Tänze für Klavier zwischen Virtuosität und Nostalgie. Zu den Beiträgen vier japanischer Komponisten zum Petrushka Project (2012)[1]
Dieser Aufsatz zeichnet schlaglichtartig nach, auf welchem Stand sich das Komponieren in Japan vor gut einem Jahrzehnt befand. Ausgewählt wurden für diese Nachzeichnung kompositorische Beiträge zu einem Projekt aus dem Jahr 2012, an dem sich vier zwischen 1929 und 1965 geborene japanische Komponisten beteiligten. Sie gehören mehreren Generationen an und sie wurden geprägt durch Musikkulturen an unterschiedlichen Studienorten auch außerhalb ihres Heimatlandes, Städten in den Vereinigten Staaten, in Deutschland und in Frankreich. Das Projekt, zu dem die vier Komponisten je ein Werk beisteuerten, hatte ein Genre zum Thema (Tanzsätze für Klavier solo) und mit ihm war ein klavierpädagogischer Zweck verbunden, sodass über den gemeinsamen Zeitpunkt ihrer Einsendung hinaus eine gewisse Vergleichbarkeit der kompositorischen Beiträge gegeben ist. Durch den Bezug auf ihren Widmungsträger zeigen die Werke der vier japanischen Komponisten zugleich Verhaltensweisen zu europäischen Traditionen der klingenden Hommage, die sie auf je eigene Weise fortschreiben.
Der 2012 im Schott-Verlag erschienene Sammelband Dances of Our Time bildet den Angelpunkt des Projekts. Der Band enthält Stücke für Klavier solo und entstand anlässlich des 70. Geburtstags von Dr. Peter Hanser-Strecker (* 1942), dem Geschäftsführer des Verlags. Zu dem Sammelband trugen 75 Komponisten (darunter sechs Komponistinnen) bei.[2] Unter den Tänzen sind zahlreiche Walzer, je ein Ländler, Zwiefacher, Charleston, Geschwindtanz etc.; auch Stücke, die keinen Namen eines Tanzes im Titel führen, haben doch zumeist einen betont rhythmischen Charakter, und da es allesamt kürzere Kompositionen sind, hätten sie, wie wirkliche Tänze, für ein Album amicorum gepasst.[3] Als Geburtstagsgeschenk, quasi als klingende Festschrift, sollte der Band den Jubilar erfreuen und ehren, doch eigne er sich auch für pädagogische Zwecke, wie es in der Verlagsannonce heißt: „Klavierschülern ab dem dritten Unterrichtsjahr“ biete er ein „interessantes Repertoire“[4], auch ambitionierten Laien wird er empfohlen. Die Publikation des Sammelbandes war Teil des umfassenderen multimedialen sogenannten Petrushka Project, zu dem die Uraufführungen von bislang 70 dieser Dances of Our Time in Live-Konzerten ebenso gehörten wie die Bereitstellung der Dances in Mitschnitten auf YouTube, diesmal unter dem leicht modifizierten Titel ProjectPetrushka.[5] Zu der vom YouTube-Kanal des Projekts angekündigten künftigen Fortsetzung scheint es nicht gekommen zu sein.
Dass dem Projekt mit Pétrouchka gerade eines von Igor Strawinskys nicht bei Schott verlegten Stücken seinen Namen lieh, mag seinen Grund darin haben, dass seine aus dem Ballett hervorgegangenen, aber ebenfalls nicht bei Schott verlegten Trois mouvements de Pétrouchka zu den beliebtesten (und virtuosesten) Klavierkompositionen des 20. Jahrhunderts gehören.[6] Natürlich passt für eine Sammlung von Tänzen der Titel eines Balletts, bei einer Person zugeeigneten Stücken zumal ein Titel mit der Assoziation von Pierrot und von dem Weißclown mit der schwarzen Träne auf der weißen Wange. Ein wenig erinnert dessen Aussehen an die weißen Masken des Nō-Theaters. Mit Hanser-Strecker verbindet sich die Internationalisierung eines europäischen Musikverlags gen Ostastasien. Bereits Ende der 1970er Jahre gründete der Schott-Verlag eine japanische Tochtergesellschaft und ab dieser Zeit wurde er für viele japanische Komponisten zum Stammverlag, beispielsweise für Tōru Takemitsu (1930–1996). Japanische Beiträge zu dem Sammelband Dances of Our Time kamen von Joji Yuasa, Toshi Ichiyanagi, Toshio Hosokawa und Atsuhiko Gondai. Ihre Beiträge werfen Schlaglichter auf die neuere Geschichte des Komponierens in Japan, zugleich reflektieren sie in je unterschiedlicher Weise europäische Musiktraditionen.
Musikalische Gattungen werden gewöhnlich als Typen musikalischer Kompositionen definiert, die an bestimmte Zwecke, Verwendungsweisen, Texte oder Aufführungspraktiken geknüpft sind.[7] Das, soweit bekannt, erste Klavierstück, das jemals von einem japanischen Komponisten in der Gattung des Tanzes komponiert wurde, entstand am Ende der Meiji-Zeit, es war ein Menuett, geschrieben von Rentarō Taki (1879–1903) im Oktober 1900,[8] also noch bevor er nach Europa kam, um am Leipziger Konservatorium zu studieren. Formal und harmonisch verbleibt das Menuett im Rahmen des Üblichen, wenngleich das Ansetzen auf der I. Stufe in den kontrastierenden Mittelteilen sowohl des Menuetts als auch seines Trios etwas ungelenk erscheint. Takis Umgang mit diesem damals längst altmodisch gewordenen Tanz ist gekennzeichnet durch Anklänge an Johann Sebastian Bachs Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach, daneben tauchen aber modernere chromatische Melodie-Schlenker auf. In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, wie die musikalische Gattung ‚Tanz als Klaviersolostück‘ heute, über hundert Jahre nach Takis Menuett, von zeitgenössischen Komponisten aus Japan realisiert wird. Wenn eine Gattung sich durch einen bestimmten Zweck definiert, so ist der Zweck der Petrushka Project-Kompositionen zunächst die Begleitung des (nur noch imaginierten) Tanzens. Die zusätzlichen Zwecke dieser Kompositionen – ihre musikpädagogische Brauchbarkeit, die Erneuerung des Repertoires mit kurzen Vortragsstücken für ein bestimmtes Instrument und ganz allgemein die klingende Hommage – konstituierten eher keine musikalischen Gattungen. Daher impliziert die Beschäftigung mit einem Tanz als Gattung zunächst den analytischen Fokus auf Bewegungsarten, insbesondere auf Rhythmen, Taktarten und Tempi. Um die klavierpädagogische Brauchbarkeit jener Tänze zu ermitteln, die die vier genannten japanischen Komponisten zu dem Sammelband beisteuerten, wird der analytische Fokus erweitert und es werden außerdem die Aspekte Form, Tonmaterial und Harmonik, Satztypen, Spielfiguren, Dynamik und die Dramaturgie der Pausen bedacht. Leitende Fragen sind dabei: Welche Ziele können Klavierschüler*innen mit den Stücken erreichen? Eignet sich das jeweilige Stück eher zum Erlernen von Spieltechnischem, von manueller Geschicklichkeit und Wendigkeit? Soll es Klavierspieler*innen vielmehr (oder außerdem) mit regionalen Eigenheiten oder mit einer bestimmten Interpretationskultur vertraut machen? Die vier Stücke werden nacheinander besprochen, und zwar in chronologischer Reihenfolge nach dem Alter der Komponisten. Jeder Einzeluntersuchung ist ein Kurzportrait des Komponisten vorangestellt.
Walzer from the Ballet „Circus Variation” von Joji Yuasa (* 1929)[9]
Joji Yuasa erlernte das Komponieren autodidaktisch. Nachdem er 1952 Mitglied der wenige Jahre zuvor gegründeten avantgardistischen Künstlergruppe Jikken Kōbō[10] geworden war, begann seine Laufbahn als Musiker, heute ist er einer der bekanntesten japanischen Komponisten. Für Klavier schrieb Yuasa etliche Stücke; unter ihnen seien besonders Cosmos Haptic (1957) und Cosmos Haptic II – Transfiguration (1986) erwähnt, denn der Komponist äußerte sich in deren Kontext zu dem geistigen Hintergrund seines Komponierens. Die mit diesen Stücken eröffnete und für sein musikalisches Denken besonders aufschlussreiche, mit Cosmos Haptic betitelte Serie bezieht auch andere Instrumente als das Klavier ein; so ist Cosmos Haptic III (1990) für zwanzigsaitige Koto und Shakuhachi, Cosmos Haptic IV (1997) für Violoncello und Klavier und Cosmos Haptic V (2002) für Orchester geschrieben. In einem 2008 geführten Interview[11] sagte Yuasa, er habe mit der Cosmos Haptic-Serie die Wechselwirkungen von Zeit und Raum sowie Kontinuität und Diskontinuität kompositorisch darstellen wollen, wobei es im Wesentlichen um Zen gehe. Dass Yuasa, wie angeführt, bisweilen auch für japanische Musikinstrumente schrieb, ist ein offenliegendes Indiz dafür, dass ostasiatisches Musikmachen und -denken in die Werkreihe Cosmos Haptic einging. Yuasa verbindet dieses Denken außerdem mit Elementen aus der Geisteswelt von André Jolivet (1905–1974), insbesondere deren Ausprägung in Jolivets Zyklus Mana (1935) für Klavier solo. Ist der Zyklus insgesamt mit dem polynesischen Wort für eine übernatürliche Kraft in Menschen, Tieren und Dingen betitelt, so heißen zwei der sechs kurzen Sätze von Mana nach Tieren (Nr. 4 = La Chèvre, Nr. 5 = La Vache); der dritte, La Princesse de Bali, überträgt die Imago fernöstlicher Klangwelten mit sehr tiefen perkussiven Clustern aufs Klavier, auch die rhythmische Fasson dieses Satzes entfernt sich weit von mitteleuropäischer musikalischer Syntax. Yuasa spricht in einem Interview zwei Typen seiner kompositorischen Erprobungen an: erstens auf philosophischen Vorstellungen basierende narrative Musik wie in der Cosmos Haptic-Serie und zweitens gewissermaßen abstrakte Musik, die mit der puren Bewegung und Beweglichkeit der Töne spiele – ihrer Geschwindigkeit, ihrer Energie oder ihrem Ort im Tonraum. Anders als Richard Wagner, für den absolute Musik im besten Fall eine von außermusikalischen Bedeutungen losgelöste Apotheose des Tanzes war, konnotiert Yuasa seine von Bedeutungen abgezogene abstrakte Musik nicht negativ. Wiewohl er kein bestimmtes eigenes Musikstück nannte, das die Bewegung und Beweglichkeit der Töne zum Gegenstand hat, darf ein Stück wie On the keyboard (1972) vermutlich als ein Beispiel gelten. Es ist mit zahllosen Trillern, Tonrepetitionen, rasanten Tonläufen und großen Tonsprüngen ausgestattet, und auch die Ballettmusik Circus Variation, der Yuasa seinen Beitrag zum Petrushka Project entnahm, kann dieser Kategorie zugerechnet werden. Sie entstand 1954, als Yuasa noch Mitglied von Jikken Kōbō war und an avantgardistischer japanischer Musik laborierte. In diesem Jahr hatte er auch die Zwölftontechnik kennengelernt und komponierte insgesamt eher atonal. Die Ballettmusik Circus Variation war jedoch ein Auftragswerk für eine Kinder-Tanzgruppe namens Tachibana Balletttruppe, was vermutlich seine leichtere Verständlichkeit erklärt. Das Stück greift stilistisch auf Musiksorten zurück, die Yuasa noch vor seinen avantgardistischen Experimenten stark geprägt hatten, darunter Musik von Komponisten, die Yuasa vor allem mit ihren Ballettmusiken beeindruckt haben dürften, so Sergej Prokofjew, die Mitglieder der Les Six, jener Komponistengruppe, zu der z.B. Francis Poulenc und Darius Milhaud gehört hatten, sowie Aaron Copland, Leonard Bernstein und andere amerikanische Komponisten, deren Musik nach dem Kriegsende nach Japan gelangt war.[12]
Der Ballettmusik Circus Variation entnahm Yuasa für das Petrushka Project einen Walzer. Dieser ist einfach gebaut: Er gliedert sich in fünf Teile, die mit Doppelstrichen voneinander abgegrenzt sind und in drei verschiedenen Tonarten stehen. Den Teilen 1–3 in Es-Dur folgt ein vierter Teil in As-Dur, und nach einer viertaktigen Überleitung (T. 89–92) schließt sich ein fünfter Teil in E-Dur als Coda an.[13] Die Teile 1–3 bestehen aus jeweils 16-taktigen Abschnitten (1. Teil = 16 Takte + 16 Takte, 2. Teil = 16 Takte, 3. Teil = 16 Takte), Teil 4 aus 24 Takten, und der auf die Überleitung folgende Schlussteil umfasst 29 Takte. Es gibt keine Taktwechsel, auch das Tempo bleibt konstant, mit Ausnahme zweier kürzerer Ritardandi (poco rit., Takt 40, und ritardando, Takt 91–92). Die Dynamik bewegt sich zwischen mp und fff in den fünf Schlusstakten, dem Höhepunkt des Stücks.
Auch intern sind die Abschnitte einfach und nach bekannten formalen Mustern gestaltet: Die Teile 1–3 bilden eine dreiteilige Liedform mit kontrastierendem Mittelteil (Teil 2). Die Reprise ist auf die Hälfte verkürzt (Teil 3), sie stellt eine fast exakte Wiederholung des zweiten Abschnitts von Teil 1 dar. Der einzige Unterschied findet sich in den beiden Schlusstakten am Ende des Reprisenteils (Teil 3, T. 63–64), wo die dem Tonika-Dreiklang Es-Dur zuvor wie ein extrasüßes Gewürz beigegebene große Septime entfällt.
Charakteristisch für die Teile 1–3 ist die Punktierung auf der ersten Zählzeit, anfangs als punktierte Pause realisiert (siehe Notenbeispiel 1). Dieses rhythmische Pattern, das in den Teilen 1 und 3 in einer hohen Mittelstimme auftritt, verleiht der Musik Schwung. In dem kontrastierenden Mittelteil (Teil 2) wird der punktierte Rhythmus metrisch anders gelagert und vervielfältigt, der Charakter dieses Teils wird damit beweglicher und leichter, worauf auch die Anweisung leggiero hinweist (siehe Notenbeispiel 2).
In Teil 4 kommen solche Punktierungen praktisch nicht mehr vor. Vorherrschend ist hier ein aus betonter Viertel- plus Achtelnote zusammengesetzter Rhythmus der (oft vorhaltsartig harmonisierten) Melodie. En passant trat dieser Rhythmus bereits in den Teilen 1 und 3 auf, beispielsweise in den Takten 21 und 23 (siehe Notenbeispiele 3 und 4).
Teil 4 ist wieder intern als dreiteilige Liedform mit kontrastierendem Mittelteil gebaut, nur diesmal kleiner dimensioniert: Der A-Teil, der Kontrastteil B und der Reprisenteil A’ umfassen jetzt je acht Takte (A = 65–72; B = 73–80, A’ = 81–88). Im Kontrastteil tauchen in der rechten Hand walzertypische Hemiolen auf. Für die linke Hand komponierte Yuasa hier ein anderes Metrum, nämlich den duolisch geteilten 6/16-Takt (Takt 73–75, siehe Notenbeispiel 5). Die Polymetrik bleibt dezent, denn sie realisiert sich nur über die Figuration taktweise gleichbleibender, also weiterhin im 3/8-Takt wechselnder Harmonien. Die duolische Unterteilung des Kontrastteils wird in die Reprise (A’, Takt 81–86) integriert.
Im fünften Teil, der Coda, für deren Rhythmik Hervorhebungen der zweiten Zählzeit charakteristisch sind (etwa bei den Akzenten in Takt 96–99), wird die früher installierte Folge von Viertelnote plus Achtelnote vertauscht. Dass die Melodie in der rechten Hand hier fast immer akkordisch aufgefüllt ist, ergibt einen brillanten und dichten Klang (siehe Notenbeispiel 6).
Yuasas Walzer weckt deutliche Assoziationen zu Strauss-Walzern. Die linke Hand spielt konsequent nur die harmonische Begleitung, von der die akkordisch aufgefüllte Melodie der rechten Hand stets getrennt bleibt. Walzertypisch ist auch die harmonische Basis des Stücks, sie beschränkt sich lange auf die Tonika und die Dominante. Es gibt die üblichen Tanzbässe: zunächst den Wechsel zwischen es und B im Bass (siehe Notenbeispiel 1), dann zwischen f und B. Aber Yuasa versieht die Harmonien auf eine für Les Six charakteristische Weise mit Zusatztönen, sodass sie meistens aus Vierklängen bestehen. Dem Tonika-Dreiklang Es-Dur ist fast durchgehend die siebte Tonleiterstufe d hinzugefügt (also ein Ton der Dominante), manchmal außerdem die sechste Tonleiterstufe c (wie in Takt 2; vgl. nochmals Notenbeispiel 1). Und zur Dominante B-Dur ist durchgehend der Tonika-Grundton es beibehalten, sodass in der Akkordfüllung der linken Hand trotz der Harmoniewechsel die Töne d und es bis Takt 15 als ein dissonantes harmonisches Band weitertönen (siehe Notenbeispiel 7).
Auch die für Zwischendominanten, Variantklänge oder alterierte Töne eingesetzten Chromatismen wie beispielsweise im zweiten Abschnitt von Teil 1 bleiben im Rahmen des Üblichen. Im fünften Teil (T. 105–113) sorgt eine taktweise von der ersten zur fünften Tonleiterstufe ansteigende chromatische Skala der linken Hand für wachsende musikalische Aufregung und bereitet die brillanten Schlussakkorde vor (siehe deren Beginn in Notenbeispiel 6).
In einem Punkt geht Yuasa indes über die (leicht französisch gewürzte) Standardharmonik von Wiener Walzern hinaus: mit der harmonischen Basis der Coda, dem um einen Halbton gelifteten anfänglichen Grundton. Die Coda-Tonart E-Dur wirkt wie eine feurige oder gleißend hell angestrahlte neue Tonika.
Das Stück ist geeignet, um im Klavierunterricht mit einer Mischform zwischen dem Wiener Walzer und der Harmonik neuerer französischer Musik vertraut zu machen. Gerade im Klavierunterricht für Kinder dürfte es verwendbar sein, zumal Yuasa das Stück ursprünglich für eine Kinderballetttruppe komponiert hatte. Für kleinere Hände stellen die Tonläufe der Mittelstimme bei gehaltenen Tönen der rechten Hand sowie die Oktavenfolgen allerdings eine grifftechnische Schwierigkeit dar.
Waltz Solemnity von Toshi Ichiyanagi (1933–2022)[14]
Toshi Ichiyanagi hatte Kompositionsunterricht bei Kishio Hirao (1907–1953) und Tomojiro Ikenouchi (1906–1991), die beide in Frankreich studiert hatten. Er war auch Pianist. Da Ichiyanagi noch ein Studium an der Juilliard School anhängte, war ihm (über seine ersten Lehrer) nicht nur die französische, sondern auch die amerikanische zeitgenössische Musik bekannt. Ichiyanagis Kompositionen verknüpfen Elemente westlicher Musiktraditionen und deutlich auch der japanischen Tradition miteinander, wie oftmals festgestellt wurde. So schreibt Maiko Sasaki:
Japanese influences can especially be observed in his works. […] Ichiyanagi’s history makes him uniquely capable of fusing Eastern and Western music because of his vast knowledge and experience in both cultures. The fusion is achieved not simply because he is Japanese, but it is linked with his philosophy, which evolved through his experiences over the course of his musical career.[15]
Anfang der 1960er Jahre versetzte die Musik von John Cage der japanischen Musikwelt einen Schock.[16] In der Art, wie Cage sich auf asiatische Denktraditionen bezog, sah man ein Missverständnis, doch hatte Cage zugleich sehr effektiv das Streben nach einer Assimilation europäischen Musikdenkens entwertet. Ichiyanagi gehörte aber zu jenen Komponisten, die von Cage fasziniert waren. In New York besuchte er dessen Kurse, er begann über die Grundlagen von Musik nachzudenken und darüber, worin der Unterschied zwischen Musik aus Ost und West bestehe. Sasaki berichtet, dass Ichiyanagi in einem telefonisch mit ihm geführten Interview geäußert habe,
[…] that the concepts of time and space became fundamentals of his compositions. He developed a unique perception of the concepts of time and space as well as other philosophies.[17]
Der feierliche Walzer, den Ichiyanagi für das Petrushka Project komponierte, ist ziemlich kurz. Er umfasst 21 Takte. Das zweitaktige Anfangsmotiv, eine ausdrucksvolle Melodie mit akkordischer Begleitung, taucht nach gut der Hälfte der Takte wieder auf (T. 13 und 14). Die Stelle klingt wie eine (ausgeschmückte) Reprise. Vorbereitet wird sie von einer deutlichen gestischen Zäsur: In Takt 12 werden den Akkorden beider Hände Fermaten hinzugefügt, sodass sie wie ein offener Schluss des ersten Teils wirken (siehe Notenbeispiel 8).[18]
Der 3/4-Takt des Walzers wird bis zum Ende des Stücks beibehalten, es gibt jetzt eine Charakterbezeichnung (espressivo) und – zum feierlichen Anlass passend – eine eher langsame Metronomzahl (♩=56). Sequenziert und etwas abgewandelt wird das zweitaktige Anfangsmotiv in Takt 3–4 wiederholt: Die Melodietöne e’–h’–(e’–)d’’–c’’ sind mit den Tönen a’–e’’–g’’–f’’ jetzt eine Quarte aufwärts transponiert (siehe Notenbeispiel 9).
In der Reprise wird das zweitaktige Motiv nach seiner Wiederkehr in Takt 13–14 diesmal melodisch praktisch unverändert transponiert, jetzt um einen Ganzton aufwärts und keine Quarte (T. 15–16, siehe Notenbeispiel 10). Diesmal wird auch die Harmonie mittransponiert, nur ist beim zweiten Akkord der linken Hand in Takt 15 mit dem g zusätzlich der Basston oktaviert, und beim ersten Akkord von Takt 16 wird in der linken Hand der obere Ton eine Oktave nach unten versetzt, sodass statt der genauen Transposition fis–cis das Komplementärintervall Fis-cis erklingt.
Die höchste dynamische Angabe ist ff in Takt 10, wo der Höhepunkt des insgesamt relativ leisen und ruhigen Stück liegen dürfte. Allerdings wird er dynamisch nicht vorbereitet, denn das fortissimo tritt plötzlich ein („sub. ff“). Die folgenden Tongirlanden lösen die entstandene Spannung (siehe Notenbeispiel 11).
Ichiyanagis Walzer besteht weithin aus tonalen Harmonien, die indes eher nicht tonal verknüpft sind. Umkehrungen sorgen für Instabilität und einen schwebenden Charakter. Das Stück beginnt mit einem E-Dur-Dreiklang, jedoch mit der Quinte als Basston. Beziehungen von Halbtönen und Tritoni zwischen Grundtönen simultan gespielter Dreiklänge herrschen vor. So ist der nächste Akkord ein Gemisch aus neapolitanisch-subdominantischem F-Dur und dominantischem H-Dur (oder ein F-Dur-Septakkord plus übermäßige Quarte bzw. akustische 11). Notiert wurde er als dominantischer Akkord mit übermäßiger Sexte F–dis’. Der zweite Takt beginnt mit dem E-Dur-Dreiklang von Takt 1, dem diesmal ein Dominantseptnonenakkord von Cis-Dur plus c’’ als fremdem Ton folgt. Takt 3 basiert auf einem Gemisch von Es-Dur und A-Dur (der Akkord ist eine Transposition des zweiten Akkords von Takt 1). Der Akkord von Takt 4 ist eine Transposition des zweiten Akkordes von Takt 2, also ein Dominantseptnonenakkord, jetzt eine Quarte aufwärts transponiert mit fis als Grundton. In Takt 5 ist eine reale Mixtur aus zwei Oktavgängen im Abstand einer Dezime zu spielen (siehe Notenbeispiel 12). Die Oktave ist für die rechte Hand mit einer großen Terz und für die linke Hand mit einer reinen Quarte gefüllt. (Eine Auffassung als umgekehrte Terzschichtung mit enharmonischer Verwechslung – beispielsweise als f-as-c-e beim ersten Zusammenklang von Takt 5 – widerspräche der Textur.)
Die Tongirlanden des Stücks (siehe Notenbeispiele 11 und 13) sind aus symmetrischen Skalen gebildet: die beiden Girlanden in den Takten 6 und 7 aus der (nicht oktavidentischen) Folge 2–3 (gezählt in Halbtönen), nämlich d–e–g–a–c–d–f in Takt 6 und – einen Tritonus aufwärts transponiert – as–b–des–es–ges–as–h in Takt 7 (das ergibt für die Sextolentöne eine pentatonische Skala).
Die Septolen in Takt 13 und 15 (siehe Notenbeispiele 8 und 10) bestehen aus der (wieder nicht oktavidentischen) Intervallfolge 1–1-3, beim zweiten Mal einen Ganzton höher gesetzt als beim ersten Mal. Die Ratio der Nonolen-Girlande in Takt 11 (siehe Notenbeispiel 11) ist unklar. Abwärts in Halbtönen gezählt ergeben sich die Intervallschritte 7–4-2–5-3–1. Den Akkord auf dem Höhepunkt (T. 10, siehe NB 11) könnte man als Terzschichtung über H lesen: h–dis–(fis)–a–c–e, hier in der ersten Umkehrung und ohne die Quinte fis. Die folgenden Akkorde sind (teils leicht veränderte) Transpositionen des früher Erklungenen (siehe Notenbeispiele 9 und 10). Der Schlussakkord ist mit dem Akkord von Takt 3 identisch, nur wird ihm zum Ausklang noch der tiefe Ton D1 hinzugefügt, als sei er für dieses Es-A-Gemisch eine Art Grundton (Es wäre demnach subdominantisch bzw. neapolitanisch; A wäre dominantisch).
Schon der fünftönige alterierte Akkord im ersten Takt lässt spätromantische tonale Musik erwarten; das Stück nutzt Tonalität für Nostalgie, die Erinnerung an eine Zeit von Walzer tanzenden Rosenkavalieren. Sobald aber die pentatonischen Sextolen auftauchen (T. 6 und 7), assoziiert man traditionelle japanische Musik. Und so klingen in dem kurzen Stück verschiedene westliche und östliche Tonmaterialien ineinander.
Klavierschüler und -schülerinnen lernen mit diesem Walzer das Miteinander verschiedener musikalischer Sphären kennen. Die Akkordtypen und -folgen sind geeignet, auszuprobieren, wie sich Expressivität und ein nostalgisches Gefühl in den Anschlag legen lassen.
Mai von Toshio Hosokawa (* 1955)[19]
Toshio Hosokawa studierte Komposition, zunächst in Tokio, danach in Westberlin an der Hochschule der Künste bei Isang Yun (1917–1995) und in Freiburg an der Hochschule für Musik bei Klaus Huber (1924–2017). Vieltönige Vorschläge gehören zu den bevorzugten Stilmitteln Hosokawas und er handhabt sie virtuos. Schon Yun verwendete gern mehr als einen oder zwei Vorschlagstöne. Doch bei Hosokawa ist die Zahl an Tönen, die sich auf einen folgenden Ton beziehen, manchmal extrem hoch. Ähnlich wichtig wie Yun dürfte Takemitsu für Hosokawa geworden sein, speziell dessen Vorliebe für die achttönige Halbton-Ganztonleiter. Aus dieser oktatonischen Skala (bzw. aus Messiaens zweitem Modus) schöpft Hosokawa die Tonvorräte, mit denen er Melodien, die Harmonik und oft sogar die formale Konstruktion erfindet. Er lässt die Vorräte manchmal unvollständig, manchmal reichert er sie aber an.
Zu dem Sammelband Dances of Our Time steuerte Hosokawa das Klavierstück Mai bei. Das japanische Wort ‚Mai‘ bedeutet schlicht ‚Tanz‘, nach Hosokawas präzisierender Übersetzung im Untertitel ‚uralte japanische Tanzmusik‘. Genauer bildet laut dem Komponisten die Tanzmusik Seigaiha die – noch ohne Vorschläge und Oktatonik auskommende und rein rhythmisch-metrisch bestimmte – Grundlage dieses Stücks.[20]
A simple melody that expresses the heaving of waves on the sea and a rhythm pattern at the background of the melody repeat like a symbol of the cycle of time from the beginning to the end of this music. The monotonous repetition of melody and rhythm just like minimal music is characteristic of Seigaiha. In my piece for piano, the left hand taps a rhythm pattern imitating the rhythm of percussions in Seigaiha while the right hand repeats the Gagaku style melody with many ornaments.[21]
Mit doppelten Taktstrichen sind in Mai sechs zumeist achttaktige Teile bereits im Notenbild deutlich voneinander abgegrenzt. Die Taktart wird von Anfang bis Ende durchgehalten. Das ist ungewöhnlich für Hosokawa, denn bei seinen anderen Klavierstücken ändert er die Taktart oft. Die traditionelle Musik Japans, auf die sich dieses Klavierstück bezieht, kennt keine dreizeitigen Metren, wie die Walzer von Yuasa und Ichiyanagi sie haben. Mit dem vierzeitigen Metrum, für das sich Hosokawa entschied, wird daher der Rahmen des Landesüblichen eingehalten. Während es Klavierspieler*innen bei Hosokawas Klavieretüden manchmal schwerfällt festzustellen, ob das Metrum kompositorisch überhaupt realisiert wurde bzw. wohin der Hauptakzent tatsächlich fallen soll, wird die notierte Taktart in Mai kompositorisch stets deutlich artikuliert. Den Höhepunkt erreicht das Stück in Teil 4. Hier nimmt die Dichte der Klänge zu, und es erscheinen zahlreiche auch mehrtönige und sogar oktavierte Vorschläge. Außerdem gelangt die rechte Hand jetzt bis ins höchste Klavierregister und der dynamische Grad ist ebenfalls am höchsten.
Das Tempo soll bis zum Ende von Teil 5 durchweg bei ♪=76 bleiben. In Teil 6 wechselt es dann aber mehrmals, wird fast doppelt so langsam und zum Schluss doppelt so schnell wie zuvor, die frühere Strenge lässt nach. Die ersten vier Takte von Teil 1 exponieren den Rhythmus, sie fungieren damit als Vortakte. Zum eigentlichen Beginn des Stücks wird damit Takt 5, sodass abzüglich des einleitenden Viertakters acht Takte für Teil 1 übrigbleiben. Von der jeweils achttaktigen Taktmenge auch der folgenden Teile weicht lediglich Teil 5 mit seinen sechs Takten ab.
Dem Stück liegt ein dem Tanz Seigaiha entlehntes rhythmisches Pattern zugrunde, das sich erst im Schlussteil 6 verflüchtigt. Das Pattern umfasst zwei Takte (siehe Notenbeispiel 14). Es tritt in mehreren Varianten auf. Gemeinsam ist ihm und seinen Varianten, dass die ersten beiden Schlagzeiten sämtlicher Takte tatsächlich als Achtel artikuliert sind und dass das Pattern im zweiten Takt mit einer Achtelpause endet. Auch die melodischen Floskeln, die den Rhythmus überlagern, enden in jedem zweiten Takt (und manchmal auch im je ersten) mit einer Achtelpause, weshalb das Stück (bis auf die allerletzten Takte) regelmäßig in zweitaktigem Abstand von gemeinsamen Pausen durchschossen ist. Außerdem beinhaltet das Pattern mindestens ein bis zwei Sechzehntelpaare, die zwischen den bisher undefinierten Positionen wechseln, mithin auf dem dritten, vierten oder siebten Achtel des Patterns auftreten können.
Das zweitaktige rhythmische Pattern wird in den ersten Takten zunächst mit beiden Händen gespielt, danach führt die linke Hand es allein aus, wobei die Varianten des Patterns bevorzugt werden: An die Stelle seines letzten Achtels treten zwei Sechzehntelnoten (siehe Notenbeispiel 15, T. 6). Die zweite Variante des Patterns (T. 7–8, linke Hand) formt dieses zu einer melodieartigen Gegenstimme der mit Vorschlägen versehenen Tonrepetitionen in der rechten Hand aus.
Die dynamischen Angaben wechseln relativ häufig. Bei der stärksten Dynamik von fff für beide Hände am Ende von Teil 4 (T. 36) kann pianistisch ein großer Effekt erzielt werden. Die leiseste dynamische Angabe ist ppp im vorletzten Takt. Nach dem dynamischen Höhepunkt direkt vor Teil 5 wird das Stück sukzessive leiser, wobei es einzig in Teil 5 geschieht, dass die beiden Hände dynamisch nicht synchron spielen: In der linken Hand sinkt der dynamische Level etwas früher als in der rechten. Die beschriebene Entwicklung ist pianistisch als Nachlassen der Spannung zu realisieren; sie bereitet damit die zunächst abnehmenden Tempostufen von Teil 6 vor. Das plötzlich sehr schnelle Tempo und der abrupte Dynamikwechsel im letzten Takt haben daher einen Überraschungseffekt und müssen mit Mut umgesetzt werden.
In keinem anderen Klavierstück Hosokawas gibt es eine derart strikte Trennung von Melodie und Begleitung. Der Kernton der Melodie wird von Teil zu Teil transponiert. Die achttaktige Melodie des Anfangs (T. 5–12) taucht aber noch einmal in der gleichen Transposition in Teil 4 auf, nur bleibt sie dort nicht mehr einstimmig, sondern wird von weiteren Tönen unterfüttert, darunter der Oktave und den jetzt festzuhaltenden Vorschlagstönen (siehe Notenbeispiel 16). Außerdem unterscheidet sich der melodische Verlauf in den vierten und achten Takten der beiden Teile, wobei im Wesentlichen die Töne a’’ und es’’ gegeneinander ausgetauscht werden.
Pro Viertaktgruppe wird der Kernton der Melodie transponiert: von a’’ in den Takten 5–8 abwärts nach es’’ (T. 9–12), c’’ (T. 13–16) bis nach es’ (17–20). Dann nehmen die Zeitabstände der Transpositionen ab. In den Takten 21–22 ist fis der Kernton, der zum es in Takt 24 über den Ton e absinkt, einen hier durchgangsartig wirkenden Ton, denn sämtliche anderen Kerntöne gehören zur Achse des verminderten Septakkords fis–a–c–es.
Früher bloße Nebentöne wirken im Verlauf wichtiger: In Takt 20 notiert Hosokawa auf dem dritten Schlag eine Triole (siehe Notenbeispiel 17), während die gleichen Töne der dritten Schlagzeit zuvor (in T. 12) als Vorschläge geschrieben waren.
Die Melodien enthalten zahlreiche einstimmige, in Teil 4 sogar mehrstimmige Vorschläge. Eine Ratio für diese Vorschläge lässt sich nicht ausmachen. Hosokawa bevorzugt für sie aber bestimmte Töne, wie ein Vergleich der Takte 7–12, 17–20 und 31–35 zeigt. So wie die Kerntöne sind auch die Vorschläge transponiert, allerdings nicht konsequent. Die Vorschläge des’’/cis’’–es’’–e’’ in Takt 15 und b’–a’–g’ in Takt 16 sind Kleinterztranspositionen des zweiten Vorschlags in Takt 11 und des Vorschlags in Takt 12. Die Vorschlagstöne (plus Zielton) von Takt 45 sind im folgenden Takt wiederum eine kleine Terz abwärts transponiert (und um zwei Töne vermehrt), auch diesmal werden aus Vorschlägen auf den Schlag zu spielende, sozusagen gültige Töne (siehe Notenbeispiel 18), ein Unterschied, der pianistisch entsprechend herauszubringen ist.
Für die Wahl der Vorschlagstöne spielt der verminderte Septakkord der Kerntöne fis–a–c–es eine Rolle, wie das Stück insgesamt deutlich mit einer zu diesem Septakkord generierbaren oktatonischen Skala komponiert ist. Ausnahmen davon tauchen vor allem in der linken Hand auf, die in den ersten vier Takten (sowie bisweilen später im Stück) ein tiefes chromatisches Cluster zu repetieren hat, sodass auch Töne außerhalb der Oktatonik vorkommen. Bezeichnend ist, dass Hosokawa dieses Cluster als aus den drei Töne A₂–C₁–Es₁ gebildet notiert, sozusagen als bloße Auffüllung des oktatonischen Gerüsts. In der folgenden Viertaktgruppe (T. 5–12) erscheint das Cluster eine Oktave höher, dennoch in einer Lage, die einen dumpfen Klang ergibt, jetzt oktatonisch gefiltert zu den Tönen A–B–c–des–es (siehe Notenbeispiele 15 und 16).
In den vier Takten der zweiten Hälfte von Teil 2 (T. 17–20) wird die erste Variante des rhythmischen Patterns von der rechten Hand übernommen, wobei die Oberstimme als variierte Spiegelungsform der halbmelodischen Ausgestaltung des Patterns betrachtet werden kann, das die linke Hand in Takt 7 (und abermals in T. 11 und 15) spielt. Die Bewegungsrichtung ist umgekehrt, ebenso die Intervallfolge von Ganz- und Halbtonschritten (siehe Notenbeispiel 15 und 19).
Die durchgängige rhythmische Bewegung ist angeregt von Tanzschritten aus Bugaku sowie aus dem Nō-Theater. Assoziiert werden solche Schritte insbesondere mit der auf beiden Seiten mit Stöcken anzuschlagenden zylindrischen Doppelfelltrommel Kakko (in Bugaku) sowie mit der mit beiden Händen zu spielenden Sanduhrtrommel Tsuzumi (in der japanischen traditionellen Musik Nōgaku). Dass das rhythmische Pattern (bis auf die Schlusstakte) ununterbrochen durchläuft, verstärkt den strengen archaischen Charakter. Die Melodie hat Merkmale jener Melodien, die typischerweise von den japanischen Blasinstrumenten Hichiriki oder Ryuteki gespielt werden. Aber es gibt auch eine melodische Anspielung auf den Titel des Petrushka Projects, für das die Komposition entstand, nämlich auf ein Klarinettensolo im vierten Tableau von Strawinskys Ballett (1911), wo ein Bauer eine Schalmei bläst und der Bär ihm auf den Hintertatzen hinterhertanzt.[22] Auf die Danse russe, deren Musik Strawinsky dem Ballett für das erste der Trois mouvements de Pétrouchka (1921) entnahm und die er zu einem virtuosen Klavierstück umformte, bezieht sich aber generell Hosokawas Schreibart mit einem (sogar rhythmisch verwandten zweitaktigen) Pattern.
Über dieses Stück gewinnen Klavierschüler*innen Erfahrung mit dekorativer Melodik, unter der ein Rhythmus mit hartem Klang unbeirrt festzuhalten ist – insgesamt in der Atmosphäre archaischer japanischer Musik (bzw. dessen, was man heute dafür hält). Zugleich ist Mai geeignet, in Eigenschaften neuerer Musik einzuführen, darunter speziell von Musik aus ständig wiederholten Patterns – ähnlich gewissen Richtungen der Minimal Music. Auch das Spiel von Clustern kann mit Mai geübt werden.
Diesen Kuss der ganzen Welt von Atsuhiko Gondai (* 1965)[23]
Der 1965 in Tokio geborene Atsuhiko Gondai studierte Komposition an der Toho Gakuen Universität seiner Heimatstadt und setzte sein Studium 1990 bis 1992 an der Freiburger Musikhochschule bei Klaus Huber fort. Während eines anschließenden Aufenthalts in Paris widmete er sich bis 1995 am IRCAM intensiv der Computermusik, u.a. unter Anleitung von Philippe Manoury (* 1952). Gondai ist auch als Kirchenorganist tätig. Das Stück, das er zu dem Petrushka Project beisteuerte, weist deutliche Bezüge zur europäischen Musiktradition auf, hier explizit zu Beethoven, wie bereits der Titel kundtut. Abgesehen vom Titel, der ruppigen Gestik und unsteten Dramaturgie des Stücks wird die Assoziation ‚Beethoven‘ insbesondere durch die Repetitionen des Zentraltons e ausgelöst, die stark an die Repetitionen des Tons a im letzten Satz von Beethovens 9. Symphonie erinnern.
Es ist nicht leicht erkennen, aus wie vielen Teilen das Stück besteht. Von den Charakterbezeichnungen her dürfte es in vier Teile zu gliedern sein (Teil 2 ab Takt 39 – beginnend mit leggiero –, Teil 3 ab Takt 92 – beginnend mit dolce – und Teil 4 ab Takt 152 – wieder mit dolce beginnend und in legato übergehend). Bis Takt 83 bleibt das Stück ein- bis zweistimmig, und gelegentlich leicht aufgefüllt kehrt diese Textur ab Takt 121 bis zum Ende in Takt 197 zurück. In Teil 3 bestimmen durchweg Gegenbewegungen der Hände die Textur. Im Herzen des Stücks taucht nun die sechsstimmige akkordische Auslegung einer dolce zu spielenden Melodie auf. Viermal hebt diese „süße“ Melodie an (T. 92, 98, 106, 116), bis die Musik schließlich ausrastet und sechsmal simultan in die Extreme der Klaviertastatur hineinrast.
Für den zweiten und den vierten Teil benutzt Gondai eine Zwölftonreihe.[24] Nur die Grundreihe ohne Transposition wird verwendet, abgespult mit je drei Tönen pro Takt, sodass jede Zwölftonreihe vier Takte braucht. Die Reihenfolge der drei Töne bleibt taktintern unbestimmt bzw. wechselt, und wo die Reihe nicht einstimmig abläuft, begleitet sie sich ohne zeitliche Verschiebung selber, nur mit taktinterner Vertauschung der drei Töne pro Segment (siehe Notenbeispiel 20). Eine weitere ausgesprochen mechanische Art, dem Reihenablauf einer Hand in der anderen etwas hinzuzufügen, besteht darin, dass ihm taktweise chromatisch steigende Molldreiklänge unterlegt werden (T. 177–184).[25] Dass es Dreiklänge sind, die Gondai hier nutzt, kontrastiert keineswegs zum reihentechnischen Prinzip, denn die dreitönigen Reihensegmente bestehen selbst bereits aus tonalen oder tonal deutbaren Akkorden: das erste Dreitonsegment aus einem cis-Moll-Dreiklang, das dritte und vierte aus unvollständigen Dominantseptakkorden auf d und f, jeweils ohne Quinte; nur das zweite Segment aus den Tönen g–b–h könnte ohne Aufwand atonal eingesetzt werden, doch liegt es nahe, es im hier gegebenen Kontext als unvollständigen g-Dur-Moll-Dreiklang (ohne Quinte) zu nehmen.
Die Metronomangabe ist ♪=60–72, sie bleibt über das gesamte Stück hinweg unverändert. Es kommen ausschließlich dreizeitige Metren vor; Gondais Repertoire reicht hier von 3/2 bis 3/64. Am Werkbeginn wird der Grundpuls immer halbiert; das Stück beginnt mit 3/2, es folgen also 3/4, 3/8 usw. Anschließend läuft diese Abfolge der Taktarten rückwärts, wobei das Repertoire an Dreiermetren nicht immer voll abgeschritten wird. Dieser Prozess wiederholt sich mehrfach.
Angaben für aggressive Artikulationen und extreme Dynamik tauchen in dem Stück sehr oft auf. Die jeweils ersten Schlagzeiten von Teil 1 werden mit einem Tenutozeichen, einem Keil, einem Akzent oder mit unterschiedlichen Arten von Sforzato versehen. Im Abschnitt mit der gespreizten Oktavbewegung (T. 121–139) sind die Akzente quasi hemiolisch auf zweitönige Tongruppen gesetzt (siehe Notenbeispiel 21).
Der Tonumfang des Stücks reicht bis zur tiefsten und höchsten Klaviertaste, diese werden oft gleichzeitig gespielt. Zentraler Ton der Tastatur[26] ist für Gondai das e’, und als Zentralton des Stücks ist dieser Ton im Verlauf mit den dynamischen Extremen vom fünffachen forte bis zum dreifachen piano anzuschlagen.[27] Anders als in Hosokawas Mai wird der Zentralton in Gondais Stück nicht durch Vorschläge ausgeziert (womöglich zur Vermeidung ostasiatischer Anklänge), und während Hosokawa die Kerntöne in Mai niemals ohne Zwischentöne repetiert, ist die direkte Repetition des Zentraltons bei Gondai allgegenwärtig (vielleicht in Anspielung auf die wenige Jahre vor Beethovens Tod erfundene Repetitionsmechanik des Erard-Flügels und natürlich auf entsprechende Passagen in Beethoven späten Klaviersonaten). Ein weiterer Unterschied zwischen Hosokawa und Gondai ist die Anzahl der Zentral- bzw. Kerntöne. Während Hosokawa mehrere zentrale Töne einsetzt, beschränkt Gondai sich auf einen.
Die flirrenden und wütenden Passagen von Gondais Stück basieren oft auf der taktweise steigenden oder fallenden chromatischen Skala oder auf der Ganztonleiter (siehe z.B. in T. 5–18 die je tiefsten Töne der Takte, gefolgt von einer Ganztonleiter bis T. 23). Gondais Stück steht in a-Moll: Es beginnt mit einem a-Moll-Dreiklang, bei den Übergängen von Teil 1 nach 2 und von Teil 2 nach 3 sind mehrfach a-Moll-Dreiklänge anzuschlagen, und selbst die Zwölftonreihe, mit der das Stück endet, macht den Schluss nicht etwa atonal, denn zum eingeblendeten Zentralton e’ hält die Reihe einfach bei ihrem neunten und zehnten Ton inne (d.s. c’’’’ und A2), wieder dem tiefsten und höchsten der Klaviertastatur – und wieder zusammen ein a-Moll-Dreiklang. Gondais Stück ist so wenig ein Tanz, wie Beethovens Variationen über Diabellis Walzer noch walzerartig waren. Der Verlag hatte bei Gondai um einen Tanz als Beitrag zu dem Sammelband angesucht, und Gondai leistete sich die Freiheit, die Bestellung im Sinne Beethovens auszuführen.
Der Anfang, der Übergang zur dolce-Melodie und das Ende des Stücks sind leise und ruhig. Sein Charakter wäre für die meisten Stellen aber als impulsiv und störrisch zu beschreiben. Der unvermittelte Wechsel von Tonsprüngen mit aggressiver Artikulation und sehr hohem dynamischem Grad hin zu den ruhigen Passagen stellt eine besondere Herausforderung beim Spiel des Stücks dar. Für das Erlernen von Virtuosität und energischem Spiel eignet sich das Stück gut. Viel schwieriger als schnelle Passagen, große Sprünge und kräftiger Anschlag ist aber der schnelle Wechsel des Ausdrucks bzw. der Laune. Für die Bewältigung dieses Stück muss ein mehrjähriger Unterricht vorausgesetzt werden.
Fazit
Die vier am Petrushka Project beteiligten japanischen Komponisten hatten eine sehr unterschiedliche musikalische Ausbildung, die zwar schon lange zurücklag, als sie ihre Werke zum Thema „zeitgenössischer Tanz“ einreichten. Dass Yuasa, Ichiyanagi, Hosokawa und Gondai zu höchst unterschiedlichen Lösungen fanden, mag dennoch zum Teil von ihrer musikalischen Prägung während der Studienzeit herrühren. Gleichwohl gibt es einige Gemeinsamkeiten, beispielsweise Yuasas und Ichiyanagis Vorliebe für Septakkorde. Bei Hosokawa und Gondai sind es hingegen zentrale Töne, die sich in den Werken beider finden, wobei sich der Umgang der Komponisten mit diesen Zentraltönen doch erheblich unterscheidet. Abgesehen von Allgemeinplätzen ostasiatischer Musik wie den anhemitonisch-pentatonischen Melodieschnipseln in Ichiyanagis feierlichem Waltz, tritt spezifisch japanisch Klingendes eigentlich nur in Hosokawas Mai in Erscheinung. Dessen Vermeidung durch die anderen Komponisten mag damit zu tun gehabt haben, dass Peter Hanser-Strecker ein Deutscher ist und die japanischen Komponisten der Musik aus der Heimat des Beschenkten eine Referenz erweisen wollten.
Der Altersunterschied zwischen den Komponisten beträgt bei Yuasa sowie Ichiyanagi und Hosokawa circa 25 Jahre, zwischen den Geburtsjahren von Hosokawa und Gondai liegen 10 Jahre. Dass sie verschiedenen Komponistengenerationen angehören, lässt sich im konkreten Fall weniger an der Rolle der japanischen Tradition für ihr Komponieren ablesen, dafür aber vielleicht an ihrem Verhältnis zur Tonalität. Auf die Geisteswelt ihres Landes hatten sich japanische Komponisten spätestens seit den 1970er Jahren bezogen, vielleicht als Reaktion auf Cage und anknüpfend an Takemitsus Bild davon, dass in japanischer Musik der Klang vertikal sei, wie ein Baum. Die Stücke von Yuasa und Ichiyanagi sind aber tonal und geraten damit in einen Zeitstrom von Vor- und Nachher hinein, das gilt insbesondere für das Stück des ersteren. Tonale Elemente hört man in Hosokawa Stück kaum, es sei denn eine oktatonische Pantonalität, in diesem Fall gegründet auf dem Ton a. Bei Gondai ist es hingegen eher eine spezifische Art der distanzierten spielerischen Posttonalität. Anklänge an traditionelle japanische Musik sind bei Hosokawa explizit, bei Ichiyanagi aber eher subkutan. Wie erwähnt, beziehen sich andere Stücke von Yuasa durchaus auf die japanische Tradition, vor allem jene Stücke, die der Komponist der Kategorie narrativer Kompositionen zuordnen würde. Das vorliegende Stück lässt vermutlich keine Generalisierung zu. Auch dass es in Gondais Stück keine Referenzen auf die japanische Tradition gibt, darf nicht für sein Schaffen insgesamt generalisiert werden, denn dieser hat beispielsweise für japanische traditionelle Instrumente komponiert. Um die Ergebnisse der Analysen zu ergänzen, sind künftige Untersuchungen von Stücken der jeweiligen Komponisten nötig.
Obwohl hier nur vier von insgesamt 75 Kompositionen des Sammelbandes besprochen wurden, eröffnen sich mit jeder einzelnen von ihnen doch bereits zahlreiche klavierpädagogische Aspekte. Wer nimmt diesen Sammelband zur Hand bzw. wofür wird er einem empfohlen? Was verspricht man sich von ihm? Wahrscheinlich ist es in den meisten Fällen so, dass man sich nur für einen bestimmten Komponisten oder eine bestimmte Komponistin, vielleicht sogar nur für ein einiziges Stück aus dem Band interessiert. Doch bietet er die Chance, mit zeitgnössischer Klaviermusik und mit verschiedenen Musiktraditionen vertraut zu werden und dabei unterschiedliche neuere Kompositions- und Spieltechniken kennenzulernen. Weil die einzelnen Stücke relativ kurz und kompakt sind, lässt sich die musikalische Machart leicht überblicken. Es handelt sich um Gelegenheitsstücke, Stücke, die – wenn nicht als Zugabe – für eher fröhliche Feste und Feiern geeignet sind. Auch aus diesem Grund eignen sich die Tänze des Petrushka Project nicht nur für Klavierschüler und -schülerinnen, sondern für Amateure, Liebhaber, Dilettanten, vielleicht sogar besonders für Laien, die mehr für sich spielen als für andere.
Verwendete Noten und Aufnahmen zum Petrushka Project
Gondai, Atsuhiko: Diesen Kuss der ganzen Welt, Schott, Mainz 2012. Auf YouTube gespielt von Christopher McKiggan, https://www.youtube.com/watch?v=qZlzH5DijJY (Stand: 20.10. 2023).
Hosokawa, Toshio: Mai, Schott, Tokyo 2012. Auf YouTube gespielt von Vestard Shimkus, https://www.youtube.com/watch?v=b3MaK4d-gvA (Stand: 20.10.2023).
Ichiyanagi, Toshi: Walz Solemnity, Schott, Mainz 2012. Auf YouTube gespielt von Tom Poster, https://www.youtube.com/watch?v=M3w7n-_K3KQ (Stand: 20.10.2023).
Yuasa, Joji: Walzer from the Ballet „Circus Variation”, Schott, Mainz 2012. Auf YouTube gespielt von Michael Brown: https://www.youtube.com/watch?v=MkmGpdnCFb8 (Stand: 20.10.2023).
Literatur
Adachi, Tomomi: „John Cage Shock“ in the 1960s and the question of orientalism, in: Cage & Consequences, hrsg. von Julia H. Schröder und Volker Straebel, Hofheim/Taunus (Wolke) 2012, S. 165–167.
Hosokawa, Toshio/ Sparrer, Walter-Wolfgang: Stille und Klang, Schatten und Licht. Gespräch mit Walter-Wolfgang Sparrer, Hofheim 2012. Japanische Ausgabe: 細川俊夫 音楽を語る 静寂と音響 影と光 (Hosokawa Toshio Ongaku wo kataru seijaku to onkyou, kage to hikari) übersetzt von Nobuyuki Kakigi, Tokio 2016.
Rost, Henrike: Musik-Stammbücher. Erinnerung, Unterhaltung und Kommunikation im Europa des 19. Jahrhunderts, Wien u.a. 2020
Sasaki, Maiko: Trio Webster: Toshi Ichiyanagi’s Fusion of Western and Eastern Music (Thesis for DMA), Rice University, Houston/Texas 2012, https://core.ac.uk/download/10175415.pdf (Stand: 20.10.2023).
Ueda, Yuko (2021): Analyse und Interpretation der Stücke für Klavier solo von Toshio Hosokawa, Ph.D., Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) 2021.
Internetquellen
Anonym: Glossar des Beethoven-Hauses Bonn. Archiv — Beethoven-Haus Bonn (Stand: 10.10.2023).
Anonym: Interview mit Joji Yuasa (2008),
https://www.piano.or.jp/report/02soc/pmj/2008/05/26_7461.html (Stand: 20.10.2023).
Anonym: Informationen über Gagaku und Bugaku,
https://www2.ntj.jac.go.jp/dglib/contents/learn/edc8/deao/gagaku/chusyaku.html (Stand: 20. 10.2023).
Hustle Copy: Informationen (jap.) zu Joji Yuasa Ballett Circus Variation,
https://www.hustlecopy-store.com/shopdetail/000000000695/ (Stand: 20.10.2023).
Jikken Kōbō (実験工房), Artikel Wikipedia (englisch),
https://en.wikipedia.org/wiki/Jikken_K%C5%8Db%C5%8D (Stand: 20.10.2023).
Joji Yuasa (湯浅 譲二), Artikel Wikipedia (japanisch):
https://ja.wikipedia.org/wiki/%E6%B9%AF%E6%B5%85%E8%AD%B2%E4%BA%8C (Stand: 20.10.2023).
ProjectPetrushka, YouTube-Kanal. https://www.youtube.com/ProjectPetrushka (Stand: 30.11.2023)
Schottmusic: Informationen zu dem Sammelband Dances of Our Time. https://www.schott-music.com/de/dances-of-our-time-no305681.html (Stand: 20.10.2023).
Schottmusic: Nekrolog für Toshi Ichiyanagi (2022).
https://www.schottjapan.com/news/2022/221012_181100.html (Stand: 20.10.2023).
Sudo, Eiko: Interview mit Joji Yuasa (2008).
☆インタビュー第6回 湯浅譲二先生 | ピアノ曲MadeInJapan | ピティナ・ピアノホームページ (piano.or.jp) (Stand: 20.10.2023).
Weitere Aufnahmen
Taki, Rentarō: Menuett h-Moll, gespielt von Eiko Sudoh,
https://www.youtube.com/watch?v=HQFtsQPy83Q (Stand: 20.10.2023).
Taki, Rentarō: Menuett h-Moll, gespielt von Katsutaka Tsutsui, https://www.youtube.com/watch?v=df6lqpd5n0U (Stand: 20.10.2023).
Yuko Ueda, geboren 1988 in Hiroshima, ist seit 2020 Dozentin für Klavier an der Yasuda Women’s University in Hiroshima. Sie studierte Klavier an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (2004–13), ein Doktoratsstudium über die Werke für Klavier solo von Toshio Hosokawa schloss sich an (Abschluss mit der Defensio im November 2021). 2019 hielt sich Ueda mit einem Doktoranden-Stipendium am Staatlichen Institut für Musikforschung Berlin (SIM) auf. Musikwissenschaftliche und musikpädagogische Vorträge und Publikationen. Ihre Konzertprogramme widmet sie neben der Musik des Barocks und der Wiener Klassik insbesondere dem französischen Impressionismus und zeitgenössischen japanischen Werken.
[1] Angepasst an die Schreibweise, die von den japanischen Komponisten der besprochenen Werke in internationalen Kontexten bevorzugt wird, sind deren Namen in diesem Beitrag in der Reihenfolge gegebener Name (Vorname) – Familienname (Nachname) angeführt.
Dieser Aufsatz geht auf einen Vortrag zurück, den die Verfasserin – mit dem Fokus auf der Beschreibung von Satztechniken – am 19. August 2021 im Rahmen der 37. Tagung der Hiroshima Society for Science of Arts in der Aula des Hiroshima Prefectural Art Museums gehalten hat.
Bis auf Notenbeispiel 14 sind sämtliche Notenbeispiele dieses Aufsatzes Reproduktionen nach den Notenausgaben des Schott-Verlags.
[3] Musikalische Freundschaftsalben bzw. Musik-Stammbücher enthielten gelegentlich auch Tänze; vgl. beispielsweise die von Stephen Heller in ein Album für Charlotte Moscheles (wohl 1845) eingetragene Valse sans fin. Abbildung in Rost, 296.
[4] Ebd., unter „Produktionsdetails“ → „Beschreibung“.
[5] Vgl. die Kurzinformationen zum ProjectPetrushka auf der Webseite des zum Projekt gehörenden YouTube-Kanals.
[6] Die Namen von Strawinskys Stücken werden hier in der französischen Schreibweise der Erstausgaben wiedergegeben; der Name des Komponisten wird so aus dem Kyrillischen transliteriert, wie der Schott-Verlag es bei seinen Strawinsky-Ausgaben tut.
[7] Vgl. Anonym, Glossar des Beethoven-Hauses Bonn. Der Artikel ‚Gattung‘, auf den das Glossar verweist, steht in der alten MGG (= MGG 1), Bd. 4, Kassel und Basel 1955 (Bärenreiter-Verlag), Spalten 523–556. Bezug genommen wird hier auf den Abschnitt I (Form in der Musik, Spalten 523–538 des Artikels). Der Autor dieses Abschnitts war Friedrich Blume.
[8] Eine Aufnahme von Takis Menuett in h-Moll mit der Pianistin Eiko Sudoh ist über YouTube zugänglich. Eine weitere, ebenfalls auf YouTube zugängliche Aufnahme desselben Stücks mit dem Pianisten Kazutaka Tsutsui wurde auf einem historischen Bösendorfer-Flügel eingespielt. Das Menuett entstand möglicherweise im Kontext des Unterrichts, den Taki in Tokio bei dem deutsch-russischen Philosophen und Musiker Raphael von Koeber nahm.
[9] Eine im Rahmen des Petrushka Project von Michael Brown eingespielte Aufnahme des Stücks findet sich auf YouTube (siehe das Verzeichnis im Anhang dieses Aufsatzes).
[10] Grundlegende Informationen über die Künstlergruppe Jikken Kōbō (実験工房) sind dem entsprechenden (englischen) Wikipedia-Artikel zu entnehmen.
[11] Interview mit einem nicht genannten Gesprächspartner auf der Website eines japanischen Klavier-Verbandes, Auszüge aus dem Interview hier übersetzt von der Verfasserin dieses Beitrags.
[12] Vgl. dazu die kurze Beschreibung des Balletts und seines Schaffenskontextes auf der Seite des Notenvertriebs Hustle Copy (jap.).
[13] Wie das am Ende des As-Dur-Teils angegebene da Capo al Coda zu verstehen ist, ist nicht eindeutig. Auf der genannten Einspielung von Michael Brown fehlt das da Capo.
[14] Eine im Rahmen des Petrushka Project von Tom Poster eingespielte Aufnahme von Ichiyanagis Stück findet sich auf YouTube (siehe das Verzeichnis im Anhang dieses Aufsatzes).
[15] Maiko Sasaki, Trio Webster: Toshi Ichiyanagi’s Fusion of Western and Eastern Music, S. 2.
[16] Vgl. dazu u.a. auch: Tomomi Adachi, „John Cage Shock“ in the 1960s and the question of orientalism.
[17] Sasaki, S. 21.
[18] Vgl. für die Schlusswirkung der mit Fermaten versehenen Klänge in Takt 12 die Einspielung des Stücks durch Tom Poster.
[19] Dieser Abschnitt des Aufsatzes rekurriert auf Passagen aus der 2021 von der Verfasserin an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) eingereichten Dissertation: Yuko Ueda, Analyse und Interpretation der Stücke für Klavier solo von Toshio Hosokawa, S. 38–39 sowie S. 107–121.
Eine im Rahmen des Petrushka Project von Vestard Shimkus eingespielte Aufnahme des hier besprochenen Stücks findet sich auf YouTube.
[20] Der traditionelle Tanz Seigaiha, den Hosokawa im Kontext dieses Klavierstücks erwähnte, gehört zu der Gagaku-Musik Bugaku. Zwei Arten von Bugaku lassen sich unterscheiden: Neben dem aus sehr alten Zeiten stammenden japanischen Gesang mit Tanz gibt es noch japanisierte, vom asiatischen Kontinent eingeführte und ebenfalls Seigaiha genannte Tänze, begleitet mit ebenfalls von dorther eingeführten Instrumenten. Praktiziert wurden diese Kunstarten hauptsächlich bei Hofe, bei aristokratischen Geselligkeiten sowie in Tempeln und Schreinen. Siehe dazu die knappen Informationen über Gagaku und Bugaku, Anonyme Internetquelle.
[21] Siehe die Informationen zu Mai auf der YouTube-Seite von Shimkus’ Einspielung des Stücks. Der zweite Absatz der Beschreibung stammt offenbar von Hosokawa selbst, ohne dass dies eigens gekennzeichnet wäre.
[22] „Le paysan joue le chalumeau – L’ours marche sur ses pattes de derrière“, 2. Szene im 4. Tableau.
[23] Eine im Rahmen des Petrushka Project von Christopher McKiggan eingespielte Aufnahme von Gondais Stück findet sich auf YouTube.
[24] In Takt 156 dürfte ein Druckfehler vorliegen: Vor der ersten Sechzehntelnote des Taktes müsste statt des Auflösungszeichens ein Kreuz stehen (Gis statt G).
[25] Es kommt dabei auch zu simultanen Oktaven, so in Takt 180 auf dem letzten Vierundsechzigstel.
[26] Unter der Taste für e’ liegen 43, über ihr 44 Tasten.
[27] ppp in Takt 91, fffff in Takt 141.