick­lung nicht auf etwas richtet, son­dern irgend­wohin; sie schafft keine durch Kör­per­lichkeit begren­zte Form, son­dern eine neue Struk­tur des gren­zen­losen Raums, die mit der Idee der Unendlichkeit ver­bun­den ist. Brown ver­gle­icht Friedrich Schleier­ma­ch­ers Auf­fas­sung des Begriffs mit der von Runge und betont, dass erster­er (in Über die Reli­gion, 1799) der Reli­gion die Eigen­schaft zuschreibt, „Sinn und Geschmack für das Unendliche“ zu weck­en. Bei Runge sei das Unend­liche indes kein vages Pos­tu­lat gewe­sen, wie wom­öglich für manchen anderen, son­dern ein fest kon­turi­ertes religiös­es Kon­strukt.[85] Aus dieser Sicht kann die Arabeske als Visu­al­isierung des Schöp­fungsim­puls­es aufge­fasst wer­den, als Aus­druck roman­tis­ch­er Poten­zierung (in dem Sinne, den Novalis ihr in den Logologische[n] Frag­menten gab: „Die Welt muß roman­tisiert wer­den […] Roman­tisierung ist nichts, als eine qual­i­ta­tive Poten­zierung“[86]).

Dieser Hin­weis auf Bedeu­tung ohne die prinzip­ielle Möglichkeit ihrer vollen sinnlichen (aber mit der Möglichkeit ihrer übersinnlichen, metasinnlichen) Man­i­fes­ta­tion ist sowohl eine Funk­tion der visuell-plas­tis­chen Arabeske als auch eine imma­nente Eigen­schaft von Musik. Ramos (171) zufolge mate­ri­al­isieren die wellen­för­mi­gen Lin­ien des Laubs in der Lehrstunde der Nach­tigall (1810), die für ein Musikz­im­mer vorge­se­hen war, auch das Tir­ilieren des Vogels. Im Zusam­men­spiel von Ikono­gra­phie, Form und Bes­tim­mung seines Werks gelinge es Runge peu à peu, die Arabeske als ein gemein­sames Prinzip im Ensem­ble der Kün­ste zu konzip­ieren. Im Rekurs auf Raf­faels Six­tinis­che Madon­na spitzt er es grotesk zu: „Bey diesem Bilde begreift man erst, daß ein Mahler auch ein Musik­er und ein Red­ner ist.“[87] Die Sprache der Lin­ien ver­binde sich für den Kün­stler mit der Sprache der Musik und der Worte.

5) Farbe wird auf zwei Arten inter­pretiert: als lokale Eigen­schaft ein­er konkreten Gestalt sowie als Pro­jek­tion von „Licht“ (weil Runge die Farbe als Aus­fluss der schöpferischen Energie des Lichts in die Materie begriff, auch stat­tet Runge sie mit einem eige­nen sym­bol­is­chen Sinn aus).[88] In let­zterem Fall wird die Farbe, die als Sig­nifikant für religiös-mys­tis­che Begriffe dient (Sig­nifikate sind z. B. die Idee der Unendlichkeit, die Idee des Wel­traumes), zu einem Bestand­teil der­sel­ben bedeu­tungs­geben­den Strate­gien, die die Lin­ie charak­ter­isieren: Farbe markiert die Verbindung dieser Begriffe, die als eine Art meta­ph­ysis­che Sinnkom­po­nente zu ver­ste­hen sind. Aber es gibt auch einen wichti­gen Unter­schied: Da die Begriffe nicht der Darstel­lung durch objek­tive For­men unter­liegen, sollte die Farbe, die solche For­men markiert, von der Gegen­ständlichkeit[89] abstrahiert wer­den; sie soll Farbe an sich sein. Deshalb entsprechen die tonalen Abstu­fun­gen des Licht-Luft-Raums in Runges Bildern (vor allem in Der kleine Mor­gen und den erhal­te­nen Frag­menten von Der große Mor­gen) in ihren Nuan­cen der Idee vom „Aus­fluß des Licht­es“[90], und zwar inten­sion­al und damit zeitlich in ihrem Wesen – so wie die Lin­ie, die sich jen­seits ein­er fes­ten Form selb­st fort­set­zt, der Idee des vital­en Wer­dens entspricht.

Das „Wort“ fix­iert also die primäre Bedeu­tung ein­er Objek­t­form, die durch die Aktion der „reinen“, primären Wahrnehmung gewon­nen wird (z. B. die weib­liche Fig­ur, die Lilie, die Nach­tigall usw.). Auf deren Grund­lage entste­ht bere­its eine kon­ven­tionelle, trans­po­si­tionelle Bedeu­tung (bewusst – durch Runge selb­st – und zufäl­lig – durch den Betra­chter). Diese Bedeu­tung ist in einem Konzept fest­gelegt, das höheren Rang hat als das Wort und das eher sym­bol­isch als alle­gorisch ist. Gun­nar Berefelt, der die seman­tis­chen Strate­gien Cas­par David Friedrichs und Runges ver­glichen hat, find­et nur in der Malerei des Ersteren Gestalt­bilder, Runges Bildern aber spricht er den sym­bol­is­chen Charak­ter ab und tendiert dazu, in ihnen Alle­gorien zu sehen.[91] Diese Ansicht dürfte unzutr­e­f­fend sein. Denn erstens gibt es bei Runge trans­ver­sale, „leit­mo­tivis­che“ Bilder, die nicht nur inner­halb des Zyk­lus Die Tageszeit­en „wan­dern“, son­dern auch von Konzept zu Konzept (z. B. Bilder der Amaryl­lis, geflügel­ter Put­ten und Genien, ein­er bren­nen­den Fack­el usw.), die ihre Bedeu­tung verän­dern, indem der Kon­text ihres Auftretens wech­selt, was für die Alle­gorie keineswegs charak­ter­is­tisch ist. Zweit­ens ist die seman­tis­che Struk­tur jedes dieser Bilder – und auch das ist nicht charak­ter­is­tisch für die Alle­gorie – vielschichtig und insta­bil, da sie das Pro­dukt ein­er eklek­tis­chen Mis­chung verschie­dener philosophis­ch­er und religiös­er Ideen (von den Ideen des Paracel­sus und Böhmes bis zu denen Spin­ozas und von der antiken östlichen Mys­tik bis zum Chris­ten­tum) und Darstellungs­traditionen (ein­schließlich der­jeni­gen der Renais­sance) ist.

Es wird ersichtlich, dass die Kon­ven­tion­al­ität der Bedeu­tung bei Runge fik­tiv bzw. schein­bar ist, denn sie ver­langt keine ein­deutige und irgend ver­ständliche „Entschlüs­selung“. Anders als die Kon­ven­tion­al­ität in Epochen, in denen Rhetorik Verbindlichkeit schuf, war diese Bedeu­tung nur jen­em kleinen Kreis von Men­schen zugänglich, die die genaue Vorstel­lung des Kün­stlers kan­nten. Die visuelle Basis, die primäre mimetis­che Bedeu­tungsebene, beste­ht jedoch aus For­men, die bere­its eine eigene Geschichte in der Repräsen­ta­tion­skul­tur und damit eine feste Seman­tik haben (wie Lilien oder Pas­sions­blu­men). Dies führt zur Unmöglichkeit ein­er exak­ten ver­balen Def­i­n­i­tion der sekundären Sin­nebene, die echt­en Sym­bol­en innewohnt, eine Unmög­lichkeit, die zur Auflö­sung der begrif­flichen Ebene in das ursprüngliche Wort, den begrif­flich erfass­baren Teil und den ‚Heili­gen­schein seines Sinns‘ führt, der, wenn er benan­nt und defi­niert wird, seine Essenz ver­liert (da diese Essenz in der Unmöglichkeit der Def­i­n­i­tion beste­ht). Dieser ‚Heili­gen­schein‘, ein prinzip­iell nicht definier­bar­er Bedeu­tungskom­plex, kann nur als Gegeben­heit offen­bart und durch reine Repräsen­ta­tion aus­ge­drückt wer­den, durch das „Bild“ als seman­tis­che Struk­tur, die das „Wort“ voll­ständig ablöst. Ist das Wesen ein­er kon­turi­erten Form oder ein­er Lokal­farbe durch das „Wort“ definiert, so ist die reine Darstel­lung, das „Bild“, notwendig, um das Wesen ein­er arabesk sprießen­den Lin­ie oder das koloris­tis­che Wer­den der „Farbe“ als Ema­na­tion des „Lichts“ auszu­drück­en.

Die „ver­schlüs­selte“ Bedeu­tung visueller For­men lässt die Ten­denz zu ihrer unendlichen, weit­gehend vom Inter­pre­ten und nicht von den sys­temim­ma­nen­ten Eigen­schaften abhängi­gen Inter­pre­ta­tion entste­hen,[92] was dem Wesen und der Funk­tion des „Wortes“ selb­st wider­spricht, denn es enthält einen selb­sti­den­tis­chen Bedeu­tungskern, der kon­ven­tionell kon­di­tion­iert ist, um das Ver­ständ­nis und die Möglichkeit der Sin­nüber­tra­gung auf die Rezipient*innen zu gewährleis­ten, und eine Hülle, deren Abwand­lung dem Bedeu­tungskern nicht wider­sprechen und von dem sie sich nicht zu weit ent­fer­nen sollte. Bei Runge aber über­steigt die Ampli­tude der Bedeu­tungsvari­a­tio­nen alles, was für das „Wort“ möglich ist. Die Selb­sti­den­tität der Bedeu­tung ist nur auf der Ebene der primären Gegen­ständlichkeit („Bild“) gewährleis­tet, näm­lich auf der mimetisch erzeugten Objek­tebene. Für die Organ­i­sa­tion des wahren Sym­bols muss die seman­tis­che Nicht-Iden­tität aber auf Kom­po­nen­ten beruhen, die der seman­tis­chen Iden­tität gle­ichar­tig sind. Deshalb steigt das „Bild“ von der Verkör­pe­rung der primären Gegen­ständlichkeit nun auf zu ein­er qual­i­ta­tiv anderen Ebene der Darstel­lung. Während der nicht ver­bal­isier­bare Teil der Bedeu­tung („Wort“) durch „Bild“ erset­zt wird, erlangt dieses „Bild“, das nicht nur die Funk­tion hat, die primäre Sub­jek­tiv­ität auszu­drück­en, son­dern auch eine kom­plexe Rei­he von metaver­balen Bedeu­tun­gen, den Sta­tus ein­er Hiero­glyphe, die eine rein repräsen­ta­tive Funk­tion mit ein­er begrif­flichen verbindet.

Auf diese Weise wird der Über­gang zur endgülti­gen, syn­thetis­chen Ebene ein­er Schaf­fung und Wahrnehmung von Bedeu­tung vol­l­zo­gen.

  1. Die syn­thetis­che Ebene der Bedeu­tungs­ge­bung in Runges Kun­st

Der Sinn wird im Bild zugle­ich offen­bart und ver­schlüs­selt, das Bild wird zu ein­er Art Hiero­glyphe.[93] Jörg Traeger schreibt dazu: „Die Roman­tik­er haben mit diesem Wort ein höch­stes Ide­al und zugle­ich das tief­ste Geheim­nis der Kun­st beze­ich­net.“[94] In den Worten von Gör­res:

Nen­nen wir sie lieber daher Hiero­glyphik der Kun­st, plas­tis­che Sym­bo­l­ik! Hat die Natur aus den Ele­menten die Kör­p­er zuerst gebildet, dann ergreift das Leben die Materie wie­der, und bildet sie in organ­is­che For­men um; ergreift die Kun­st dann wieder diese For­men, und gießt ihnen im Bilde die Har­monie der ide­alen Schön­heit ein; erfaßt endlich dann die Idee die schöne Form, und bildet sie sich wie der Geist die Rede zu, und es wird ein bedeu­tend, tief­sin­nig Wort nun aus­ge­sprochen, eine heilige Rede, die der Sinn mit Andacht hören sollte. [Herv. i.O.][95]

Die Abfolge der Hiero­glyphen wird zu beson­deren „Schriften“[96] zusam­menge­fügt, durch die die Natur zu den Eingewei­ht­en spricht.

Der Hiero­glyphe kommt also eine nicht mehr nur sinnliche, son­dern übersinnliche Deu­tung zu, in welch­er die Bedeu­tung­shülle zu ihrem Sig­nifikan­ten, ihrem Zeichen, ihrem ‚Code‘ wird. Mit ihnen wollte Runge die Welt der reinen Ideen und die gefühlsmäßig wahrnehm­bare Welt in ein Gle­ichgewicht brin­gen, ihren Wider­spruch aufheben.[97]

Ramos[98] zufolge definierte Tieck in einem Brief an Runge vom 24. Feb­ru­ar 1804 die Kun­st zunächst als ein Sys­tem magisch-sym­bol­is­ch­er Zeichen, die es neu zu erfind­en gelte, um dann eine Kri­tik und eine War­nung hinzuzufü­gen. Die Kri­tik bezieht sich auf den Reflexionsüber­schuss des Kün­stlers, der ver­sucht, seine Kun­st zu erk­lären, Tieck warnt vor sym­bol­is­ch­er Drech­se­lei:

„[…] auch wer­den Sie überdies, um sich mancher­ley Geis­tern ver­ständlich zu machen, zum Scharf­sinn, zur Com­bi­na­tion, zur Alle­gorie und zur Mys­tik Ihre Zuflucht nehmen müssen: kurz, Sie wer­den wenig­stens auf Stun­den aus der kühlen Ruhe und Stille fall­en, die das wahre Ele­ment der Inven­tion ist, und in die Tur­ba, in die Ver­wirrung, in die Menge gera­then.“[99]

Tieck möchte Runge davon abhal­ten, die mys­tis­che Erfahrung des Unendlichen durch die Kun­st mit einem Zeichen­sys­tem zu erset­zen, da es die Kluft zwis­chen Form und Bedeu­tung nicht auflösen könne. Diese Kluft erscheint Tieck umso größer, als ihm Runges Sym­bo­l­ik zu per­sön­lich und zugle­ich zu tra­di­tionell in ihren Motiv­en vorkommt.

Tieck hat Recht, wenn er sagt, dass das Zeichen­sys­tem allein die übersinnliche, durch eine Art syn­thetis­che Intu­ition des Uni­ver­sums erzeugte Erfahrung nicht ver­mit­teln kann: Zeichen kön­nen nur auf dieses Uni­ver­sum und auf jenen Teil sein­er Bedeu­tung ver­weisen, der – sei er direkt oder kon­ven­tionell – ver­bal ver­mit­telt wer­den kann. Aber nicht mehr als das.

Den­noch erlaubt die „Lücke“ zwis­chen der Sinneswahrnehmung und ihrer übersinnlichen Um­setzung – im Wesentlichen eine seman­tis­che „Lücke“, die von den Rezipient*innen selb­st aus­gefüllt wird – der Bedeu­tung des Bildes, sich in eine Schicht der Repräsen­ta­tion (ein­er „Bedeu­tungss­chale“, deren Grund­lage die Nachah­mung der Natur ist) und eine Schicht tief­er­er Bedeu­tung zu hüllen, die nicht inhärent repräsen­tiert ist (einen „Bedeu­tungskern“, der prinzi­piell nicht durch eine mimetis­che Strate­gie wiedergegeben wird, wie etwa philosophis­che und religiöse Ideen). Das Auftreten ein­er solchen „Lücke“ kann erstens durch eine Diskrepanz zwi­schen dem gewählten Gegen­stand und den zu Beginn des 19. Jahrhun­derts gewählten Mit­teln sein­er Darstel­lung[100] bed­ingt sein und zweit­ens durch die Wiederge­burt eines mimetisch erzeugten Sinns (Runge set­zt seine Kun­st von sicht­baren Bildern der Natur ab[101]) in einem sym­bol­is­chen Sinn (Pas­sion Christi) – und hier kön­nen wir wed­er Tiecks noch Stef­fens’ Ansicht­en über die Natur des Sym­bols zus­tim­men[102] –, sym­bol­isch in dem Sinne, dass das Bild vom Sicht­baren abstrahiert und jenes in den Bere­ich der reinen Bedeu­tungs­ge­bung über­führt. Genau dieses Wer­den ist es, das der Bedeu­tung zuteil wird, wenn Rezipient*innen ver­suchen, die „Lücke“ zu füllen, in ihrem Bewusst­sein und durch die Kraft ihrer Wahrnehmung das Sig­nifikat und den Sig­nifikan­ten zu verbinden, um vom Wahrgenomme­nen zum geistig Erkan­nten zu gelan­gen.

In diesem Zusam­men­hang ist bemerkenswert, dass Stef­fens eine wech­sel­seit­ige Abhängig­keit zwis­chen Bild („Gestalt“) und „Wort“ beobachtet.[103] Ihm zufolge ver­wan­deln sie sich, gehen ineinan­der über. Diese Durch­läs­sigkeit set­zt nicht nur die voll­ständi­ge Entsprechung der im Wesentlichen unter­schiedlichen Sta­di­en der Bedeu­tungs­ge­bung voraus, son­dern dialek­tisch (und para­dox­er­weise) auch die Flu­id­ität und Unbes­timmtheit jen­er die „Lücke“ zwis­chen den Kom­po­nen­ten fül­len­den Bedeu­tungs­ge­bung. Sowohl die Flu­id­ität als auch die Unbes­timmtheit erlauben es, über den sinnbilden­den Algo­rith­mus die Äquiv­alenz von Bild und Wort in der Essenz der von ihnen ver­mit­tel­ten Bedeu­tung zu etablieren, sodass die sinnliche Wahr­nehmung des Bildes und die intellek­tuelle Auf­fas­sung des Wortes kon­vergieren. Ihre Konver­genz ist meines Eracht­ens nicht nur insofern möglich, als diese bei­den Perzep­tion­sarten im Bewusst­sein untrennbar koex­istieren, son­dern auch insofern, als die Bedeutungskomponen­ten ver­bal und visuell gle­icher­maßen repräsen­tier­bar und nicht-repräsen­tier­bar sind. Der imma­nente, tiefe Sinn, der von Runges kün­st­lerisch­er Welt aus­ge­ht, wird von den Bild-Schrif­ten eben­so enthüllt wie ver­bor­gen (der unar­tikulierte Sinn und seine Ver­bor­gen­heit, die Un­fähigkeit von Bild-Schriften, den Sinn als Ganzes zu enthüllen).

Die „Schriften“, von denen Stef­fens spricht und die die ober­ste seman­tis­che Schicht von Run­ges Bildern sind, ihre ver­bal­isierte Pro­jek­tion (also die Pro­jek­tion des Sinns, ver­steckt hin­ter diesen Bildern), sind also metaver­bale Schriften, die auf etwas ver­weisen, ohne aber etwas als tat­säch­lich Gegebenes zu beze­ich­nen, das aus dem Kon­text her­aus­gelöst und als raum­hafte Ein­heit in sich selb­st geschlossen wer­den kann (was aus dem „Kon­text“ her­aus­gelöst wer­den kann, hängt mit der Artiku­la­tion zusam­men, ein­er Oper­a­tion, die der räum­lichen und nicht der zeitlichen Struk­tur der Welt imma­nent ist). Diese metaver­balen Schriften brin­gen also das Wesen eines nicht-räum­lichen, aber zeitlichen Sinns zum Aus­druck, eines in der Dauer wer­den­den und an sie anknüpfend­en Sinns – mithin eines musikalis­chen Sinns.

Runge selb­st artikuliert die Natur dieses „Schreibens“ nicht, obwohl er im Zuge der Arbeit an den Tageszeit­en jedes Bild mit Worten beschreibt.[104] Diese Fig­uren kön­nten als rein deko­ra­tiv beze­ich­net wer­den (Wieder­hol­ung von Orna­menten und Anord­nung der­sel­ben Motive), wäre da nicht Runges Wun­sch, durch mimetis­che Fig­uren eine nicht-mimetis­che Bedeu­tung herzu­stellen und eine Semi­ose in der Lücke zwis­chen der sinnlich wahrgenomme­nen Bedeu­tung eines Bildes (z. B. ein­er Lilie) und sein­er metasinnlichen, philosophis­chen Bedeu­tung anzu­regen (die Lilie = Sym­bol der drei Tugen­den: Glaube, Hoff­nung und Barmherzigkeit, Unschuld usw.). Wie Alain Muzelle[105] fest­stellt, wurde eine solche Inter­pre­ta­tion der Arabeske als seman­tis­che und visuelle Hiero­glyphe, die an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhun­dert keineswegs sin­gulär war, 1797 von Friedrich Schlegel for­muliert. In einem Brief vom 30. Jan­u­ar 1803 an seinen Brud­er Daniel ges­tand Runge ein: „Du siehst wohl, daß indem ich nur so leichte Dec­o­ra­tio­nen machen wollte, ich wider Willen ger­ade das größte von Com­po­si­tion her­vorge­bracht habe“.[106] Die Arabeske ver­wan­delt die mimetis­che Bedeu­tung der Blume und lenkt die Aufmerk­samkeit der Rezipient*innen auf die plas­tis­che Aus­sagekraft der Lin­ie, d. h. auf die Natur des Aus­drucksmit­tels als solchem. Die geometrische Gegen­ständlichkeit wird absorbiert, die objek­tive Bedeu­tung der Lilie löst sich auf und lässt die Bedeu­tung an der Periph­erie „flack­ern“. Ramos[107] zufolge ist die Arabeske bei Runge mit einem Ver­fahren der geometrischen Darstel­lung des Bildes assozi­iert. Diese Arabesken, „sind eigentlich nur so Puncte erst, um meine Ideen ordentlich im Tact zu hal­ten, denn die math­e­ma­tis­che Eintheilung ist immer gut, die eigentlichen Arabesken kom­men schon, das ist nur Kinder­spiel.“[108] Nicht nur Orna­mente, die von außen her der Kom­po­si­tion beige­fügt wer­den, ver­schmelzen die Arabes­ken mit geometrischen Fig­uren.

Mein­er Mei­n­ung nach ist die anfängliche, wichtig­ste Hiero­glyphe Runges, die das gesamte seman­tis­che Spek­trum erzeugt und sog­ar das Erschei­n­ungs­bild aller anderen Formen-‚Hiero­glyphen‘[109] bes­timmt, die Erste Fig­ur der Schöp­fung (1803),[110] die auf den vol­lkomme­nen geometrischen Fig­uren des Kreis­es und des gle­ich­seit­i­gen Dreiecks beruht und eine Art „voll­kommene Formel“ von Runges Weltan­schau­ung darstellt, präsen­tiert in Form der absoluten Abstrak­tion.[111] Von Mime­sis ist hier keine Spur mehr, und das arabeske Wer­den hat in der Vol­lkom­men­heit der Zen­tral­sym­me­trie eine voll­ständi­ge Selb­sti­den­tität und Ruhe erre­icht. Dies ist das Zen­trum von Bedeu­tung und Darstel­lung, wie Pla­tons Urbild. Laut Ramos[112] ver­sucht der Kün­stler, indem er seinen Brief mit dieser geometrischen Fig­ur ver­sieht, eine plasti­sche Ver­sion dieser Syn­these anzu­bi­eten. Inspiri­ert von der Titel­seite von Böhmes theosophi­schen Schriften,[113] stellt sie sieben miteinan­der ver­bun­dene Kreise dar, deren Zen­tren an einem Punkt zusam­men­laufen, an dem, wie er sagt, „alles wieder vere­inigt“[114] ist. Die Gegen­ständlichkeit erweist sich (Jacques Der­ri­das ‚sup­plé­ment‘ entsprechend) gegenüber dem eigentlichen Sinn des Bildes als Ergänzung.

Die sicht­baren For­men der umgeben­den Welt wer­den zu Runge’schen „Hiero­glyphen“, abge­leitet von der Haupthiero­glyphe: Deren absolute Geome­trie pro­gram­miert die jew­eilige Geo­metrisierung und deren mys­tis­che Bedeu­tung die Seman­tik. Durch die Darstel­lung sin­gulär­er Dinge (d. h. der natür­lichen For­men) strebte Runge gle­ich­sam danach, die „göt­tliche Sub­stanz“ (d. h. die Bedeu­tung der Haupthiero­glyphe) zu verkör­pern. Indem er die natür­lichen For­men als in der Erfahrung gegeben begreift und sie in Bild­kun­st über­set­zt, erhebt Runge sie damit von ihrer konkreten, sin­gulären Bedeu­tung auf die Ebene übersinnlich­er Abstrak­tion – d. h. auf die Ebene uni­verseller Bedeu­tung auf­grund ihrer Verbindung mit dem Göt­tlichen, jen­er Sub­stanz, die sich in ihnen offen­bart. Wir kön­nen sagen, dass die Bilder der Natur ‚natu­ra nat­u­ra­ta‘ sind, und in der Welt der Kun­st sind sie auch Hiero­glyphen für die ‚natu­ra nat­u­rans‘, an der sie durch die Trans­po­si­tion ins Übersinnliche, jene syn­thetis­che Intu­ition par excel­lence, teil­haben.

Das Ganze überblick­end, kann man sich fol­gen­den erken­nt­nis­the­o­retis­chen Algo­rith­mus vor­stellen:

Sinnlich­es Erfassen der Natur, ihrer For­men Bild natu­ra nat­u­ra­ta Materie (= Aus­dehnung) als Attrib­ut der Sub­stanz (nach Spin­oza)
Begrif­fliche Stufe der Bedeu­tungs­for­mulierung Wort → →
Übersinnlich­es Begrei­fen des Bildes Hiero­glyphe natu­ra nat­u­rans Denken als Attrib­ut der Sub­stanz (nach Spin­oza) in Bezug auf das Denken des Kün­stlers

In der let­zten, erken­nt­nis­the­o­retis­chen Phase drück­en die Bilder-Hiero­glyphen, die das Wesen der Natur­phänomene ver­schlüs­seln, deren Bedeu­tung durch das schöpferische Bewusst­sein des Kün­stlers aus und über­set­zen sie. Runge ermuntert dazu, sich auf die eigene spir­ituelle Erfahrung zu stützen, wobei er sich offen­bar impliz­it auf Böhmes Philoso­phie bezieht und die Idee des Eigen­werts, der Einzi­gar­tigkeit der schöpferischen Kraft noch des Winzig­sten ent­wickelt.[115] Diese spir­ituelle Erfahrung erzeugt eine konzen­tri­erte Intu­ition, die ein erkenntnis­theoretisches Werkzeug sein kann, das mit dem mys­tis­chen Sinn des Uni­ver­sums kor­re­liert. Durch die Intu­ition kann diese Bedeu­tung nahezu direkt erfasst wer­den, und zwar durch Kon­templation und im Ver­trauen auf das innere Selb­st. Dieser aggregierte Sinn des Uni­ver­sums, der dialek­tisch sowohl die „Zahl als Sein“ als auch die „Zahl als Wer­den“ enthält, die oben erörtert wur­den, enthält fol­glich bei­de Aspek­te der Musikalität, die durch diese Arten von „Zahl“ aus­ge­drückt wer­den.

Daraus ergibt sich die höch­ste Musikalität der ‚natu­ra nat­u­rans‘, des gesamten Runge-Uni­ver­­sums: daher das Zusam­men­klin­gen aller sein­er Bestandteile, das man deshalb dur­chaus als „Sym­phonie“ (συμφωνία) im ursprünglichen Sinne des Wortes beze­ich­nen kann. Bekan­ntlich sagte Runge selb­st, er habe seine Tageszeit­en „ganz bear­beit­et wie eine Sym­phonie“.[116] Diese Beze­ich­nung bein­hal­tet hier drei Deu­tungsmöglichkeit­en: Sie kann erstens den kompo­sitorischen Charak­ter des Zyk­lus beze­ich­nen, der der musikalis­chen Sonate – Sym­phonie gle­icht;[117] sie ist zweit­ens als Mitk­lang der „tiefen Bedeu­tun­gen“, die jedem Bild innewohnen, zu ver­ste­hen;[118] drit­tens benen­nt sie die über­ge­ord­nete Kohärenz des Ganzen.[119] Auf ein­er neuen Ebene der Erken­nt­nis kehrt man somit zu der pythagor­eis­chen Idee der Har­monie der Welt zurück.

Der Ver­such, diese syn­thetis­che Erken­nt­nis des Uni­ver­sums als höch­ste Vol­lkom­men­heit, Ord­nung, Pro­por­tion­al­ität, numerische Har­monie zu visu­al­isieren – eine Erken­nt­nis, die das Gefühl ein­be­greift –, wird durch die „Fig­ur der Schöp­fung“, „Haupthiero­glyphe“ der Welt Runges, repräsen­tiert. Und wenn diese Hiero­glyphe die logis­che Gren­ze von Runges Abstrak­tion der Bedeu­tung im Hin­blick auf die Lin­ie ist, dann ist seine berühmte „Far­bkugel“[120] gle­icher­maßen eine logis­che Gren­ze für die Abstrak­tion der Bedeu­tung hin­sichtlich der von Runge auf mys­tis­che Weise ver­standene Farbe.[121] Ramos befind­et,[122] dass das Ausse­hen der Kugel die Sym­bo­l­ik nicht verdeck­en dürfe, die Runge ihr zuschrieb und die sie in die Nähe sein­er mys­tis­chen Kun­stauf­fas­sung rücke, wie er sie im Frag­ment ein­er Far­ben­lehre for­muliert hat­te. Die sieben Punk­te – die sechs Far­ben des Quer­schnitts und der graue Mit­telpunkt – seien näm­lich den sieben Kreisen der Ersten Fig­ur der Schöp­fung ana­log. Somit sei das Zent­rum der Kugel ana­log zum göt­tlichen Zen­trum oder dem ‚Auge der Ewigkeit‘ in Böhmes Theoso­phie.

Die Farb­sym­bo­l­ik sollte das Vorhan­den­sein jen­er Kräfte in der Welt wider­spiegeln, welche sie ins Gle­ichgewicht brin­gen und die für Aus­ge­wogen­heit sor­gen; die Mod­u­la­tion der Far­ben bis zu ihrem Kom­ple­ment sollte die Idee ihrer gegen­seit­i­gen Abhängigkeit und ihrer Ableit­barkeit voneinan­der aus­drück­en. Erin­nert sei an Schellings Pos­tu­lat: „Wir fordern auch von Far­ben eine Har­monie und einen Ton und gewis­ser­maßen auch eine Mod­u­la­tion“.[123]

Laut Stef­fens war Runge als „Maler […] die Natur und Bedeu­tung der Far­ben höchst wichtig“, auch habe er diese „in ein­er tiefern, fast mys­tis­chen Bedeu­tung aufge­faßt […].“[124] Und wenn die mys­tisch gedeutete Zahl als struk­turelle Grund­lage des Uni­ver­sums ver­standen wird, dann hat die mys­tisch ver­standene Farbe alle Eigen­schaften, um als das Wer­den der reinen, sub­stantiellen Qual­i­ta­tiv­ität an sich gedeutet zu wer­den. Es ist dieser meta­ph­ysis­che Aspekt der Bedeu­tungs­ge­bung, der durch das Gefühl als epis­te­mol­o­gis­ches Werkzeug her­vorgerufen wird und der sich in Hiero­glyphen­struk­turen, hiero­glyphis­chen Dia­gram­men offen­bart. Diese sind wie eine musikalis­che Form, die, nach­dem das Werk verk­lun­gen ist, eine Spur im Geist der Hörer*innen hin­ter­lässt. Die von der Haupt­fig­ur abgeleit­eten Hiero­glyphen­struk­turen erweisen sich als musikalis­che Form, und die Farb­mod­u­la­tion, die sie füllt, ist gle­ich­sam ihr musikalis­ches Mate­r­i­al.

Con­clu­sio

Bekan­ntlich plante Runge, eine Ölfas­sung des Zyk­lus Die Tageszeit­en in einem gotis­chen Gebäude, möglicher­weise ein­er Kirche, zu hän­gen, unter­malt von Chorge­sang.[125] War nicht dies der Ver­such, die meta­ph­ysis­che Bedeu­tung des Bildes endgültig zu spren­gen, unhör­bare Musik mit hör­bar­er Musik zu ver­schmelzen, sodass die Musikalität von Runges Uni­ver­sum her­vorträte?

Die Mech­a­nis­men der Bedeu­tungs­ge­bung in Runges Gemälden, die zu ihrer inneren Musika­lität führen, sind im Kon­text der roman­tis­chen Kul­tur des frühen 19. Jahrhun­derts einzi­gar­tig. Diese Qual­ität wird nicht durch das fig­u­ra­tive Schema und die The­men und nicht ein­mal durch die Eigen­schaften des Bild­ma­te­ri­als als solchen erzeugt (z. B. durch eine wahrnehm­bare Bewe­gung, wie sie etwa für die Gemälde der franzö­sis­chen Roman­tik­er und Sym­bol­is­ten typ­isch ist), son­dern durch den spez­i­fis­chen Algo­rith­mus der Bedeu­tungs­ge­bung, dank dessen Runges philosophis­che und mythopo­et­is­che Ideen, die als Sig­nifikat ver­standen wer­den, durch als Sig­nifikant inter­pretierte Aus­drucksmit­tel über­tra­gen wer­den. Da das Bild nicht mit einem Wort, einem Syn­tag­ma oder ein­er anderen gram­matikalis­chen Ein­heit ver­gle­ich­bar ist, erzeugt die Verknüp­fung von Bildern einen Qua­si-Text, ein semi­o­tis­ches Sys­tem, das sich vom Sys­tem der Wort­sprache unter­schei­det. Die Gestalt eines Bild­kunst­werks ist in dop­pel­tem Sinne gegliedert: 1) in den Aspekt der Seman­tik – a) dem Kun­st­ma­te­r­i­al imma­nent und b) mit der ver­balen Kul­tur ver­bun­den; 2) in den Aspekt der Repräsen­ta­tiv­ität – a) direkt der visuellen Wahrnehmung zugänglich, mit anschließen­der geistiger Deu­tung, und b) außer­halb der visu­ellen Repräsen­ta­tion, da sie ihr von Natur aus nicht unter­liegt. Diese Gestalt des Bildes, die an einen Hiero­glyphen­code erin­nert, erwächst aus einem frag­ilen Gle­ichgewicht zwis­chen dem Visuellen – sowie dem Men­tal­en, Man­i­festen – und dem Geisti­gen, nur Denkbaren und grund­sät­zlich Nicht-Repräsen­tier­baren. Diese Nicht-Repräsen­ta­tion schafft eine „Lücke“ zwis­chen der ganzheitlichen Bedeu­tung des Kunst­werks (die bei Runge eine philosophis­che Bedeu­tungss­chicht ein­schließt) und der Bedeu­tung, die visuell repräsen­tiert wer­den kann. Die seman­tis­che Lücke bes­timmt die Dialek­tik der seman­tis­chen Selb­sti­den­tität und Nicht-Selb­st­i­den­tität des Bild­kunst­werks, die der Dialek­tik der Bedeu­tung in der Kun­st­musik asymp­to­tisch nahekommt. Die in Runges Zeich­nun­gen und Gemälden real­isierten Algo­rith­men der Bedeu­tungsgebung, die zu ihrer inneren Musikalität führen, hän­gen erstens von den Vorstel­lun­gen über die Möglichkeit und die konkrete Art und Weise der Kon­ver­genz ver­schieden­er Kunst­gattungen ab und zweit­ens von der Art und Weise der Schaf­fung eines Bild­kunst­werks und der Beson­der­heit sein­er seman­tis­chen und expres­siv­en Gestalt.

 

 

Lit­er­atur

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file:///Users/gs83bobo/Downloads/Wilfing_2018.pdf (Stand: 06.10.2023).

 

Über­set­zung aus dem Rus­sis­chen und Ein­rich­tung von Gesine Schröder

Ele­na Rovenko PhD ist eine rus­sis­che Kul­tur­wis­senschaft­lerin. Gefördert wird ihre Arbeit zur­zeit über das vom Col­lège de France getra­gene Pro­gramm PAUSE (pro­gramme nation­al d’accueil en urgence des sci­en­tifiques et des artistes en exil). Sie ist am Lab­o­ra­to­ri­um ACCRA (Approches con­tem­po­raines de la créa­tion et de la réflex­ion artis­tiques) der Uni­ver­sität Straß­burg tätig. Bis zum Angriff­skrieg auf die Ukraine war sie Senior Researcher und assozi­ierte Pro­fes­sorin am Tschaikows­ki-Kon­ser­va­to­ri­um Moskau. Rovenko veröf­fentlichte zahlre­iche Auf­sätze (über Film, franzö­sis­che Musik, Philoso­phie, Malerei) und die Mono­gra­phie Die Kat­e­gorie der Zeit im philosophis­chen und kün­st­lerischen Denken. Hen­ri Berg­son, Claude Debussy, Odilon Redon, Moskau 2016. Kon­feren­zteil­nah­men u.a. in Aix-en-Provence, Athen, Barcelona, Den Haag, Den­ver, Madrid, Mul­house, Paris, Por­to, Rim­i­ni, Saler­no, Sofia, Straßburg und Wien.


[1] Stef­fens, 344.

[2] Décul­tot schreibt: „Für Wack­en­roder ist die Musik ‚die wun­der­barste‘ aller Erfind­un­gen, ‚weil sie men­schliche Gefüh­le auf eine über­men­schliche Art schildert, weil sie uns alle Bewe­gun­gen unsers Gemüths unkör­per­lich, in goldne Wolken luftiger Har­monieen eingek­lei­det, über unserm Haupte zeigt‘.“ (Décul­tot, 224). Runge zitiert hier Wil­helm Hein­rich Wack­en­roder: Phan­tasien…, Zweit­er Abschnitt. Anhang einiger musikalis­ch­er Auf­sätze von Joseph Berglinger, Kapi­tel „Die Wun­der der Tonkun­st“. Über mögliche Kor­re­la­tio­nen mit Wack­en­roders Ansicht­en über Musik siehe Pri­vat, S. 132.

[3] Vgl. Tarasov, 131, 156, 157.

[4] Zu nen­nen sind hier vor allem die Studie von Karl Pri­vat und die aus den 1970er Jahren stam­mende Mono­grafie von Jörg Traeger.

[5] Z. B. Brown, 44–58, sowie Grewe, 48–63 und 119–134.

[6] Vgl. u. a. Lit­tle­johns.

[7] Generell zum Ein­fluss von Philosophen auf Runge siehe Traeger (1977), 21: „Mit Friedrich Schlegel traf er in Dres­den anscheinend oft zusam­men, während das Ver­hält­nis zu dessen Brud­er August Wil­helm Schlegel distan­ziert blieb.“ Schellings Ideen dürfte Runge laut Traeger über Stef­fens ken­nen­gel­ernt haben (vgl. ebd.); dessen Natur­philoso­phie, ins­beson­dere die Idee der Welt­seele, bee­in­flusste die Anschau­ung und das konkrete Schaf­fen auch ander­er Kün­stler, ins­beson­dere das von Carl Gus­tav Carus (vgl. Arfi­ni, 130).

[8] Vgl. u. a. Kuz­niar; Décul­tot; Arfi­ni.

[9] Das Prob­lem wird in Julie Ramos’ Buch detail­liert unter­sucht und kon­tex­tu­al­isiert.

[10] Bere­its hingewiesen wurde lediglich auf Analo­gien zwis­chen den Prinzip­i­en der Bedeu­tungs­ge­bung in Musik und in Runges Malerei, um das Neuar­tige des Kün­stlers auf dem Gebi­et der Semi­ose zu begrün­den; siehe die Stu­di­en von Brown, Grewe und Ramos.

[11] Vgl. Poitevin, 16, 89, 90, 125, 126, 128, 129, 138, 146, 156, 164, 165.

[12] Runge, HS-1, 43.

[13] Schiller for­mulierte diesen Gedanken in sein­er Rezen­sion Über Matthissons Gedichte (1794) so: „In der That betra­cht­en wir auch jede malerische und poet­is­che Com­po­si­tion als eine Art von musikalis­chem Werk, und unter­werfen sie zum Theil densel­ben Geset­zen. […] jene Stetigkeit, mit der sich die Lin­ien im Raum oder die Töne in der Zeit aneinan­der fügen, ist ein natür­lich­es Sym­bol der inneren Uebere­in­stim­mung des Gemüths mit sich selb­st […]“. https://www.projekt-gutenberg.org/schiller/matthiss/matthiss.html (Stand: 06.10.2023).

Eine ähn­liche Qual­ität wohnt Runge als Per­son inne: „[…] er denn selb­st ein­mal sagt, daß ihm jed­er Schritt Musik sei und er die Fülle des Lebens ahne, ‚die uns alle immer­fort in ewigem Wohllaut pro­duziert‘“ (Pri­vat, 11).

[14] Runge, HS-1, 43.

[15] Vgl. Runges Brief vom 24. Jan­u­ar 1806 an Johann Georg Zim­mer (Runge, HS-1, 63f).

[16] Pri­vat, 213.

[17] Siehe z. B. einen Brief vom Feb­ru­ar 1802 an Johann Hein­rich Bess­er (Runge, HS-2, 116).

[18] Siehe Décul­tot, 221.

[19] Siehe zum Beispiel Lit­tle­johns, 71, sowie Brown, 46.

[20] Stef­fens, 337.

[21] Stef­fens, 347.

[22] Zu Runges Luther­tum siehe Brown, 45, sowie Tarasov, 3. Runge stellte sich „für die geplante mon­u­men­tale Aus­führung des Zyk­lus [Die Tageszeit­en bzw. Vier Zeit­en] eine Architek­tur nach Art der gotis­chen, jedoch in pflanz­lichen For­men vor, das Ganze bei musikalis­ch­er Begleitung durch Chor­musik.“ (Traeger [1999], 69).

[23] So eine Ver­mu­tung des nieder­ländis­chen Forsch­ers Tom Tak, 152f.

[24] Siehe Lit­tle­johns, 55 und 59.

[25] Stef­fens, 340.

[26] Stef­fens, 343.

[27] Hoff­mann, 578.

[28] Nach Chua (3) flüsterten und raun­ten frühe Roman­tik­er von dem Auf­tauchen der absoluten Musik eher, als dass sie es verkün­de­ten. Tat­säch­lich seien die Roman­tik­er in Bezug auf das The­ma so zurück­hal­tend gewe­sen, dass sie den Ter­mi­nus ‚absolute Musik‘ weit­ge­hend ver­mieden; erst Wag­n­er gebrauchte ihn laut­stark, und ironischer­weise ver­suchte er, den Kun­stanspruch absoluter Musik als ver­logen zu ent­lar­ven, um sie in sein­er dialek­tis­chen Musikgeschicht­sauf­fas­sung zu negieren. Bonds zufolge (146) benutzte nach Wag­n­er indes Hanslick in seinen Konz­ertkri­tiken vorzugsweise die Ter­mi­ni ‚reine Musik‘ und ‚reine Instru­men­tal­musik‘.

[29] Vgl. Grewe, 229.

[30] Vgl. Bonds, 58, 59, 61–62.

[31] Dieses Prob­lem wurde am deut­lich­sten in Hanslicks berühmter Abhand­lung Vom Musikalisch-Schö­nen (1854) aus­gear­beit­et; zur wider­sprüch­lichen, sich in den ver­schiede­nen Aus­gaben spiegel­nden Entwick­lung von Hanslicks Ansicht­en siehe Bonds, 141–209.

[32] So gab Sil­ve­stro di Ganas­si (in Opera inti­to­la­ta Fonte­gara) bere­its 1535 Anweisun­gen, wie die Instru­men­tal­musik die Stimme imi­tieren solle. Vgl. Bonds, 59f.

[33] Darum kann die Kat­e­gorie des Erhabenen, von der Kant so bes­timmt sprach, eine sehr bre­ite Palette von Gefühlen her­vor­rufen, vom Entset­zen bis zum Hochge­fühl oder von stiller Kon­tem­pla­tion bis zur eksta­tis­chen Freude. Natür­lich kön­nen diese Gefüh­le mit Mit­teln der Musik aus­ge­drückt wer­den, wenn wir die typ­is­chen Ent­sprechungen der Aus­drucksmit­tel dieser oder jen­er Zustände im Blick haben (das Stil­panora­ma kann hier von „galant“ über „pathetisch“ bis „hero­isch“ reichen). Aber woher kön­nen wir wis­sen, dass diese Zustände von der Idee des Erhabenen inspiri­ert sind? Wahrschein­lich nur kon­textuell; denn jed­er Kon­text führt uns bere­its über die Gren­zen von musikalis­ch­er Bedeu­tung und über Möglichkeit­en der Musik an sich hin­aus.

[34] Vgl. Bonds, 61.

[35] Vgl. Ramos, 84–87.

[36] Die Ähn­lichkeitssym­me­trie, die die Idee der Unverän­der­lichkeit des Muster­mod­ells mit der Idee seines Wachs­tums in größerem Maßstab kom­biniert, verbindet auf dialek­tis­che Weise die Idee der seman­tis­chen und konstruk­tiven Selb­sti­den­tität unter Beibehal­tung struk­tureller Eigen­schaften mit der Idee von dynamis­ch­er Verän­derung. Da die Verän­derung in der stren­gen Ver­sion der Ähn­lichkeitssym­me­trie nicht die Struk­tur des Musters als solche bet­rifft, son­dern nur dessen Maßstab, scheint das Prinzip der Selb­sti­den­tität zu über­wiegen. Runge wen­det diese Art von Sym­me­trie zwar gele­gentlich an, ergänzt sie aber auf natür­liche Weise durch das Prinzip der Vari­a­tion, um den Ein­druck von Mech­a­nis­chem zu ver­mei­den und um mimetis­che Strate­gien zu nutzen. Muzelle (75) zufolge waren Regelmäßigkeit und Sym­me­trie von größter Bedeu­tung für die Konzep­tion der Abstrak­tion, die dieser Malerei eignet, eine Abstrak­tion, die nach Runges Vorstel­lung das reiche alle­gorische Poten­zial sein­er Bilder freiset­zt.

[37] Siehe über Sym­me­trie in Der kleine Mor­gen: Grewe, 230.

[38] Vgl. aber­mals Runge, HS-1, 43.

[39] Cor­du­la Grewe kommt in ihrer Analyse des metapho­rischen Charak­ters von Runges Musikalität zu ähn­lichen Schlussfol­gerun­gen. Sie betont den durch und durch mys­tis­chen und meta­ph­ysis­chen Charak­ter dieser frühroman­tischen Ver­sion der Musikalisierung in der Bild­kun­st. Vgl. Grewe, 230.

[40] Vgl. Jun­od, 39.

[41] Vgl. Grewe, 229.

[42] Siehe z. B.: https://www.hamburger-kunsthalle.de/sammlung-online/philipp-otto-runge/die-nacht-tageszeiten; https://www.hamburger-kunsthalle.de/sammlung-online/philipp-otto-runge/der-morgen-tageszeiten; https://www.hamburger-kunsthalle.de/sammlung-online/philipp-otto-runge/der-tag-tageszeiten; https://www.hamburger-kunsthalle.de/sammlung-online/philipp-otto-runge/der-abend; https://www.meisterdrucke.com/kunstdrucke/Philipp-Otto-Runge/85551/Die-Freude-der-Jagd,-1808–9-(Feder-und-WC-auf-Papier).html; https://ghdi.ghi-dc.org/sub_image.cfm?image_id=2207&language=german; https://www.meisterdrucke.com/kunstdrucke/Philipp-Otto-Runge/57879/Die-Ruhe-auf-der-Flucht-nach-%C3%84gypten,-1805–6.html. (Stand: 06.10.2023).

[43] Die Zahl als Kat­e­gorie, gle­ich ob math­e­ma­tisch oder philosophisch ver­standen, kann nicht ohne isolierte Ele­mente funk­tion­ieren, die dazu dienen, pro­por­tionale Beziehun­gen herzustellen.

[44] Stef­fens, 347.

[45] Siehe z. B. eine spätere, aber sehr anschauliche Beschrei­bung der ästhetis­chen Eigen­schaften der Blume und ihrer Form als Vol­lkom­men­heit bei Lévêque, 35f. Weit­ere Beispiele für die Blume als Mod­ell find­en sich bei Ramos, 169–172.

[46] Runge, HS-1, 176. Der Begriff stammt aus einem Brief vom 31. März 1802 an Friedrich August von Klinkow­ström (Runge, HS-1, 175f): „[…] wenn eine Darstel­lung aus noch so viel­er­ley Gegen­stän­den zusam­menge­set­zt wer­den kann, so ist die eigentliche Total­form doch ein Gewächs.“

[47] Ramos, 181. Ramos ver­weist wiederum auf Böhmes Philoso­phie als Quelle für Runges ähn­liche Ansicht­en.

[48] Runge, HS-1, 17.

[49] Siehe Runges Briefe an seinen Brud­er Daniel vom 9. März und 27. Novem­ber 1802: Runge, HS-1, 7–16, 21. Runges Mei­n­ung ste­ht in beredtem Gegen­satz zu der all­ge­mein akzep­tierten Hier­ar­chie der Gat­tun­gen im frühen neun­zehn­ten Jahrhun­dert, siehe Tarasov, 137.

[50] Vgl. Tarasov, 153.

[51] Siehe auch Décul­tot, 213, 217, 222–223, 227, Таrаsоv, 153, sowie Con­nel­ly, 35.

[52] Vgl. Arfi­ni 126.

[53] Vgl. Arfi­ni, 125.

[54] Vgl. Arfi­ni, 125f. Arfi­ni ver­wen­det den Begriff „See­len Malerei“, mit dem sie Schillers Ter­mi­nus „See­lengemälde“ erset­zt.

[55] Vgl. Kuz­niar, 359f.

[56] Und im Extrem­fall bis zur Besei­t­i­gung und völ­li­gen Selb­stab­sorp­tion der Darstel­lung, wie – dem (post)post­modernen François Morelle fol­gend – in Picas­sos Jungfrauen von Avi­gnon und Delacroix’ Der Tod von Sar­dana­pal.

[57] Runge, HS-1, 40.

[58] Siehe z. B. Grewe, 230f. Wer nicht ganz auf die Gegen­ständlichkeit verzichtet, kann auch zu einem Ergeb­nis gelan­gen, das z. B. Mikalo­jus Čiurlio­n­is erre­icht hat. Runge hätte dafür freilich Musik­er wer­den müssen.

[59] Grewe, 123.

[60] Bekan­ntlich wollte Runge mit Dichtern zusam­me­nar­beit­en, um einen Bild­kom­men­tar zu deren Werken zu schaf­fen. Natür­lich ist diese Sit­u­a­tion umgekehrt zu der hier beschriebe­nen: Nicht das Wort wird benötigt, um die Malerei zu verdeut­lichen, son­dern die Malerei wird benötigt, um das, was in Worten gesagt wird, klar­er darzustellen. Schon der Drang, einen solchen Kom­men­tar zu schaf­fen, ver­weist darauf, dass die seman­tis­chen Möglichkeit­en der bilden­den Kun­st nach Runges Auf­fas­sung gar nicht so begren­zt waren. Allerd­ings war keine sein­er Unternehmun­gen zur Illus­tra­tion von Tex­ten erfol­gre­ich. Siehe z. B. zu Runges Oss­ian-Pro­jekt Ramos, 67–74. Zu den Illustrati­onen von Clemens Brentanos Romanzen vom Rosenkranz und den unter­schiedlichen Mei­n­un­gen der bei­den Kün­stler über das Prinzip der Arabeske siehe Grewe, 129, 131.

[61] Vgl. Lit­tle­johns, 69, 71, 73. Pri­vat zufolge hat­te Runge Stef­fens, „der auch als Vorkämpfer der Erhe­bung von 1813 bekan­nt ist, im Som­mer 1801 in Tha­randt bei Dres­den ken­nen­gel­ernt. Stef­fens hat Runge in seinen Erinne­rungen ‚Was ich erlebte‘ einen län­geren Abschnitt gewid­met, aus dem her­vorge­ht, wie sehr die fre­und­schaftlichen Beziehun­gen zwis­chen Runge und ihm sich im Lauf der Jahre ver­tieft hat­ten. Stef­fens lehrte seit 1804 Naturphilo­sophie, Phys­i­olo­gie und Min­er­alo­gie an der Uni­ver­sität Halle […]“ (Pri­vat, 261). Laut Traeger ([1977] 7) war Stef­fens ein Anhänger Schellings. Stef­fens besuchte Runge kurz vor dessen Tod, von ihm stammt eine Beschrei­bung sein­er Per­sön­lichkeit und sein­er inno­v­a­tiv­en kün­st­lerischen Lösun­gen.

[62] Pri­vat, 133.

[63] Vgl. Brown, 46.

[64] Vgl. Grewe, 126.

[65] In diesem Fall ist das Bild tat­säch­lich in der Lage, das Wort zu erset­zen und zu seinem Äquiv­a­lent zu wer­den, indem es die Bedeu­tung eines bes­timmten Begriffs den Rezipient*innen ver­mit­telt. Jenen muss aber auch in diesem Fall der Begriff im Voraus bekan­nt sein, damit die Erset­zung funk­tion­ieren kann, eben­so wie die Art sein­er Darstel­lung und die Art des Bildes. Im Falle des Wortes, das einen Begriff beze­ich­net, ist die Beziehung zwis­chen dem Sig­nifikat und dem Sig­nifikan­ten inner­halb des Bedeu­tungskerns sta­bil; im Falle des Bildes hinge­gen erfordert diese Sta­bil­ität nicht nur einen bes­timmten kul­turellen und his­torischen Hin­ter­grund, eine Ken­nt­nis der Ikono­gra­phie, son­dern ger­ade bei Runge, dass das alle­gorische Bild aus seinem Kon­text isoliert und sep­a­rat gele­sen wer­den muss. Indem es zu einem voll­w­er­ti­gen Bestandteil des Ver­hält­niss­es ‚Sig­nifikant‘ – ‚Sig­nifikat‘ wird, wird das Bild aus dem Kon­text der Darstel­lung her­aus­ge­drängt und seine rein visuellen Verbindun­gen mit anderen Bildern wer­den geschwächt, wenn nicht gar unter­brochen. Ein Beispiel dafür ist das alle­gorische Bild der Auro­ra (Venus oder Maria) in Der kleine Mor­gen. In Die Tageszeit­en beste­ht die Strate­gie der Bedeu­tungs­gener­ierung im Oszil­lieren zwis­chen „Wort“ und „Gestalt“, was durch die metonymis­che Erset­zung des Namens Jah­we auf der oberen Scheibe des Rah­mens mit dem freimau­rerischen Dreieck („Tag“), Opfer­lamm („Abend“), und ein­er Taube (die Gestalt des Heili­gen Geistes, „Nacht“) sowie auf der unteren Rah­men­scheibe die Erset­zung der Fack­el mit ein­er kre­is­för­mi­gen Schlange, die sich in den Schwanz beißt, mit einem Engel mit Fack­el, einem Kreuz mit Rosen („INRI“) und einem Scheit­er­haufen wieder mit Rosen, jet­zt bren­nend.

Das Wirken von „dem Bild“ in der Funk­tion von „dem Wort“ wird in Runges Herange­hensweise an das Prob­lem der Beziehung zwis­chen dem Rah­men und dem inneren Raum des Gemäldes sehr deut­lich: Der Rah­men fungiert als ver­baler Kom­men­tar zu der wahren, wesentlichen Bedeu­tung, die inner­halb des Bild­feldes dargestellt wird. Nach Brown (52) erre­icht Runge dadurch eine voll­ständi­ge Ver­schmelzung der bei­den schein­bar gegen­sät­zlichen Aus­drucksweisen, der äußeren und der inneren.

[66] Vgl. Grewe, 133.

[67] Beispiel­sweise Runge in einem Brief vom 9. März 1802 an seinen Brud­er Daniel (Runge, HS-1, 11–14). In einem Brief vom 23. März 1802 an densel­ben berichtet er, dass Tieck auf ihm gezeigte neue Zeich­nun­gen in etwa mit den Worten reagierte, dass „der Zusam­men­hang der Math­e­matik, Musik und Far­ben hier sicht­bar in großen Blu­men, Fig­uren und Lin­ien hingeschrieben ste­he.“ (Runge, HS-1, 36).

[68] Siehe Arfi­ni, 126.

[69] Über die Beziehung zwis­chen Musik und Sprache und die allmäh­liche, mit Nico­la Vicenti­no begin­nende Heraus­bildung des Par­a­dig­mas, Musik sei eine Sprache (der Sinne), siehe Bonds, 48–58.

[70] Siehe z. B. diese Repro­duk­tion: https://www.kunstbilder-galerie.de/kunstdrucke/philipp-otto-runge-bild-793107.html (Stand: 06.10.2023).

[71] Runge, HS-1, 223.

[72] Runge nan­nte seinen Zyk­lus sowohl Tageszeit­en als auch Vier Zeit­en (siehe Lit­tle­johns, 56).

[73] Des Öfteren wurde fest­gestellt, dass Böhme nicht nur Runges Ideen, son­dern auch den Stil sein­er Schriften durch die Ikono­gra­phie sein­er Abhand­lun­gen bee­in­flusst hat; siehe Arfi­ni, 46. Erwäh­nenswert ist in diesem Kon­text, dass Böhmes Visio­nen auch auf andere Kün­stler der Roman­tik, wie Carl Gus­tav Carus, große Wirkung ausübte (Arfi­ni, 130). Zum Zusam­men­hang zwis­chen Neu­pla­ton­is­mus, Paracel­sus, Böhmes Werken und der Über­tra­gung der entsprechen­den Ideen in die Sphäre der roman­tis­chen Ästhetik durch lutherische und katholis­che Philosophen wie Friedrich Christoph Oetinger (1702–1782) und Franz Xaver von Baad­er (1765–1841) sowie zum Ein­fluss dieser Ideen auf Novalis und Schelling siehe Arfi­ni, 126, 130.

[74] Brief vom 23. März 1802, Runge, HS-1, 36.

[75] Zitiert nach Lit­tle­johns, 55. Brief Runges an Schilder­er vom März 1806, Runge HS-1, 69.

[76] Siehe Lit­tle­johns, 56.

[77] So nimmt Hil­da Mel­drum Brown (48) in Der kleine Mor­gen inner­halb des Haup­traums ein Gefühl der Aufwärts­bewegung von der unteren Ebene zu immer leichteren Sphären wahr, und dieses „dynamis­che Prinzip“ verbindet die Forscherin mit der gegen­ständlichen Ebene, d. h. mit der Entwick­lung seman­tis­ch­er Kon­no­ta­tio­nen.

Die Kon­no­ta­tio­nen machen eine Entwick­lung durch: von der Fig­ur des Neuge­bore­nen, ein­er sym­bol­is­chen Reprä­sentation Jesu Christi, über die Sonne als Alle­gorie der göt­tlichen Quelle der irdis­chen und himm­lis­chen Exis­tenz bis hin zur Fig­ur des Mor­gens als Hoff­nung (vgl. Brown, 48–50, hier auch zum Ein­fluss von Böhmes Lehre auf die Sym­bo­l­ik der Darstel­lung). Im Übri­gen wäre diese Entwick­lung natür­lich­er mit der „koloris­tis­chen Mod­u­la­tion“ zu verbinden. Zu ein­er anderen Darstel­lungsart des Kindes als Sym­bol der deutschen Erneuerung und zu Otto Dix’ Entlehnung dieses Motivs in seinem Tri­umph des Todes (1934) siehe Tarasov, 6.

[78] Siehe Ramos, 168–171, Grewe, 55, 129ff., Brown, 56, und Con­nel­ly, 35. Die Entste­hung der Arabesken-Ästhetik in der deutschsprachi­gen Tra­di­tion war weit­ge­hend mit Immanuel Kants Idee der pul­chri­tu­do vaga ver­bun­den. Indessen hat Kant den Begriff der Arabeske selb­st in der Kri­tik der Urteil­skraft nicht ver­wen­det (zu einem verbrei­teten dies­bezüglichen Missver­ständ­nis und zum Ein­fluss von Kants Ideen siehe Wil­f­ing, 21, 32, 42, 44).

[79] Runge begann 1802 in Dres­den mit der Arbeit an dem Zyk­lus. Siehe mehr zur Entste­hungs­geschichte bei Arfi­ni, 126f. Laut Brown (46) ähneln die Skizzen und Pläne von Die Tageszeit­en dur­chaus architek­tonis­chen Pro­jek­ten, Runge hat­te – wie beispiel­sweise Karl Friedrich Schinkel – ein Inter­esse an Architek­tur.

[80] Zitate aus einem Brief vom 30. Jan­u­ar 1803 (Runge, HS-1, 33).

[81] Im Gren­z­fall führt ein solch­es Wer­den zu ein­er unkon­trol­lier­baren chao­tis­chen Struk­tur als dem Gegen­teil von Ruhe, Selb­sti­den­tität, Har­monie und Ord­nung. Offen­bar reizte es Runge deshalb nicht als Selb­stzweck. Laut Grewe (128) erin­nert das an Dür­ers Äng­ste vor den dun­klen Abgrün­den der Fan­tasie. Kün­stler der Roman­tik und der Renais­sance teil­ten die Ansicht, die Arabeske treibe Kün­stler und Pub­likum ohne Selb­stkon­trolle in den Wahnsinn.

[82] Vgl. Ramos, 170.

[83] Stef­fens, 347. Die fol­gen­den Zitate des Absatzes ebd.

[84] Runge emp­fand diese Unschärfe als Ziel; in einem Brief vom 26. Juni 1803 schrieb er seinem Brud­er Daniel: „Es kom­men so viele auf­fal­l­ende Zusam­menset­zun­gen darin vor, von Din­gen, davon jedes einzeln auch wieder in einem Zusam­men­hange ste­ht, daß ich so im einzel­nen mich gar niemals darüber erk­lären darf“ (Runge, HS-1, 47).

[85] Vgl. Brown, 45.

[86] Zitiert nach: ebd.

[87] Brief Runges vom 10. Mai 1802 an seinen Vater (Runge, HS-2, 128).

[88] „Das Licht scheinet in die Welt, daß es die Fin­stern­iß durch­dringe, und der Aus­fluß des Licht­es sind die drey Far­ben, welchen von Ewigkeit zu Ewigkeit den Her­rn preisen. Wie sie uns im Beschränk­ten hier erscheinen, als Roth, Blau und Gelb in ihren Bestandtheilen, so verbinden sie sich in ihren ein­fachen Mis­chun­gen als Vio­lett, Grün und Orange […]“ (Runge, HS-1, 100).

[89] Natür­lich kön­nte auch die mit der Gegen­ständlichkeit kor­re­lierende Sym­bo­l­ik der Lokal­far­ben, die als Prinzip in der Antike wurzelt, von Runge berück­sichtigt wor­den sein (so ist z. B. der Gegen­satz zwis­chen der blauen Farbe von Psy­ches Klei­dern und dem schar­lachroten Bett, auf dem eines der Genien in Die Lehrstunde der Nachti­gall schläft, aus­drucksvoll). Die Objek­t­for­men wer­den jedoch nach dem mimetis­chen Prinzip geschaf­fen, d.h. ihre Far­ben sind durch die Wahrnehmung der Eigen­schaften der natu­ra nat­u­ra­ta bed­ingt (Runge hat sich bekan­ntlich für die Lehren Spin­ozas inter­essiert; siehe Brown, 45). Die mys­tisch-religiösen Begriffe hinge­gen sind Kor­re­late der Eigen­schaften der natu­ra nat­u­rans, die sich in den konkreten Din­gen als deren Modi man­i­festieren, deren Unend­lichkeit aber über sie hin­aus­ge­ht und die daher nicht durch die Idee der Objek­tiv­ität, son­dern durch die Idee der Aus­dehnung als solche beze­ich­net wer­den muss. Diese Aus­dehnung ist wichtig­stes Attrib­ut der Sub­stanz und kann durch die Auf­fas­sung der reinen Farbe als Aus­fluss des Lichts beze­ich­net wer­den.

[90] Runge, HS-1, 100.

[91] Vgl. Berefelt, 210f.

[92] Nach Grewe (126) sind Runges vier qua­si hiero­glyphis­che Darstel­lun­gen der Jahreszeit­en in arabesker Form, wie Ernst Förster 1860 berichtete, immer­hin für Kün­stler und Gelehrte, für Dichter und Philosophen ein beständi­ger Ans­porn zur Deu­tung gewe­sen, wiewohl selb­st Goethe und Schelling den Schleier nicht ganz zu lüften ver­mocht hät­ten. Tieck fand sog­ar, dass es leichter sei, ein Buch über diese vier bemerkenswerten Blät­ter zu schreiben, als mit weni­gen Worten etwas Tre­f­fend­es zu sagen.

Die Inter­pre­ta­tion visueller For­men in Runges Kun­st hängt weit­ge­hend von der Begrün­dung ihrer Bedeu­tun­gen in philosophis­chen und lit­er­arischen Quellen ab. Aber es ist Sache der Betrachter*innen zu entschei­den, welche dieser Quellen als „Text“, welche als ref­eren­zieller „Inter­text“ und welche als „Inter­pre­tant“ gilt im Sinne des von Michel Rif­faterre (182) soge­nan­nten „drit­ten Textes“, der die Beziehung zwis­chen Text und Inter­text ver­mit­telt. Michail Iampol­s­ki zufolge funk­tion­iert die Inter­tex­tu­al­ität nicht, und fol­glich ist ein Text kein Text, wenn die Lek­türe nicht von T nach T’ zu I geht. Die Inter­pre­ta­tion des Textes im Lichte des Inter­textes sei eine Funk­tion des Interpre­ten. Diese drei­seit­ige seman­tis­che Ver­tauschung ohne einen klaren seman­tis­chen Dreh­punkt führt nach Iampol­s­ki dazu, dass die endgültige Bedeu­tung im Prozess der Suche nach ihr ver­schoben wird und der Inter­text den Sinn als jene Anstren­gung kon­sti­tu­iert, die mit der Suche nach ihm ver­bun­den ist. Siehe Iampol­s­ki, 43 und 47.

[93] Muzelle (79) zufolge sah Runge in der Arabeske, deren hiero­glyphis­che Dimen­sion ihm nicht ent­gan­gen sei, die bild­ner­ische Aus­drucks­form, die auf die ästhetis­chen Prob­leme der Zeit die angemessen­ste Antwort geben kon­nte. Joseph Gör­res, „der katholis­che Denker und Pub­lizist“, habe Runge für den „Begrün­der ein­er neuen Kun­st“ gehal­ten (Traeger [1977], 7).

[94] Traeger [1977], 77. Oder nach Schelling, 246: „Die Natur ist für uns ein ural­ter Autor, der in Hiero­glyphen geschrieben hat.“

[95] Runge, HS-2, 523.

[96] Stef­fens, 347.

[97] Vgl. Tarasov, 169.

[98] Für die fol­gen­den Bemerkun­gen siehe Ramos, 176.

[99] Runge, HS-2, 264.

[100] Zum Beispiel in Bezug auf Tri­umph des Amor (1801–02, Öl auf Lein­wand. 66,7 x 172,5 cm Ham­burg, Kun­sthalle). Traeger ([1977], 77) weist darauf hin, dass die Alle­gorie nicht, „wie üblich, auf die Ver­an­schaulichung eines allge­meinverbindlichen Begriffs [zielt], son­dern auf eine sub­jek­tive Erfahrung. […] Die Rech­nung aus Inhalt und Form geht nicht auf. Es bleibt ein rät­sel­hafter Rest, den der Betra­chter für sich sel­ber lösen muß. Das Bild erhält damit Eigen­schaften ein­er ‚Hiero­glyphe‘.“

[101] Anzumerken ist, dass in ein­er echt­en Hiero­glyphe die Mime­sis als Prinzip zer­stört ist. Die Hiero­glyphe ist in ihren Umris­sen nicht gle­ichbe­deu­tend mit der Darstel­lung des Phänomens, das sie kodieren soll. Bei Runge hinge­gen erweist sich die Mime­sis als die irre­duz­i­ble seman­tis­che Grund­lage der Hiero­glyphe. Das Bild des Aus­flusses hört nicht auf, als phänom­e­nal wahrgenom­men zu wer­den, was auch immer es sym­bol­isiert. Daher kann der Begriff ‚Hiero­glyphe‘ natür­lich nur ein metapho­risches Kor­re­lat des kün­st­lerischen Bildes sein, eben­so wie das Ver­hält­nis solch­er Hiero­glyphen zum „Text“ qua­si-syn­tak­tisch ist.

[102] Stef­fens, 348: „Der Aus­druck ‚Sym­bol‘, wäre hier ein schwach­er und schiefer; in diesem näm­lich liegt immer Etwas von äußer­er Beziehung zwis­chen Gestalt und Wort; es fällt Keinem ein, die Worte Sym­bole der Gedanken zu nen­nen, und wie das tre­f­fende Wort der rein­ste Aus­druck der Gedanken, so sind in diesen Darstel­lun­gen die Gestal­ten die rein­sten Aus­drücke der Worte.“ Über­legun­gen zum Ver­hält­nis von Sym­bol­is­mus und Alle­gorie bei deutschen Schrift­stellern und Philosophen bei Ramos, 179.

[103] Siehe Stef­fens, 348.

[104] Runge, HS-1, 82 (unter der Über­schrift „Rubriken zu den vier Tageszeit­en“, datiert mit „August 1807“). Der Her­aus­ge­ber der Hinterlassene[n] Schriften, Runges Brud­er Daniel, fügt auf der fol­gen­den Seite eine ansehn­liche Anzahl von Vari­anten dieser Rubrizierun­gen an, gegrün­det auf abwe­ichende For­mulierun­gen in weit­eren Abschrif­ten sowie auf „ander­weit­ige Aeußerun­gen des Verf.“; siehe Runge, HS-1, 83.

[105] Muzelle, 84.

[106] Runge, HS-1, 33.

[107] Siehe Ramos, 172.

[108] Brief vom 16. Jan­u­ar 1803 an seinen Brud­er Daniel (Runge, HS-2, 195).

[109] Bekan­ntlich hat die auf dem Zeich­nen basierte chi­ne­sis­che Schrift als Hauptze­ichen für das Erler­nen der Kalli­graphie das Zeichen „yǒng“ („Ewigkeit“). Die acht Regeln der Ewigkeit zu üben, bedeutet, die Grund­la­gen der Kalligrafie zu erler­nen. Nach­dem Pin­sel, Tinte und Papi­er um das erste Jahrhun­dert v. Chr. und dann im ersten Jahrhun­dert n. Chr. per­fek­tion­iert wor­den waren, wur­den jene Striche ange­ord­net, mit denen man ein Zeichen set­zen kon­nte. Die Vielfalt der Striche wurde von Cui Yuan (78–143) sys­tem­a­tisiert, er entwick­elte acht kanon­is­che For­men von Strichen, die das Zeichen „yǒng“ bilden. Runge nahm eine etwas andere Art von Zeichen in den Blick, bei denen der bild­hafte Charak­ter noch stärk­er aus­geprägt ist: die ägyp­tis­che Kun­st. Siehe Runge, HS-1, 4.

[110] Vgl. Runge, HS-1, 41.

[111] Vgl. Runges Brief an Tieck (undatiert, wohl geschrieben im April 1803). Runge, HS-1, 41.

[112] Siehe Ramos, 173.

[113] Zu dieser Zeich­nung siehe Ramos, 174. Neben­bei bemerkt, ist Böhmes Bildsym­bo­l­ik sehr eng mit der realen Welt ver­bun­den und weit von der ulti­ma­tiv­en Abstrak­tion ent­fer­nt.

[114] Vgl. wieder Runges Brief an Tieck (undatiert, wohl geschrieben im April 1803). Runge, HS-1, 41. Siehe auch Ramos, 173.

[115] Dazu auch Runge, HS-2, 182–183.

[116] Runge, HS-1, 33.

[117] Runge hat­te bekan­ntlich für Die Tageszeit­en einen beson­deren Plan. Nach Lit­tle­johns (56) habe er sie let­ztlich zu far­bigen Gemälden für die Ver­wen­dung als Wand­malereien oder Architek­tur­deko­ra­tio­nen ausar­beit­en und sie sog­ar zur Grund­lage ein­er Art von Gesamtkunst­werk machen wollen. Der Kün­stler schrieb: „Es wird eine abstrak­te malerisch-phan­tastis­che musikalis­che Dich­tung mit Chören, eine Kom­po­si­tion für alle drei Kün­ste zusam­men, wofür die Baukun­st ein eigenes Gebäude auf­führen sollte“ (Runge, HS-2, 202). Zu den Kor­re­la­tio­nen von Runges Ideen mit der Idee des Gesamtkunst­werks siehe Braun, 9, 44, 46, 53, 58, sowie Grewe, 121.

[118] Grewe (230) hielt die Analo­gie zwis­chen kün­st­lerisch­er Gestal­tung und sym­phonis­ch­er Kom­po­si­tion für immer noch im Wesentlichen metapho­risch. Bild­kun­st werde nicht der Musik nachemp­fun­den, son­dern ein bes­timmtes musikalis­ches For­mat (in diesem Fall die Sym­phonie) werde mit ein­er Anzahl von Emo­tio­nen, einem Gefühl von Erhaben­heit, Feier­lichkeit und uni­verseller Har­monie zwis­chen Natur und Uni­ver­sum in Verbindung gebracht. Dies gelte wiederum für die Kun­st im Sinne absoluter Musik generell.

[119] Die metaver­bale Verbindung beruht auf dem Wech­sel von einem Bild (als bedeu­tungss­tif­ten­dem Ele­ment) zu einem anderen (kleine Genien, die den „Mor­gen­stern“ – Venus – hal­ten, sich umar­men und tanzen; Rosen, die blühen, ver­welken, deren Blät­ter sich kräuseln etc.) und auf dem Ver­balen, indem jede Tageszeit angegeben ist und ver­bale Kom­po­nen­ten in die Bildebene ein­be­zo­gen sind (bei Mor­gen ist dies der hebräis­che Name Jah­wes, umgeben von hell leuch­t­en­dem Schein und Engel­sköpfen; bei Abend ist es ein Kreuz mit der Inschrift „INRI“, was einen „Reim“ auf das Opfer­lamm im oberen Teil des Bil­drah­mens ergibt). Lit­tle­johns (64) sieht in den Tageszeit­en auch eine Verkör­pe­rung der Idee des Leben­szyk­lus.

[120] Zu Runges Far­bauf­fas­sung, auch im Ver­gle­ich mit der Goethes und New­tons, siehe Brown, 181–199.

[121] Stef­fens (349) hat­te Runges Der kleine Mor­gen in diesem Sinne inter­pretiert, doch lässt sich seine Auf­fas­sung auf andere Bilder von Runge über­tra­gen.

Goethe schrieb: „Ganz neulich hat Philipp Otto Runge […] die Abstu­fun­gen der Far­ben und ihre Abschat­terun­gen gegen Hell und Dunkel auf ein­er Kugel dargestellt, und wie wir glauben, diese Art von Bemühun­gen völ­lig abge­schlossen.“ Zitiert nach Brown, 53. Zu den Begrif­f­en Har­monie, Dishar­monie und Monot­o­nie siehe Ramos, 183.

[122] Siehe Ramos, 183.

[123] Zitiert nach Arfi­ni, 125. Brown (53) zufolge sah New­tons The­o­rie sieben Grund­far­ben vor, Runges The­o­rie nur drei (Gelb, Rot und Blau, die er als Dreifaltigkeit beze­ich­net habe), Goethes aber nur zwei. Nach Ramos (183) iden­ti­fizierte Runge Weiß mit „oben“ und Schwarz mit „unten“, als Sym­bole für die Pole von Licht und Dunkel­heit.

Runge errech­nete ger­adezu math­e­ma­tisch ein Farbtonge­füge, in welchem sämtliche Para­me­ter der zusammen­wirkenden Far­ben in Hel­ligkeit, Leuchtkraft, Farbton aus­geglichen sind (siehe im Detail Runges Zehn-Stufen-Schema, erläutert in einem Brief vom 9. März 1802 an seinen Brud­er Daniel: Runge, HS-1, 13–14).

[124] Stef­fens, 340. Runge seien die Far­bkonzepte von Dür­er und Leonar­do wohlbekan­nt gewe­sen (ebd., 341), und auch mit Goethe habe er über Farbe kor­re­spondiert. Stef­fens stellt fest, dass Runges Far­ben­lehre wertvoll ist und es auch in Zukun­ft bleiben werde, unab­hängig davon, wie sich die Ansicht­en über die Natur des Phänomens änderten (ebd., 342). Dabei ver­liert Stef­fens auch den prak­tis­chen Aspekt von Runges Suche nach ein­er Farben­lehre nicht aus den Augen. Siehe ebd., 340.

Zu Runges Ver­such, eine Entsprechung zwis­chen realem, hör­barem Klang und sicht­bar­er Farbe zu find­en, siehe Ramos, 185–192. „Ist nicht die Ton­leit­er in der Musik das, was die Abstu­fung der Far­ben in Weiß und Schwarz?“, fragte der Kün­stler (Runge HS-1, 168). „Die Analo­gie des Sehens […] mit der Grun­der­schei­n­ung des Gehörs, führt auf sehr schöne Resul­tate für eine zukün­ftige Vere­ini­gung der Musik und Malerey, oder der Töne und Far­ben […]“ (Runge, HS-2, 388). Runge stimmte darin mit anderen Denkern sein­er Zeit übere­in. So stellte Carl Lud­wig Fer­now fest (Über Land­schafts­malerei, 1803): „Die Far­ben­har­monie erzeugt eine ähn­liche Wirkung wie die musikalis­che Har­monie auf das See­lenge­fühl“ (zitiert nach Arfi­ni, 125).

[125] Weit­ere Einzel­heit­en dazu bei Brown, 58. Siehe Runge, HS-2, 516.

  • 31. Dezember 20233. Januar 2025
Perspektiven ästhetischer Wahrnehmung in Unterricht und Forschung
Tänze für Klavier zwischen Virtuosität und Nostalgie. Zu den Beiträgen vier japanischer Komponisten zum Petrushka Project (2012)[1]
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